Antworten 5: Deutsch sein, was ist das für Sie ganz persönlich?

Hier das fünfte Antwortpaket. --- Zur lockeren Volksbefragung laden wir weiter herzlich ein - bitte auch Fotos von "typisch deutsch".

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Fortsetzung – Seite 2

55, weiblich, Bayern: Verdrängen, das ist Deutsch

Deutsch-Sein – ein so großes, tiefes und komplexes Thema! Als Kind von zwei Kriegskindern in den 60ern geboren, wuchs ich mit dem Gefühl auf, als Deutsche irgendwie nicht „richtig“ zu sein. In der Pubertät haderte ich heftig damit, Deutsche zu sein, ich war damit ganz und gar nicht „eins“ mit mir.

Aber anders als manche Schulkameraden/innen, die das in Abwertung und Ablehnung „der Deutschen“ oder „Deutschlands“ generell ummünzten, bezog ich es auf mich: Ich litt viele Jahre lang an Schuld- und Schamgefühlen, Deutsche zu sein. Es war wegen der deutschen Vergangenheit. Ich schämte mich, zu diesem „Tätervolk“, das so Grässliches verbrochen hatte, zu gehören. Sicherlich, ich war etliche Jahre nach Kriegsende geboren, aber dennoch fühlte ich diese Vergangenheit in Form von Schuld und Scham ständig in mein Leben schwappen.

Das Buch „Kriegsenkel“ von Sabine Bode hat mich über die Ursprünge dieser tiefsitzenden Schuld- und Schamgefühle einfach für die Tatsache, Deutsche zu sein, aufgeklärt. Meine Eltern, zu Kriegszeiten Kinder, haben das Tätertrauma und alles, was damit zusammenhängt, unbewusst und unverarbeitet wiederum an ihre Kinder, uns, weitergegeben

Sie mussten selbst Schlimmes erleben (Fliegerangriffe, Angst, Armut, Vater im Krieg etc.), aber auf ihre Ängste wurde damals keine Rücksicht genommen. Und nach dem Krieg wurde nie von den wahren Gefühlen, der Angst, gesprochen. Es wurde nur in seltsam distanzierter Weise erzählt, „man hatte nichts zu essen. Man musste nachts in den Keller….das kannte man damals nicht anders“ MAN, nicht ICH.

Verdrängen, das ist Deutsch. Sich beherrschen, funktionieren. Bloß die eigenen Gefühle nicht nach außen dringen lassen. „Man“, aber bloß nicht „ich“.

Ganz wichtig also: Seine Pflicht erfüllen. Disziplin. Korrektheit und Verlässlichkeit. Nach außen muss alles passen und stimmen. Und eben: Schuld abtragen, irgendetwas gutmachen müssen. Für irgendetwas Verdrängtes, nicht beim Namen Genanntes, Tabuisiertes.

In den letzten Jahren versuchte ich, dieses ganze Konglomerat ein wenig aufzulösen. Und damit veränderte sich auch mein Bewusstsein dafür, Deutsche zu sein. Ja, ich bin Deutsche. Ich trage persönlich keine Schuld an den Taten des Tätervolks Deutschland. Aber ich bin als Deutsche mit verantwortlich für den Umgang mit der Kollektivschuld, die Deutschland im letzten Jahrhundert auf sich geladen hat. Und ich habe auch verstanden, dass es etliche Generationen lang dauern wird, bis diese verarbeitet sein wird. Es ist Aufgabe und Herausforderung meiner und der folgenden Generationen, sie zu verarbeiten, einen Umgang mit ihr zu lernen und zu gestalten. Diese Schuld aus der Vergangenheit schwappt von Generation zu Generation weiter, wenn sie nicht verarbeitet wird.

Es ist keine Lösung, wenn wir Deutschen versuchen, durch Abwertung und Ablehnung „des Deutschen“ und „der Deutschen“ irgendwie diese Schuld von uns wegzuprojizieren.  Wohin auch immer. Es ist typisch deutsch, das zu tun.

Und es ist völlig unsinnig, wenn wir uns verleugnen und bis zur Unkenntlichkeit verbiegen, damit nur ja niemand daran Anstoß nimmt, dass wir „deutsch“ sind.

Lieber sind wir niemand als deutsch. Und auch das ist typisch deutsch.

