Ulf Poschardt poltert heute gegen das linke Bürgertum, als wäre er nie Teil davon gewesen. Relativierer entgegnen, es sei doch gut, wenn man dazulerne. Aber so häufig? Sein Essay ist eine wütende, lesenswerte Abrechnung, doch der späte Eifer und die Wendigkeit seines Weges machen ihn angreifbar.

Ulf Poschardt hat seinen Essay „Shitbürgertum“ mit Mileis Kettensäge geschrieben. Wer die „Welt“ und seine Beiträge dort regelmäßig gelesen hat, hat schon länger den Verdacht, dass bei dem ehemaligen Chefredakteur der Welt, mittlerweile Herausgeber, die Lunte zu glühen scheint und immer kürzer wird. Das vom ZuKlampen-Verlag abgelehnte, dann bei Books on Demand und nun im Westend-Verlag erschienene Buch enthält einige seiner Welt-Essays und ist insgesamt eine wüste Philippika auf das Shitbürgertum als die „Endmoräne einer die wilde Anthropologie des liberalen und libertären Bürgertums einfangenden Disziplinarmacht“. Das Shitbürgertum hat eine „kulturelle und ökonomische Spur der Verwüstung hinterlassen“ und müsse zerstört werden.
Es hat eine ziemliche Weile gedauert, bis Poschardt, der als Journalist eine bemerkenswerte Karriere gemacht hat, beim wilden Aufschrei angekommen ist.
Auch bei „Refugees Welcome“ war er ganz vorne dabei. Und beim Impfen. Und und und. Ulf Poschardt löschte jüngst erneut und zum wiederholten Mal die kompletten Inhalte seines X-Accounts. Das ist insofern ganz praktisch, denn immer wieder verschwinden so auch manche Aussagen, an denen man sich später ungern noch einmal messen lassen möchte (z.B. „Impfen, Impfen, Impfen, Impfen, Impfen, Impfen, Impfen, Impfen, Impfen, Impfen“) Aber das Netz ist ein hunderte Tonnen schwerer Elefant und vergisst nicht.
Es ist immer begrüßenswert, wenn Menschen dazulernen. Doch der Gerechtigkeit wegen muss gesagt werden, dass andere, wie etwa die Autoren der „rechten Nischenpublikation“ (Zitat Poschardt, empfindlich über) Tichys Einblick, weit schneller waren. Jetzt will er in der Nische mitkuscheln.
Und schrieb er nicht einst: „Wir müssen uns gegen Donald Trump wehren und besser, mutiger, fleißiger, innovativer, freier, offener, schwuler, multikultureller werden“? Heute verehrt der Trump submissest.
Doch immerhin: Das Buch sei „das öffentliche Bekenntnis, endgültig aus dem Selbstverständnis gestolpert zu sein, dass man es mit dem kulturell dominanten Links/Grün-Bürgertun noch irgendwie hinkriegen könne oder hinkriegen müsse. All die Versuche, auf dieses Milieu zuzugehen, waren aufgrund der eigenen linken Biografie wichtig, vielleicht sogar unerlässlich. Rückblickend waren sie naiv und feige.“ Jetzt möchte man ihm glatt auf die Schulter klopfen und „ist nicht so schlimm“ murmeln. Hauptsache, der Schalter ist umgelegt. „Als Zögling, Günstling und langjähriger Nutznießer des Shitbürgertuns würde ich mir wünschen, dass dort endlich Selbstkritik Einzug hält.“ Ach, das glaubt er doch wohl selbst nicht.
Poschardt macht keine Gefangenen und weiß sich einig „mit einer Horde wüst libertärer Intellektueller wie JD Vance und Elon Musk“ und deren „ruchlosen, unterhaltsamen Populismus“. Allein das wird ihm das juste milieu nicht verzeihen. Und alles andere erst recht nicht: Das Shitbürgertum habe in einem langen Marsch durch die Institutionen den Staat zu seiner Beute gemacht, weite Teile des Kultur- und Wissenschaftsbetriebs, die Amtskirchen und eine Mehrheit der NGOs. Deshalb sorge es sich so um den Staat, „weil er gleichermaßen Muttererde, Dünger und Bewässerungssystem dieser milliardenschweren Infrastruktur ist.“ Poschardt hält es mit dem argentinischen Präsidenten Milei, der die Linke schlichtweg für Scheiße hält.
