Überraschende Enthaltungen bei der UN-Resolution gegen Russland

141 der 193 UNO-Mitgliedsstaaten stimmten einer Resolution gegen den russischen Überfall auf die Ukraine zu. Gegenstimmen gab es nur von Russland und seinen vier engsten Vasallen. Aber zu den sich enthaltenden gehören die beiden bevölkerungsstärksten Staaten der Welt.

IMAGO / Pacific Press Agency

„Der Gute, der Böse und der Hässliche“ – so lautet der englische Titel eines bekannten Italowestern, der in den späten 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Kinos füllte. Der Gute, das war der raubeinige Held Clint Eastwood, der namenlos nur als „der Blonde“ auftritt. Der Schlechte, ein Auftragskiller namens Sentenza („Satz“), wurde von Lee Van Cleef gemimt, aufgrund seines sophistischen Äußeren spezialisiert auf die Rolle der zumeist intelligenten, aber durchtriebenen und hinterhältigen Schurken. Den Hässlichen gab Eli Wallach, der zwar so hässlich im ästhetischen Sinne nicht war, gleichwohl mit seinem mittelamerikanisch wirkenden Äußeren in mehreren Italowestern auf die Rolle des Gesetzlosen festgelegt war.

Das Szenario dreht sich um ein geschickt gewirktes Geschäftsmodell des Guten und des Hässlichen, welcher sich regelmäßig von Clintwood gegen Kopfgeld ausliefern lässt, um dann im letzten Moment vom Galgen gerettet zu werden und sich erneut fangen zu lassen. Das funktioniert so lang, bis die Anteilsforderungen des Hässlichen dem Blonden zu hoch werden und die Suche nach einem Goldschatz die drei Protagonisten zu Rivalen werden lässt. Am Ende erschießt der Gute den Bösen und zwingt den Hässlichen, sich selbst die Galgenschlinge um den Hals legen, um mit dem Goldschatz in den Sonnenuntergang zu reiten.

Das Motto für die UN-Abstimmung

„Der Gute, der Böse und der Hässliche“ – so ähnlich könnte auch der Redemarathon mit der Abstimmung über eine Resolution gegen den russischen Überfall auf die Ukraine betitelt sein, die am Mittwoch zum Abschluss kam. 141 der 193 Mitglieder der UN-Vollversammlung stimmten am Ende für den Antrag. Das sind „die Guten“. Fünf – und tatsächlich nur fünf – stimmten dagegen. Das sind „die Bösen“ und es sind erwartungsgemäß Russland sowie dessen Mündel Belarus und Syrien, das ohnehin mit der UN auf Kriegsfuß stehende Nordkorea und der ostafrikanische Pariastaat Eritrea. Deren Verhältnis zu den USA ist traditionell auf Null und sie gehören auf Gedeih und Verderb zu Moskau.

35 Staaten enthielten sich – allen voran China, aber auch vermeintliche US-Verbündete wie Indien und Pakistan. Das sind „die Hässlichen“, und es empfiehlt sich durchaus der Blick auf diese Staaten. Denn es sind darunter manche Überraschungen – für „die Guten“ ebenso wie für „die Bösen“.

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Beginnen wir mit denen, deren Enthaltung keine Überraschung ist. Da steht die Volksrepublik China ganz oben auf der Liste, hat sich bereits im Sicherheitsrat entsprechend verhalten. Die roten Mandarine suchen eine Art Äquidistanz. Einerseits vermittelt man Putin den Eindruck, ein wenig mehr an seiner Seite zu stehen – abgesehen davon, dass die diktatorische Verachtung des eigenen Volks verbindet. Andererseits möchte man die überlebenswichtigen Handelsbeziehungen mit EU und USA nicht gefährden. Also laviert sich Xi irgendwie durch die Pole von Gut und Böse und hofft, dass die Einschläge des Krieges auf die russisch-ukrainische Front begrenzt bleiben mögen.

