Die Unfehlbare und die Unbelehrbaren – Merkel zum 30. Jahrestag

Tomas Spahn hat sich das Interview der Bundeskanzlerin und die Rede des Bundespräsidenten zur Wiedervereinigung vor- und beide auseinander genommen. Zwischen den Plattitüden verstecken sich weitreichende Aussagen und schimmert ein fragwürdiges Selbstverständnis durch.

imago Images/IPON

Dreißig Jahre „Wiedervereinigung“, die keine gewesen ist, weil sie völkerrechtlich als Beitritt der Bundesländer eines Staates durch Selbstauflösung zu einem anderen Staat abgewickelt wurde, war wieder einmal Anlass für Sonntagsreden. Es scheinen auf den ersten Blick die üblichen Sprechblasen zu sein, die zwecks Selbstvergewisserung und Bürgerberuhigung verbreitet werden. Doch sie werden bemerkenswert, wenn die Versatzstücke der Einheitsrituale eine offensichtliche Diskrepanz zwischen dem gesprochenen Wort und der faktischen Handlung offenbaren. Wenn sich zwischen den Zeilen dann eben doch nicht verstecken lässt, was tatsächlich in den Köpfen der Sprechblasenproduzenten vor sich geht.

Zwei Texte sind es, die passend zum Anlass von zwei der drei ranghöchsten Vertreter des Staates platziert wurden. Texte, die auf den ersten Blick einfühlsam und doch belanglos erscheinen mögen, weil sie scheinbar in der Endlosschleife des ewig wiederholten verharren – und die doch viel, wenn nicht alles aussagen über die Gemütslage und das Demokratieverständnis von Personen, die dieses strapazierte Wort gebetsmühlenartig im Munde führen.

Das eine ist ein Interview, das die Frau Bundeskanzler in real existierender Manier exklusiv einem unkritischen Redakteurskollektiv in die Feder diktiert hat. Das andere ist die Rede, in der jener Mann, der im Schloss Bellevue Hof hält und das Bundesverdienstkreuz als Massenware unter die Leute bringt, die von seinen Redenschreibern als Beruhigungsplacebos zu Papier gebrachten Sprachschablonen eines scheinbaren mea culpa feilbot.

Die Einzigartigkeit der Merkel

Blicken wir auf Merkel. Wie das Redakteurskollektiv beglückt schreibt, sei dieses, dem Kollektiv gewährte Gespräch, das einzige Interview, welches die Frau Bundeskanzler aus Anlass des Dreißigsten gegeben habe.

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Es ist bereits die damit einhergehende Attitüde einer Sonnenkönigin, die irritieren müsste, hätte sich Angela Merkel nicht schon längst als jemand präsentiert, gegen den die Machtfülle des Deutschen Kaisers vernachlässigbar ist und deren Gnadengewährung eben auch darin Ausdruck findet, dass Ihre Majestät die Kanzlerin sich zu nur einem einzigen Gespräch mit wohlgesonnenen Medienvertretern herablässt.

Allein das für sich spricht Bände. Oder auch nicht – denn es besagt am Ende nur eines: Dass Ihre Majestät dem Volk nicht wirklich etwas zu sagen, nichts erklären zu müssen meint.

Was, wenn nicht ein solches Jubiläum, hätte den Anlass bieten können und müssen, zu den zahlreichen Problemen, vor denen Deutschland steht, sich an das Volk zu wenden und darzulegen, wie aus der Sicht des Kanzleramts das weitere Zusammenwachsen der vereinten, beiden deutschen Nachkriegsstaaten in die Zukunft gedacht werden kann. Und es hätte auch den Anlass bieten können, aus der immer noch bestehenden Breite des Medienangebots sich nicht nur einer Echokammer der Selbstbeweihräucherung zu bedienen, sondern der perpetuierten Phrase des Unerträglichen durch die Bereitschaft, auch mit kritischen Medien zu sprechen, zu entrinnen.

Die Kommunikation der Merkel

Doch Kommunikation war noch nie Sache der Frau mit dem Sprachfehler, der eine Ursache Merkel‘scher Kommunikationsunwilligkeit sein mag. Keinen ihrer im Alleingang gefassten Beschlüsse hätte sie jemals dem Volk zu erklären versucht.

