Die SPD weiß wieder einmal nicht, was sie will

Das kommende Wochenende wird für die SPD entscheidend: Folgt die Basis der Parteiführung in die GroKo oder zieht sich die SPD in die Schmoll-Ecke zurück? Aus Sicht der SPD fehlt der NoGroKo-Aktion jede Logik.

© Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Die SPD weiß nicht, was sie will. Regieren oder nicht regieren? Diese Frage spaltet die Partei. Sie spaltet sogar manchen unter den führenden Genossen. Denken wir an Ralf Stegner oder Malu Dreyer. Die beiden Schulz-Stellvertreter wollen gelobt werden für das, was sie bei den Sondierungen im Sinne der SPD herausgeholt haben – und das ist ziemlich viel. Und sie wollen von der No-GroKo-Fraktion in der Partei dafür gefeiert werden, dass sie die Ergebnisse – ihre Ergebnisse – in Frage stellen. Ein klarer Fall von politischer Schizophrenie.

Die GroKo-Gegner in der SPD bringen viele Argumente gegen eine Neuauflage von Schwarz-Rot vor. Manches klingt gut – aber kaum eines ist logisch. Hier eine Auflistung dieses Wortgeklingels.

NoGroKo-Argument Nr. 1: Die Große Koalition wurde abgewählt

Was für ein Unsinn! Ja, SPD und CDU/CSU haben zusammen 14 Prozentpunkte verloren. Aber sie haben nach wie vor eine parlamentarische Mehrheit. Für Polit-Dummys: Abgewählt wurden die Regierungen Kohl/Kinkel 1998 und Schröder/Fischer 2005. Wer aber trotz großer Verluste weiterhin die Mehrheit hat und folglich regieren kann wie Merkel/Gabriel, ist abgestraft – aber nicht abgewählt.

NoGroKo-Argument Nr. 2: Merkel muss weg

Der Meinung kann man sein. Da treffen sich wutschnaubende Jusos mit vor Zorn bebenden AfD-Fans. Aus sozialdemokratischer Sicht droht der SPD unter einer wiedergewählten Kanzlerin Merkel der Abstieg in die Bedeutungslosigkeit. Nur kann von den Genossen keiner erklären, warum die angeblich abgewirtschaftete, konzeptions- und antriebslose Merkel immer noch stark genug ist, politische Lichtgestalten vom Kaliber eines Martin Schulz oder Ralf Stegners wie blutige Amateure aussehen zu lassen.

NoGroKo-Argument Nr. 3: AfD darf nicht Oppositionsführerin werden

Oppositionsführer? Eine Kopfgeburt aus dem Treibhaus Berlin, bis vor kurzem nur Polit-Insidern bekannt. In den letzten vier Jahren war Die Linke die stärkste Oppositionspartei, durfte bei großen Debatten den ersten Redner stellen und im Haushaltsausschuss den Vorsitz übernehmen. Und? Die Welt ist nicht untergegangen, nicht einmal die Berliner Republik.

NoGroKo-Argument Nr. 4: Kein großer Wurf zu erwarten

Nein, die Sondierungsergebnisse versprechen keinen großen Aufbruch wie 1969 unter der Überschrift „Mehr Demokratie wagen“, auch keine Reformoffensive wie beim Start von Rot-Grün im Jahr 1998. Doch aus drei sehr verschiedenen Puzzle-Spielen – schwarz, weiß-blau, rot – läßt sich kein Meisterwerk zusammensetzen. Das klappt, wenn überhaupt, nur bei Zweier-Koalitionen alten Stils, also mit Parteien desselben Lagers. Solchen Konstellationen mag man nachtrauern, aber im Sechs-Fraktionen-Bundestag sind sie nicht mehr möglich.

