Die Bruchlandung der pazifistischen Kirchenideologie

Kirchenverlautbarungen dürfen sich nicht nur auf die Rosinenstückchen berufen, um die eigene Pazifismus-Ideologie zu bestätigen. Die Kirche muss sich von ihren Träumereien befreien und der harten Realität stellen: Skrupellose Herrscher werden eine solche Friedfertigkeit ausnutzen, so, wie es Putin gerade tut.

IMAGO/epd

„Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein“, posaunt die evangelische Kirche immer wieder lautstark heraus. Doch leider scheint der Gott der Kirchenverlautbarungen seine Rechnung ohne Putin gemacht zu haben. Putin ist so dreist, die Welt vor vollendete Tatsachen zu stellen: „Krieg soll nach meinem Willen sein. Basta und Wumms.“ Kirchenverlautbarungen könnten so schön sein, wenn da nur nicht diese blöde Realität wäre!

„Selig sind, die Frieden stiften.“ Jesus als der Christus lehrt mit seiner Bergpredigt (Matthäus 5-7), dass es möglich ist, Gewalt zu überwinden und den Frieden Gottes zu leben. Doch leider sind auch diese Kirchensätze nur die halbe Wahrheit. Denn Jesus lehrt in seiner Bergpredigt, dass das Gesetz vom Berg Sinai mit seinem „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ weiter bestehen bleibt: „Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein I-Tüpfelchen vom Gesetz des Mose“ (Matthäus 5,18).

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Wenn Kirchenverlautbarungen sich also auf die Bergpredigt berufen, dann bitte nicht nur auf die Rosinenstückchen, die die eigene Pazifismus-Ideologie bestätigen. Jesus Christus war nicht so naiv, politisch eine absolute Gewaltlosigkeit zu fordern. Selbst in seiner Bergpredigt weiß er um die Dialektik von notwendiger Gewalt und Not-wendendem Appeasement. Wenn schon Bergpredigt, dann bitte die ganze Bergpredigt; inklusiv Matthäus 5,17-20.

„Die Bibel führt zur Tradition der Gewaltfreiheit“, so behauptet der kirchliche Mainstream selbgewiss. Als ob die Bibel auf so eine simple Linie gleichgeschaltet werden könnte, wenn noch nicht einmal die Bergpredigt auf so eine einfache Linie gebracht werden kann.

Die Bibel betont, dass Menschen und Strukturen immer wieder gewollt oder ungewollt in den Bereich des Dunklen und Lebenszerstörenden gezogen werden können. Daher muss sich das Lebensförderliche manchmal ganz schön panzern, um nicht mit in den Strudel des Bösen hineingezogen zu werden. Albert Einstein brachte das so auf den Punkt: „Bis 1933 habe ich mich für die Verweigerung des Militärdienstes eingesetzt. Als aber der Faschismus aufkam, erkannte ich, dass dieser Standpunkt nicht aufrechtzuerhalten war, wenn nicht die Macht der Welt in die Hände der schlimmsten Feinde der Menschheit geraten soll. Gegen organisierte Macht gibt es nur organisierte Macht. Ich sehe kein anderes Mittel, so sehr ich es auch bedauere.“

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Doch jenseits solcher realpolitischen Erwägungen forderte die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche im Rheinland 2018: „Rüstungsexporte tragen zu Konfliktverschärfung und Kriegen bei … Rüstungsexporte müssen ein Ende haben.“ Und mit Rüstungsfirmen wie der Düsseldorfer Rheinmetall möchte die rheinische Kirche „Dialoge zur Konversion“ führen mit der Forderung: „Kriegswaffen und sonstige Rüstungsgüter werden grundsätzlich nicht exportiert.“

Also noch nicht einmal in die Niederlande? Wo bleibt der Aufschrei meiner Kirche, wenn die Bundesregierung jetzt Waffen sogar in ein Kriegsgebiet verschenkt?