Der populistische und überhastete Ausstieg aus der Kernenergie – nie hat sie dem Volk erklärt, wie eine ernsthafte Perspektive der Energiesicherung aussehen soll, wenn dann noch im nicht minder populistischen Nachgang selbst Kohle, Öl und Erdgas als Instrumente des Teufels verdammt werden.

Der unfassbare Rechtsbruch einer unkontrollierten Grenzöffnung nebst vorbehaltloser Unterwerfung unter die EU-Agenda der großen Umsiedlung (offizieller EU-Sprachgebrauch) – nie hat sie dem Volk dazu mehr gesagt als ein defätistisch-plattes „Nun sind sie halt da“. Und das galt und gilt auch für all jene, die noch nicht „da“ waren.

Der 30. Jahrestag des Beitritts hätte der Anlass sein können, all dieses und mehr im Rückblick zu erklären – und daraus eine vielleicht nachvollziehbare Perspektive für die Zukunft zu entwickeln. Das aber hätte auch bedeutet, eigene Fehler einzugestehen. Doch Fehler macht Ihre Majestät die Kanzlerin nicht. Und wer keine Fehler macht, der bedarf auch keiner Kommunikation.

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Hätte diese Tatsache noch eines Beweises bedurft, so lieferte sie ihn in ihrem Einziginterview auf treffliche Weise. Als vom gefälligen Redakteurskollektiv im Vorspann als „doppelte“, allerdings nicht mehr Junge „Pionierin“ gefeierte Pastorentochter, weil als Frau und „ostdeutsch“ im Kanzleramt, darf Merkel zum Einstieg ein wenig anheimelnd Heimatliches verbreiten. Den Weg dorthin geht sie über die coronaeske Einschränkung der Freiheit von Reise und Bewegung, vom Redakteurskollektiv unter Heranziehung eines Zitats der Alternativlosen kritiklos als „absolute Notwendigkeit“ in den Raum behauptet. Es darf gemenschelt und gemerkelt werden:

„Nun ja, meine ostdeutsche Herkunft, das bin ja ich. Das ist mein Leben. Aber gleichzeitig bin ich die Kanzlerin aller Deutschen,“ stellt sie fest und wiederholt wenig später, damit es ja keiner vergisst: „Ich bin die Bundeskanzlerin aller Deutschen, und ich finde es schön, dass eine Ostdeutsche Kanzlerin werden konnte – dazu aus einer Partei, der man das nicht unbedingt zugetraut hatte.“

„Schön“? Wie treffend für jemanden, der mit dem Bauch denkt und nicht mit dem Kopf. Oder korrekter: Der so tut, als dächte er mit dem Bauch, weil seine Entscheidungen immer so wirken, als seien sie ohne Verstand aus einem Bauchgefühl heraus getroffen worden. Passend dazu erklärt die Einheits-Beglückte, dass es „eine wunderbare Erfahrung“ gewesen sei, als entgegen ihrer eigenen Zukunftserwartungen 1989 der Weg zum Beitritt zur BRD freigemacht worden war. Daraus habe sie eine Lehre gezogen:

„Veränderung kann etwas Gutes bedeuten, und Veränderung zum Guten ist möglich.“

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Fast beiläufig unterstreicht sie ein Klischee, welches zumindest ihr eigenes ist und die Nachfrage erfordert hätte, weshalb ausgerechnet sie ausgerechnet in diese Partei gegangen ist. Für Merkel ist die CDU die Partei, in der „Ostdeutsche“ doch eigentlich keine Chancen hatten – oder hätten haben dürfen, wenn nicht die DDR-Sozialisierte den Laden im Handstreich übernommen und von einer bürgerlich-pragmatischen Partei in eine sozialistisch-emotionale Nichtbewegung umgestrickt hätte.

Es ist die geballte Ladung aus dem Munitionspack der Emotionen, mit dem Merkel die Bürger attackiert: „schön“, „wunderbar“, „Gutes“!

Ihre Majestät, die Mutter der Nation, betrachtet Politik als hausfrauliche Aufgabe. Die Wohnung hat schön zu sein, und es ist wunderbar, wenn die Familie traut und einig beisammensitzt und sich des Guten erfreut, das Mutti ihnen zubereitet hat.

Doch wie in jeder Familie gibt es auch in Merkels großer deutschen ein paar Kinder, die aus dem Ruder laufen. Auf die lenkt das Redakteurskollektiv, nachdem Merkel noch ein wenig die gefühlt gequälte Seele ihrer „Ossis“ gestreichelt hat, gezielt das Gespräch. Oder ist es doch Merkel, die lenkt? Zumindest fällt dabei ein in anderer Hinsicht bemerkenswerter Satz – doch dazu später.

