In dieser Koalition spielt die Freiheit allenfalls eine Nebenrolle

Vor vier Jahren behauptete Christian Lindner: „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“ Offenbar hat er seine Meinung geändert. So wie es aussieht, wird seine FDP zwar mitregieren, aber so gut wie nichts für die Freiheit ausrichten. Und er gibt das implizit sogar zu.

IMAGO / Stefan Zeitz
FDP-Chef Christian Lindner bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages am 24.11.2021 in Berlin

Die Pressekonferenz zur Vorstellung des Koalitionsvertrages war schon in der Besetzung vielsagend: Drei SPD-Politiker standen da auf der Bühne, zwei Grüne und ein FDP-Politiker. Das dürfte in etwa die Machtverhältnisse in der neuen Regierung widerspiegeln. Und dazu die Willy Brandt verballhornende Parole „Mehr Fortschritt wagen“ auf der Leinwand.

Warum hat FDP-Chef Christian Lindner nicht wenigstens darauf bestanden, dass auch noch ein zweiter FDP-Politiker da oben stehen durfte? Womöglich weil allein die Tatsache, in seiner eigenen Partei unangefochten an der Spitze zu stehen, Lindner über seine Nebenrolle in dieser „Ampel“ hinwegtrösten kann.

Lindners Aussagen bestätigten dann diesen Eindruck der Nebenrolle. Es war der Auftritt eines Mannes, der seine eigene Marginalisierung beziehungsweise die seiner Partei zu vertreten hatte. Und er gab sich auch keine erkennbare Mühe, dies zu kaschieren. Da steigt ein künftiger FDP-Regierungspolitiker nicht mit einem Freiheitsversprechen in seinen ersten großen Auftritt ein, sondern mit der Aussicht auf „Dekarbonisierung des Lebens“ und der Phrase von einer „Gemeinsamkeit“ der Koalitionäre, „den Status quo überwinden“ zu wollen. Weiß er, dass „Fortschritt“ um der reinen Veränderung willen kein liberaler Wert ist? Von Fortschritt sprachen stets am liebsten antiliberale Sozialisten.

FDP-Regierung ohne liberale Politik
Als ob er seine eigene und die Schwäche der FDP in der künftigen Regierung den Zuhörern explizit klarmachen wollte, sagte Lindner wörtlich: „Sozialdemokraten und Grüne können jetzt stolz sein, auf das, was sie in diesen Koalitionsvertrag hineinverhandelt haben. Für die FDP will ich sagen, dass wir auch unsere Beiträge zum Gelingen leisten werden.“ Vom Stolz der Freien Demokraten sprach er nicht. Keine zentrale liberale Botschaft, kein Projekt der Freiheit kann Lindner anführen. Fast schon karikaturenhaft erscheint seine Phrase von einer „Regierung der Mitte, die das Land nach vorn führt“. Und dann sagt er noch für den allerletzten, dem bisher nicht aufgefallen ist, dass selbst das zentrale Wahlversprechen der FDP – nämlich das Ausschließen von Steuererhöhungen – im Koalitionsvertrag von den stolzen Sozialdemokraten und Grünen wegverhandelt wurde: „Wir sind keine Koalition des Ausschließens, sondern der komplementären Politik.“ Die FDP konnte den beiden anderen Partnern also nichts Wichtiges abhandeln.

Vor fast genau vier Jahren, am 20.11.2017, hatte Lindner die Jamaika-Koalitionsverhandlungen abgebrochen, weil in dem Papier, das diese hervorbrachten, „unser Einsatz für die Freiheit des Einzelnen nicht hinreichend repräsentiert“ gewesen sei. Den Auftritt empfiehlt es sich noch einmal anzusehen. „Wir werden unsere Wählerinnen und Wähler nicht im Stich lassen“, sagte Lindner damals in die Fernsehkameras. Man stehe eben „für unsere Prinzipien, für unsere Haltung“ ein. Und jetzt?

Das Wort „Freiheit“ steht zwar unter dem Motto „Mehr Fortschritt wagen“ in der Unterzeile auf der Titelseite („Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“), aber dann taucht es erst auf Seite 102 von 177 zum ersten Mal im Text auf. Und dann auch nur im Zusammenhang mit widerstreitenden Zielen wie Sicherheit und Gleichstellung. Da geht es letztlich also um die Einschränkung der Freiheit:

„Freiheit, Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit sind die Grundlagen für das friedliche Zusammenleben in Deutschland. Wir stellen uns allen verfassungsfeindlichen, gewaltbereiten Bestrebungen und Verschwörungsideologien entschieden entgegen. Leben in Freiheit braucht Sicherheit. Unsere Verantwortung ist die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger. Dafür die Sicherheitsbehörden, den Bevölkerungsschutz und die Justiz. Sicherheitsgesetze und deren Auswirkungen auf Bürgerrechte werden wir im Lichte der technischen Entwicklung einer unabhängigen wissenschaftlichen Evaluation unterziehen.“

Ein einigermaßen eindeutiges Freiheitsversprechen steht nur auf Seite 109 in dem Satz: „Zum Schutz der Informations- und Meinungsfreiheit lehnen wir verpflichtende Uploadfilter ab.“

Auch bei der Pressekonferenz nahm Lindner das Wort, das seiner Partei den Namen gibt und im Zentrum des Denkens und Handeln aller bisherigen Liberalen stand, nur einmal in den Mund. Als er nämlich ganz zu Anfang appellierte, sich impfen zu lassen und die persönlichen Kontakte einzuschränken, „damit wir die Freiheit der Gesellschaft bewahren und die Gesundheit von uns allen schützen können“.

