Russlands Erdgas und der neue Energie-Realismus in den Redaktionen

Ob "Zeit" oder "Bild", plötzlich gerät in den Blick, dass wer aus Kohle und Atomstrom aussteigt, anderswo einsteigen muss. Der Rückzug auf einen einzigen fossilen Rohstoff, nämlich Erdgas, bringt uns in eine ungünstige energiestrategische Situation und starke Abhängigkeit von Russland.

IMAGO / Future Image
Gastank in Bonn; 94 Prozent des hierzulande verbrauchten Erdgases müssen importiert werden

Der kalte Hauch künftigen Energiemangels hat die Redaktionsstuben erreicht. In der Zeit meint Theo Sommer „Wir brauchen die Atomkraft noch“ und bittet um Unterstützung von „Fachkundigen“, die Bild fürchtet um die weihnachtliche Wärme in den Wohnstuben.  

Langsam zieht Realismus in die Redaktionen ein.

Julian Röpcke, verantwortlicher Redakteur im Ressort Politik bei der Bild, macht sich im August Sorgen um die Wärme in den Wohnstuben. Ob ZEIT oder BILD, plötzlich gerät in den Blick, dass wer aus Kohle und Atomstrom aussteigt, anderswo einsteigen muss.

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Er liegt sicher nicht falsch damit, wenn er Peter Altmaier direkt anspricht. Wann, wo und wie Gazprom liefert, muss man allerdings Gazprom überlassen; so ist es, wenn man auf Einkaufstour gehen muss. Es gibt Verträge mit Gazprom und dem Vernehmen nach wurden sie bislang eingehalten. Ob Gazprom über Nordstream transportiert, über Jamal (durch Weißrussland, das wir doch auch gern sanktionieren wollen) oder über die Ukraine, ist am Ende nicht entscheidend, wenn die Liefermenge stimmt. Auch sollte es möglich sein, Kapazitäten bei Bedarf später zu buchen, da die Leitungen durch Weißrussland und die Ukraine offensichtlich nicht ausgelastet sind. Den europäischen Verbrauchern wird das relativ egal sein, solange der Gasdruck stabil und der Preis erträglich ist. Letzterer relativiert sich allerdings über die weltrettende deutsche CO2-Steuer. 

Halbvoll oder halbleer

Ungewöhnlich sind die in fast spätsommerlichen Zeiten nur halbgefüllten Erdgasspeicher schon. Das Gas ist weder knapp noch könnte es nicht transportiert werden, mehrere Faktoren führten zu dieser Situation. Es geht um Regularien seitens der EU, die die Entflechtung von Gasproduzenten und –transporteur für die Nordstream AG vorsieht. Nun wäre gesellschaftsrechtlich diese Teilung sicherlich zu leisten, aber Russland gehört nicht zur EU und klagt gegen diese Forderung. Dies ist offenbar erfolglos, aber vermutlich wird der Kreml die Möglichkeit zur Machtdemonstration nutzen, denn die EU ist auf das Gas angewiesen. Der Transport über Nordstream 2 ist billiger, aber dazu muss die Leitung zunächst in Betrieb gehen dürfen. Die Eigenförderung in Europa geht zurück und immer mehr Gaskraftwerke werden gebraucht, auch der Fuel-Switch, der Brennstoffwechsel von Kohle auf Gas, an bestehenden Anlagen treibt den Bedarf. Hochöfen, die perspektivisch Wasserstoff einsetzen sollen, werden zunächst auf Erdgas umgerüstet.

Mit dem Bedarf steigen die Preise, in den letzten 12 Monaten um das Vier- einhalbfache. Die Möglichkeit, auf andere Lieferanten zurück zu greifen, ist beim Röhrengas naturgemäß gering. Als strategische Redundanz bleibt, wenigstens für einen Teil des Bedarfs,  das per Schiff angelieferte LNG (Flüssigerdgas). Beim geplanten Terminal in Brunsbüttel gibt es wenig Fortschritt, dafür viel Widerstand. Die schleswig-holsteinischen Grünen stimmten zwar im Koalitionsvertrag dem Projekt zu, sind heute aber dagegen. Ihre militanten Fußtruppen von „Ende Gelände“ laufen sich vor Ort schon für kommende gewalttätige Aktionen warm. Der Koalitionsvertrag sei keine Bibel, heißt es in der Grünen-Landtagsfraktion. Man sieht auch daran, dass Zusagen von dieser Seite innerhalb eines Kompromisses nicht viel wert sind. Das als Hinweis für jene, die nach dem 26. September eventuell in Koalitionsverhandlungen mit Grünen eintreten. 