Ohne AfD geht es nicht

Nach all dem Seelenstreicheln führt der Weg zu jener Botschaft, die Merkel gebetsmühlenartig zu verbreiten sucht. Da im Mainstream der Echokammer eine Wahlentscheidung zugunsten der AfD ein Dokument mangelnder Zustimmung zur Demokratie ist, wirft das Redakteurskollektiv Merkel den gewünschten Ball zu:
„Es gibt im Osten eine geringere Zustimmung zur Demokratie und auch flächendeckend höhere Wahlergebnisse der AfD. Warum?“

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Diese zumindest in ihrem ersten Teil in der Sache unbewiesene Tatsachenbehauptung, die, wenn überhaupt, vielleicht nur deshalb zutreffend sein könnte, weil das Demokratieverständnis im „Osten“ eines der Unmittelbarkeit der individuellen Bürgermitsprache und nicht eines der im Gleichschritt marschierenden, führungsgelenkten Demokratur ist, gibt Merkel die Gelegenheit, ihr Verständnis von dem, was sie für Demokratie hält, zu verkünden – und dabei gleichzeitig zu belegen, dass sie über ein solches nicht verfügt:

„Das zeigt, dass wir für die Demokratie immer wieder werben müssen. Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit. Vielleicht war auch in den ersten Jahren der deutschen Einheit nicht genügend Zeit, um deutlich zu machen, dass die Demokratie auch anstrengend ist. Dass Freiheit auch bedeutet, mitzumachen, sich einzubringen. Und wenn man glaubt, nicht ausreichend gehört zu werden, muss man es trotzdem immer wieder versuchen. Deshalb habe ich in den letzten Jahren immer wieder gesagt, dass wir uns mit unseren Gedanken einbringen müssen, dass man nicht denken sollte, sowieso gehört zu werden. Vielleicht hatten manche Menschen auch Scheu vor einem Engagement, weil es in der DDR soviel Zwang zum Mitwirken gab.“

In 30 Jahren sei es demnach nicht gelungen, Demokratie in die Köpfe der „Ossis“ zu bringen. So lautet, auf den Punkt gebracht, Merkels Klage. Denn wäre es anders, würden die Undemokraten aus dem Osten nicht die AfD, sondern die Blockparteien wählen.

Staatsversagen wird zu Bürgerversagen

Schon mit diesem Satz konstatiert die frühere FDJ-Funktionärin ein totales Staatversagen, wenn es denn tatsächlich so wäre, wie von ihr behauptet. Es ist ihr, Merkels totales Staatsversagen, denn sie ist seit 2005 jene, die jene vorgebliche Angestrengtheit der Demokratie hätte vermitteln müssen und nach eigenem Bekenntnis damit gescheitert ist.

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Doch Merkel macht aus ihrem Versagen ein Versagen des Bürgers und garniert diese Schuldzuweisung mit der Behauptung, dass ein vorgeblicher Mangel an Bereitschaft, sich in die Demokratie einzubringen, ein freiwilliger Freiheitsverzicht sei. Wer sich das Recht herausnimmt, nicht dem kollektiven Staatsbeglückungsideal durch Eigenleistung beizuwohnen, verzichtet auf seine Freiheit. Und damit letztlich auch auf die Rechte, die diese Freiheit mit sich bringt.

Eine solch gezielte Verwirrung von Demokratie, Freiheit und Mitmachpflicht ist in einem Maße absurd, dass dem Leser die Augen schmerzen müssten, wäre er nicht längst schon entdemokratisiert delegitimiert. Doch das Redakteurskollektiv nimmt es artig hin. Der böse Bürger ist schuld – nicht die weise Politikerin.

Auch keine Nachfrage, was Merkel meint, wenn „man“ nicht denken solle, dass man sowieso gehört werde. Wer denkt das? Jener, der aus Protest auf die Straße geht und gegen Merkels Politik demonstriert, weil er sich mit seinen Anliegen Gehör verschaffen will? Sicherlich nicht – und er darf sich dafür von Merkels Camarilla vorwerfen lassen, als Rechter und Nazi das Volk zu spalten.

Oder jener Otto Michelbürger, der es vorzieht, sich grundsätzlich aus der Politik herauszuhalten, weil er davon ausgeht, ohnehin nicht gehört zu werden und ihm offen vorgetragene Kritik nur Ärger einbringt?