NoGroKo-Argument Nr. 5: Keine Bürgerversicherung, keine Steuererhöhungen, kein unbegrenzter Zuzug

Irgendwie scheinen viele Genossen den Schuss noch immer nicht gehört zu haben: Mit 20,5 Prozent blieb die SPD am 24. September 30 Punkte unter der absoluten Mehrheit. Wer mit 20 Prozent 60 Prozent seiner Forderungen durchsetzen kann oder könnte, sollte nicht jammern, dass es „nur“ 60 Prozent sind. Die CDU/CSU hat, wie schon 2013, der SPD erhebliche Zugeständnisse gemacht. Und die SPD verfällt in einen sich selbst bemitleidenden Jammermodus. Wie heißt es bei Marx: Jedem nach seinen Bedürfnissen, jedem nach seinen Fähigkeiten.

NoGroKo-Argument Nr. 6: Nur in der Opposition kann sich die SPD erneuern

Es ist eine unter Funktionären beliebte Leier: sich in der Opposition erneuern. So, als wären vier Jahre ohne Gestaltungsmacht ein Jungbrunnen, dem man als Superman entsteigt. Nun ja, nach vier Jahren Schwarz-Gelb kam die SPD 2013 auf 25,7 Prozent – nach 23 Prozent 2009. Das reichte für was? Zum Juniorpartner der GroKo. Mit der Erneuerung ist das nämlich so eine Sache. Giulio Andreotti, einer der mächtigsten Politiker Italiens, sagte einmal: Macht nutzt ab – vor allem den, der sie nicht hat. Ob die NoGroKo-Fraktion innerhalb der SPD den römischen Fuchs unbedingt bestätigen will?

Ganz abgesehen davon: Laut Grundgesetz wirken die Parteien an der politischen Willensbildung mit. Von einem Vorrang der Selbsterneuerung oder Selbstbeschäftigung von Parteien ist in der Verfassung nicht die Rede.

FAZIT: Der SPD-Sonderparteitag am kommenden Sonntag wird eine Entscheidung treffen, die für die SPD schicksalhaft sein kann. Er findet in Bonn statt, also in der Stadt, in der die Sozialdemokraten 1959 mit der Verabschiedung des „Godesberger Programms“ aus ihrer ganz linken Ecke herauskamen, mit den real existierenden Gegebenheiten der Bonner Republik ihren Frieden machten und auf diese Weise im Bund regierungsfähig wurden. Genau zehn Jahre später stellten sie mit Willy Brandt zum ersten Mal den Kanzler, ein historischer Einschnitt. Gut möglich, dass „Bonn 2017“ für eine weitere historische Wendemarke steht: für die Selbstverzwergung der Schulz-Stegner-SPD.

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Kommentare ( 65 )

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René
6 Jahre her

Ich lese die Meinungen von Herrn Müller-Vogg im Grunde ganz gerne. Und es ist ja auch wahr, auch wenn ich selbst Merkel inzwischen sonst wohin wünsche, was bitte schön hat sie denn für Gegner aus dem etablierten Spektrum. Nur Leichtmatrosen. Sonst wäre sie bereits Geschichte.

Roland Müller
6 Jahre her

Politische Lichtgestalten wie Martin Schulz und Ralf Stegner. Lieber Herr Müller-Vogg, der Witz ist wirklich gut. Übrigens ist von vor Zorn bebenden AFD-Fans weit und breit nichts zu sehen. Zum Thema großer Wurf von 1969 fällt mir nur ein, das das der Start in das heutige Schuldenproblem war. Und von mehr Demokratie wagen, ist definitiv nichts übrig geblieben. Das Gegenteil ist der Fall. Die heutige SPD steht für Demokratie und Rechtsstaat abbauen und an der Wählermehrheit vorbei regieren, wo immer es ihr möglich ist. Siehe zum Beispiel das unsägliche Netzwerkdurchsetzungsgesetz, willkürliche Eingriffe in die Vertragsfreiheit und noch einiges mehr. Nein… Mehr

Günther
6 Jahre her

Keine Zustimmung für diesen überaus dummen Artikel! Den Versagern dieser Politkasper auch noch intellektuell die Argumente zu liefern, spottet jeder Beschreibung. Noch mehr solcher sinnentleerten Beiträge und mein Abo ist aber sowas von weg!