„Der Untertan liebt den Staat“ – klar, solange er von ihm profitiert. Vor allem das akademische städtische Milieu trägt noch jeden Unsinn mit, bis zur „Klimarettung“: „Weltanschaulich entkoppelt von den Niederungen der Wirklichkeit, beamtenrechtlich abgesichert, routiniert im moralisch hohen Ton und dabei stets in der Abspaltung der eigenen Abgründe gefangen.“
Das alles liest sich gut, auch die Axtschläge auf das Kulturmilieu: „Viel von der Gegenwartsliteratur liest sich wie ein anämischer Line Extender gestriger Leitartikelrhetorik“. Wie wahr. Doch für solche Prosa gibt es Preise, und was nicht passt und dennoch bestsellert, kommt nicht auf die Liste.
Dass Poschardt sich neuerdings doch einen Elon Musk wünscht und Trumps Wahlkampfstrategie preist – etwa, als der sich von einem Müllwagen vom Flughafen abholen ließ und eine Müllmannweste trug – wundert kaum noch. Denn, jubelt Posch: „Trump und Musk wirken wie freie Menschen. Der freie Mensch kann fliegen. Der unfreie Mensch möchte ihm die Flügel stutzen. (…) Der Freiheitsneid ist der Antrieb aller totalitären, autoritären und egalitären Bestrebungen.“
Vieles bringt Poschardt auf den Punkt, manchmal ermüden die atemlosen Attacken. Doch wahrhaft irritierend ist der Versuch, der Polemik einen irgendwie theoretischen Überbau an die Seite zu stellen – mit einer Deutung „der Deutschen“, die geradezu zwangsläufig auf Hitler hineinfielen. Die Folge der Nazizeit: „Es hat sich aus historischen Gründen zunehmend eine Kultur der Spaltungsabwehr herausgebildet, die in einer frühkindlichen Störung verhaftet ist und keinen erwachsenen und integrierten Umgang mit den eigenen Ambivalenzen und Abgründen kennt.“ Was immer das heißen soll.
Gut, man muss als Kulturhistoriker nicht unbedingt etwas von Geschichte verstehen. Heinrich Manns „Der Untertan“ wird zum zigsten Mal als „Mentalitätsstudie“ der Deutschen missverstanden und das „unbarmherzige Preußentum“ gegeißelt. Verwunderlich, dass deutsche Selbstkritik selten ohne britische Propaganda auskommt. Egal: Hitler lauere ja bereits in der deutschen Sprache, die keineswegs schuldlos an den Greueln der Nazis gewesen sei, zitiert er George Steiner. Da kann der Poschardt den ehemals Linken nicht leugnen, auch wenn er womöglich nie hinter einem Banner mit der Aufschrift „Deutschland du mieses Stück Scheiße“ demonstriert hat.
„Die Aufarbeitung der eigenen Schande hat gerade im Bürgertum toxische Bewältigungsstrategien geschaffen“, wozu Poschardt ganz wie der linke Franz-Josef Degenhardt auch das „Ärmelaufkrempeln und Aufbauen“ nach 1945 zählt. „Die Deutschen arbeiteten sich die Schuld von der Seele“. Wie ein alter Linker blendet Poschardt aus, was das „Morale Bombing“ der Briten, Flucht und Vertreibung, die Aufteilung des Landes mit einer Bevölkerung gemacht haben dürfte, die nicht nur aus NSDAP-Mitgliedern und KZ-Aufsehern bestand.
Verständlich wiederum, dass er sich der Protagonisten der „Moralbewirtschaftung“ besonders liebevoll annimmt: Günter Grass (Waffen-SS mit 17), Walter Jens (Mitglied der NSDAP mit 19) , Heinrich Böll (Soldat). In der Tat war der moralinschwangere Ton dieser guten Deutschen nicht nur angesichts ihrer Vergangenheit vermessen. Ob linker Antiamerikanismus allerdings wirklich als „Fortschreibung der Nazidiktatur“ zu verstehen ist? Oder lag das am Verständnis der DDR als dem „besseren Deutschland“? Immerhin: von Weizsäcker und Willy Brandt finden Gnade vor dem strengen Auge.
