„Schwarze Null“ und solide Haushaltspolitik gehörten viele Jahre zum Unions-Markenkern. Macht die Unions-Fraktion jetzt die Kehrtwende der Kanzlerin mit?
Dass der Chef des Bundeskanzleramts einen Gastbeitrag im Handelsblatt schreibt oder schreiben lässt, der nicht mit der Kanzlerin und ihrem Stab abgestimmt ist, kann ernsthaft niemand glauben. Vor allem dann nicht, wenn in diesem Text so nebenbei ein Kernthema der Union abgeräumt wird. Helge Braun, der sich mit seiner Dauerpräsenz in den TV-Talks immer stärker im Corona-Hamsterrad verheddert, spricht sich unmissverständlich für einen längeren Ausstieg aus der grundgesetzlichen Schuldenbremse aus. Er plädiert unzweideutig für eine Änderung der Verfassung, will also die derzeitige Ausnahmeregelung, die in Notfallsituationen aktiviert werden kann, entfristen. Der Bundestag hat die Notfallausnahmesituation in der Corona-Pandemie für die Jahre 2020 und 2021 beschlossen und damit einer mehrhundertfachen Milliarden-Neuverschuldung den Weg geebnet. Weil diese Schulden in einem definierten Zeithorizont verbindlich wieder getilgt werden müssen, kapituliert das Kanzleramt bereits prophylaktisch. Braun schreibt: „Die Schuldenbremse ist auch bei ansonsten strenger Ausgabendisziplin nicht einzuhalten.“ Und weiter: „Deshalb ist es sinnvoll, eine Erholungsstrategie für die Wirtschaft in Deutschland mit einer Grundgesetzänderung zu verbinden, die begrenzt für die kommenden Jahre einen verlässlichen degressiven Korridor für die Neuverschuldung vorschreibt.“
Der SPD ist die Schuldengrenze schon lange ein Dorn im Auge, obwohl sie vor mehr als 15 Jahren in der Föderalismusreform vom damaligen Verhandlungsführer der SPD, dem verstorbenen Fraktionsvorsitzenden Peter Struck, mit seinem Unions-Pendant Günther Oettinger ausgehandelt wurde. Der heutige SPD-Bundesfinanzminister stellt sie schon länger infrage und hat sich in einer ersten Reaktion auf Helge Brauns Testballon bereits offen für eine Grundgesetzänderung gezeigt. Die Grünen haben sich in einem Strategiepapier bereits vor zwei Wochen von der Schuldenbremse verabschiedet. Die Linke fand die Schuldenfinanzierung von Staatsausgaben schon immer sexy.
In der Unions-Fraktion, die heute Nachmittag tagt und an der erstmals auch der neue Parteivorsitzende Armin Laschet teilnimmt, werden dagegen die Wogen hoch gehen. In ersten Reaktionen hagelte es breite Kritik vom für Finanzen zuständigen stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Andreas Jung bis zum Unions-Chefhaushälter Eckhard Rehberg. Auch MIT-Chef Carsten Linnemann ist erklärter Gegner einer Aufkündigung der Schuldenbremse. Der Generalsekretär des Wirtschaftsrats empört sich darüber, dass die Union mit Brauns Neupositionierung eines ihrer letzten Markenzeichen preisgeben würde. Merkels Regierungssprecher Steffen Seibert dagegen lässt lapidar verlauten, bei Brauns Vorstoß handle es sich um einen „persönlichen Meinungsbeitrag“.
Eine inhaltliche Distanzierung der Kanzlerin sieht anders aus. Sie wird damit womöglich noch eine erneute Kehrtwende der Union ermöglichen, die unser Land weit in die Zukunft belasten wird. Denn wer die Schranken für die Staatsverschuldung, die aus gutem Grund 2006 nach langen Auseinandersetzungen Eingang in unsere Verfassung fanden, wieder öffnen will, macht sich erneut vom süßen Gift der Staatsverschuldung abhängig, verschiebt Gegenwartslasten in die Zukunft, untergräbt das Vertrauen in die Stabilität unserer Währung, schürt Inflationsgefahren und baut weiter ungeniert an einem sozialpolitischen Wolkenkuckucksheim, das auf Schuldentreibsand gebaut ist.
Eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag wäre nötig, um die Schuldenbremse im Grundgesetz abzuschaffen oder zu verändern. Ohne die 246 Abgeordneten der Unionsfraktion ist diese Mehrheit derzeit nicht zu erreichen, selbst wenn alle anderen Abgeordneten dafür stimmten. Das wäre aber bei der FDP wie der AfD zu bezweifeln. Grüne, SPD und Linke dagegen warten nur auf das Umfallen der Union.
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Wenn Merkel das will, fallen die um!
