Ostalgie – oder gab es in der DDR wirklich einen besseren sozialen Zusammenhalt?

Heute wird häufig beklagt, wie gespalten die deutsche Gesellschaft sei. War in der DDR der gesellschaftliche Zusammenhalt besser? Oder ist das nur ein altes sozialistisches Märchen, das die Vergangenheit verklärt?

picture alliance | Karl-Heinz Sprembe

Ich war mal wieder zwei Wochen im Osten Deutschlands als Vakanzvertretung unterwegs. Seitdem meine Landeskirche im Rheinland mich als querdenkenden Pfarrer in die Frühpensionierung versetzt hat, bin ich seit 3 Jahren regelmäßig ehrenamtlich als Pfarrer in Ostdeutschland tätig. Zum nächsten Weihnachts-, Oster- und Pfingstfest bin ich in einer Kirchengemeinde in der Uckermark eingeplant.

Die DDR ist bei meinen vielen Begegnungen kein dominierendes Thema. Neue gesellschaftliche Themen, private Anliegen und der christliche Glaube bestimmen die Gespräche. Doch hin und wieder kommen wir dann doch auf die DDR-Vergangenheit zu sprechen. Diese Sozialisation und die weitreichenden Folgen sind bis heute unübersehbar. Selbst die nach 1989 Geborenen beteiligen sich an den Gesprächen mit den Ansichten, die sie aus erster Hand von Eltern und Großeltern mit in die Wiege gelegt bekommen haben. Als Wessi kann ich da nicht mitreden; aber ich höre aufmerksam zu.

Ziemlich viele Menschen können der DDR gute Seiten abgewinnen: „Es war vor der Wende nicht alles schlecht. Die nachbarschaftliche Hilfsbereitschaft, das Miteinander in den Betrieben auch über die Arbeit hinaus, vielfache kulturelle Veranstaltungen, Ferienfreizeiten und Sportveranstaltungen. Es wurde immer was geboten. Keiner musste Langeweile haben. Heute ist sich jeder selbst der Nächste; in der DDR wurde das Miteinander und das Wir großgeschrieben.“

Dazu passt die Aussage einer Ärztin: „Bei mir in der Klasse hat einer den Dienst in der Volksarmee verweigert. Er durfte dann nicht studieren, schlimm genug. In der Schule wurde von einem Lehrer in der Klasse gesagt, dass dieser Schüler mit seiner Verweigerung der Waffe für Millionen Tote mitverantwortlich wäre, weil er die kapitalistischen Länder ermutigen würde, die DDR und ihre Bruderstaaten anzugreifen. So irre das damals war – wir als Klasse wären nie auf die Idee gekommen, ihn aus unserer Klassengemeinschaft auszuschließen. Bei unseren Treffen am See oder bei unseren Feten gehörte er selbstverständlich dazu. Ja, wir hatten sogar eine große Achtung vor ihm, wie er zu seiner Meinung stand und dafür Nachteile in Kauf nahm.“

Ein Kirchenmusiker widerspricht: „Ich wurde vor der gesamten Klasse von der Schulleitung als ein Dummi hingestellt, der noch an einen Gott glaubt und noch in die Kirche geht, obwohl doch der sowjetische Kosmonaut Juri Gagarin auf dem Mond war und keinen Gott im Himmel angetroffen hätte. Meine Klasse hat das willig aufgenommen und mich immer wieder lächerlich gemacht und wegen meines Glaubens durch den Kakao gezogen. Mein Refugium war die Orgel in der Kirche. Von den Mitschülern enttäuscht, habe ich an der Orgel meine Überlebensinsel gefunden. Ohne die Musik wäre ich kaputtgegangen an der ach so tollen Gemeinschaft in der DDR.“