Wie auch immer – Merkels Botschaft scheint unmissverständlich: Wer seine „Gedanken“ nicht einbringt, wird auch nicht gehört. Seine Anliegen dürfen von der Politik unberücksichtigt bleiben. Also selbst schuld – nicht jammern, nicht kritikastern!
Dass diese Vorstellung von Politik und Kritik eine ist, die nach dem Muster der SED-Diktatur sich selbst ständig und immer wieder als „alternativlos“ diktiert und damit dem Bürger jegliches Bürgerengagement wegen Alternativlosigkeit aberzieht – kein Gedanke, der sich einer Merkel erschließen könnte. Denn für Merkel ist Bürgerengagement nur Bürgerengagement, wenn es ihr und ihrer Politik dient. Wer in einer alternativlosen Gesellschaft eigene, von der Unvermeidbarkeit der Alternativlosigkeit abweichende Gedanken einzubringen sucht, der wird in der gleichgeschalteten Gesellschaft zwangsläufig zum Renegaten.

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Erlaubt ist in Merkels Denken nur Engagement, das der von ihr diktierten Alternativlosigkeit dient. Der DDR-typische „Zwang zum Mitwirken“, den die im real existierenden Sozialismus sozialisierte Frau als Ursache angeblich mangelnder Mitwirkungsbereitschaft auszumachen sucht, war eben nicht der eines kreativen, zukunftsweisenden Einbringens in einen kontinuierlichen Entwicklungsprozess – es war der staatlich verordnete Zwang, im Kollektiv der zum Staatsziel erklärten Utopie der Ideologen an eben deren Unbeweglichkeit auch wider besseres Wissen mitzuwirken.

Wie deutlicher hätte Merkel beschreiben können, was sie unter „Mitwirkung“ in der Demokratie versteht? Wie deutlicher hätte sie darlegen können, dass sie von Demokratie nichts versteht? Wie deutlicher hätte sie belegen können, dass für sie Demokratie der Gleichschritt des Kollektivs und nicht das kreative Durcheinanderlaufen von selbständig denkenden Individuen ist?

Ein Hauch von Erkenntnis führt ins Nichts

Als ob es diese Klarstellung noch einmal unterstreichen wolle, wirft das Redakteurskollektiv mit einem scheinbaren Hauch von Erkenntnis den nächsten Ball vor Merkels Füße:

„Lautstark eingebracht haben sich in den vergangenen Jahren viele ostdeutsche Bürger – und das mit Kritik an Ihrer Politik. Auf ostdeutschen Marktplätzen sind Sie besonders heftig ausgepfiffen und angebrüllt worden. Wie sehr berührt es Sie, dass die Kritik gerade von Ihren eigenen Landsleuten kommt? Und warum haben Sie keine Antwort auf die Wut der Menschen gefunden?“

Bemerkenswert bereits die immer noch nicht vollzogene Einheit in den Köpfen des Redakteurskollektivs. „Ostdeutsche Bürger“ sind Merkels „eigene Landsleute“. Aber was sind dann die Westdeutschen? Ausländer, Gastanwesende, Nichtbürger, Aliens? Hat der missbilligende Pfiff gegen eine Ungeliebte aus dem gespitzten Munde eines Kölners eine andere Qualität als der aus dem eines Dresdners?

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Immerhin: Das Redakteurskollektiv wagt es, Ihrer Majestät der Kanzlerin vorzuwerfen, sie habe keine Antwort auf die Wut der Menschen gefunden. Das ist der Vorwurf des Versagens – und selbstverständlich kann Merkel einen solchen Vorwurf nicht akzeptieren. Also schwurbelt sie gekonnt Ursache und Wirkung durcheinander. Und beginnt diese Umkehr der Wirklichkeit mit einer Falschbehauptung.

„Erst einmal bin ich froh, dass wir jetzt in Freiheit leben und niemand, so wie früher, Verfolgung fürchten muss, wenn er eine andere Meinung hat.“

Ist das so? Sehr wohl muss jemand Verfolgung fürchten, wenn er eine andere Meinung hat.

Was anderes als Verfolgung ist es, wenn jemand seinen Job verliert, weil seine Meinung vom Kollektiv der haltungsbedingten Anständigen als „rechts“ wegsortiert wird?