Natürlich. Merkel ist jedes Mittel recht, um ihr Illusionen aufrecht zu erhalten. Dafür opfert sie gerne Deutschland, insbesondere West-Deutschland, das sie nie als ihr Land angesehen hat.
Typische Merkel-Taktik: Einen Strohmann vorschicken, der ihre Absichten verkündet (ohne dass ihr Name fällt), um die Lage zu sondieren. Ist die Resonanz positiv oder gibt es zumindest keinen nennenwerten Widerstand, folgt der nächste Schritt, alles in Sack und Tüten zu kriegen. Regt sich dagegen Kritik, gar ein Shitstorm, muss der Strohmann zurückrudern und Reue bekennen (wieder, ohne dass Merkel damit im Zusammenhang steht). Es ist aber klar, dass in diesem Land nicht ohne ihre Kenntnis und Zustimmung läuft. Sie hat alle Fäden in der Hand, und gleichzeitig tut sie so, als hätte nichts mit dem zu tun, was sie im… Mehr
Kohl hatte neben einer ostdeutschen Ziehtochter bekanntlich auch noch einen luxemburgischen Ziehsohn, und der sagte mal etwas Bemerkenswertes:
»Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.«
Wenn das für die CDU-Mitglieder in Werte-Union und Mitelstandsvereinigung kein Signal zum Austritt ist, kann man denen wirklich nicht helfen. Oder der Wähler sollte nicht darauf hoffen, dass die die Union jemals wieder auf den rechten/richtigen Kurs bringen.
Nicht mehr lange, und die Linke ist aus Sicht der CDU eine rechtsextreme Partei.
Es ist wie immer: Merkel schickt einen ihrer devoten Minenfiffis vor und beobachtet aus der sicheren Deckung, was dann passiert (so, wie es der Schong-Klot in einem selten Moment der weinseligen Ehrlichkeit mal ausgeplaudert hat).
Man könnte sich auch eine alternative Diskussion vorstellen. Es spricht einiges dafür, dass sich Deutschland bis ca. 100% der jährlichen Wirtschaftsleistung verschuldet, um innerhalb von Euroland, aber auch im Vergleich zu anderen Industrieländern, ungefähr gleich zu ziehen. Die kritische Frage müsste dann sein, wofür zusätzliche Kredite aufgenommen und ausgegeben werden dürfen. Die kritische Frage müsste dann sein, mit welchen Kriterien für Effektivität und Effizienz politische Programme gemessen werden. Es müssten sicher mehrere Elemente zusammenkommen um darüber einen ausreichenden Konsens zu erreichen.
Ich dachte beim ersten Lesen, der Vorschlag kommt von Helge Schneider und nicht von Helge Braun. Dann ist mir eingefallen, dass Helge Schneider mit Klassikern wie „Katzenklo“ so etwas ja nie vorschlagen würde. Ich Dummerchen, ich.
Jahrelang hört man von ihm nichts. Auf einmal macht er auf Wichtig. Er zählt wohl zu den letzten Getreuen in der CDU/CSU. Der Rest will sich nur nicht mit ihr anlegen und hält deshalb das postengeile Maul.
Comedians laufen schon zur Höchstform auf:
„Der neue Slogan im Wahlkampf:
Sie wollen eine Finanzpolitik nach dem Prinzip Freigeld für alle?
Wählen Sie die SDU
– Sozialistische Deutsche Union“
Schuldenbremse? Den schönsten Spruch dafür fand F. J. Strauß an die Adresse der Sozis: „Eher legt sich ein Hund einen Wurstvorrat an …“ Da auch die Union immer weiter nach links rückt, wird die Geldverschwendungsorgie nach den Wahlen unter Schwarz-Grün erst richtig losgehen. Dann gibt es kein Halten mehr …
Helge Braun als Merkels Testballon – irgendwie scheint das aus mehreren Gründen aussergewöhnlich gut zusammen zu passen. Na, wenn da mal kein neuer Spitzname entsteht …
Guten Morgen!
Raffiniert ist sie schon immer.Etwas ohne rechtliche Grundlage und Substanz verkünden lassen von einen ihrer willigen Höflingen.
Frau Merkel ist außen vor.Ich denke ,Helge Braun wird die Häme und Kritik mit seinen Salär vereinbaren können.
Helge Braun wird unabhängig vom Wahlausgang als 100%-Merkel-Mann sowieso nicht seine Job behalten, weil selbst der voraussichtlich nächste Kanzler und Parteifreund Armin Laschet todsicher einen eigenen Gefolgsmann aufstellen wird. Also macht er die loyale Kärnerarbeit bis zum Schluss und hofft auf eine Anschlussverwendung in ihrem Gefolge, was auch immer sie nach der Kanzlerschaft machen wird.