Und jetzt komme ich zur anderen Seite, das worauf ich stolz bin, wenn ich sage, „Ja, ich bin Deutsche.“ Denn das gibt es sehr wohl. Es gibt die schöne Seite. Es gibt so vieles, was ich gut finde an meinem Land.

Da ist die Sprache, die Literatur. Schon früh habe ich meine Liebe zur Literatur entdeckt, und insbesondere zur deutschen Sprache. Es ist meine Muttersprache, aber meine Hingezogenheit geht darüber hinaus: ich liebe schon lange die Ausdrucksfähigkeit der deutschen Sprache. Ich liebe es, Texte, Gedichte und alles, was sich durch Sprache ausdrücken lässt, auf Deutsch zu lesen. Ich habe mich in bestimmte Textpassagen aus Büchern und Gedichten verliebt – so schön finde ich sie in ihrer Vielseitigkeit, in ihrem reichen Ausdruck, ein Ausdruck, der meine Seelensaiten nur so mitschwingen lässt.

Da ist eine tiefe Liebes-Verbindung zwischen mir und meiner Sprache. Der deutschen Sprache.

Und da ist die Vergangenheit der Dichter und Philosophen, der Theologen und Wissenschaftler, der Maler und Komponisten, so reich und so tief, um daraus immer wieder schöpfen zu können. Deutschland ist durchdrungen von einer reichen Kultur und Geschichte.

Was daran typisch deutsch ist, lässt sich nicht beschreiben – ja, es ist eher eine Art Webmuster, oder noch besser, eine Art DNA. Es ist eine Art des Fühlens und Denkens, des Grübelns (auch typisch Deutsch!) und des Forschens – in uns selbst und in dem, was uns umgibt, in dem, was wir ausdrücken und gestalten. Das gibt es ein „deutsches Muster“ und ich bin Teil davon.

Und schließlich: da ist die enorme politische Entwicklung nach der Nazi-Diktatur und dem Weltkrieg  – es ist keine Selbstverständlichkeit, in einem demokratischen Land zu leben, in dem eine rechtliche Ordnung wie die deutsche exisitiert, dass  – mag es auch noch so viele „Macken“ haben.

All das ist mein Land.

Wahrscheinlich werde ich erst dann stimmig und eins werden mit der Tatsache, dass ich Deutsche bin, wenn ich wirklich ALLE Seiten, die mein Land und seine Vergangenheit ausmacht, sehe und die Herausforderung, die das bedeutet, annehme.  Ohne etwas zu verklären, zu verteufeln und zu verdrängen. Und wenn ich wirklich im Herzen annehme, dass ich ein Teil davon bin. Ja, ich bin Deutsche.

53, männlich, von Bonn nach Neuss:

Ja, gute Frage, was ist das? Für einen Deutschspanier, Vater aus Andalusien, Mutter aus Ostpreußen?

So deutsch wie Bier und Riesling ist die Apfelsaftschorle. Das ist schon sehr einzigartig.
Er ist tendenziell schwerblütig und ernst – oder ist er nur nachdenklich?

Aus dieser Eigenart sind aber große Leistungen in der Kunst und Kultur hervorgegangen. Egal ob rechts oder links, neigt der Deutsche dazu, ängstlich zu sein. Für die einen ist das die Überfremdung, für die anderen die AKWs oder die Gen-Technologie.

Oder ist das einfach wieder nur die Nachdenklichkeit? eine Sache zu Ende zu denken?

Spazieren gehen – vorzugsweise im Wald (meine Verwandten in Spanien gehen auch gerne spazieren, aber lieber von Bar zu Bar und Tapa zu Tapa).

Sie sind sehr zielgerichtet in der Arbeit und Effizienz ist wichtig. Das klappt auch sehr gut, trotz Kaffeepausen.

Ich glaube die Deutschen arbeiten im Schnitt härter als die Amerikaner (hatte dort mal 6 Monate gearbeitet).

Nörgeln gerne und neigen dazu, das Glas lieber halb leer zu sehen – aber aus der Unzufriedenheit können ja Lösungen entstehen.

Der Deutsche ist auch sehr lustig (zumindest hier im Rheinland – sagt mein Vetter aus Spanien), aber alles zu seiner Zeit und an seinem Ort (Karneval, Oktoberfest).