EinAlterWeißerMann
6 Jahre her
Antworten an  Günther

Gemach! Das überzeugte CDU-Mitglied Hugo Müller-Vogg ist Angela Merkels Feigenblatt auf TE. Ich freue mich immer wieder über die inbrünstigen Artikel aus seinem Paralleluniversum – zeigen sie mir doch jedes Mal aufs Neue, warum ich die CDU auf keinen Fall und SPD, Grüne und Linke auch nicht unter Folter wählen werde.

WolfK
6 Jahre her

2 Möglichkeiten – ich bin für 1.:

1. Schwarz-Rot und krachender Untergang mit 2 Jahrzehnten oder länger Rekonvaleszenz

2. Kein Schwarz-rot und mehr als ein Jahrzehnt der Regeneration

Auf geht’s Genossen nur Mut: Vorwärts immer – rückwärts nimmer!

dieter b.
6 Jahre her

Ich freue mich schon auf Sonntag.

Ulrich
6 Jahre her

„Laut Grundgesetz wirken die Parteien an der politischen Willensbildung mit. “ Das konnte man wunderbar auf dem CDU-Parteitag bewundern, auf dem der Antrag zur teilweisen Rücknahme der doppelten Staatsbürgerschaft für hier lebende Türken angenommen wurde und den Frau Merkel als für sie nicht bindend abservierte. Was diese Frau jetzt will, ist ein Freifahrtschein für ihr Weiterregieren, bei der den Koalitionären ein Zugucken gestattet wird. Schlimmer als Neuwahlen wäre für sie der Vorsitz einer Minderheitsregierung, bei der sie sich für jede größere Aktion die parlamentarische Zustimmung holen müsste.

mlw-reloaded
6 Jahre her

Das Fazit ist leider kein Fazit. Was sollte den SPD denn tun? Was sollte sie wollen? Was für Möglichkeiten hat sie denn überhaupt? Klar ist, dass die SPD in einer WeiterSoKo den Kürzeren ziehen würde. Die kläglichen Reste Wählerstimmen, gewandelt in Mitspracherecht beim Sondierungspapier/Koalitionsvertrag, würden von Ihro Gnaden (wie bisher auch) zerrieben werden, die SPD zur echten Bedeutungslosigkeit verdammt. Was SPD und CDU unterscheidet ist Angela Merkel… eine Koryphäe auf dem Gebiet Machterhalt. Dagegen kommen die roten Amateure nicht an, außer ihnen wird Mitsprache suggeriert. Ich erwarte ein klares Groko-Nein der Basis, wenn in dieser noch ein Fünkchen Selbstwertgefühl und… Mehr

Reinhard Peda
6 Jahre her

„Die SPD weiß wieder einmal nicht, was sie will“

Ich geh dann mal würfeln. Vielleicht kommt dabei eine direkte Demokratie raus, die dann auch noch weis, was Sie will?

Es wird immer Lächerlicher.

Bernd
6 Jahre her

Werter Ierr Müller-Vogg ihre Lobhudelei auf diese (unsägliche) Kanzlerin und deren Lakeien-CDU können Sie sich sparen. In diesem Block werden die wohl kaum einen finden der Ihnen zustimmt.
Die SPD wird natürlich wieder in eine GroKo eintreten, was bei der nächsten Wahl dann aus ihr wird ist mir persönlich ziemlich egal. Da die Mehrheitsverhältnisse in der neuen Regierung nicht mehr so üppig sind wie in der letzten Legislatur, wo sich besonders in den Reihen der CDU Abweichler befanden bin ich mal gespannt wie lange das hält.

The Saint
6 Jahre her

Raffiniert, Herr Müller-Vogg. Sie suggerieren der SPD, dass eine GroKo schon nicht so schlimm werden würde und wissen dabei genau, dass die SPD dann auf das Niveau der Linken würde.