Noch krasser beschwört es ein alter Mann bei einem „Tür-und-Angel-Gespräch“ am Gartentor. „Es gab nichts Gutes in der DDR. Gar nichts.“ „Aber das Miteinander soll doch besser gewesen sein als bei uns heute“, zitierte ich die Ostalgiker. Der alte Mann winkt entschieden ab. „Alle Gemeinschaften waren durch und durch vergiftet. Alle. Auch die in der Kirche. Überall waren die Stasileute dabei und trieben ihr Unwesen. Ich habe selber einige Monate sitzen müssen. Es gab nichts Gutes in der DDR. Gar nichts. 1989 war für mich das Jahr der Befreiung.“

Vier Stimmen aus der DDR. Ich muss ein wenig schmunzeln: Der soziale Zusammenhalt in der DDR-Erinnerung ist im Osten äußerst gespalten.

Gut so. Das ist ein Zeichen von echter Demokratie. Die Gleichschaltung der Erinnerung gibt es nur in Diktaturen.


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Kommentare ( 53 )

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verblichene Rose
2 Monate her

Kurz nach dem Mauerfall kursierte (nur im Westen?) ein Witz.
Und irgendwie versöhnte er mich mit „vielem“, was auch damals schon in die vermeintlich falsche Richtung lief:
Lange Schlange vor einem Laden in einer westdeutschen Stadt.
Plötzlich sagt einer: „Das ist hier ja wie damals bei uns in der DDR!“
Daraufhin dreht sich der Vordermann um und antwortet:
„Wir Dich nix gerufen haben!“

Musk fuer Arme
2 Monate her

Freiheit ist ja inzwischen schon ein abstrakter Begriff, wer redet denn täglich davon, daß er Sauerstoff atmet, wenn er nie einen Mangel hatte? Analog wird eine Herde Kühe eingepfercht und durch Stromschläge zärtlich daran erinnert, daß sie in einem vorbestimmten Areal zu bleiben haben. Nach und nach gewöhnt sich die Herde an die Restriktion und kann sogar bis zum Zeitpunkt unmittelbar vor dem Bolzenschuß in die Stirn beim Schlachthof, diese vermeintliche Freiheit als angenehm und begehrlich halte: Es gab immer Futter, man arbeitete in Form von Milchabgabe für die Gemeinschaft und war immer in Gesellschaft, war aber iquasi m größten… Mehr

cernunnos
2 Monate her

Sozialer Zusammenhalt besser als was? Als damals im Westen? Als heute? Wenn als heute, dann wo? Dorf? Stadt?

Ein sehr simpler Fakt ist, abseits von Sozialismus oder Kapitalismus, Bespitzelungen etc, dass in homogenen Gesellschaften der Zusammenhalt allgemein deutlich höher ist. Und das war in der DDR der Fall. Der Zusammenhalt wird in NRW 1960 auch deutlich höher gewesen sein als in meinetwegen 2010.

Kuno.2
2 Monate her

Rein logisch gesehen müsste der „nationale“ Zusammenhalt in der DDR besser gewesen sein. Denn der Arbeitskollege war in Krisenzeiten kein Konkurrent wie im Westen. Aber da es ernsthafte Krisen und Probleme in der Bundesrepublik nie gab ist diese Überlegung relativ zu sehen.

Deutscher
2 Monate her
Antworten an  Kuno.2

Im DDR-System lernten die Leute zwangsläufig vor allem eines: Sich durchmogeln, mit allen Tricks. Man merkt es so manchem Veteranen (m/w) heute noch an, wie sie einem ein freundliches Gesicht zeigen, aber hintenrum gegen einen intrigieren.

Lore
2 Monate her

Komischerweise haben meine Verwandten aus dem Westen es auch so empfunden, dass der Zusammenhalt im Osten größer war und empfanden es als sehr wohltuend.