Die Deutschen neigen dazu, etwas missionarisch zu sein, wenn sie von einer Sache überzeugt sind, egal ob rechts oder links (naja, vielleicht eher mehr links …).

Man merkt dann sehr schnell, was ihm im Moment wichtig ist. Er wird es sehr bald sagen. Sehr staatsgläubig statt gläubig (Grundgesetz vs. Bibel). Was aber zu der Haltung führt: Frage nicht, was du für den Staat tun kannst. Frage, was der Staat für Dich tun kann.

Spielregeln sind sehr wichtig. In allem. Bei Rot bleibt man als Fußgänger an der Ampel stehen – auch um 02:46 Uhr.

Die Deutschen neigen aber auch dazu, ihre Spielregeln immer weiter zu verfeinern und anzureichern. Soll angeblich helfen und gerechter sein. Ist nicht immer dinnvoll, aber klappt, weil sich ja alle daran halten.

Es ist ihm sehr wichtig, was der Nachbar (von ihm) denkt, das Nachbarland, der Nachbarkontinent oder die Nachbargalaxie. Eigenlich will er auch nur geliebt werden

Meine Sehnsucht (typisch deutsch?) ist Spanien, obwohl ich ganz genau weiß, dass ich nur hier leben möchte (obwohl, das Wetter hier ist so sch… (auch wieder typisch deutsch)).

44, weiblich, Paderborn

Mein Deutschland. In einem Land geboren worden sein, in dem man hohen Anforderungen entsprechen muss, um weiterzukommen.

Sehr ausgeprägtes Geschichtsbewusstsein. In der Jugend für Natur und Frauenrechte gekämpft haben. Streiten, debattieren, politische Diskussionen der Eltern mithören. Freiheit und dennoch Sicherheit. Zitat: „Der richtige Kanzler in der falschen Partei.“
Gute Schulbildung die immer mehr nachlässt. Schlechtes Wetter. Immer.

Früher grün gewählt haben und sich jetzt entsetzt schämen. Ein Land, in dem man mittlerweile guten Journalismus explizit suchen muss.

Viele Bäume, viele Wälder – viel Wasser, nicht selbstverständlich. Leitungswasser mit Trinkwasserqualität.

Schon lange nicht mehr fremdenfeindlich – aber politikfeindlich geworden. Seltsam naiv in manchen Dingen. Nicht sehr religiös. Mallorca.

Hinter „Ey Deutschland du mieses Stück Scheiße“ herlaufen, sich nicht entschuldigen und Bundestagsvizepräsidentin sein können. Also sehr tolerantes Land!

62, männlich, Thüringen: wieder schwer D zu sein

Zugegeben, ich war 1989 auch für die deutsche Einheit. Nicht wegen den Bananen, sondern um von Bonn, statt von Berlin regiert und die Kommunisten lo zu werden. Aber richtige Begeisterung für das Deutschtum hat mir immer gefehlt.

Es begann in der ersten Klasse, als unsere Lehrerin, gebürtig aus Berlin, die thüringischen Satzanfänge mit „vielleicht“ mit geradezu religiösem Eifer bekämpft hat. Vielleicht war es auch mein Dauerkonflikt mit dem deutsche Volkslieder trällernden Musiklehrer, der mich nicht leiden konnte, weil mir die Haare nicht gürtelbreit über dem Ohr abrasiert worden waren.

Wie viele Thüringer hatte ich mangels praktischer Bewegungsmöglichkeiten eine pathologische Liebe zum Ausland. Ich wäre jederzeit zu Fuß nach Riad, Kuala Lumpur, Shangri La oder Jerusalem ausgewandert, wenn es möglich gewesen wäre. Die Zone war einfach extrem eintönig, grau und miefig.

Die deutsche Einheit, die Märchen der Gebrüder Grimm, der Frankenwein, der Sängerkrieg auf der Wartburg: Alles ganz schön. Aber die Regierenden wollen die Traditionen zerlegen. Nun haben wir die Regierung wieder in Berlin und Deutschland ist wieder so geschichtslos, intolerant und dogmatisch wie die Ostzone. Statt Marxismus-Leninismus und antiimperialistischer Solidarität ist nun Gender und der Tanz ums migrantische Kalb angesagt. Da fällt es schwer, sich mit D einschränkungslos zu identifizieren.

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