Neben jenen mit Äquidistanz finden sich Staaten, die ambivalent auf die Situation schauen und am liebsten den Kopf in den Sand stecken würden. Sie möchten sich weder mit den Russen noch mit den USA und der EU überwerfen und hätten es am liebsten gesehen, wenn eine solche Resolution gegen den russischen Angriffskrieg nicht eingebracht worden wäre. Dennoch riskierten sie ihr Votum – riskieren insofern, als sich 13 Staaten nicht an der Abstimmung beteiligten, darunter Venezuela und die ehemaligen Sowjetrepubliken, Aserbaidschan, Turkmenistan und Usbekistan.

Zu den Enthaltern zählen die afrikanischen Staaten Angola, Burundi, Kongo, Madagaskar, Mali, Mozambik, Senegal, Tansania und die Zentralafrikanische Republik. Auf dem amerikanischen Doppelkontinent sind es Bolivien, El Salvador, Nikaragua und Kuba, in Asien nach China und Indien unter anderem auch Bangladesch, Laos, Vietnam und Sri Lanka. Die konkreten Motivationen sind unterschiedlich: Der Einfluss Chinas spielt hier ebenso eine Rolle wie die Ferne zum Konflikt und Bindungen an den Aggressor, die bei einem zu deutlichen Pro-Votum gefährdet erscheinen.

Die Enttäuschungen

Interessant wird der Blick auf die „Enttäuschungen“, also auf jene „Hässlichen“, die eigentlich eher einem Lager zugeordnet wurden. Für die Guten sind hier namentlich Algerien, Indien, Irak, Mali, Namibia, Pakistan und Südafrika aufzulisten. Algerien gilt den Europäern als Partner. Mali wird immer noch von Bundeswehr-Einheiten gegen den Islamterror unterstützt. Namibia wurde erst jüngst im Zuge der kolonialen Selbstkasteiung von der Bundesregierung mit einem bedeutsamen Geldsegen beglückt. Indien, Irak, Pakistan und Südafrika gelten als Verbündete der USA – und zumindest die Enthaltung Indiens dürfte den US-Plänen einer Anti-China-Koalition einen spürbaren Dämpfer versetzen.

Enttäuschungen gibt es allerdings auch auf der Seite „der Bösen“. Armenien hat längst fast schon einen identischen Status wie der Putin’sche Mündelstaat Weißrussland erworben. Die Enthaltung gegen Russland könnte insofern ein letzter Versuch sein, ein wenig Unabhängigkeit zu demonstrieren und wird in Moskau Konsequenzen haben. Bemerkenswert vor allem die Enthaltungen von Iran, Kuba und Zimbabwe, die traditionell als pro-russisch gelten. Offenbar versuchen diese Länder, ihr Verhältnis zum Westen nicht gänzlich zu zerstören.

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Enttäuschend für Moskau sind vor allem aber auch die Enthaltungen von Kasachstan, Kirgisien und Tadschikistan. Spätestens seit der Rettungsaktion zugunsten des kasachischen Diktators gelten diese Länder als russische Einflusszone. Ihre Enthaltung stellt insofern ein Misstrauensvotum gegen Moskau da. Wenig verwunderlich hingegen die Enthaltung der Mongolei. Obgleich eher nach Westen orientiert, liegt dieses zentralasiatische Land zwischen den Mühlsteinen Russland und China. Da erscheint eine Enthaltung tatsächlich als die ungefährlichste Option.

Überraschungen gab es auch bei den 13 Nicht-Abstimmern. Da finden sich mit Aserbeidschan, Turkmenistan und Uzbekistan drei weitere Länder aus dem russischen Einflussgürtel, die jedoch Richtung Türkei orientiert sind und so auf jegliche Festlegung verzichtet haben. Besonders überraschend allerdings war die Nichtteilnahme von Venezuela, welches eigentlich fest im russischen Block verortet wurde. Auch das wird Putin nicht gefallen.