Was anderes als Verfolgung ist es, wenn einem Staatssekretär namens Christian Hirte seine Aufgabe entzogen wird, weil er einem demokratisch gewählten Ministerpräsidenten einer demokratischen Partei öffentlich seinen Glückwunsch ausspricht?

Was anderes als Verfolgung ist es, wenn dieser demokratisch gewählte Ministerpräsident von Ihrer Majestät der Kanzlerin genötigt wird, umgehend sein Amt aufzugeben und ein randalierender Mob ihn und seine Familie bedrohen darf?

Was anderes als Verfolgung ist es, wenn eine Stasi-Mitarbeiterin mit Steuergeldern schwarze Listen behaupteter Faschisten erstellen und veröffentlichen darf?

Was anderes als Verfolgung ist es, wenn der Leiter einer Stasi-Aufklärungsstelle auf Betreiben von Stasi-Mitarbeitern und diesen nahestehenden Politikern mit Stasi-Methoden in die Wüste geschickt wird?

Was anderes als Verfolgung ist es, wenn Laien als Zensurbehörden eingesetzt werden und politisch missliebige Texte öffentlich brandmarken dürfen?

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Doch entweder, die unantastbare Merkel ist der Wirklichkeit in einem Maße entrückt, dass sie dieses nicht wahrnimmt – oder es ist ihr konstatiertes, nicht vorhandenes Demokratieverständnis, welches ihr das Niedermachen vom Menschen mit anderer Meinung nicht als Verfolgung erscheinen lässt. So führt der angedeutete Vorwurf ins Nichts und Merkel selbst schafft von jenen vorgeblich Nicht-Verfolgten die Kurve zu jenen, denen eine entsprechende Verfolgung dann vielleicht doch gut zu Gesichts stünde:

„Aber wenn nur gebrüllt wird, kann man schwer eine Antwort geben. Dafür braucht es die Bereitschaft zum Dialog. Aber es gab auch sehr viele Menschen, die zuhören wollten. Und es war traurig, dass ihnen diese Möglichkeit von anderen genommen wurde. Mit politischem Meinungsaustausch hatte das nichts zu tun.“

Schuld am lautstarken Protest sind die anderen, die Protestierer. Und weil sie jenen, die zuhören wollen, diese Möglichkeit nehmen, verhalten sie sich klassisch asozial und gesellschaftsschädlich. Dabei sollte doch eine Erkenntnis sogar bis hinter die Mauern des Kaiseramts im Kanzleramt vorgedrungen sein: Nicht gehörte Kritik erzeugt Unmut. Unmut kann Wut erzeugen. Wut richtet sich gegen jenen, der durch seine mangelnde Bereitschaft, auf Kritik zu reagieren, diese Wut zu verantworten hat.

Die Schuld an der Wut trägt der Wütende

Sollte das Redakteurskollektiv mit seinem Vorwurf tatsächlich der Merkel die Chance gegeben haben wollen, die eigene Verantwortung an dieser Wut zu erkennen und sich dazu zu erklären?

Weit gefehlt – Merkel kommt aus dem kleinsten Karo ihrer Echokammer der Unfehlbarkeit nicht heraus. Nicht sie, die alternativlos Unfehlbare, trägt die Schuld an der Wut, die ihr entgegengeprallt ist – es sind die Wütenden, die sich für ihre Wut zu verantworten haben. Die Frau im Kanzleramt spricht vom politischen Meinungsaustausch – doch den meint sie nicht.

Ihre Kommunikation basiert auf dem Modell der Einbahnstraße: Merkel spricht – das Volk hat zuzuhören. Wer widerspricht, hat nicht zugehört. Hätte er zugehört, so hätte er verstanden. Wer verstanden hat, der bedarf eines Meinungsaustausches nicht. Denn wozu wäre der gut? Der Verständige hört und gehorcht. Nur dem, der nicht versteht, weil er nicht hören will – nur dem bleibt die Wut. So ist die Wut vom Wütenden selbst verschuldet, nicht von der Unfehlbaren und ihrer alternativlosen Politik, sie allein schon deshalb jede Kritik und Nachfrage kategorisch ausschließt.

Der Schluss der Meinungsfreiheit

Umso unpassender, nein entlarvend dann die Antwort, nachdem das Redakteurskollektiv nun noch gezielt und wie gerufen auf die Corona-Proteste eingeht.