Ich bin gespannt, ob die evangelische Kirche nach dem Krieg in der Ukraine den Mut hat, sich von ihren wolkigen Friedens-Träumereien im kirchlichen Elfenbeinturm zu verabschieden, um sich der Realität zu stellen: Wie kann der Frieden in einer Welt verbessert werden, wo es immer wieder Menschen und Regierungen gibt, die die Gewaltlosigkeit und Schwäche anderer skrupellos ausnutzen, um sich selber Vorteile zu verschaffen?

Die 66 biblischen Bücher tragen dieser heillosen irdischen Realität Rechnung. Jesus sieht die Welt, wie sie ist: „Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an“ (Markus 10,42).

Er wird gefragt, ob man dem römischen Kaiser, der nicht gerade ein Pazifist war, Steuern zahlen dürfe. Jesus antwortet klug: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“ (Matthäus 22,21).

Diese Antwort Jesu führt nicht zu einer ideologischen Wahrheit, die man ein für allemal selbstsicher in der Tasche hat und die man kindergartengerecht in simple Verlautbarungen gießen kann.

Diese Antwort Jesu führt in die Diskussion, vielleicht sogar in den politischen Streit: Was ist in diesem Augenblick und in dieser Situation und in diesem Kontext des Kaisers, und was ist Gottes? Auf diese Frage können Christen durchaus zu unterschiedlichen Antworten kommen.

Einfacher ist christliches Leben nicht zu haben. Einfacher sollten kirchliche Verlautbarungen zum Frieden nicht sein.

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Kommentare ( 22 )

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22 Comments
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Deutscher
2 Jahre her

Ich empfehle Ihnen den Artikel Ihres Kollegen Thurnes:

https://www.tichyseinblick.de/meinungen/gesten-verdraengen-in-deutschland-reale-politik/

Wer Krieg machen will, soll zur Armee und nicht in die Kirche: Der Klerus verschanzt sich feige hinter seinen Krichenmauer und feuert aus solch sicherer Position heraus die Kämpfer an. Ganz tolle Idee, Herr Zorn!

Bauen Sie doch eine kirchliche Freiwilligenarmee auf und ziehen Sie mit wehenden Fahnen in den Einsatz! Denn Jesus forderte Taten, nicht Geschwätz!

Kristallo
2 Jahre her

Ich erinnere daran, dass Altes und Neues Testament eigentlich nichts miteinander zu tun haben. Die christliche Kirche hat den Juden ihre heiligen Schriften entwendet und eine andere Religion drübergestülpt.
Für die Juden gilt nach wie vor nur das Alte Testament, und der Messias ist bei ihnen auch noch nicht erschienen. Deswegen haben sie ein realistischeres Weltverständnis und sie verteidigen sich ohne sentimentales Gefasel mit Nachdruck gegen eine feindliche Umgebung, – mit Jahwes Hilfe!

Waehler 21
2 Jahre her

Was bedeutet denn Zahn um Zahn und Auge um Auge? Es bedeutet, dass wenn jemanden ein Zahn ausgeschlagen wurde der Täter nicht aus bloßer Vergeltung geköpft werden soll. Also angemessen reagiert wird. Eine sehr moderne Ansicht. Weiterhin gilt es nur für den zivilen Bereich.
Nichts ist so häufig verdreht und missbraucht worden wie die Überlieferung unseres Glaubens. Auch und gerade von der Kirche selbst.

Alexis de Tocqueville
2 Jahre her
Antworten an  Waehler 21

Ja erstaunlich. Das böse Wort von „Auge um Auge“ ist eine Begrenzung der Blutrache. Eigentlich glasklar. Nur die Christen wissen es meist nicht…

Helmut Bachmann
2 Jahre her

Kirche muss unpolitisch sein. Sie soll die Gemeinde ansprechen, noch mehr den Einzelnen. Und das Thema lautet Gott und nicht der Krieg.

abel
2 Jahre her

Ich sehe die Auslegung der christlichen Lehre nur als Leitfaden im Leben und ich habe gelernt davon abzuweichen wenn immer nötig. Ansonsten ist es wie mit der Demokratie, die ist ja auch nicht in reiner Form vorhanden. Oder sagen wir es so: Unsere Demokratie im Westen hat schwer gelitten in den letzten 20-Jahren.

