Die Notenbanken vor der Scheinalternative: Inflation oder Rezession?

Helmut Schmidt waren einst 5 Prozent Inflation lieber als 5 Prozent Arbeitslosigkeit. Kurz darauf erntete er beides. Gibt es heute ein Déjà-vu angesichts der Zinswende?

IMAGO / Fotostand

Die Inflation galoppiert. Noch nie seit 1949 sind die Erzeugerpreise in einem Monat im Vorjahresmonatsvergleich so explodiert wie im Januar 2022: um 25 Prozent. Kostentreiberin ist zwar hauptsächlich die teure Energie. Doch der Preiserhöhungstrend verfestigt sich in immer mehr wirtschaftlichen Sektoren. Hohe Energiekosten verteuern auf allen Stufen der Wertschöpfung Produktion und Distribution und werden in diesem Jahr immer stärker auf das gesamte Preisniveau durchschlagen. Angesichts der aktuellen Ukraine-/Russland-Krise und dem beginnenden Sanktionsregime braucht man kein Prophet zu sein, um einen weiteren Preis-Push für Erdgas und Öl vorherzusagen.

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Dass die Gewerkschaften deshalb in der kommenden Tarifrunde Lohnabschlüsse durchsetzen, die über der Inflationsrate liegen, kann als sicher gelten. Große Lohnrunden stehen unter anderem in der Metallindustrie mit ihren 3,8 Millionen und in der Chemieindustrie mit ihren knapp 600.000 Beschäftigten an. Für eine signifikante Entspannung an der Inflationsfront gibt es also keine Anzeichen, es sei denn, man glaubt an das Narrativ von der Lieferkettenproblematik infolge der Corona-Pandemie, die sich nach und nach auflöst.

Deshalb stehen die Notenbanken immer stärker unter Druck, etwas gegen die Geldentwertung zu unternehmen. Die US-Notenbank wird im März eine erste kleine Zinserhöhung beschließen und damit als größte Notenbank der Welt die bereits angekündigte Zinswende einleiten. Politisch wird die Zinserhöhung in den USA bis hinauf zum Präsidenten positiv flankiert, weil vor allem die steigenden Energiekosten die Bürgerwut auf das politische Establishment schüren.

Gleichzeitig ist aber auch die Angst vor einer zu starken Bremswirkung einer wirklichen Zinswende an den Finanzmärkten und ihrem publizistischen Umfeld mit Händen zu greifen. Denn sie fürchten den Kollaps der Vermögenspreisblasen, die sich wegen der scheinbar unbegrenzten Geldschöpfung und im Niedrigzinsumfeld an den Börsen und im Immobilienmarkt aufgebaut haben. Wie Junkies an der Heroinnadel hängen die Finanzmärkte an den Injektionen der Notenbanken.

Die Europäische Zentralbank (EZB) steht bei der nächsten Ratssitzung am 10. März vor einem besonderen Dilemma. Im Gegensatz zur US-Notenbank hat sie die Inflation lange als „vorübergehend“ eingestuft, um ihre exzessive Geldpolitik nicht in Frage zu stellen. Doch angesichts der nackten Zahlen müssen selbst die „Tauben“, die Vertreter einer laxen Geldpolitik im EZB-Rat, inzwischen das Wort Inflation in den Mund nehmen. Während sich Österreichs Zentralbank-Gouverneur Robert Holzmann, ein Vertreter der geldpolitischen „Falken“, im Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung, für 2022 zwei Zinsschritte von der EZB wünscht und sogar einen Richtwert von 1,5 Prozent Leitzins propagiert, hält sich die Tauben-Mehrheit mit öffentlichen Vorfestlegungen zurück.

Zurück zu einem soliden Finanzwesen!
Europa schwimmt im Geld, aber es ist deswegen nicht reich
Während in den USA eine zu starke Zinswende vor allem Rezessionsängste hervorruft, machen sich Europas Notenbanker mehr Sorgen um die Zahlungsfähigkeit der Hochschuldenländer im Euro-Raum. Italien, Portugal, Spanien und Frankreich vor allem würde eine Zinserhöhung mittelfristig stark treffen, weil die Refinanzierungskosten ihrer Staatsschulden deutlich zunähmen. Dass die aktuelle EZB-Geldpolitik aber eine förmliche Einladung zur schrankenlosen Staatsverschuldung darstellt, übersieht die Mehrheit im EZB-Rat. Denn die Abschaffung des Zinses und die Garantenstellung der EZB, die mit ihren Anleihekäufen die risikolose Fremdfinanzierung selbst der höchstverschuldeten Euro-Staaten sichert, ist dafür verantwortlich.