Freiheit, wir erinnern uns, ist für Merkel die Freiwilligkeit der Mitwirkung am staatsutopistischen Heil. Nur wer in diesem Sinne mitwirkt, hat das Recht auf Freiheit und Meinung. Was also, so möchte das Redakteurskollektiv wissen, löse es bei Merkel aus, wenn man bei „den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen oftmals“ den Satz höre, man dürfe seine Meinung gar nicht mehr sagen?

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Corona und der Eingriff in das Recht auf Freiheit der Reise und Bewegung, auch das erinnern wir, war eine „absolute Notwendigkeit“. Also etwas, das nichts und niemand infrage stellen darf. Ist also ein solch unzulässiger Protest noch „Meinung“? Merkels Antwort liegt in der ihr eigenen antidemokratischen Logik – und auch hier ist es nicht die Politik der Staatsführung, die die Verantwortung dafür trägt, dass Bürger es wagen, gegen staatliche Anordnungen der absoluten Notwendigkeit zu protestieren:

„Ich komme zu dem Schluss, dass es manchem gar nicht allein darum geht, seine Meinung sagen zu dürfen, sondern darum, keinen Widerspruch zu bekommen. Seine Meinung zu sagen, die dann unwidersprochen im Raum zu stehen hat, ist nicht das Wesen von Meinungsfreiheit. Wenn wir eine Meinung äußern, dann müssen wir auch damit leben, dass andere das anders sehen, und versuchen, uns mit deren Meinung auseinanderzusetzen. Das kann manchmal sehr anstrengend sein. Deshalb lohnt es sich auch zu versuchen, durch Gespräche Menschen für den demokratischen Meinungsstreit zurückzugewinnen.“

Fast könnte man als Leser dieser Zeilen selbst zu einem „Schluss“ kommen – zu dem, dass Merkel hier zu ihrem Spiegelbild spricht.

In diesem relativ kurzen und auf den ersten Blick so belanglosen Interview hat sie mit jedem Satz unterstrichen: Sie, Ihre Majestät die Kanzlerin, ist es, der es darum geht, keinen Widerspruch zu bekommen. Sie, die Unfehlbare und Alternativlose ist es, deren eigene Kommunikation nach ihrer eigenen Definition „nicht das Wesen von Meinungsfreiheit ist“. Wobei für Merkel etwas, das „dem Wesen nach“ ist, selbst zu einem Wesen wird.

Sie, die ewige Merkel, ist es, die nicht bereit ist und es nie war, sich mit Meinungen auseinanderzusetzen, die nicht ihre eigene sind. Sie ist es, die gezielt und mit Vorsatz jene „ihre Landleute“, die auf dem Stimmzettel die AfD ankreuzen oder ihren Protest gegen Merkels Politik mit Pegida oder Anti-Corona-Demo in die Öffentlichkeit tragen, als Unbelehrbare ausgegrenzt hat und ausgrenzt. Sie ist es, die jenen, die nicht ihrer Meinung sind, unterstellt, bei ihnen sei der vom Staat eingeforderte Prozess des Demokratie-Lernens ohne Erfolg geblieben.

Merkel hat recht, weil sie recht hat

Der Deutsche Kaiser hatte meistens recht – solange ihm sein Kanzler und sein Parlament dieses Recht durchgehen ließen.

Der Staatsratsvorsitzende und Generalsekretär des ZK der SED hatte lange recht, denn er war die Partei, die immer recht hat – bis die Partei feststellte, dass der Staatsratsvorsitzende doch nicht immer recht hat.

Unfreiwillige Selbstdarstellung
Merkel aber hat immer recht, weil sie immer recht hat. Und es ist niemand da, der ihr sagen könnte, wann sie nicht recht hat. Denn wer es wagt, ihr, der Unfehlbaren, Fehler zu unterstellen, der macht sich selbst zum Fehlenden, dessen Tage an der Sonne gezählt sind.

