Der lange Marsch durch die Illusionen

Mittlerweile gehören so viele Illusionen zur Staatsräson, dass man in Deutschland von einer „Illusiokratie“ (Herrschaft der Illusionen) sprechen kann. Welche Politdarsteller und Parteien auf der Regierungsbühne stehen, ist im Endeffekt nebensächlich, sofern sie sich den Illusionen unterworfen haben.

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Nachfolgend einige Thesen:

1) „Der lange Marsch durch die Institutionen“ (Rudi Dutschke) ist 2018 mit der Absetzung von Hans-Georg Maaßen weitgehend an sein Ziel gekommen. Damit kann jetzt in allen Institutionen „der lange Marsch durch die Illusionen“ exekutiert werden.

2) Es gibt viele politische Illusionen, die in Deutschland zur Staatswahrheit neben oder sogar über dem Grundgesetz geworden sind. Ihre sakrosankten Dogmen lauten etwa so:

  • „Der Euro ist keine Währung mit Vor- und Nachteilen; er ist ein heiliges Friedensprojekt.“
  • „Geld ist kein Problem; es kann jederzeit in beliebiger Menge gedruckt werden.“
  • „Sonne und Wind schicken keine Energierechnung.“
  • „Elektroautos gelten als CO2-frei.“
  • „Jeder, der an die Tür von Europa klopft, muss aufgenommen werden; wer das anders sieht, ist böse und ausländerfeindlich.“
  • „Unqualifizierte Flüchtlinge aus Entwicklungsländern werden bei uns zu Facharbeitern hochqualifiziert und lösen dann die demographischen Probleme unserer Sozialkassen.“
  • „Der Islam ist ohne Probleme in einen säkularen liberalen Rechtsstaat integrierbar.“
  • „Der Klimawandel kommt einzig und allein vom menschengemachten CO2.“
  • „Die Impfung bringt der Menschheit die Erlösung von einer tödlichen Pandemie
    und hat wie Lockdowns und Masken keine ernstzunehmenden Nebenwirkungen.“
  • „Das Geschlecht eines Menschen ist lediglich eine gesellschaftliche und biographische Konstruktion und hat nichts mit biologischen Fakten zu tun.“
  • „Alles, was den Nationalstaat Deutschland schwächt und auflöst ist gut.“
  • „Eine globale Weltgemeinschaft wird die Menschheit zum ewigen Frieden führen.“
  • „Über die Veränderung, Manipulation und Neukonstruktion der Sprache erschaffen wir den neuen besseren Menschen.“
  • „Eine Politiker-Planwirtschaft ist solidarischer, gerechter und nachhaltiger als eine egoistische Marktwirtschaft.“
  • „Wohlstandsverluste im überreichen Deutschland sind unbedingt notwendig zur Rettung der Welt.“
  • „Politiker brauchen keine Qualifikationen; allein ihre richtige Haltung zu den Illusionen ist wichtig.“
  • „Jeder, der nicht unsere Illusionen teilt, ist auf der falschen Seite und darf abgewertet werden.“

3) Mittlerweile gehören so viele Illusionen zur Staatsräson, dass man in Deutschland von einer „Illusiokratie“ („Herrschaft der Illusionen“) sprechen kann. Welche Politdarsteller und Parteien auf der Regierungsbühne stehen, ist im Endeffekt nebensächlich, sofern sie sich den Illusionen unterworfen haben.

4) Politische Illusionen wollen das Absolute im Relativen, das Unbedingte im Bedingten, das Heilige im Trivialen, das Letztgültige im Fraglichen. Die Illusiokratie hat darum den religiösen Charakter: Es gibt in dieser Zivilreligion wieder staatliche Sinnwahrheiten; es gibt wieder Gläubige, Ketzer, Priester, Hohepriester; es gibt wieder Bußprediger, Sünde, Ablass, Askese und apokalyptische Ängste; und es gibt ganz ganz viel vernebelnden Weihrauch.

