Merkels Befriedungsstrategie: Mehr Sozialstaat!

Weil sich die GroKo nicht länger vorhalten lassen will, Flüchtlinge zu bevorzugen, sind jetzt die Deutschen an der Reihe. Die Salbe heißt: mehr Sozialstaat!

© Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Deutschland ist ein reiches und leistungsfähiges Land, keine Frage. Wir sind Export-Weltmeister, weil unsere Unternehmen mit ihren Mitarbeitern Produkte und Dienstleistungen anbieten, die auf dem Weltmarkt gefragt sind. Unser Sozialstaat kann pro Jahr rund 1 Billion Euro umverteilen, mehr als 30 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Die Infrastruktur ist im Saldo – trotz vieler Kritik – weit besser als in den meisten Staaten der Welt. Die erstklassige Leistungsfähigkeit des deutschen Gesundheitssystems steht im umgekehrten Verhältnis zur vorherrschenden Fundamentalkritik. Die öffentliche Verwaltung funktioniert und selbst um die innere Sicherheit ist es nicht so schlecht bestellt, wie es im Sekundentakt aus den sozialen Netzwerken tönt. Studenten bezahlen keine Studiengebühren, obwohl sie als Hochschulabsolventen später deutlich höhere Einkommen erzielen – oft im besser bezahlenden Ausland. Und ja, natürlich sind wir Deutschen Reise-Weltmeister, die sich auch sonst nichts gönnen können.

Migrationsthema überlagert wirtschaftliche Prosperität

Im Land aber herrschen Miesepetrigkeit und Übellaunigkeit vor – jedenfalls, wenn man an die aktuellen Debatten über Armut und Reichtum, über den Pflegenotstand oder die „islamische Republik Deutschland“ denkt. Die „Willkommenskultur“ und die offenen Grenzen darf man als Auslöser der Tristesse natürlich nicht unterschlagen. Selbst Angela Merkel widmete die lange Einleitung in ihrer gestrigen Regierungserklärung ihrem Satz „Wir schaffen das!“ vom Spätsommer 2016, der „diejenigen, die schon länger hier leben“ (*) animierte, ihren Protest gegen „die, die neu dazugekommen sind“ (*) später mit einem Kreuz bei der AfD zu quittieren. Der AfD immerhin sei zu verdanken, erwiderte deren Fraktionschef Alexander Gauland der Kanzlerin im Bundestag, dass sie in ihrer Regierungserklärung erstmals wieder von „Deutschen“ geredet habe.

Doch besser Menschland?
Deutschland - Raum ohne Volk
Übrigens ließ Gauland in seiner Kanzlerin-Replik auch eine Zahl einfließen, mit der er die Kosten der Massenmigration zu beziffern suchte: 50 Milliarden Euro. Das wäre gewiss eine horrende Zahl, die aber einer Nettobetrachtung nicht standhält, weil die ökonomischen Wirkungen (Kaufkraft der Flüchtlinge, Löhne der zusätzlich Beschäftigten, etc.) auch wieder direkt und indirekt Staatseinnahmen generieren. Die tatsächliche fiskalische Mehrbelastung Deutschlands liegt deshalb bei immer noch sehr hohen 20 bis 30 Milliarden Euro jährlich. Mit dieser kleinen Relativierung will ich die Migrationsproblematik mitnichten verniedlichen.

Im Zweifel war das Glas in Deutschland schon immer halbleer

Ich möchte einen anderen Punkt setzen mit meiner Stimmungsanalyse. Dass die Deutschen in ihrer Selbsteinschätzung ein Glas im Zweifel schon immer eher als „halbleer“, denn als „halbvoll“ einstuften, war sprichwörtlich lange vor der sogenannten Flüchtlingskrise. Die Sozialleistungen waren stets zu niedrig, die Renten zu klein, die öffentliche Verwaltung zu bürokratisch, der globale Wettbewerb zu mörderisch – trotz der eigenen Exporterfolge. Kritisiert wurde schon immer und an allen Ecken, natürlich häufig auch zu Recht. Allerdings gab es in den früheren Debatten zumindest auch einflussreiche Stimmen, die auf die teuren Folgen von immer mehr Sozialstaat hingewiesen haben. Auf das Lohnabstandsgebot gelte es zu achten, damit diejenigen, die arbeiten, auch mehr haben als Menschen, die von Sozialhilfe leben. In der Rentendiskussion wurde auf den demografischen Wandel hingewiesen und auf die Folgen der Alterung für die Beitragszahler. Auch die bequeme Lösung über immer mehr Schulden wurde zu Recht als Raubbau an künftigen Generationen gebrandmarkt.