Bedeutungslos, aber nicht ohne Konsequenzen

Beschlüsse der UN-Vollversammlung wie dieser zum Russisch-Ukrainischen Krieg haben keine völkerrechtliche Relevanz, sind insofern auf den ersten Blick bedeutungslos. Gleichwohl aber ist das Abstimmungsverhalten nicht ohne Konsequenzen. Die westlichen Staaten und Unterstützer der Ukraine haben wiederholt deutlich gemacht: Wer nicht für den Antrag ist, begibt sich in schlechte Gesellschaft.

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Bei der VR China bleibt den abhängigen Europäern nichts anderes, als dieses zähneknirschend hinzunehmen und sich darüber zu freuen, dass Xi nicht pro-russisch hat abstimmen lassen. Für „Partner“ wie Mali werden die Konsequenzen deutlicher werden – so hat die Bundeswehr spätestens nach dieser Abstimmung dort nicht mehr das Geringste verloren. Auch bei anderen „Hässlichen“ wird künftige Unterstützung erst daraufhin geprüft werden, ob Geld und Einsatz nicht bei „Guten“ besser aufgehoben wären.

Das wiederum erklärt die am Ende doch unerwartet hohe Zustimmung. Manch einer der Zustimmer mag dieses aus tiefster Überzeugung und Solidarität für die angegriffenen Ukrainer getan haben. Doch vor allem die nicht unmittelbar involvierten Länder werden vor allem den eigenen Nutzen abgewogen haben. Und insofern wird deutlich: Die Kleinen und die Mittleren möchten in ihrer überwiegenden Mehrzahl lieber zu den „Guten“ gehören. Offenbar ist das Vertrauen, dort mehr Cash und Hilfe zu bekommen, immer noch deutlich größer als die Erwartung, entsprechend von China oder gar Russland beglückt zu werden.

Liebe geht bekanntlich durch den Magen – und politische Nähe durchs Portemonnaie. Die Außenämter der führenden Pro-Ukraine-Staaten werden insofern die nächsten Monate damit beschäftigt sein zu prüfen, wie die Geld- und Zuwendungsströme künftig zu orientieren sind. Denn wie im Italowestern steht nun zumindest fest, wer die Guten, die Bösen und die Hässlichen sind. Die Bösen stehen auf der Abschussliste, die Hässlichen dürfen sich ein wenig den Strick um den Hals legen, und die Guten warten auf den Goldschatz.

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Kommentare ( 34 )

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Montesquieu
2 Jahre her

Die Guten und die Bösen (und die Hässlichen). Der Mensch kann Raketen bauen, die zum Mars fliegen. Aber an dem Maß der Komplexizität des menschlichen Gehirns hat sich in den letzten 50 000 Jahren vermutlich nichts wesentliches verändert.
Ohne dichotomische gut/böse Einteilung fühlt er sich überfordert.

Mausi
2 Jahre her

Mögen Sie vielleicht solche Artikel um eine Karte erweitern? Und die Länder je nach Abstimmungsverhalten einfärben? Dann könnte der Leser gleich erkennen, wo welches Land liegt.

Dissident
2 Jahre her

Tja, dem „Westen“ entgleitet eben zusehends die Welt.

Olaf W1
2 Jahre her

So schlimm das jetzt klingen mag: Unsere wirtschaftlich so geeinte Welt ist politisch wie systemisch extrem kaputt. Die vorherrschenden Systeme Kapitalismus und Sozialismus/Kommunismus haben sich als Fehlschläge erwiesen und unsere soziale Marktwirtschaft hat auch lange ihren Zenit überschritten, war sie doch nie für diese Lage wie jetzt von Erhard erdacht und ausgelegt worden. Unsere globalen Rahmenbedingungen haben sich durch Turbo-Kapitalismus, Raubrittertum und explosionsartige Überbevölkerung in prekären Lagen gebracht, die statt eines immer weiter wachsenden offenen WIR zurück zu nie wirklich überwundenen Feindbildern der Nachkriegszeit geführt haben. Und diese brechen wieder auf und eskalieren. Die UN ist ein Haufen zu nach… Mehr