Es stimmt ja: Die Moralisierer kennen nur Gut und Böse, und böse ist alles, was nicht gut ist wie sie. Das manichäische Denken aber zeichnet Deutschland nicht allein aus, immerhin wehte der woke Zeitgeist aus den USA über den Atlantik zu uns, zusammen mit der Schuldzuweisung an den weißen Mann. Haben die USA etwa auch ein Hitlersyndrom? Oder ein Schuldgefühl wegen der atomaren Vernichtung von Hiroshima und Nagasaki?
Das „deutsche Wesen“, das Thomas Mann „etwas Dunkles, Dämonisches“ nennt, ist ja nicht in den Gencode eingebaut. Auch in der deutschen Geschichte gibt es nicht nur Gut und Böse. Und waren die Deutschen stets nur „schlechte Verlierer“, etwa nach dem ersten Weltkrieg? Oder waren auch ihre Kriegsgegner schlechte Gewinner?
Ach, das ist alles viel zu kompliziert. Wäre Poschardt doch nur bei der bloßen Polemik geblieben. Und ein wenig bescheidener, was die schon sehr viel länger unwoke und von ihm diffamierte Konkurrenz betrifft.
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Der Mann ist die personifizierte deutsche Wendehälsigkeit und Obrigkeitshörigkeit. Welt ist unlesbarer Schund für Leute mit zweistelligem IQ.
Schreiben kann er, das mal vorneweg. Aber eins sollte auch klar sein. Es gibt für Häftlinge des linken Geistesgefängnisses keine Gnade und keine Rückkehr. Das mussten vor Poschardt schon andere erfahren, Röhl z.B. Mal gucken wie lange die anti-Trump (Politico = 8 Millionen Dollar von USAID) Springer Band ihn noch seine Solokarriere verfolgen läßt. Aber immerhin verleihen Leute wie er und auch Reichelt dem Neuen eine enorme mediale Durchschlagskraft. NIUS z.B., wird mittlerweile in meinem ganzen Bekanntenkreis gelesen, „Achtung Reichelt“ ist Kult geworden. Der Wind dreht sich, der Point of no Return ist erreicht. Dazu passt auch die Meldung, die… Mehr
„Dazu passt auch die Meldung, die AfD wolle künftig im Bundestag weniger polemisch auftreten.“
Solche Ankündigungen führen bei mir nicht zu Freudenbekundungen. Im Gegenteil – ich finde nicht dass die AfD in letzter Zeit zu polemisch aufgetreten ist. Die Dinge müssen klar benannt werden und in den Schlüsselfragen darf es keine Anpassung an den Mainstream geben. Was sonst passiert sieht man u.a. bei den Freien Wählern bzw. auch an der CDU, die sich von einer Art AfD in eine linke Partei verwandelt hat, alles unter dem Banner der Wahltaktik.
Poschardt müsste eigentlich einen Hals wie ein „Michelin-Männchen“ haben….bestehend aus vielen Ringen, da er sich so oft gedreht hat. Nein, danke.. dieser „Impf-Befürworter“ ist nicht glaubwürdig. Arme Bundesrepublik, wie tief sinkst du !!
Dass auch die deutsche Sprache „Nazi“ ist, behauptet nicht einmal die Mainstream-Linke. Mit genug Deutschenhaß kann man heute vielleicht trotz „Shitbürgertum“-Polemik noch weiter Karriere machen. Zur Not als Kuckucksei im rechten Lager.
Sehr geehrte Frau Stephan. Ich habe erst kürzlich meiner Frau dieses Büchlein besorgt. Sie fand den Titel so toll. Tja, meine liebe Frau hat es nur nicht so mit Worten, die sie selber nicht täglich benutzt. Und so fragte sie mich andauernd: „(…meine Kosename…) was bedeutet eigentlich …..?“ Und spätestens da wusste ich, daß der Schmöker nicht von mir gelesen wird. Nicht, daß ich mir nicht bereits vorstellen konnte, daß hier sämtliche abgedroschene Klischees bedient werden, sondern weil ich selber mal in einer meiner Ausbildungen dabei erwischt wurde, copy and paste zu nutzen. Nein, ich bekam keine schlechte Note, aber… Mehr
Die AfD steigt auf 26%, Trump und Milei holen einen Erfolg nach dem anderen und plötzlich besinnt sich ein Poschardt auf die Wirklichkeit?