„Bei den Banken sind sie fix, für die Kleinen tun sie nix!“

Heute sind die Volksbeglücker und Umverteiler in einer politisch fast konkurrenzlosen Situation. Aus Angst vor dem Furor der Wutbürger, die mit der AfD in vielen Parlamenten ein vermeintliches Sprachrohr haben, werden jetzt Sozialleistungen (u. a. Kindergeld, Baukindergeld) und Versicherungsleistungen (u. a. Mindestrente und Mütterrente) ohne Rücksicht auf die Kosten neu eingeführt oder ausgeweitet. Denn weder Union noch Sozialdemokraten wollen sich vorhalten lassen, dass die Deutschen darben müssen, weil die Flüchtlinge alle Ressourcen binden. Aus der Finanzkrise mit ihrer Bankenrettung durch den Steuerzahler ist der alte „Occupy“-Spruch noch im Ohr, der bei Demonstrationen damals häufig intoniert wurde: „Bei den Banken sind sie fix, für die Kleinen tun sie nix!“ Nichts scheuen die politischen Parteien mehr als eine Analogie dieses Spruchs: „Bei den Migranten sind sie fix, für die Deutschen tun sie nix!“

Die Zeche der teuren Befriedungspolitik zahlt wie immer die Mittelschicht

Die absehbare Quintessenz dieser teuren Stillhalteprämien, mit denen die kleine Große Koalition, unterstützt von Grünen und Linken, einen Teil des AfD-Wahlprotests zurückgewinnen will: Die sozialstaatliche Umverteilung wird auch in dieser Legislaturperiode schneller wachsen als die volkswirtschaftliche Leistung. In den sozialen Sicherungssystemen droht absehbar die gleiche Ausgabendynamik. Die Zeche werden auch in diesem Fall die gleichen Personengruppen bezahlen, die heute schon die Hauptlast des Sozialstaats tragen: die leistungsbereiten Mittelschichten mit steuerpflichtigen Jahreseinkünften von 60.000 bis 80.000 Euro. In dieser Einkommenshöhe schlägt die Steuerprogression am stärksten durch, greift noch die volle Sozialversicherungspflicht. Mit ihrer teuren Befriedungspolitik machen die Regierungsparteien die Rechnung ohne den Wirt. Denn wer die Leistungsbereitschaft von Millionen überstrapaziert und ihnen weitere Steuer- und Beitragserhöhungen präsentiert, der wird erst Recht Protest ernten. Außerdem werden sich Leistungsträger, die immer weniger Netto vom Brutto haben, der Abzocke entziehen, weil sie sich nicht länger melken lassen wollen. Doch Verteilungspolitik ohne Leistungsträger funktioniert nicht. Das scheint das politische Establishment in Berlin komplett auszublenden.


(*) Zitate Angela Merkel vom 9. Integrationsgipfel am 14. November 2016 in Berlin

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Kommentare ( 181 )

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Dr. Borkner-Delcarlo
6 Jahre her

Verehrter Herr Metzger, Das mit dem vielgepriesenen deurschen Sozial und Krankenkassensystem ist ein Mythos, der durch wiederholen auch nicht richtiger wird. Auch wegen diesem unsäglich ineffizientem und vor allem teuren System habe ich Deutschland vor Jahren bereits verlassen. Rentenbeiträge von 22% und KVBeiträge von 15% rauben dem Bürger die Möglichkeit selbst Vorsorge zu treiben. Wenn man dann noch die hohe Steuerlast und die versteckten Steuern hinzuzählt, so ergibt sich eine Belastung von mehr als 72%. Was daran sozial so vorteilhaft sein soll, entzieht sich meinem Verständnis. So zahlt man in Australien nur 2% vom Gehalt in die Rentenkassen ein, erhält… Mehr

