Russlands Spiel und Chinas Nutzen

Wie sinnvoll sind Sanktionen, wenn China Russland hinter den Kulissen hilft? Nur innere Erneuerung und die Einsicht, dass China die eigentliche Herausforderung dieser Zeit ist, wird den Westen in Zukunft wieder erfolgreich machen. Dafür muss er seine Abhängigkeit vom Reich der Mitte überdenken.

IMAGO / SNA

Nüchtern betrachtet und abseits aller Rhetorik werden wahrscheinlich die Sanktionen den Westen, insbesondere Europa und besonders Deutschland, härter treffen als Russland. Mehr als Rhetorik steht Europa, steht Deutschland nach Jahrzehnten der Selbstverleugnung auf den Partys der Linksliberalen und Linken nicht mehr zur Verfügung. Es geht hier jedoch nicht um Schuldzuweisung, sondern um Analyse.

China wirft eine „Rettungsleine“ für Russland aus

Zur Analyse gehört, dass laut einem Bericht der Financial Times vom 24. Februar China Putin eine „Rettungsleine“ gegen Sanktionen zuwirft. Russland als größter Importeur von Weizen mag im Westen einen Absatzmarkt verlieren, doch hebt Xi Jingping gerade Importbeschränkungen für russischen Weizen auf, sodass der Verlust im Westen von höheren Exporten in den Osten mindestens teilweise kompensiert wird. Außerdem heißt es, laut der britischen Daily Mail, dass China mehr „russische Energie kaufen“ und Russland mit Krediten unterstützen würde, um die Sanktionen zu überstehen.

Ukraine-Krise
China gibt sich neutral: Der Drache lauert um die Ecke
So zynisch es klingt, aber für China ist der russische Überfall auf die Ukraine hilfreich auf dem Weg auf leisen Sohlen zur Weltherrschaft. Der Westen wird empfindlich geschwächt und Russland begibt sich viel stärker noch in die Abhängigkeit Chinas. Man darf auch nicht die Eile vergessen, mit der China die Taliban anerkannt hat. China gibt sich zwar neutral und bietet sich als Friedensstifter an. Doch die Frage ist erlaubt, ob Putin den Überfall auf die Ukraine überhaupt gewagt hätte, ohne sich der Rückendeckung der Chinesen zu versichern. China ist nicht neutral.

Laut einem Bericht der FAZ benutzten die chinesischen Staatsmedien den Krieg in der Ukraine dazu, die antiamerikanischen Stimmungen in China aufzustacheln. Vor einigen Tagen soll eine Anweisung zur Zensur bekannt geworden sein, in der es heißt: „Von nun an sollten in Berichten über die Ukraine keine pro-westlichen oder Russland-kritischen Darstellungen mehr berichtet werden.“ Putin wird in den chinesischen Medien derweil als Held gefeiert. Der Protest der russischen Wissenschaftler wurde gelöscht und auch der Protest chinesischer Wissenschaftler. Häufig gelesen wurde der Hashtag: „Russland bekräftigt, dass es keine Städte angreifen wird.“

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Putin besuchte zu Beginn die Olympischen Winterspiele und traf sich mit Präsident Xi Jingping. In einer gemeinsamen Erklärung betonten die beiden Demokraten eigener Prägung, dass „die Freundschaft zwischen den beiden Staaten keine Grenzen hat“. Zumindest nicht die der Ukraine, wie man sieht. Im Mittelpunkt der Zusammenarbeit zwischen China und Russland stehen die außenpolitische Koordinierung und die Verteidigung gemeinsamer Interessen. Allerdings ist Xi Jingping anders als Putin, dessen feinstes Instrument die Brechstange ist, klug genug, nur so weit zu gehen, dass er die Handelsbeziehungen mit dem Westen nicht gefährdet. Was der chinesische Partei- und Regierungschef betreibt, ist kein doppeltes Spiel, sondern ein chinesisches Spiel. China hat ausschließlich chinesische Interessen im Auge, wie sie im Konzept der Neuen Seidenstraße als Strategie formuliert worden sind.

Chinesisches Außenministerium: „Ist die Welt wegen dieser Sanktionen ein besserer Ort?“

Noah Barkin vom US-Forschungsunternehmen Rhodium Group sagte gegenüber Bloomberg über China: „Es wird vermeiden wollen, Russlands Vorgehen in der Ukraine offen zu kritisieren, und gleichzeitig seine Unterstützung für die Prinzipien der territorialen Integrität und der Nichteinmischung bekräftigen. Je heißer der Konflikt in der Ukraine wird, desto schwieriger wird es für Peking, diese Linie zu halten.“ Tom Rafferty, Analyst der Economist Intelligence Unit in Peking, wies darauf hin, dass das Ausmaß der chinesischen Unterstützung für russische Aktionen ein einflussreicher Faktor bei der Gestaltung einer sich entwickelnden Krise sein würde.