Statt sich um ihre originäre Aufgabe, die Sicherung der Geldwertstabilität, zu kümmern, monetarisiert die EZB vertragswidrig die Staatsschulden. Zwar läuft das Notfall-Anleihekaufprogramm PEPP im Monat März aus, dafür aber wird nach aktuellem Stand das alte APP-Programm von monatlich 20 Milliarden Euro kurzfristig übergangsweise sogar aufgestockt. Erst wenn dieses APP-Programm auf netto null gestellt ist, also nur noch auslaufende Papiere ersetzt werden, wird sich eine Mehrheit im EZB-Rat wohl auf die Anhebung des entscheidenden Einlagenzinssatzes für Geschäftsbanken (derzeit minus 0,5 Prozent) verständigen.

Dieser Negativzins hat immer mehr Banken dazu veranlasst, auch ihren Privatkunden negative Zinsen als Verwahrentgelte in Rechnung zu stellen. Österreichs Zentralbank-Gouverneur Holzmann positioniert sich in der NZZ klar zum Primat der Inflationsbekämpfung durch die EZB, nimmt damit aber eine Minderheitenposition ein: „Es ist ganz klar, dass die Senkung der Staatsschulden die Aufgabe der Finanzminister ist. Darauf kann die EZB keine Rücksicht nehmen.“

Das Dilemma bringt Daniel Stelter in einem Beitrag im Handelsblatt auf den Punkt. Noch aggressiver als die US-Notenbank Fed habe die EZB durch milliardenschwere Wertpapierkäufe ihre Bilanzsumme seit 2010 in Relation zum BIP auf 60 Prozent verdreifacht. Vordergründig sei das als Mittel zur Bekämpfung der Deflation hochstilisiert worden. In Wahrheit dienten diese Käufe aber nur zur Stabilisierung der Euro-Zone, um einen Zinsanstieg für hochverschuldete Staaten zu verhindern. Auch global erreicht die Verschuldung immer neue Höchststände, wie Stelter beschreibt. Inzwischen liegt sie bei 355 Prozent des globalen BIP.

Greenflation:
Die Inflation wird lange bleiben, nur die Höhe ist fraglich
Die Unternehmensberatung McKinsey schätzt, dass mehr als 40 Prozent des weltweiten Vermögenszuwachses seit dem Jahr 2000 auf gesunkene Zinsen zurückzuführen sind. Die Bank of America führt mehr als 50 Prozent des Kursanstiegs der US-Börsen seit 2010 auf die US-Notenbank zurück. Die Zeitschrift „Economist“ schätzt, dass ein Zinsanstieg von zwei Prozent die Zinsbelastung um 50 Prozent auf 18 Prozent des Welt-BIP steigern würde.

Daraus schlussfolgert Stelter, dass Geld billig bleiben muss, weil sonst eine massive Schuldenkrise, ein Kollaps an den Vermögensmärkten und eine tiefe Rezession drohten. Angesichts des schwachen wirtschaftlichen Wachstums der Euro-Zone von nur 0,3 Prozent im letzten Quartal 2021 hätte die EZB in normalen Zeiten tatsächlich keinen Grund, auf die Bremse zu treten. Doch nach einem Jahrzehnt der ultralockeren Geldpolitik stecken die Notenbanken, allen voran die EZB aufgrund der besonderen Umstände im Euro-Raum, in der Sackgasse. Reagieren sie nicht auf die Inflation, droht eine Wiederkehr der 1970-er Jahre, als eine „vorübergehende“ Inflation dauerhaft wurde. Reagieren sie, drohen sie die Welt in die Krise zu stürzen.

Stelters fatalistische Einschätzung: Wegen der geschaffenen Liquidität und fehlender Wehrhaftigkeit der Notenbanken wird die Inflation in den kommenden Jahren zum chronischen Problem werden. Stelter hält diese Entwicklung im Vergleich zu den Folgen deutlicher Zinserhöhungen für das kleinere Übel. In dem Punkt will ich Stelter entschieden widersprechen: Gerät die Inflation zum Dauerphänomen, platzen über kurz oder lang die Vermögenspreisblasen trotzdem. Eine tiefe Rezession und die politische Destabilisierung unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung wären die Folge. Das halte ich nicht für das kleinere Übel.

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Kommentare ( 13 )

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alter weisser Mann
2 Jahre her

Dass die aktuelle EZB-Geldpolitik aber eine förmliche Einladung zur schrankenlosen Staatsverschuldung darstellt, übersieht die Mehrheit im EZB-Rat.
Die übersehen das nicht, die wollen das so!