Sebastian Gumbach
6 Jahre her

Mainstream. Das lese ich jeden Tag in der FAZ, Zeit oder Süddeutschen. Wozu jetzt noch in Tichys Einblick? Davon abgesehen: Könnte es sein, dass die Stimmung bei denen, die es begriffen haben, deshalb so schlecht ist, weil sie und ihre Tradionen noch schneller als schnell zur Minderheit in eigenen Land werden? Weil sehr viele Unwissende tagtäglich den Bückling vor der Islam-Ideologie machen? Weil deutsche Schüler in Haupt- und Realschulen schon jetzt in der Minderheit sind? Die Perspektive ist grottenschlecht, und für die Mehrheit bleiben nur zwei Szenarien: Auswandern oder leben in gated communities.

elly
6 Jahre her

„Deutschland ist ein reiches und leistungsfähiges Land, keine Frage. “ wirklich? „23. Dezember 2016, 18:25 Uhr Studie der EZB Die meisten Deutschen besitzen weniger als andere Europäer (…) Die meisten Bundesbürger besitzen deutlich weniger als andere Europäer. Das geht aus einer Studie der europäischen Zentralbank (EZB) hervor. Danach sammelt der mittlere deutsche Haushalt ein Nettovermögen von 60 000 Euro an, die Bürger im Schnitt von 18 Euro-Staaten dagegen mehr als 100 000 Euro. Weil das mittlere Vermögen unter anderem in allen Euro-Krisenstaaten höher ausfällt als in Deutschland, könnten die Ergebnisse vor der Bundestagswahl 2017 scharfe Kontroversen auslösen.“ http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/studie-der-ezb-die-meisten-deutschen-besitzen-weniger-als-andere-europaeer-1.3308252 und die… Mehr

Fritz-Theo Hoerm
6 Jahre her

Wie hieß das noch gleich?: „Es wird niemandem etwas weg genommen!“ Alles Blödsinn! Eingen Menschen wurde durch die unüberlegte Flüchtlingspolitik, die von so vielen „Armen im Geiste“ bejubelt wurde, das teuesrte genommen, nämlich ihr Leben. Man müsste mal eine Statisik erstellen, wievielen Menschen genau ihr Leben oder ihre Gesundheit aufgrund Merkels „Wir schaffen das“ genommen wurde.

Boudicca
6 Jahre her

Seit Anfang der Flüchtlingskrise 2015 überdeckt dieses Thema zum Glück für die sogenannte politische Elite alle anderen politischen, gesellschaftliche und sozialen Themen. Hartz IV war von Anfang an reformbedürftig, war nicht die große rot-grüne Revolution für soziale Gerechtigkeit, sondern die staatliche Disziplinierung der angeblichen Nassauer unter den Langzeitarbeitslosen und sozial Abgehängten über deren Restvermögen und dem Weihnachtsgeschenk von der Oma. Inzwischen werden ein Großteil der Beiträge aus der sozialen gesetzlichen Versicherung nicht mehr für diejenigen verwendet, von deren Löhnen und Gehältern sie monatlich gesetzlich einbehalten werden, sondern es ist ein soziales Schutzgeld, das der gesetzlich versicherte Arbeitnehmer an einen Staat… Mehr