5) Der lange Marsch durch die Illusionen organisiert sich im Gleichschritt. Gegebenenfalls sorgen Blockwarte und Pit-Bulls auf allen Ebenen dafür, dass die Untertanen brav und korrekt in Reih und Glied denken und mitmarschieren. Sicherlich ist das auch nötig; zumindest einige Illusionen sind so schwach auf der Brust, dass sie leicht infrage gestellt werden können. Das System der Illusionen muss ständig Angst vor seiner Entzauberung haben.

6) Den langen Marsch durch die Illusionen hält nichts auf. Da wird am 24. Februar 2022 die „Make-Love-Not-War-Illusion“ von der Realität überrollt. Macht nichts. Es verbleiben reichlich weitere Illusionen, um unerschüttert weiterzumarschieren. Illusionen sind keine Seifenblasen, sondern tiefe Sehnsuchtshoffnungen. Und die Hoffnung stirbt bekanntlich erst zuletzt.

7) Der Widerstand gegen den langen Marsch durch die Illusionen hat meines Erachtens fünf Verbündete:

  • die Realität, die sich auf Dauer nicht unterdrücken lässt;
  • die bei hoffentlich vielen Menschen tief verwurzelte Freiheitsliebe;
  • der Humor, der die Irrationalität und die Übergriffigkeit der Illusionen aufdeckt und lächerlich macht;
  • die fatalen Ergebnisse illusionärer Politik;
  • und die Religionskritik: Wer in Gott seinen Frieden findet, der wird sensibel dafür, wenn sich politische Illusionen verabsolutieren und göttliche Würde aneignen, die ihnen nicht zusteht.

In der Bibel gehören Gottesglaube und Götzenkritik untrennbar zusammen. Unter „Götze“ verstehe ich in diesem Zusammenhang jede politische Einstellung, die zur unhinterfragbaren quasiheiligen Ideologie erhoben wird:

„Götzen zu ersinnen ist des Lebens Verderben. Von Anfang sind die Götzen nicht gewesen und werden auch nicht ewig bleiben, sondern durch eitlen Wahn der Menschen sind sie in die Welt gekommen, und darum ist ihnen ein Ende zugedacht“ (Weisheit Salomos 14,12-14).

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Kommentare ( 28 )

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Deutscher
1 Jahr her

Dutschke…. hm. Ich glaube, dass er intellektuell in einer völlig anderen Liga spielte als 98% der „68er“. Dutschke war ein Visionär, seine Ideen waren revolutionär, ja. Aber Dutschke war kein Idiot. Er wusste, dass er womöglich utopisch dachte und dass er sein Denken der Realität würde anpassen müssen, falls sich seine Ideen als falsch herausstellten. Dutschke war einer, der sich selbst als Deutscher sah, dem Deutschland durchaus ein zentrales Anliegen war. Über die Destruktivität heutiger Antideutscher und die Gleichgültigkeit eines Habeck oder einer Baerbock – der Eine konnte noch nie etwas mit Deutschland anfangen, der Anderen ist egal, was ihre… Mehr

Last edited 1 Jahr her by Deutscher
imapact
1 Jahr her

Ich fürchte, die besten Verbündeten gegen das woke Ideologiegebäude und den herrschenden Linksfaschismus sind die modernen apokalyptischen Reiter, die zum Spätjahr hin eintreffen werden: Kälte, Licht- und Energiemangel, Absenkung des Lebensstandards bis hin zur Verarmung, Verzweiflung, Firmenschließungen, Arbeitslosigkeit usw.
All die vom Autor aufgezählten Übel entspringen dem gleichen, nämlich grünen Schoß, der nicht erst seit der Hampelkoalition nur allzu fruchtbar ist. Auch die Naziideologie verlor ihren Rückhalt erst dann so richtig, als die Bomber der Alliiertren (die nach Kathrins Namensvetter Göring niemals deutschen Luftraum erreichen würden) Deutschland in Grund und Boden bombten.

MartinLa
1 Jahr her

Eine starker Text, der tiefer geht als manche korrekte, aber vordergründige Analyse.

horrex
1 Jahr her

Sehr sehr schön Herr Zorn,
nicht nur – aber auch – die Sache mit dem „Marsch durch die Institutionen“.
Der noch lange nicht – wie leicht immer wieder zahlreichen Kommentaren zu entnehmen ist – in seiner enormen Bedeutung verstanden wird.