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Die Verengung des Energiemixes auf nur noch einen fossilen Energieträger bringt Abhängigkeit und außenpolitische Komplikationen. Die Souveränität, Menschenrechtsverletzungen in Lieferländern verurteilen zu können, wird dadurch eingeschränkt, zumal, wenn verschiedene Maßstäbe angelegt werden. Von Russland verlangen wir lupenreine Demokratie, gegenüber anderen Lieferländern wie Saudi- Arabien (das im Jemen bombt) und natürlich China haben wir eine deutlich höhere Toleranzschwelle. Vor allem islamische Staaten sind relativ sicher vor deutscher Kritik, da bleibt die Regenbogenflagge eingerollt.

Sägen am Ast

Das hindert aber nicht daran, selbst angehende Lieferanten zu verprellen. Marokko als Partner in einer 300 Millionen Euro schweren Wasserstoff-Allianz und eventuell künftiger (sehr künftiger) Lieferant des begehrten Gases wurde von unserem Außenminister präventiv düpiert, indem eine Einladung zu den Libyen-Konferenzen in Berlin unterblieb. Als Präsident Trump in den Verhandlungen zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel den Nordafrikanern die Gebietsansprüche auf die Westsahara bestätigte, sah sich Herr Maas zu öffentlichem Widerspruch genötigt, was die Schließung der deutschen Botschaft in Rabat zur Folge hatte. Seitdem liegt das Wasserstoffprojekt auf Eis und das Königreich verweigert die Ausstellung von Papieren für abzuschiebende illegale Marokkaner in Deutschland.

Ob die Gebietsansprüche berechtigt sind oder nicht – wir werden künftig mit Ländern, die uns Energieträger, -rohstoffe oder auch Strom liefern, politisch sehr vorsichtig umgehen müssen. Der moralische Zeigefinger zu Menschenrechten oder Emissionen sollte unten bleiben, nicht jedes Land liefert wie bisher Russland trotz stetig verlängerter Sanktionen einfach weiter. Wenn man am kürzeren Hebel sitzt, kann man schlecht nach Gutsherrenart agieren.

Abschließend für alle Redakteure und Hobby-Außenpolitiker der Hinweis: Die Russen haben von uns so wenig den Kohleausstieg gefordert wie die Franzosen den aus der Kernkraft. Der Rückzug auf einen einzigen fossilen Rohstoff, der die Grundlage unserer sicheren Stromproduktion bilden soll, bringt uns in eine ungünstige energiestrategische Situation und starke Abhängigkeit. In den Preisverhandlungen wissen die Lieferanten um die Lage Deutschlands, das bald mit dem Rücken zur Wand steht. Die Situation wird zunehmend prekär und hilft dem Klima in keiner Weise. Sie wurde von der Bundesregierung in vollem Bewusstsein herbeigeführt.  


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Kommentare ( 49 )

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49 Comments
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Dieter
2 Jahre her

Was viele noch nicht auf dem Schirm haben: China hat bereits jetzt weite Teile der Weltmarkt Gerste, Mais, Soja -Produktion des nächsten (..) Jahres aufgekauft.. Vor der 22°C Wohnung kommt das große Fressen. Die Russischen Energielieferungen werden laufen, notfalls zahlt unsere Regierung halt ein paar Mrd. Aufschlag und z.B. den verbrauch der Ukraine dazu – dann drehen die die Pipelines auch weit auf.(kann man ja auf den Bürger umlegen). Ich habe vor 3 Jahren eine klassische Ofenheizung eingebaut. Die Sorge das das Holz knapp wird teile ich nicht. Die jungen Deutschen würden sich bei der Handhabung einer Kettensäge ohne Youtube… Mehr

niezeit
2 Jahre her

Dilletantismus, Abstieg, Demütigung und Verzweiflung währen nie ewig. Irgendwann werden Hoffnung, Vernunft, Volk und Land sich wieder erheben. Trostspender müssen wir jetzt für uns selbst sein, den Geist klar und frei halten. Auf die Regierenden, die Leitmedien oder gar die Kirchenfunktionäre können wir nicht zählen.