IJ
2 Jahre her

Dieser Pazifismus der Evangelischen Kirche ist auch innerhalb Deutschlands eigentlich eine propagandistische Mogelpackung. Denn man beteiligt sich in aggressivster Weise durch alle Ebenen am Kampf gegen rechts bzw. am Kampf gegen die eigenen Mitbürger und schreckt dabei auch vor drakonischen Massnahmen wie Entlassungen, Berufsverbote und gezielte Einschüchterungen gegenüber Andersdenkenden nicht zurück – ob Gläubige bzw. eigene Kirchenangehörige oder nicht. Die Evangelische Kirche hat eine lange gewalttätige und totalitäre Geschichte. Zu denken ist etwa an die Verbrüderung mit den Nazis von 1933-45. Ich persönlich kann mich daran erinnern, dass in den 70ern in evangelischen Kirchengemeinden offen für Waffen für Nicaragua geworben… Mehr

Last edited 2 Jahre her by IJ
Alexis de Tocqueville
2 Jahre her
Antworten an  IJ

Das Kernstück des Christentums halte ich für Heuchelei. Bei den Katholen auch, nur die Verpackung ist da besser. Bissl mehr Mittelaltermarkt und weniger Hippie Kommune. Dazu etwas Personenkult. Große inhaltliche Unterschiede gibts aber nicht zwischen dem römischen Original und Luthers New Age Christentum.

Ben Goldstein
2 Jahre her

Wie Einstein geht es uns allen. Die meisten Menschen wollen Frieden auch dann, wenn sie in einer überlegenen Position sind. Das projiziert man zunächst auf andere, bei denen das nicht so ist. Ein riesiger Erfolg des Bösen ist, dass es sich erfolgreich als Dummheit tarnt. Wegen der ganzen Mitläufer und echten Dummen verlernen Menschen zu akzeptieren, dass es das Böse tatsächlich auch gibt. Nicht alles sind Irrtümer und Hitlers Kindheitstraumata spielen auch keine Rolle. Es gibt Machthunger und Skrupellosigkeit. Es gibt Charakterfehler. Die Linke hat Jahrzehntelang gewarnt, dass man nicht „schwarzweiß malen“ soll, obwohl sie selbst mit ihren Gegnern möglichst… Mehr

Juergen P. Schneider
2 Jahre her

Zu fast jeder Äußerung des Zimmermannssohnes aus Nazareth gibt es auch eine, die ihr widerspricht. Man kann eben aus der Bibel alles herauslesen, was man gerade braucht, um eigenes Handeln oder Unterlassen zu rechtfertigen. Die Welt der ewigen Wahrheiten und die Welt der Wirklichkeit existieren unabhängig voneinander. Kein Glaube hat je die Welt verändert, es gibt aber auch keine Tatsache in der Wirklichkeit, die einen religiösen Glauben in den Augen der Gläubigen infrage stellen kann. So ähnlich hat es Oswald Spengler formuliert. Verändert wurde und wird die Welt durch diejenigen, die den Glauben oder eine Ideologie für die eigenen Machtgelüste… Mehr

Joerg.F
2 Jahre her

Oh wie gern würde ich mit Ihnen Herr Zorn in diese Diskussion einsteigen. was machen wir denn dann mit unserer Regierung, die seit zwei Jahren ihrem Volk Gewalt antut?

achijah
2 Jahre her
Antworten an  Joerg.F

Widerstand…

Physis
2 Jahre her
Antworten an  achijah

Widerstand?
Jetzt aber mal Butter bei die Fische 😉

Dieter
2 Jahre her

„Die evangelische Kirche muß sich „entkollonialisieren“. Luther und co waren weiße , alte Männer..
.. und dabei kann man auch das genderproblem anpacken..

eben live im WDR5
und die „Kirche“ wundert sich, das die Mitglieder weglaufen und schlichtweg ihren eigenen Glauben leben,so ganz ohne Instuitution?

Last edited 2 Jahre her by Dieter