Tichys Einblick
Ein gefährliche Parole

„Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ – Ein Frontalangriff auf die Freiheit

Angriffe gegen die Freiheit werden mit wohlklingenden Parolen geführt, wie "Gemeinnutz geht vor Eigennutz". Aber private Interessen sind genauso wichtig wie öffentliche. Das entspricht dem Christus-Wort: „Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen und deinen Nächsten wie dich selbst“.

„Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ – dieser Spruch hört sich gut an. Das klingt nach christlicher Nächstenliebe. Das klingt nach Solidarität. Das klingt nach einer besseren Welt mit weniger Egoismus. Doch ausgerechnet dieser wohlklingende Spruch entpuppt sich als Frontalangriff auf individuelle Rechte und Freiheiten: Erst definiert man eine bestimmte Idee als Gemeinwohl; und dann nimmt man sich das Recht, um dieses Gemeinwohls willens individuelle Bürgerinteressen zu beschneiden. Und das Ganze läuft süffisanter Weise unter der Flagge von Moral und Nächstenliebe.

China etwa hatte die Olympischen Spiele 2008 als Gemeinwohl proklamiert; damit konnte der chinesische Staat rabiat und rücksichtslos alle privaten Grundstücke und Häuser an sich reißen, die für die olympische Infrastruktur nötig waren. „Gemeinnutz geht vor Eigennutz.“

Weltweit definieren Politiker in der Corona-Krise das Gemeinwohl in Form von möglichst wenigen Coronatoten mithilfe eines Lockdowns; damit kann jeder, der gegen den Lockdown argumentiert, als skrupelloser Egoist skandalisiert werden. „Gemeinnutz geht vor Eigennutz.“

Immer mehr wird die Begrenzung der Klimaerwärmung durch CO2-Reduktion als wichtigstes Gemeinwohl für die Zukunft festgezurrt. Und je dramatischer dieses Klima-Gemeinwohl durch drastisch-spekulative Prognosen gefährdet erscheint, desto dramatischer dürfen die Eingriffe in die Bürgerrechte sein. „Gemeinnutz geht vor Eigennutz.“

Und wenn in der Migrationskrise die innerstaatliche Völker-Vielfalt als verbindliches Gemeinwohl festgelegt wird, dann haben dahinter kulturelle und sozialstaatliche Interessen einzelner „Ur-Einwohner“ zurückzustehen. „Gemeinnutz geht vor Eigennutz.“

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Die Taktik dahinter ist klar: Derjenige, der die Macht im Land hat, kann das vermeintliche „Gemeinwohl“ verbindlich für die Gesellschaft definieren. Je eindeutiger die Machtverhältnisse in Politik und Presse, desto eindeutiger das „Gemeinwohl.“ Und dann kann von diesem „Gemeinwohl“ her diktiert werden, wie sich die einzelnen Bürger dem ein- und unterzuordnen haben. Wer dem politisch festgelegtem „Gemeinwohl“ dient, der ist moralisch gut. Wer dagegen dieses „Gemeinwohl“ hinterfragt, der ist moralisch schlecht.
Denn „Gemeinnutz geht vor Eigennutz.“

Adolf Hitler mit seiner satanischen Feinfühligkeit für alles Machtsteigernde hat die Macht dieses Spruches früh erkannt. Bereits das 25-Punkte-Programm der NSDAP vom 24.2.1920 stand „auf der Grundlage: Gemeinnutz vor Eigennutz“. Ab 1933 war dieser Slogan auf den „Eine-Reichsmark-Geldmünzen“ eingraviert und damit in jedermanns Hand. Adolf Hitler hat intuitiv gespürt, dass unter dem Deckmäntelchen vermeintlich christlicher Nächstenliebe die liberale individuelle Bürgerkraft am besten gebrochen werden kann.

Deshalb muss diesem autoritären Slogan „Gemeinwohl geht vor Eigenwohl“ ein demokratischer Spruch entgegensetzt werden; ein Spruch, der sowohl das Gemeinwohl ernst nimmt, als auch das Wohl des einzelnen Bürgers. Ich schlage darum folgende Formulierung vor: „EIGENNUTZ IST GENAUSO WICHTIG WIE GEMEINNUTZ.“ Mit diesem Motto gibt es keine Unter- und Überordnung. Beide Interessen gehören unauflöslich und komplementär zusammen.

Diese neue Denkfigur führt weg vom Diktat hin zur Debatte: Welche Gemeinwohlinteressen gibt es und welche Eigenwohlinteressen – und wie können Lösungen gefunden werden, die beide Seiten zu ihrem Recht kommen lassen.

Wie etwa kann eine Autowaschanlage dazu beitragen, dass Corona sich nicht weiter ausbreitet, aber gleichzeitig auch der Wunsch des Waschanlagen-Betreibers nach Verdienst und der Wunsch einiger Autobesitzer nach einem sauberen Auto ernst genommen werden?

„Eigennutz ist genauso wichtig wie Gemeinnutz“ – diese Denkfigur führt dialogisch in das feine Austarieren unterschiedlicher berechtigter Seiten. Und sie führt damit zu vielen kreativen und individuellen Lösungen für ganze Branchen, sofern solche Kreativität nicht durch universale Gemeinwohl-Lockdowns im Keim erstickt wird.

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Genau um dieses Abwägen ging es auch Jesus Christus, als er in Bezug auf die Liebe von einem fragilen Dreier-Bündnis sprach: „Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen und deinen Nächsten wie dich selbst“ (Lukas 10,27). Provozierend ausgedrückt: Nächstenliebe für sich alleine ist gar kein christlicher Wert. Christlich ist es, die Liebe in seiner dreifachen Mehrdimensionalität zu sehen: Gottesliebe – Nächstenliebe – Selbstliebe. Damit legt Jesus den Grundsatz zu einer kreativen, vieldimensionalen, bürgerfreundlichen und gemeinschaftsfreundlichen Gesprächskultur.

Darum sollten wir uns von dem Spruch „Gemeinwohl geht vor Eigenwohl“ in all seinen unterschiedlichen Schattierungen nicht moralisch unter Druck setzen lassen.
Wir dürfen liberal dagegenhalten: „Private Interessen sind genauso wichtig wie öffentliche Interessen.“

So kommen wir weg von einer moralinsauren Pseudomoral, die die Menschen im Namen der Nächstenliebe und im Namen des Gemeinwohls gleich taktet oder klein hält. Stattdessen kommen wir hin zu einer echten Moral; denn das ist wahrhaftig Moral, wenn man viele Sichtweisen und Interessen und Rechtsanspüche sorgfältig und durchaus kontrovers miteinander austariert.

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