Deutscher
2 Monate her

Und noch was, liebe Ostalgiker: Diejenigen, die glauben, ein eigener ostdeutscher Staat hätte nach 1989 weiter bestehen können – wie hättet ihr den denn finanziert? Ihr seid technologisch mindestens 20, 30 Jahre hinterhergehinkt, hattet keine exportfähigen Industrieprodukte am Start und wart Lichtjahre von einer internationalen Wettbewerbsfähigkeit entfernt. Eure Nation wäre auf Dauer am westdeutschen Finanztropf gehängt und nicht selbständig geworden. Das ist die Realität und deswegen gab es keine andere Wahl, als den Laden aufzulösen und die Überbleibsel in die funktionierenden Unternehmen des Westens zu investieren, um euch wenigstens eine Chance auf Arbeit und Wohlstand zu geben. Die Alternative wäre… Mehr

Last edited 2 Monate her by Deutscher
Waldschrat
2 Monate her
Antworten an  Deutscher

Sie haben vollkommen recht. Allerdings haben wir keine 20-30 Jahre hinterher gehinkt, aber viele Jahre waren es schon. Das lag aber nicht an der Unfähigkeit der Ostler, wir wussten uns immer zu helfen, sondern an der Unterdrückung und der sozialistischen Planwirtschaft und das ist genau das, was wir jetzt wieder erleben müssen. Ein Teil der Westler begreift das nicht, auf alle Fälle da sind wir euch viele Schritte voraus. Deshalb, wenn jetzt Deutschland geteilt würde, möchte ich mal sehen, wer dann hinterherhinkt, der Osten oder der Westen? ich tippe auf letzterem.

Eddy08
2 Monate her
Antworten an  Deutscher

Nun ja das ist westdeutsche Arroganz. Man sieht ja wie verschuldet der gute, alte Westen ist. Früher gab es einen guten Spruch“ der Kapitalismus steht vor dem Abgrund, der Sozialismus ist ein Stück weiter“. Für den Westen war es so passend das es keine wiedervereinigung gab, sondern effektiv nur einen Beitritt. Das sorgte für neue Märkte, funktionierende Ostfirmen wurden für einen Appel und ein Ei an gute westdeutsche Manager verschachert und abgewickelt, lästige Konkurenz entfernt.Hunderte schrotthändler verkauften alte Schrottkarren in den Osten. Und schauen wir wie es weiter ging. Kaum ein Ossi ist irgendwo an der Macht. Merkel wurde wie… Mehr

ratatoesk
2 Monate her
Antworten an  Deutscher

Welche BILD-Ausgabe war das denn ? Die DDR war wirtschaftlich das stärkste Land im Wahrschauer-Pakt , was dann bedeutet alle anderen hängen heute am Geld-Topf der Bundesrepublik, ist ja zum kringeln. Sie sind wohl der Star am Stammtisch.

Waldschrat
2 Monate her

Ich „durfte“ mehr als 30 Jahre die DDR erleben. Natürlich gab es eine Polarisierung, auf der einen Seite die Genossen (Sozialisten), auf der anderen Seite die, die die Arbeiter- und Bauernmacht gerne früher als später in die Wüste geschickt hätten. Aber dennoch, den Gebrauch der Ellenbogen haben wir erst nach der „Wiedervereinigung“ gelernt. Es gab in der DDR einen anderen Zusammenhalt, zumindest innerhalb der Lager, aber auch lagerübergreifend, man hat sich unterstützt, weil man zumindest im Bereich der untereren Ebenen im gleichen Boot saß. Es ging deshalb gar nicht anders. Auch lagerübergreifend war der eine meist nicht der Teufel des… Mehr

Deutscher
2 Monate her

: „Westdeutsche sollten sich bei diesem Thema bitte etwas zurücknehmen, denn was sie wissen ist nur Hörensagen…“

Das erinnert mich an typisch linke Bevormundungsmentalität: Bei Frauenthemen sollten sich Männer zurückhalten, bei Homothemen Heterosexuelle, bei Migrantenthemen Deutsche usw.

Davon abgesehen: Dann sollten logischerweise Ossis sich über die Vorwende-Bundesrepublik zurückhalten. Oder nicht?