Bernd W.
2 Jahre her
Antworten an  niezeit

Wenn man nur wüsste, dass man diese Bagage anschließend kräftig zur Verantwortung ziehen könnte. Doch dies wird (wieder mal) unterbleiben. Es ist so ein Elend…

Biskaborn
2 Jahre her

An der Deutschen Energiepolitik wird sich nichts, aber auch gar nichts ändern, lieber wird gefroren und der Strom mit allen Konsequenzen rationiert, aber der Kurs Richtung Alternative Energiequellen, seien sie auch noch so unzuverlässig und auch klimaschädlichen, der übereile Ausstieg aus der Atomenergie und Kohle wird nicht geändert. Wir leben in Deutschland, Realitäten werden ausgeblendet wenn es um die Klimaideologie geht!

Meykel
2 Jahre her

Wer glaubt, dass Menschen das Klima ändern können, was Unsinn ist, der muss unbedingt Atomkraftwerke betreiben.

Alles andere ist vollkommener Schwachsinn und wird so enden wie der Krieg in Afghanistan.

Was sagte doch Frau Merkel ganz richtig:
„Wir haben die Lage falsch eingeschätzt.“

StefanB
2 Jahre her

„Wenn man am kürzeren Hebel sitzt, kann man schlecht nach Gutsherrenart agieren.“

Das tangiert doch die „Guten“ nicht – sie wähnen zwar nicht die Realität, dafür aber die (Hyper-) Moral auf ihrer Seite. Und Abhängigkeiten können die ohnehin nicht erkennen, da sie ja bereits im „Eine Welt“-Modell leben, in dem es nur noch „Das Wir gewinnt“ gibt. Russisches Erdgas gehört demnach genauso „uns“, wie französischer Atom- und polnischer Kohlestrom. Das Geld der Deutschen gehört umgekehrt den Russen, Franzosen und Polen ebenso wie „uns“. #Internationalsozialismus – jedenfalls in den Köpfen der „Guten“.

Lutz M.
2 Jahre her

Man sollte die fossilen Brennstoffe ohnehin nur für den Übergang in den nächsten 15 Jahren sehen. Der Fokus sollte darauf liegen, wie wir möglichst schnell möglichst viele Atomkraftwerke an den Start bekommen. Früher oder später müssen wir ohnehin auf nicht endliche Energie setzen. Dadurch sind wir weniger abhängig vom Ausland und nach einer Umstellung auch kostengünstiger. Sogar bei zusätzlicher Nutzung von Wind und Solar. Ob wir das jetzt noch ein paar Jahrzehnte mit Gas herauszögern, macht den Braten nicht fett. Darum lieber gleich erledigen, mehr Freiheit gewinnen und Strompreise wie in Frankreich haben. Ich möchte es jedenfalls nicht als gesetzt… Mehr

ichhabefertig
2 Jahre her
Antworten an  Lutz M.

AKW , super Idee aber wer baut die uns ?
Wir haben 14 Jahre für einen mittleren Flughafen gebraucht.
Bevor das Kernkraftwerk fertig ist sind ja schon die Diesel LKWs verboten, wahrscheinlich machen wir es dann wie die alten Ägypter beim Pyramidenbau, halt nur mit Frauenbeauftragten.

H. Priess
2 Jahre her
Antworten an  Lutz M.

Der Ausstieg aus der Verwertung fossiler Rohstoffe wird noch Jahrzehnte brauchen. Bei Erdgas ist ein Ende nicht mal annähernd abzusehen, alles Prognosen, Modelle und Hochrechnungen. Momentan ist es bei uns so, daß Kraftwerkskapazitäten schneller abgebaut werden als durch alternative Energie ersetzt werden können. Irgendwann ist Schicht im Schacht. Natürlich wäre Kernkraft eine günstige Alternative besonders die neu entwickelten Thorium Reaktoren wären fast schon ideal, so lange man die Kernfusion nicht in den Griff bekommt, aber dar die deutsche Bevölkerung vor einem Tsunami/Erdbeben Angst hat so wie in Fukushima, wo der Gau im Kernkraftwerk in den Spätfolgen genau einen 1 !… Mehr

Roland Mueller
2 Jahre her
Antworten an  Lutz M.