Verständnis für Russland
Der Faktor „China“ im Russischen Krieg gegen die Ukraine
Allerdings erklärte die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums Hua Chunying am Tag des russischen Überfalls: „Haben die US-Sanktionen jedoch irgendein Problem gelöst? Ist die Welt wegen dieser Sanktionen ein besserer Ort? Wird sich die Ukraine-Frage dank der US-Sanktionen gegen Russland von selbst lösen? Wird die europäische Sicherheit dank der US-Sanktionen gegen Russland besser gewährleistet?“

Für Hua tragen auch die USA Schuld an der Ukraine-Krise, weil sie „die Spannungen verschärfen, Panik erzeugen und sogar die Möglichkeit einer Kriegsführung hochspielen“. Vor dem Hintergrund, dass in Kiew russische und nicht amerikanische Panzer stehen, offenbaren die Worte Hua Chunyings den chinesischen Zynismus und dekuvrieren chinesische Friedensbemühungen als Farce.

Die Financial Times schrieb am 24. Februar: „Finanzanalysten und geopolitische Experten waren der Ansicht, dass China Russland wahrscheinlich helfen würde, diese Sanktionen zu überstehen, hauptsächlich durch Ressourcengeschäfte und Kredite mehrerer staatlicher Banken, während es gleichzeitig versuchen würde, Schaden an seinen eigenen wirtschaftlichen und finanziellen Interessen zu vermeiden.“

So sehr Glosse, dass es keine mehr ist
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Eindeutig äußerte sich der Senior Fellow des China-Programms am Eastern Studies Center in Warschau, Jakub Jakobowski: „Wenn der Westen China nicht wirklich greifbare Kosten auferlegt, wird China Russland immer noch hinter den Kulissen helfen.“ Gazprom schloss einen zweiten Gasvertrag mit China mit einer Laufzeit von 25 Jahren über die Lieferung von 10 Milliarden Kubikmeter pro Jahr über eine neue Pipeline ab. Insgesamt sollen die russischen Gaslieferungen im Zeitraum von 25 Jahren 48 Milliarden Kubikmeter pro Jahr betragen. Angeblich laufen, laut Financial Times, Gespräche über eine dritte Route. Rosneft vereinbarte die Lieferung von 100 Millionen Tonnen Rohöl nach China in zehn Jahren.

Das zur Weltherrschaft drängende China ist die wirkliche Herausforderung des Westens

China ist also nicht unparteiisch. Mehr noch, der Westen wird begreifen müssen, dass nicht Russland sein größtes Problem ist, sondern das zur Weltherrschaft drängende China die wirkliche Herausforderung des Westens darstellt. Oberstes Ziel westlicher Wirtschaftspolitik, ihre strategische Ausrichtung muss daher in der strategischen Reduktion wirtschaftlicher Abhängigkeit von China bestehen. Das chinesische Wirtschaftssystem kann nur durch Expansion und Exploitation existieren, nur so kann die chinesische Führung einen Wohlstand in China garantieren, der die Herrschaft der Kommunistischen Partei sichert.

Es ist wahr, vorerst besitzt der Westen nicht mehr als Rhetorik. Die Sanktionen, die er verhängt, werden ihm höhere Kosten auferlegen als Russland. Aus selbstverschuldetem Mangel an Alternativen wird er diese Sanktionen nun klug aussuchen und beschließen müssen, wissend um ihren begrenzten wirtschaftlichen Erfolg. Man wird die Sanktionen wohl als eine Art politisch verursachter Verlustabschreibung betrachten. Doch sie sind nur dann nicht wirklich verloren, wenn der Westen daraus die richtigen Schlussfolgerungen zieht. Er wird sich neu erfinden müssen – und er kann es, weil die Stärke des Westens darin besteht, ein lernfähiges System zu sein. Der Westen muss sich erneuern, wenn er eine Zukunft, wenn die Freiheit eine Zukunft haben soll.


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Kommentare ( 44 )

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R.J.
2 Jahre her

Vielen Dank für die Analyse. In der Tat dürfte China und nicht Russland zum Hauptproblem „des Westens“ werden, vor allem seiner „Freiheit“. Es gibt aber eine gute Chance, dass er die Reste der Widerstandskraft vorher selbst erledigt, das wird es einfacher machen. Die hiesigen „woken“ Minderleister werden sich noch wundern, wenn sie das Überlegenheitsdenken der Han-Chinesen kennenlernen dürfen. Verwundert hat mich, dass Sie zum Schluss die typisch linke Phrase „sich neu erfinden müssen“ verwenden. Ich habe noch niemals etwas Neues gesehen, wenn diese Parole ertönte, ganz abgesehen davon, dass sich der Westen auf seine alten Werte besinnen statt „neu erfinden“… Mehr

Enrico Stiller
2 Jahre her

Das ist leider eine Analyse, die von keinerlei Fachkenntnis getrübt ist, obwohl ich Herrn Mai sonst schätze. China wirft Russland keinen „Rettungsanker“ zu. Aus zwei Gründen: Erstens, weil es das nicht will, zweitens, weil es das gar nicht kann. Offenbar macht sich Herr Mai keinen Begriff von den Grössenordnungen, die hier im Spiel sind. Zunächst: China und Russland zusammen figurieren mit knapp 20% am Welthandel. Die G7 mit fast 50%. Das chinesische BIP liegt um die knapp 15 Billionen Dollar, das der USA um die 21. Die EU (ohne GB) liegt bei über 13 Billionen (Russland übrigens bei ca. 1,5,… Mehr

Silverager
2 Jahre her
Antworten an  Enrico Stiller

Fließt z.Zt. eigentlich noch russisches Gas, ich meine Gas vom altbösen Feind, nach Deutschland?