Weshalb es nun an der Zeit ist, jenen bereits versprochenen Satz zu zitieren, der das geistige Kalkül der Immerrechthabenden auf erstaunliche Weise enthüllt. In der gefühlsschwangeren Hinwendung zu „ihren Landsleuten“ im Osten dessen, was früher einmal als geeintes Vaterland bezeichnet werden durfte, entrückt sich ihr mit Blick auf jene, die ihr Glück im fremden Beitrittswesten suchten, die folgende Feststellung:

„Lange Zeit sind viele Junge deswegen in die alten Bundesländer gegangen und haben dort Familien gegründet. Das hat zu einer Traurigkeit bei Eltern geführt, die ihre Enkelkinder nicht aus nächster Nähe aufwachsen sehen konnten.“

Ach je, ist man versucht, zu seufzen. Wie kann diese Frau, die die Traurigkeit jener Eltern bejammert, die ihre vielleicht 400 Kilometer entfernt lebenden Enkelkinder nicht aus nächster Nähe aufwachsen sehen können, es ertragen, dass sie allein die Verantwortung dafür trägt, wenn nun zahlreiche Eltern aus Asien und Afrika in tiefe Traurigkeit gestürzt werden, weil sie aufgrund der Auswanderung ihrer Söhne und manchmal auch Töchter ihre Enkelkinder nicht aus nächster Nähe aufwachsen sehen können?

Hätte sie recht, so müsste sie es sich gefallen lassen, dass ihr die Frage gestellt würde, warum sie die unendliche Traurigkeit über vier- oder fünfhundert Kilometer zutiefst belastend findet – sie die Traurigkeit über Tausende von Kilometern jedoch nicht im Geringsten rührt?

So entlarvt sich dieses in gefälliger Kooperation mit einem willigen Redakteurskollektiv entstandene Interview als ein Kunstprodukt aufgesetzter Unehrlichkeit und geheuchelter Pseudoemotionalität. Ein bemerkenswertes Zeitdokument deshalb dennoch allemal, weil es unter einer Camouflage der Deklaration des Demokratischen eine zutiefst undemokratisch denkende Frau entlarvt.


Zur Rede Steinmeier folgt ein getrennter Beitrag.

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Kommentare ( 59 )

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Fulbert
3 Jahre her

Bei allem Interpretationswillen: außer Plattitüden und semtantisch bzw. syntaktisch fehlerhaften Sätzen kann ich nichts erkennen. Leerformeln, die wegen ihrer allgemein gehaltenen Nichtigkeit Nachfragen ins Leere laufen lassen.

moorwald
3 Jahre her

Hat es in den Merkel-Jahren je einen überzeugenden Gegenkandidaten gegeben?

Man könnte sagen, im Laufe der Zeit hat Merkels Herrschaft vom charismatischen („Frau aus dem Osten“) zum traditionalen (alternativlos, sie war halt da) Typ gewechselt – nach der Typologie Max Webers.
W. Streeck: „Merkel war alles, was sie (die Wähler ) hatten.“

Deswegen setzt jede Wähler-Beschimpfung an der falschen Stelle an.

Nicht die Wähler halten die Demokratie am Leben, sondern im Parteienstaat eben die Parteien.
Demokratieversagen ist Parteienversagen.

moorwald
3 Jahre her

Zum 1001. Male:

Ihr von der CDU, die ihr euch ausgeliefert habt

Ihr von der SPD, die ihr auch um den Preis des Untergangs unbedingt mitregieren wollt

Ihr von der FDP, die ihr samt eurem feigen Vorsitzenden vor Merkel im Staube kriecht –

Ihr und nur ihr allein habt das Unglück namens Merkel zu verantworten!

Gerro Medicus
3 Jahre her

Was kann man da als Fazit sagen? Eigentlich nur eines: MERKEL MUSS WEG!

Wenn wir unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung wenigstens noch etwas retten wollen, dann muss dieses sozialistische Ideologiegewächs stante pede aus ihrem Amt entfernt werden, samt ihren Vasallen. Fragen Sie jetzt bitte nicht, was dann kommt. Denn eines ist gewiss:

Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird, aber ich weiß, dass es anders werden muss, damit es besser werden kann.

Zitat Georg Christoph Lichtenberg, dts. Philosoph

moorwald
3 Jahre her

Wohin auch immer Merkel blickt, mit wem auch immer sie spricht – es ist immer Merkel, die ihr entgegenblickt und mit der sie im Grunde Selbstgespräche führt. Selbstbespiegelung und Selbstreferenzialität. Mit Merkel kann man keine ernsthafte Diskussion führen, da sie nicht argumentiert, sonder doziert. Interviewer werden so zu bloßen Stichwortgebern. Hinzu kommen ihre äußerst dürftigen Sachkenntnisse, was das leere Daherreden begünstigt. Man kann ihr Denken auch „unsauber“ nennen. Irgendwie vermüllt. Wenn sie die Worte „Freiheit“, „Demokratie“ usw. in den Mund nimmt, bedient sie sich einer völlig fremden Sprache. Dieses extreme Kreisen um sich selbst, diese absolute Unfähigkeit zu jeder Kommunikation… Mehr

