Nach dem Brexit die anglophone Allianz

Die Interpretation des Brexit als Riesen-Fehler kann bald der Erkenntnis weichen, dass die Briten es trotz aller mit dem Austritt kurz- und mittelfristig einhergehenden Probleme in langfristiger Perspektive richtig gemacht haben.

BRENDAN SMIALOWSKI/AFP/Getty Images
Boris Johnson und Donald Trump 2017 bei der UN in New York

In Irland und Großbritannien genießt gerade der frühere irische Diplomat Ray Bassett große Aufmerksamkeit. In einem Buch spricht er deutlich aus, was seit dem Brexit als Entwicklung absehbar ist: „Trotz des kurzfristigen, überspannten Benehmens der Trump-Regierung ist das Entstehen einer englischsprachigen nordatlantischen Handelszone sehr wahrscheinlich, die die USA, Kanada und Großbritannien umfasst.“ („Despite the short-term quixotic behaviour of the Trump administration, there is every possibility of the emergence of an Anglophone North Atlantic free trade area, encompassing the USA, Canada and Britain.“) Basset plädiert dafür, dass sich auch Irland dieser englischsprachigen Allianz anschließen solle. 

Dass Donald Trump es will, ist kein Geheimnis: Ein Freihandelsblock mit dem einstigen Mutterland Großbritannien ist schon länger sein erklärtes Ziel. Nach Boris Johnsons Wahlsieg im Dezember 2019 twittert der Präsident: „Britannien und die Vereinten Staaten werden jetzt frei sein, einen großen neuen Handelsvertrag zu schließen nach dem BREXIT. Dieser Deal hat das Potential viel größer und lukrativer zu sein als jeder Vertrag mit der EU.“

— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) December 13, 2019

Trump neigt zu großspurigen Superlativen. Aber er dürfte hier richtig liegen. Die USA sind schließlich wirtschaftlich (und sicherheitspolitisch erst recht) ein größerer Partner als die EU. Die USA erwirtschafteten laut Weltbank 2019 ein Bruttoinlandsprodukt von 21,428 Billionen Dollar. Das der EU (inklusive UK) entsprach 2019 nur 15,593 Billionen Dollar. 

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Entscheidender als diese Zahlen ist aber der kulturelle Unterbau, das eigentliche Fundament dieses künftigen Freihandelsraumes. Man muss das gar nicht lange erklären. Hier kommt nun auch wirtschaftlich zusammen, was zusammen gehört. Die gemeinsame Sprache und die gemeinsamen historischen Wurzeln im Britischen Weltreich reichen immer noch tief – auch wenn sich längst der Schwerpunkt der anglophonen Welt in westlicher Richtung über den Atlantik verschoben hat. 

Letztlich dürfte auch kaum entscheidend sein, ob nun Trump US-Präsident bleibt oder nicht. Zwar wird Johnson oft als eine Art Miniatur-Trump verspottet. Aber aus Londoner Regierungskreisen wird auch berichtet, dass Johnson sich von einem Präsidenten Joe Biden weniger turbulente, unkompliziertere Verhandlungen erwarte. Das könnte durchaus realistisch sein. Biden könnte wohl eher ein Auge zudrücken als Trump, wenn es etwa um den britischen Marktzugang für den chinesischen Netzausstatter Huawei oder andere Interessendivergenzen geht.

Aufforderung zur Auswanderung aus Hongkong
London versus China – ein kalter Krieg der Worte und Nadelstiche
Noch stehen in der britischen und vor allem in der kontinentaleuropäischen Öffentlichkeit für Johnson und Großbritannien die Brexit-Verhandlungen mit der EU im Zentrum der Aufmerksamkeit. Und noch hält das in Brüssel und den politischen Betrieben in Paris und Berlin ebenso wie in den Medien gepflegte Narrativ vom Brexit als Katastrophe für Großbritannien. Beim Blick auf das, was einem Netto-Beitragszahler-Land in der EU – und dazu gehörte Großbritannien – künftig alleine durch das Coronahilfspaket bevorsteht, könnte diese Interpretation des Brexit als Riesen-Fehler bald der Erkenntnis weichen, dass die Briten es trotz aller mit dem Austritt kurz- und mittelfristig einhergehenden Probleme in langfristiger Perspektive richtig gemacht haben.

Der Brexit wird eines nicht allzu fernen Tages wohl nicht mehr als fataler Irrtum eines renitenten Inselvolkes, sondern als Korrektur eines nur einige Jahrzehnte andauernden Holzwegs der britischen Geschichte erkannt werden. Und vermutlich werden sich irgendwann auch die beiden anderen großen Nachfolgestaaten des britischen Weltreichs, Australien und Neuseeland, der anglophonen Handels-Allianz anschließen. Dann wäre auch handelspolitisch vollzogen, was auf anderen Feldern, vor allem der Sicherheitspolitik, schon längst praktiziert wird: ein enger Schulterschluss der USA mit dem Vereinigten Königreich und den früheren britischen Dominions Kanada, Australien und Neuseeland, der sich etwa in der halboffiziellen Geheimdienstkooperation „Five Eyes“ manifestiert.

In Washington und London gibt es immer noch genug Handelnde an den entscheidenden Stellen, die instinktiv wissen, welche internationalen Verbindungen im Ernstfall einigermaßen belastbar sind. Im Gegensatz zu Berlin, wo allein schon das Nachdenken über solche Fragen als unanständig betrachtet wird. 

Anzeige

Unterstützung
oder