Wer soll das glauben?
Jemand der immer sein Fähnchen in den Wind hängt, hat eines auf alle Fälle verloren: Seine Glaubwürdigkeit.
Man könnte auch zitieren:
„Wer nach allen Seiten offen ist, der ist nicht (mehr) ganz dicht!“
Ohne eine Art von Erlösergestus – geht es nun mal bei den „späten“ Märzgefallenen (wie Poschardt oder Reichelt etc.) nicht!
Etwas, was ganz allgemein auch ein gewisses Quantum an Popularität generiert. Aber – man muss schließlich nicht diese Eigenart mögen.
Ich empfinde Ulf P. als einen sehr leidenschaftlichen und streitbaren Menschen, vergleichbar mit Markus Lanz. Wenn man den falschen Richtungen auf den Leim gegangen ist, dann ist es keine Schande seine Meinung zu ändern, sondern zeugt von Charakter. Es braucht mehr solcher Journalisten anstatt der üblichen Linken, die nicht diskutieren sondern belehren.
Damit haben Sie sicherlich recht, „dann ist es keine Schande seine Meinung zu ändern“. Doch es sollte/muß dann aber auch ehrlich und glaubwürdig rüberkommen.
Ab wann und wie ist „glaubhaft herüberkommen“. Ist ja wohl eine individuelle Einschätzung jedes einzelnen. Vielleicht im deutlich erkennbaren öffentlichen Büßergewand, aka maoistische Selbstkritik?
Faszinierend bei diesem Burschen und anderen seiner Couleur ist, daß sie erstaunlicherweise just ein paar Momente bevor sich der Wind endgültig dreht, die Seiten wechseln, wenn es garantiert nicht mehr gefährlich für den eigenen Ruf und die eigene Karriere ist. Und man im besten Falle sogar noch als eine Art „Revoluzzer“ dastehen kann. Daß man vorher aber ausnahmslos JEDE Schweinerei mitgetragen hat, wird geflissentlich unter den den Teppich gekehrt.
Aber bitte seine Meinung vor allem nicht nach dem Gusto der „anderen“ ändern. Denn dann ist es schlicht keine eigene Meinung mehr.
Oh, Herr Poschardt eröffnet das hübsche Ballett der Wendehälse.
Was ist er doch putzig und niedlich anzuschauen in seinem rosa Tütü.
Trotzdem werde ich nicht klatschen und verzichte auf eine Opportunismus-Zugabe.
So einer läuft immer mit der Herde mit. Da er gerne vorne mit dabei ist und die Laufrichtung mitbestimmen will, wurde es jetzt auch allerhöchste Zeit, mit fliegenden Fahnen überzulaufen.
Ich bin auch mal gespannt, wann er steif und fest behauptet, die AfD nie verteufelt zu haben. Er ist und bleibt mir widerlich und es wundert mich, wie viele Leute mit Anlauf auf ihn hereinfallen. Wenn es mithilft, daß jetzt einige seiner „Mitläufer“ sagen „Guck mal, der UP ist jetzt auch gegen die Woken, Linken, Grünen, Migrationsbefürworter, Klimaaktivisten, etc. etc.“ und dann entsprechend wählen, dann hatte sein Buch ja doch noch sein Gutes. Ich glaube aber eher nicht daran. Ich glaube eher, das war eine Art Selbsttherapie für UP, weil er gemerkt hat, daß er sich selbst in seinem linken… Mehr
In seinem Käseblatt ist das noch nicht angekommen, da lässt er immer noch wie weiland die SED-Postille 89 auf Gorbatschow, wie ein Tollwütiger auf Trump eindreschen.
Dem geht der Allerwerteste auf Grundeis.
…..und immer wieder muß man erfahren, daß sich anscheinend halbwegs vernünftige Leute für widerlichste Propaganda vor den €-Karren spannen lassen um dann urplötzlich zum Wendehals zu werden, weil sich der Wind dreht und die Suche nach einer neuen Sau beginnt, die man durchs Dorf treiben kann. Erbärmlich für diese Typen, die augenscheinlich ja nicht ganz doof sind, aber eben genauso sind wie die uns angedrohte „Flitzpiepe“ Merz. Ein absolut rückgratloser und inhaltsleerer Waschlappen.