Boris G
2 Jahre her

Dann sind sich doch alle einig: Ohne eine tiefe Rezession wird es nicht abgehen. Und die Wirtschaftshistoriker können eine lange Liste von Paradebeispielen anführen, aus denen leider keine Lehren gezogen worden sind. Da werden wir also demnächst wie unsere Urgroßeltern und Großeltern für unser Vertrauen in Papiergeld und Finanzminister bestraft werden.

ratio substituo habitus
2 Jahre her

Zumindest ist von unseren Politikern kein vernünftiges Handels zu erwarten. Wir haben einen Wirtschaftsminister, der ideologischen Märchen hinterher jagt und einen Finanzminister dem es nur um seinen Posten geht. Und diese Riege hat nun mit Putin die beste Ausrede gefunden, jede Hemmung fallen zu lassen. Für den Kampf gegen den „bösen Russen“ wird die Bevölkerung schon bereit sein, jedes Opfer zu bringen. Klimawandel war zu unkonkret um Panik zu erzeugen, das Virus da schon besser – flacht aber leider ab, da kommt Putins doch sehr gelegen. Die Energiepreise sind schon vor dem Einmarsch drastisch gestiegen, aber das wird man verschweigen.… Mehr

Harald R.
2 Jahre her

So endet das eben in Inflation und Hilflosigkeit, wenn die Politik dringend notwendige Reformen vor sich herschieben kann, da die EZB (verbotenerweise) Staatsfinanzierung betreibt.

So sehen dann auch die Immobilien- und Aktienmärkte aus. Völlig überzogene Preise prägen die Märkte. Mit einem Abschlag von 30 % läge man vielleicht eher am eigentlichen Wert.

Ich plädiere schon länger für moderate Zinserhöhungen – da sind mir die Ökonomien der Protagonisten des sogenannten Club Med“ (Draghi, Macron) ziemlich egal.

Unser Herr Nagel von der Deutschen Bundesbank darf sich gerne zu den „Frugal 4″ gesellen. Ich hätte absolut nichts dagegen einzuwenden.

Donostia
2 Jahre her

Die EZB sitzt in der selbstgebastelten Falle. Erhöht sie die Zinsen werden viele Firmen (Zombies) pleite gehen. Tut sie es nicht, werden die Anleger raus aus dem Euro gehen und der Euro fällt weiter im Kurs zu anderen Währungen, was letztendlich weitere Inflation bedeutet. Irgendwann wird dann der EURO bei den Firmen und Bürgern das Vertrauen verlieren und am Ende steht der Crash des Euros. Ich empfehle allen in Sachwerte zu investieren und wer es kann sein Vermögen außerhalb der EU anzulegen. Ein Haus bleibt ein Haus, Ein Grundstück bleibt ein Grundstück und ein Barren Gold bleibt ein Barren Gold… Mehr

F.Peter
2 Jahre her

Man braucht sich nur den Wahlkalender in der EU anzuschauen, dann weiß man, dass sich vor Mai in Hinsicht auf die Zinspolitik der EZB nichts ändern wird! Und je nachdem, wer dann in Frankreich Präsident ist, wird es wohl auch keine realwirtschaftliche Entscheidung der EZB geben! Und jeder, der ein wenig Ahnung von Geld- und Kapitalmarktpolitik hat, weiß, dass es ohne ordenltiche Blessuren kein heraus aus der derzeitigen Situation gibt – nur will das kaum jemand öffentlich äußern. …..es könnte einen Großteil der Bevölkerung verunsichern!

EinBuerger
2 Jahre her

Wiederkehr der 1970-er Jahre“: Dort war die Inflation hoch, aber auch die Zinsen. Heute ist es für Geld-Sparer brutal: Die Inflation ist hoch, die Zinsen sind niedrich. Jeder Sparer muss in Sachwerte (Immobilien, Gold, Aktien) gehen. Wobei die natürlich schon teuer sind. Und wenn die Blase platzt, hat er viel Geld verloren. Man hat also nur die Wahl zwischen Pest und Cholera.

EinBuerger
2 Jahre her

Ist also die coole Modern Monetary Theory, die Geld aus dem Nichts schaffen will, gar nicht so modern? Und am Ende gilt der Spruch: Irgendein D… muss es schon bezahlen.

Der Endgegner
2 Jahre her

Die Libertären (Liberale die keine Heuchler sind, also nicht FDP) haben diese Zwickmühle vor Jahrzehnten vorhergesagt und davor gewarnt. Und es ist auch nicht so, als sei der Weg zu diesem Disaster schön gewesen. Menschen, die wenig haben, wurden durch die Politik der unsäglichen Kommandowirtschaft schon lange systematisch enteignet. Das ganze hat mit Kapitalismus nur in so weit zu tun, dass die nützlichen Idioten von Spiegel, Zeit und Taz (sowie natürlich Politik & ÖRR) ihm die Schuld an der Misere geben, wodurch sie Vorschub für Maßnahmen leisten, die uns dann noch tiefer in den Mist reiten. Die komplette Geldpolitik der… Mehr

meckerfritze
2 Jahre her

Wenn die SPD regiert, geht grundsätzlich immer das Geld kaputt. Eine Politik, die zu erhöhter inflation führt, ist grundsätzlich immer extrem asozial. Das Markenzeichen der SPD.