Boudicca
2 Jahre her

Die Chinesen werden besonders günstige Gaspreise erzielen und die Russen werden ihr Gold waggonweise nach China transportieren um ihren Nachschub zu sichern. Die Deutschen werden ihre Wäsche nur waschen, wenn sich die in China produzierten Windräder im Wind drehen.

Brauer
2 Jahre her

Wie reagiert der Westen wenn China sich Taiwan „holt“?

Stefan Fischer
2 Jahre her

Man sollte schon sehr ernsthaft die Gefahr eines asiatischen Zeitalters im Auge behalten. Abwegig ist diese Wandlung keineswegs. Russland hat im Kern viel von den asiatischen Zügen und ist nicht so westlich, wie von uns erhofft. Sehr starker Nationalismus, „wohlerzogenes“ Volk mit einem starren hoffenden Blick zur Obrigkeit. Mit letzteren Zügen liebäugelt ja schon ein Teil der westlichen, europäischen Welt. Lieb wäre Singapurs wirtschaftliche Kraft gepaart mit der chinesischen Volksdisziplin und der fast Heiligsprechung der jeweiligen Obrigkeiten.

KSE
2 Jahre her

Lieber Herr Mai, grundsätzlich finde ich ihren Beitrag interessant, und Ihren Optimismus zur Lernfähigkeit des Westens in allen Ehren, diesen kann ich jedoch nicht ganz teilen. Der Westen und insbesondere DE ertrinkt in seiner eigenen Dekadenz und in seinen Weltverbesserungsphantasien und schafft sich stattdessen Probleme, wo eigentlich keine sind. Zudem noch eine forcierte Spaltung der Gesellschaft sowie in Teilen bereits diktatorische Tendenzen. Wichtige realpolitische Probleme werden einfach ignoriert. Eine Lernfähigkeit war hier die letzten Jahre nicht erkennbar und wird es auch in Zukunft nicht sein, nicht mal dieser grausige entfachte Krieg wird uns auf Dauer aufwecken… Man heuchelt kurz ein… Mehr

Konradin
2 Jahre her

China nimmt sich auf dem Weg seines imposanten imperialen Expansionskurses dankend die geographischen und ökonomischen Freiräume und Ressourcen, die der Westen teils freimütig teils unbedacht hinterlässt. Ob in Afrika, Afghanistan, Syrien, Pakistan oder nun Russland. Mit Russland hat der Westen, explizit die USA, dem Osten, China, nun aber wohl jenen riesigen Teil der Welt überlassen (bzw. es durch undurchdachte und kurzsichtige Politik in dessen Arme treiben lassen), die das ökonomische und militärische Gleich- bzw. Übergewicht sowie das demographische Übergewicht des Ostens gegenüber dem Westen im 21. Jahrhundert ausmachen wird. Sollte Russland für den Westen für die nächsten Jahrzehnte verloren sein,… Mehr

Protestwaehler
2 Jahre her

Wie lächerlich steht die westliche Welt eigentlich da, wenn China tatsächlich morgen in Taiwan einmarschiert, und der Westen darauf dann nicht mit selber Härte reagiert wie gegen Russland.

Turnvater
2 Jahre her
Antworten an  Protestwaehler

“ … und der Westen darauf dann nicht mit selber Härte reagiert wie gegen Russland.“

Apropos Härte gegenüber Rußland:

Stimmt es eigentlich, daß Gazprom weiterhin durch die Pipelines in der Ukraine Europa beliefert, und aufgrund einer Mehranforderung auch mehr?

Stimmt es eigentlich, daß die Rohstoffbörsen in der Schweiz weiterhin russische Rohstoffe handeln?

Stimmt es eigentlich, daß weiterhin russisches Öl in die USA exportiert wird?

In allen drei Fällen gehe ich davon aus, daß natürlich sofort die Annahme verweigert wird. Schon aus moralischen Gründen.

tyr777
2 Jahre her

wenn ich die vergangenen beiden Jahre hinsichtlich der massiven, nachteiligen Veränderungen der westlichen Demokratien bzw. deren kläglichen Überresten betrachte, dann sieht der Westen China scheinbar nicht als Herausforderung, sondern eher als großes Vorbild für die zukünftige Gestaltung der westlichen Gesellschaft.

Janno
2 Jahre her

Eines ist gewiss…mit den Lesern von TE ist keine Schlacht zu kämpfen.