Ein passendes Zitat von Schiller und mir 😉 obendrauf:
„Gefährlich ist’s den Leu zu wecken,
Verderblich ist des Tigers Zahn,
Jedoch der schrecklichste der Schrecken,
Das ist der Mensch in seinem Wahn.“
– Glocke –

Iso
1 Jahr her

So konnten im Mittelalter nicht mal Monarchen regieren. Selbst die waren auf das Wohlwollen ihrer Untertanen angewiesen.

Peter Steinbacher
1 Jahr her

Sehr geehrter Herr Zorn,
Ihre Einschätzung halte ich für richtig, aber Ihre Übersetzung der „Sprüche“ hat mich stark irritiert. Welche Übersetzung haben Sie herangezogen? Ich kenne den Wortlaut der Sätze 12 bis 14 auf Deutsch so:
„Mancher Weg ist im Angesicht eines Mannes gerad,
aber das Ende davon sind Wege des Todes.
Auch beim Lachen kann ein Herz leiden,
und der Fröhlichkeit Ausgang ist Gram.
Satt wird auf seinen Wegen, dessen Herz abgeschwenkt ist,
von dem aber, was an ihm ist, der gute Mann.“
Von Götzen und deren Ende steht da nichts, garnichts. Zerstören Sie Ihre Werke nicht durch Unwahrhaftigkeit.

achijah
1 Jahr her
Antworten an  Peter Steinbacher

Danke für den Hinweis! Fehler von mir – die richtige Stelle lautet Weisheit Salomos 14,12-14 und nicht Sprüche Salomos 14,12-14. Sorry!

Christa Born
1 Jahr her

Sehr treffender Artikel! Die 2020er Jahre werden ein Jahrzehnt des Scheiterns der Illusionen sein, wie vor hundert Jahren. Was mir aber mehr Angst macht, ist, was kommt danach?

Juergen P. Schneider
1 Jahr her

Die Freiheitsliebe der Deutschen, auf die der Autor setzt, halte ich für eine Illusion. Unsere Landsleute sind mehrheitlich naive, denkfaule, obrigkeitshörige Freiheitsverächter. Die wirklichen Freunde der Freiheit waren in unserem Land schon immer in der Minderheit. Die Corona-Panik-Pandemie hat deutlich gezeigt, wie es um die Freiheitsliebe in Deutschland steht. Ansonsten bin ich mit dem Autor einer Meinung, auch wenn ich seinen religiösen Glauben nicht teile. Danke für den Artikel.

AlNamrood
1 Jahr her
Antworten an  Juergen P. Schneider

Jap. Die Umstellung auf permanenten Maulkorb wegen Corona ging reibungslos. Aber das sind massenpsychologische Mittel die schon vor 100 Jahren bekannt waren. Es fehlte eben nur ein triftiger Grund.

Was einmal da ist wird in Deutschland nicht wieder abgeschafft, sei es Maskenpflicht, die Preisexplosion oder die anstehende Massenarmut.

Theadoro
1 Jahr her

Sie wissen, dass wir wissen, dass es sich nur um Illusionen handelt. Wir wissen, dass ihnen das egal ist und ihr wirkliches Ziel, welches sie nicht klar kommunizieren, mit undemokratischen Mitteln und notfalls mit Gewalt durchsetzen. Aber nur wenige verstehen und wissen, es geht um unsere Freiheit, Würde und Einigkeit.

Koeki171
1 Jahr her

Bereits 1895 wies der französische Psychologe Gustave Le Bon in seinem Grundlagenwerk „Psychologie der Massen“ empirisch nach, dass die Überzeugungen der Massen stets religiöse Züge annehmen. Die Masse wird nicht von Vernunft geleitet, sondern ist von Bildern und Suggestionen leicht zu beeinflussen. Und: „Ganz gleich, wofür die Massen sich begeistern, die Begeisterung nimmt immer Kennzeichen einer religiösen Haltung an: Sie ist mit blinder Unterwerfung, unkritischem Denken, übertriebener Hingabe und Fanatismus verbunden.“