Mehr Kompetenzen für die Inkompetenten in Berlin?

Die Kanzlerin droht, die Entscheidungsmacht vollends an sich zu reißen. Aber wenn die Pandemie eines belegt hat, dann dies: Im Krisenfall kann man sich weniger auf die großen Einheiten und ihre „Entscheidungsträger“ verlassen, als auf den gesunden Menschenverstand in nächster Nähe. 

IMAGO / Eibner
Marktplatz in Tübingen am 29. März 2021

Die Kaiserin steht ohne Kleider da, die Königin ebenso, und was lernen wir daraus? Dass offenbar keiner der Damen und Herren weiß, wie hartes Durchgreifen und Zügel anziehen wirklich aussieht. Statt konsequenter Härte gibt es ein halbherziges Hü und Hott, weshalb sich der normale Mensch zu fragen beginnt, warum man, wenn das blöde Virus wirklich so tödlich ist, noch nicht einmal einen „Ruhetag“ anordnen kann? Nur weil es da die eine oder andere rechtliche Hürde gibt? Haben wir jetzt eine epidemische Lage von nationaler Tragweite oder nicht? (Ironie off.)

Doch die Kanzlerin lässt sich nicht beirren und zeigt bei Anne Will die Instrumente. Auf die Bitte um Verzeihung folgt die Drohung: Wenn die Ministerpräsidenten aus der von ihr gewünschten „Maßnahmen“-Strategie auszuscheren drohen, wird sie die Entscheidungsmacht vollends an sich reißen. 

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Und das soll weiterhelfen? Haben wir nicht gerade erst gemerkt, dass die jeweils höhere Ebene weit weniger effizient ist als die nationale oder regionale? Und was lernen wir aus dem bisherigen Chaos für den Fall, dass wir mal eine wirklich heftige Krise bekämen? Zum Beispiel, was ja naheliegt, einen landesweiten Blackout? „Wir bleiben Zuhause und halten Abstand“? Wohl dem, der sich rechtzeitig einen reichhaltigen Vorrat an Batterien und Kerzen zugelegt oder gleich ein Notstromaggregat gekauft hat. Aufgepasst: Die Nachfrage ist derzeit sehr groß und man sollte sich rechtzeitig ein paar Hektoliter Diesel gesichert haben.

Ich fürchte, was derzeit geschieht, wird so bald nicht in Vergessenheit geraten. Die Liste der Fehlleistungen ist beschämend – und daran ändert auch ein großmütiges Bitten um Verzeihung nichts, Frau Kanzler. Und was soll man vom Agieren der EU-Kommissionschefin UvdL halten, wenn selbst Italiens Ministerpräsident Mario Draghi, immerhin einst Präsident der Europäischen Zentralbank, sich in Sachen Impfstoff nicht auf die EU verlassen möchte? Die EU-Hilfen für den Wiederaufbau nach Corona hat er allerdings schon dankend verplant für die Verringerung des Nord-Süd-Gefälles in Italien. 

Könnte sein, dass daraus nichts wird. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat es Bundespräsident Steinmeier regelrecht verboten, das bereits von Bundestag und Bundesrat gebilligte entsprechende Gesetz zu unterschreiben – ein Novum. So etwas hat man bislang diskreter geregelt. Doch auch der Bundesrechnungshof zeigt sich alarmiert: Der milliardenschwere Fonds wäre ein weiterer Schritt in Richtung Haftungs- und Schuldenunion, auf den Schultern der längst überstrapazierten Deutschen. 

Attraktiv ist die EU nicht mehr. Die frechen Briten haben längst gezeigt, dass es nicht nur ohne EU geht, sondern auch besser funktioniert, wenn man seinen Impfstoff in nationaler Souveränität organisiert. Der große Verband ist dysfunktional. Der kleinere Rahmen, der Nationalstaat, trägt noch – wobei ein wenig Impfnationalismus durchaus nicht schadet, man vergleiche die Impfraten im Vereinigten Königreich mit denen in Deutschland. Auch Deutschlands Kanzlerin ist übrigens nicht für das Heil Europas, der Welt, des Klimas oder der Menschheit gewählt, sie hat die Interessen des deutschen Volkes zu vertreten. Und nein, das führt nicht in den nächsten Krieg, sondern begünstigt jene Konkurrenz, die das Geschäft belebt: Seht her, man kann es so oder auch anders machen. 