Sabine W.
6 Jahre her

>’Das wäre gewiss eine horrende Zahl, die aber einer Nettobetrachtung nicht standhält, weil die ökonomischen Wirkungen (Kaufkraft der Flüchtlinge, Löhne der zusätzlich Beschäftigten, etc.) ‚< Augenblick mal, habe ich da irgendetwas nicht begriffen? Kaufkraft durch 'Flüchtlinge', die ihre 'Kaufkraft' aus monetären Zuwendungen bestreiten, die weitestgehend via Sozialgelder durch den Steuerzahler aufgebracht werden? 'Kaufkraft' durch prekär beschäftigte Menschen obendrein, die über ihre Arbeit zusätzlich (grausamerweise) noch Sozialgeld beziehen müssen, um ihren Lebensunterhalt zu fristen? Das ist keine Kaufkraft – denn dabei handelt es sich ausschließlich um eine Umverteilung von Geld, das aus Steuergeldern (Bürger) finanziert wird und dann in den Hals… Mehr

Zyankali
6 Jahre her
Antworten an  Sabine W.

Oh Madame, Sie rümpfen Ihre feine Nase, ob dieser neuen Honolulu-Erfindung? Das ist der neueste Hit.

Für die Kanzlerette ist das, das neue Perpetuum mobile.

Sie will sich das patentieren lassen, pfeifen die Vögel in Berlin.

Unsere einzige Hoffnung besteht darin, daß Patentamt ist zur Zeit überfordert, unterbesetzt. Und vielleicht findet sich da jemand, der bereit ist, das Kind wie Sie beim richtigen Namen zu nennen.

Marc Hofmann
6 Jahre her

Ich weis ja nicht, Hr. Metzger….es wird mal Zeit aus der Glaskugel von EU-Deutschland heraus zu komme und sich in der Welt umzusehen….einfach mal durch Asien reisen…waren Sie schon mal in Singapur…seit Jahrzehnten ist dieser asiatische Stadtstaat ein Vorzeige Land….da kann sich EU-Deutschland dahinter verstecken! Oder Südkorea…oder oder….Indien steigt in die Kernkraft-Kraftwerkstechnik ein…China ist da schon mittendrinn….die Schiffsindustrie ist in Asiatischer Hand…usw.
Dagegen ist EU-Deutschland…MITTELALTER!

Tramino
6 Jahre her

Politische Probleme mit immer mehr Staatsausgaben und dem damit verbundenen steten Anwachsen des Apparates zu begegnen, führt zwangsläufig in die Sackgasse und läßt an der Kompetenz der politisch agierenden zweifeln.

Gabriele Kremmel
6 Jahre her

Ich kenne Leute, die haben schon zu wenig und werden dennoch geschröpft wo es nur geht. Die rödeln nur dafür, sozial nicht abzurutschen und ohne Perspektive darauf, sich je ein Eigenheim oder auch nur eine größere Wohnung leisten zu können. Ich kenne Kranke, die ihre wirkungsvollen Behandlungen, ja selbst die Diagnostik selbst bezahlen müssen obwohl sie Krankenkassenbeiträge leisten, und die aus Geldmangel von dieser Behandlung abgeschnitten sind. Ich kenne eine junge Familie, da werden Untersuchungskosten für den kranken Säugling nicht von der KK übernommen, weil das Speziallabor seinen Sitz in der Schweiz hat. Ich kenne unverschuldet in HartzIV geratene Leute,… Mehr

Zyankali
6 Jahre her
Antworten an  Gabriele Kremmel

Sie sehen das richtig. Alles sehr realistisch.

Dieses Land läßt SEINE Nächsten kalt im Stich.

Cathys
6 Jahre her

Zitat Herr Metzger: „Die Infrastruktur ist im Saldo – trotz vieler Kritik – weit besser als in den meisten Staaten der Welt. Die erstklassige Leistungsfähigkeit des deutschen Gesundheitssystems steht im umgekehrten Verhältnis zur vorherrschenden Fundamentalkritik. Die öffentliche Verwaltung funktioniert und selbst um die innere Sicherheit ist es nicht so schlecht bestellt, wie es im Sekundentakt aus den sozialen Netzwerken tönt.“ Herr Metzger, Sie leben wohl in einem anderen Deutschland, wie die meisten Deutschen! So kann man ALLES, ALLES relativieren!!!! Nur um nicht an die wirklichen Realitäten dran zu müssen! Auch wenn Sie in der einen oder anderen Sache recht haben,… Mehr