Wenn ihr euch Illusionen gemacht habt, ist es euer Pech. Niemand hat euch gezwungen, Revolution gegen euer Bauern- und Arbeiterparadies zu machen.

Eddy08
2 Monate her
Antworten an  Deutscher

Bleib mal ganz ruhig und sachlich. Ich würde mir nie anmaßen euch zu erzählen wie ihr im Westen gelebt habt, warum wollt ihr mir dann erzählen ,wie ich gelebt habe. Vielleicht sollte sich der freiheitsliebende Grüne und Merkel/Merz/Günther/Wüst an die Macht bringende Bürger der Westdeutschen Gemeinschaft sich mal hinterfragen und vielleicht bevor man andere bevormundet. Ihre Antwort zeigt mir einen Menschen der unendlich von sich und seiner Wahrheit überzeugt ist und anderen diese gern überstülpt, anstatt sich vernünftig in Konversation zu üben. Warum soll ein Mann nicht seine Meinung zu Frauenthemen haben und kund tun, austauschen fördert das eigene Verständnis.… Mehr

Manfred_Hbg
2 Monate her

Zitat: „Gut so. Das ist ein Zeichen von echter Demokratie. Die Gleichschaltung der Erinnerung gibt es nur in Diktaturen.“ > Das sehe ich auch so. Wenn ich z.Bsp gerade in den „Qualitätsmedien“ oder im Staatsfunk am hören bin wie die Hofberichterstatter mal wie darüber am schwätzen sind wie sehr doch unsere eigene oder die amerikanische Gesellschaft -wegen was auch immer oder vorzugsweise wegen einer erstarkten AfD oder wegen Trump- zutiefs gespalten sei, dann bekomme ich immer die Krise und frage mich: WAS bitte wollen diese Hofberichterstatter und „Qualitätsmoderatoren“ eigentlich sonst, etwa eine gesellschaftliche UNspaltung bzw eine gesellschaftliche GLEICHschaltung? Was soll… Mehr

Deutscher
2 Monate her

Wie jedes Jahr um den 3.10. kommen sie wieder mit dem alten Lied, die alten DDR-Patrioten und Ostalgiker: „Man hat uns betrogen, die Wessis sind arrogant, man hat unsere tolle Industrie verscheppert, nur der Osten hat den politischen Durchblick…“ Ich kann’s nicht mehr hören. 1. Wenn eure Industrie so hochentwickelt war wie eure Autos, ist es kein Wunder, dass niemand was damit anfangen konnte. 2. Dem Westen ging es vor der Wende wesentlich besser als seither. Konservativ, wirtschaftlich stark und stabil, dennoch ausreichend sozial und liberal. Der Linksruck kam erst danach, denn wir hatten unsere Linken bis dahin im Griff.… Mehr

Last edited 2 Monate her by Deutscher
Eddy08
2 Monate her
Antworten an  Deutscher

Wenn du so toll bist, dann baue doch deine Mauer wieder auf, du hast das Thema nicht verstanden und selber ein Träumer vom goldenen Westen. Ihr hattet die Linken im Griff….jo so wird es sein

ratatoesk
2 Monate her
Antworten an  Deutscher

„Dem Westen ging es vor der Wende wesentlich besser als seither. Konservativ, wirtschaftlich stark und stabil, dennoch ausreichend sozial und liberal.“ Alleine diese Auffassung reicht schon um zu sehen, wie hoch der Stapel der BILD bei Ihnen sein muss ,ergo, wie verblendet Sie sind. Seit mitte der 70ger Jahre rutschte der Westen ,angefangen mit den USA , die um ungehindert Dollar drucken zu können ,den sogenannten „Gold-Dollar-Standart“ aufhoben, immer mehr in eine Wirtschaftskrise , die bis heute anhält. Das fiel bis in die 80iger Jahre noch nicht so groß in der Bevölkerung der Bundesrepublik auf, abgesehen von den steigenden Arbeitslosenzahlen,da… Mehr