Eigentlich müsste es in Deutschland aufgrund seines föderalen Systems schon längst so zugehen – und die Art der nächtlichen Verhandlungen lässt darauf schließen, dass sich der eine oder andere Ministerpräsident daran zu erinnern beginnt, wie wenig ihm die Bundesregierung reinzureden hat, wenn es um „Maßnahmen“ im Gesundheitsbereich geht. Den ersten Abgang probt das Saarland, dort soll der Lockdown nach Ostern beendet sein, Fitnesstudios, Kinos und Gaststätten wieder öffnen. Zur Gesichtswahrung ist die Rede von „befristeten Modellprojekten in einigen ausgewählten Regionen“ – und der Preis für solche Lockerungsübungen sind tagesaktuelle Tests, für die es immerhin bereits 350 Zentren gibt, und die kostenlos sein sollen.

Wie war das noch? Small is beautiful? Auch Städte wie Tübingen und Rostock haben Bürgermeister, die nach pragmatischen Lösungen gesucht haben, präziser und selektiver als die verallgemeinernden „Maßnahmen“ der Bundesregierung, mit denen gefährdete Menschen nicht geschützt, dafür aber alle anderen geschädigt werden.

Pragmatismus statt Alarmismus
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Einige Schwalben fliegen schon, auch wenn der Sommer noch nicht da ist. Und das ist die eigentliche Botschaft – dass man sich, wie im alten Normal, das es angeblich nicht wieder geben soll, im Krisenfall weniger auf die großen Einheiten und ihre „Entscheidungsträger“ verlassen sollte denn auf den gesunden Menschenverstand in nächster Nähe. 

Die EU hat sich selbst um ihre angemaßte Bedeutung gebracht, ihr bislang stärkster Motor Deutschland kommt dank der Deindustrialisierungspolitik seiner Regierung aus dem Stottern nicht mehr heraus, und das Vertrauen hierzulande in Politik und Regierung hat unermesslichen Schaden genommen. 

Zeit für ein bisschen Subversion. Schaffen wir zwei, drei, viele Freistaaten!


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Kommentare ( 50 )

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Mausi
3 Jahre her

Unser gesamtes freiheitliches System beruht auf der Subsidiarität. Und die beginnt auf der Stufe des einzelnen Bürgers. Nun müssen Regierungen „regieren“. Also fangen sie an, Entscheidungen des Einzelnen auszuhebeln und nach oben zu verlegen. Dorthin gehören sie nicht. Begründet wird das natürlich damit, dass es Einheitlichkeit geben müsse. So wie sie jetzt wieder von Söder und Kretschmann gefordert werden. Was wir brauchen, ist ein Resetknopf, der die Entscheidungen von der „falschen“ Ebene an den Einzelnen zurückgibt. Die Regierungsarbeit sollte sich in den nächsten Jahrzehnten nicht damit beschäftigen, immer mehr Regeln zu erfinden. Das führt nur zu Machtkonzentration, die ja eigentlich… Mehr

Mausi
3 Jahre her

Par. 5 Abs. 2 Nr. 3 gibt es nicht mehr. Die Ziffer ist weggefallen.

bfwied
3 Jahre her

Immer alles „gemeinsam“! Gar nicht woke oder gender-like – stecke ich sowieso in die Schublade der allerblödesten Ideen des „modernen“ Menschen -, ist das nicht ein Verhalten, das in der Familie vom biologisch „weiblichen Elternteil“ richtigerweise forciert wird, das aber im Zusammenspiel von Völkern noch niemals sinnvoll war?! Seit jeher stehen, s. die vielen heutigen Kriege, die Männer als Verteidiger des Clans/Stamms sich gegenüber – und sie verhandeln auch, und zwar in der Regel härter als Frauen, die nur hart sind gegenüber denen, die sie nicht leiden können oder unmittelbar ihre eigenen Nachkommen gefährden. Sehr selten, dass auch ein paar… Mehr