Phil
2 Jahre her
Antworten an  Olaf W1

Natürlich ist wieder und sogar an erster Stelle der Kapitalismus schuld….. Nur liegt es wirklich am „Kapitalismus“ was wir hier und heute erleben? „Betrachten wir Deutschland doch einmal mit kapitalistischen Augen. Wir erkennen ein Land mit einem staatlichen (d.h. sozialistischen) Rentensystem, einem staatlichen Gesundheitswesen, einem staatlichen Bildungswesen, mit staatlich und gewerkschaftlich gefesselten Arbeitsmärkten, einem konfiskatorischen Steuersystem, einer Staatsquote von über 50%, mit einem erheblich regulierten Wohnungsmarkt, einem massiv subventionierten und regulierten Agrarsektor und einer in einem komplizierten Geflecht zwischen Markt und Staat eingebundenen Energiewirtschaft, mit mindestens Hunderttausend Betrieben in kommunalem Eigentum (d.h. Staatseigentum) und einem staatlichen Papiergeldmonopol, ja sogar mit… Mehr

alter weisser Mann
2 Jahre her

„Also laviert sich Xi irgendwie durch die Pole von Gut und Böse und hofft, dass die Einschläge des Krieges auf die russisch-ukrainische Front begrenzt bleiben mögen.“
Dass China im Eigeninteresse folgerichtig handelt, das kann man natürlich nicht schreiben und was bitte sollte Xi für Einschläge fürchten?
Dass der unterbeschäftigte Westen jetzt auch gleichzeitig noch China als zu putinfreundlich boykottiert oder dass Putin noch eine Hand frei hat?

Voltaire
2 Jahre her

…. im Hinblick auf die „Nicht-Abstimmer“ so ist, daß Staaten, die bei den Zahlungen an die UN erheblich in Verzug sind, nicht abstimmen dürfen.

Sonny
2 Jahre her

In Wirklichkeit interessiert die meisten Länder der Erde doch einen Sch…dreck, was aus den Ukrainern wird oder ob sie bei diesem Angriff ums Leben kommen. Wirtschaftliche Interessen wiegen unendlich viel schwerer als die Motivation einzugreifen, in welcher Weise auch immer. Wir in Mitteleuropa hatten in den letzten 70 Jahren unendlich viel Glück, dass auf unserem Boden kein „heißer“ Krieg stattfand (, aber auch ein kalter Krieg ist ein Krieg). Wenn man beispielsweise an den Kosovo und den nahen Osten denkt, war Krieg aber niemals weit weg. Einen offenen, menschenvernichtenden Krieg gab es immer irgendwo, dass hat noch nie aufgehört. Und… Mehr

JamesBond
2 Jahre her

Wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Ländern wie China und Indien sollte künftig reduziert werden: Arbeitsplatzabbau in Deutschland und dafür Verlagerung nach Indien ist derzeit überall die Regel – wann ändert sich das? Jetzt ergibt sich dazu die Notwendigkeit – aber der DummMichel wählt weiter, was ihn zerstört!

alter weisser Mann
2 Jahre her

„Also laviert sich Xi irgendwie durch die Pole von Gut und Böse und hofft, dass die Einschläge des Krieges auf die russisch-ukrainische Front begrenzt bleiben mögen.“
Dass China im Eigeninteresse folgerichtig handelt kann man natürlich nicht schreiben und was bitte sollte Xi für Einschläge fürchten?

Rene Meyer
2 Jahre her

Da kann man den von Ihnen so genannten „Hässlichen“ nur gratulieren. Sie haben Putins Angriff abgelehnt und zugleich dem vorher zu aggressiv spielenden Westen die gelbe Karte gezeigt. Nur sie haben aus meiner Sicht wirklich Haltung gezeigt – und werden wohl dafür büßen müssen. Mit dem locker-leichten, selbstgerechten, selbstgefälligen, bierlaunigen Nein gegen Russland hat die Weltgemeinschaft nichts gelöst, nichts geschaffen, sondern bestehende Probleme auf die lange Bank in die ferne Zukunft geschoben.