Nachdenkerin X
3 Jahre her

Anläßlich dieses Artikels habe ich mir Angela Merkels Artikel in der FAZ durchgelesen, mit dem sie damals Helmut Kohl gestürzt hat. Eigentlich trifft alles, was sie damals gegen Kohl geschrieben hat, auf sie selbst zu. … „Die von Kohl eingeräumten Vorgänge haben der Partei Schaden zugefügt. Nicht nur sind ihr für die von ihm angegebenen und angenommenen 1,5 bis 2 Millionen Mark Spenden, die nicht in Rechenschaftsberichten aufgeführt wurden, 50 Pfennig pro Spenden-Mark staatlicher Zuschüsse – also insgesamt bis zu einer Million D-Mark – entgangen; nicht nur drohen ihr Rückzahlungen in Millionenhöhe; die Partei – und nicht nur er allein… Mehr

Gerro Medicus
3 Jahre her
Antworten an  Nachdenkerin X

Der von Ihnen hervorgehobene Satz sagt doch alles über das Rechtsverständnis Merkels aus.

„EIN WORT ZU HALTEN UND DIES ÜBER RECHT UND GESETZ ZU STELLEN, MAG VIELLEICHT BEI EINEM RECHTMÄSSIGEN VORGANG NOCH VERSTANDEN WERDEN…“

Genau mit diesem Credo hat sie 2015 das Grundgesetz gebrochen, und seitdem viele Male, immer wieder, denn für Merkel gibt es offenbar „rechtmässige Vorgänge“, die man über Recht und Gesetz stellen darf. Was ein Oxymoron erster Güte ist.

christin
3 Jahre her

Ein infantiles Volk das sich gerne indoktrinieren lässt, wählt eben eine Regierung von deren Mitglieder es sich vollumfängliche Versorgung verspricht, selbst denken und Selbstverantwortung ist mühsam, da passt das Wort Mama Merkel ganz gut. So eine Mama sagt dem/der KindbürgerIn wo es lang geht, diese Mentalität ist deutsch.

Kassandra
3 Jahre her

Dr. Gunter Frank betrachtet auf der Achse den RKI-Corona-Professor Drosten und kommt zu dem Schluss, dass eher patriarchale Strukturen im Kopf des podcast-Mannes enthalten sein müssen, die er mitnichten bereit ist, Preis zu geben: https://www.achgut.com/artikel/die_sehnsucht_nach_professor_brinkmann
Auch im Schwurbeln scheint er ähnlich geschult.

Beim Lesen sowohl der einen wie der anderen Beschreibung entsteht das Bild einer gewissen Weltferne in bestimmender, erstarrter Allwissenheit, in der schwebend über alle Köpfe hinweg ein ganzes Land den Krallen gefühlloser Flügeltiere ausgeliefert ist.

EndemitdemWahnsinn
3 Jahre her

Bei der CDU/CSU ist es ziemlich egal, wer dort als (Kanzler-)Kandidat aufgestellt wird. Selbst eine Kuh mit den drei Buchstaben drauf würde dort gewählt werden. Ich bin sicher in der SPD hätte Merkel nie die geringste Chance gehabt, als Kanzlerin tatsächlich gewählt zu werden. Sie wusste schon, warum sie als trojanisches Pferd in die CDU eingetreten ist, da man dort die größten Chancen hat gewählt zu werden.

Reinhard Schroeter
3 Jahre her

Nein ,zu dem unsäglichen Geschwätz einer ** Kanzlerin muss man kaum noch etwas sagen. Sie haben fast alles notwendige gesagt Herr Spahn. Was mich als Vater und inzwischen Grossvater aber auf die sprichwörtliche Palme bring ist, dass eine kinderlose und alte Frau nicht wissen kann , was ein eigenes Kind, was eigene Enkelkinder sind. Es ist unverschämt und übergriffig, dass so eine Mitgefühl, was sie gar nicht haben kann, glaubt , uns Eltern und Grosseltern gegenüber, heucheln zu müssen und damit ihre ganze, ungzügelte Verachtung uns gegenüber zum Ausdruck bringt, wenn sie glaubt, wir würden ihr auch diese Lüge durch… Mehr