Monika Medel
3 Jahre her

Merkels Knallhart-Lockdown wird von immer mehr Leuten unterstützt, die offenbar wenig Ahnung vom richtigen Leben haben. Vorhin sprach ich mit meinem Elektriker: Schon seit längerem gäbe es große Probleme mit der Lieferung von Ersatzteilen – Miele, Bosch, Liebherr – lauter namhafte, zuverlässige Firmen, aber die kommen nicht nach, weil sie immer wieder coronabedingt Kurzarbeit machen müssten. Die Waschmaschine, der Kühlschrank tut nicht mehr, die Leute rufen ihn dauernd an, er ruft seine Lieferanten an, die vertrösten ihn, er vertröstet die Kunden, die werden immer ärgerlicher, er würde noch verrückt. So ist es jetzt schon. Wie soll da der „Knallhart-Lockdown“ funktionieren?… Mehr

Mausi
3 Jahre her
Antworten an  Monika Medel

Anscheinend gibt es auch Engpässe bei Schrauben!

taliscas
3 Jahre her

Vielleicht hat der ganze Kladderadatsch sein Gutes und diese Katastrophenkonstruktion EU fliegt auseinander. Mich würd`s freuen.
Dann noch diese Kranke abgewählt und auf geht´s. Manchmal macht restaurieren ja auch Spaß, wenn es ein schöner Oldtimer ist, der nur schlecht behandelt wurde.

Blauer Harnisch
3 Jahre her

Der letzte Satz ist der Beste. Ich sehe kaum noch Chancen für eine einheitlich nationale Lösung aller Probleme – Migration, Energie, Corona usw. Eine freistaatliche Struktur mit weitgehender Sezession von Berlin und dem daraus resultierenden Wettbewerb mit mehr Eigenverantwortung, ist ein lohnender Versuch sich der zentralistischen Bevormundung des ideologisierten, paternalistischen Fürsorgestaates zu entziehen.

Eddie
3 Jahre her

Die Verfassung, die uns die westlichen Siegermächte beschert haben ist gut, aber leider beim deutschen Volk nicht angekommen. Es durfte darüber nicht einmal abstimmen. Das oberste Ziel einer Verfassung liegt darin, den Machtmissbrauch der Regierenden unmöglich zu machen. Aus Erfahrung heraus sollte es speziell in Deutschland „nie wieder heißen“. Ein Instrument hierzu war der bewährte Föderalismus. Weiter sollte alle Staatsgewalt vom Volke ausgehen und zwar durch Wahlen und Volksabstimmung. Leider wird die Verfassung von Regierung und Parlament in Teilen missachtet, je nach Gusto. Selbst das Verfassungsgericht bestätigt das. Kein Widerstand regt sich, das Gegenteil ist der Fall. Das Ende der… Mehr

Morioon
3 Jahre her

Notstromaggregat? Doch um Himmels willen nicht mit Diesel (fast so giftig wie CO2)

Bernd Geiss
3 Jahre her
Antworten an  Morioon

Dieser Staat zwingt einem dazu zum Prepper zu werden. Ich bin vorbereitet.

Oneiroi
3 Jahre her

Es ist leider noch mehr als genug Zeit, verloren gegangenes Vertrauen mit den Parteisender im privaten und im ÖR wieder aufzubauen. Lehrern wird nochmal in einer Rundmail die Parteilinie erklärt um die Arbeitnehmer kümmer sich die Parteigewerkschaften und um die Arbeitgeber kümmern sich die Parteimedien mittels Lob/Shame Kampagnen.
So schafft man es jeden von jung bis alt jeden für die „nationale Kraftanstrengung“ zu mobilisieren.

WandererX
3 Jahre her

Cora Stephan, Ihr Vergleich hängt und ist schief: „ein bischen Impf- Nationalismus“? Die Briten sind aus meiner Sicht noch nie Liberale gewesen, sondern immer nur Liberalisten, also immer Extrem- Nationale. Sie sind in ihrem normannischen und amit politischen Kern seit 1066 n.C. Seeräuber oder Wüstenmenschen – und verhalten sich wieder so. Klar, es gibt dort auch andere, also angelsächsische Bauern und echte Städter, aber dominant ist der Nationalist in GB, zumindest nach außen. Würden sich ALLE in der Eu so verhalten, gäbe es tatsächlich wieder Kriegsgefahr. Die gibt es nur deshalb nicht, weil eben die meisten im Hintergrund eine klare… Mehr