Aber vor allem Atomkraftwerke, die wie in Beloyarsk den reichlich vorhandenen Atommüll verwerten können und damit Endlager überflüssig machen.

Sonny
2 Jahre her

Was Deutschland vor der Bundestagswahl wirklich dringend bräuchte, wäre der totale Blackout. Kein Strom, kein Gas, kein warmes Wasser, Kälteinbruch beim Wetter, keine funktionierenden Benzin-Zapfsäulen. Und das mindestens, bis die ersten Plünderungen anfangen und Waldstücke für den heimischen, wenn noch vorhandenen Kamin in der Nacht abgeholzt wurden. Wenn dies nicht passiert, werden die Deutschen folgendes tun: Nämlich gar nichts. Oma sagte: „Wer nicht hören will, muss fühlen“. Genauso sehe ich das heute auch. Und bis der letzte Hirnamputierte f ü h l t, vergeht ohne den Blackout noch einige Zeit, in der Deutschland komplett zerstört werden kann. Und Deutschland bedeutet… Mehr

Last edited 2 Jahre her by Sonny
horrex
2 Jahre her
Antworten an  Sonny

So ist es! Angesichts solcher hirnlosen Begeisterung PLUS der „Beliebigkeit“ der Politik der letzten „Epoche“ muss man sich fragen ob da nicht womöglich sogar eine tiefe Sehnsucht nach „Klarheit“, nach einem „starken Mann“ dahinter steckt. – Eine andere etwas weniger „dramatische“ Möglichkeit wäre, wie ein Freund es gerne formuliert: Ist es vielleicht so, dass „das Volk“ zwar rein garnix von dem versteht was da passiert, was ihm von dieser Politik geboten/angetan wird, aber dafür einen ziemlich guten Instinkt dafür hat wenn es von vorne bis hinter verar … wird??? Was gegen den „Instinkt“ widerum spricht ist, dass ein so aalglatter… Mehr

Sabine Ehrke
2 Jahre her

Derweil tanzen nackte, bunte Gestalten, oben ohne, zu 100.000en über Berliner Straßen und jubeln sich, ihren Führern und den uns ‚Geschenkten‘ zu, wärend die wenigen noch Denkenden niedergeknüppelt weiter für zuvor genannte buckeln. Es sieht so aus, als hätten es die Deutschen nicht anders verdient.

pcn
2 Jahre her

Unsere sogenannte Regierung springt mit Putin ähnlich um, oder besser will umspringen, wie mit den ungeimpften Bürgern, denen man in Feudalmanier mal soeben die Grundrechte wegnehmen kann. Nur mit dem einen Unterschied, dass sich eine atomare Weltmacht wie Russland nicht so einfach an die Wand drücken lässt. Schon lange nicht von solchen Dilettanten und Großkotzen, wie wir sie hier leider als Deutsche ertragen müssen.

horrex
2 Jahre her
Antworten an  pcn

Ich erinnere in diesem Zusammenhang mal an Gabriele Krone-Schmalz die leider viel zu wenig gelesen und als so erfahrene wie unliebsame Klardenkerin „eliminiert“ wurde. –

Cluny
2 Jahre her
Antworten an  pcn

„… wie wir sie hier leider als Deutsche ertragen müssen.“ Gewählt haben, gewählt haben…!

alter weisser Mann
2 Jahre her

Unsere Politik ist tatsächlich auf dem Niveau angekommen, auf dem man meint, selbst ober via EU, die Staaten erziehen oder zu irgendeinem Wohlverhalten nötigen zu können, deren Lieferungen oder Mitwirkung in verschiedenen Fragen man nächstens wieder bitter nötig braucht. Und da man auch andere Felder mit größtmöglicher Ignoranz beackert, verstärkt man gleichzeitig das Nötighaben (durch panisches Abschalten von Alternativen) und das Erziehenwollen. Und bitte keine falschen Hoffnungen, das wird nach Merkel kein Stück besser werden sondern eher noch schizophrener, denn die Grünen glauben im Zweifel sogar, dass aufs Erdgas auch verzichtet werden kann und von einem härteren Kurs hat die… Mehr

horrex
2 Jahre her
Antworten an  alter weisser Mann

Zutreffend!
Oder wie ich hier seit Jahren formuliere „wie werden womöglich ganz unten durch müssen“ … wenn kein Wunder geschieht. –