Lindner und seine FDP regieren nun also doch. Sie erhalten Minister- und Staatssekretärsposten mit großen Büros, guter Versorgung und stattlichen Dienstwagen. Aber von ihren Prinzipien, also von der Freiheit ist keine Rede mehr. Was aus Parteien wird, die nach diesem Muster der Selbstentkernung regieren, können Lindner und seine Parteifreunde bei der Union besichtigen.

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Kommentare ( 64 )

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MartinKienzle
2 Jahre her

Liberalismus und Sozialismus sind die zwei Seiten einer Medaille, insofern, dass beide die Auflösung sämtlicher Strukturen forcieren, da sie dem fundamentalen Irrtum aufsitzen, dass jene dem Menschen ein Joch umlegen würden, das diesem wiederum ein unterdrücktes Leben bescheren würde; vor diesem Hintergrund kann sich die permanente Enttäuschung über die FDP respektive über Lindner lediglich aus der Unwissenheit über die ideengeschichtlichen Grundlagen des Liberalismus speisen. Kurzum: Die FDP ist der ideale Partner der selbsternannten “Koalition des Fortschritts“, die aber in Wahrheit eine “Koalition der Aufhebung“ ist, das durch das Wort “Transformation“, das im neuen Koalitionsvertrag nicht ohne Hintergedanken zigfach erscheint, exakt… Mehr

Dorn
2 Jahre her

Lindner hat kein Nervenkostüm, Harbeck auch keins, die zukünftige Praktikantin im Außenministerium erst recht nicht von den anderen brauchen wir auch nicht anfangen. Es ist nur ein völlig unwichtiges Papier (PAPIER!.. wie vereinbaren die Grünen dies mit ihrer moralischen Position nur?) unterschrieben worden, gewählt und im Amt ist noch keiner. Olaf Scholz mit seinem Streitern, angetreten zum scheitern, werden schon mit 0:3 im Rückstand ihre Ämter antreten. Allein schon die Wahl von Scholz zum Bundeskanzler wird die ersten Risse in dieser Koalition, jenseits des begreifbaren Verstandes, aufzeigen. Mit etwas Glück hält diese Absurditätensammlung von Lügnern, Selbstdarstellern und schlicht Gescheiterten genauso… Mehr

Fsc
2 Jahre her

Das ist eben eine moderne Interpretation von Freiheit:
Freiheit von Wohlstand
Freiheit von Mobilität
Freiheit von Sicherheit
Freiheit von Grundrechten
Freiheit von eigener Meinung
Freiheit von politischer Repräsentanz

We’ll simplify your life!
Arbeitet, zahlt Steuern & Abgaben und haltet die Klappe. Das denken nehmen wir Euch ab.
That’s modern life.
Tschüß Deutschland, war schön mit Dir!

Old-Man
2 Jahre her

Alles was sie hier schreiben kann Ich exakt genauso sehen. Als ehemaliger FDP Stammwähler habe Ich dieses mal nicht FDP gewählt, denn es war von Anfang an klar : wer FDP wählt bekommt Rot-Grün, mit der FDP als Anhängsel und Feigenblatt für liberale Werte!. Nun ist Lindner zum Verräter der liberalen Grundwerte geworden, Ich habe damit gerechnet, aber wollte es eigentlich nicht glauben. Am Ende hat der Machthunger gepaart mit der Aussicht der Vorteile auf lange Sicht für Lindner und seine Mitstreiter über Wahlaussagen und Zusicherungen gesiegt, aber nur dieses eine Mal, denn in vier Jahren, oder sogar früher wird… Mehr

Sokrates
2 Jahre her

Was unterscheidet CDU, CSU:

  1. Annette Schavann nach Plagiatsaffäre: zurückgetreten
  2. K.-T- zu Guttenberg nach Plagiatsaffäre: zurückgetreten

von Grünen:

  1. Annalena Baerbock nach Plagiatsaffäre: Bundesaußenministerinn

von SPD:

  1. Franziska Giffey nach Plagiatsaffäre: Berliner Bürgermeisterinn

und die FDP schweigt

Michaelis
2 Jahre her

Christian Lindner ist ein Getriebener, ein Armseliger, dem es am Ende wohl nur noch darum ging, seinen Finanzministerposten zu ergattern. Die FDP hat (einmal mehr) gezeigt, dass ihre Wahlpropaganda nicht viel mehr vermag als die Menschen (erfolgreich) zu täuschen. Wieviel muss man in diesem Drecksland eigentlich noch ertragen????

Peter H.
2 Jahre her

Nun ja , das die FDP nur der Wasserträger der Rot Grünen Bundesregierung ist , war ja klar und nun dürfte es dem letzten Wechselwähler der jetzt die FD P wählte klar sein .

Nach meiner Meinung ist diese Ampel das Ende der FDP, die nach dem Ende dieser Koalition, entweder in 4 Jahren oder vielleicht früher , hochkantig aus dem Bundestag fliegt , darauf wette ich !

Jomenk
2 Jahre her

Die angestrebteTransformation unserer Gesellschaft ( in was auch immer ) kann nur in Unfreiheit gelingen. Das Recht auf Freiheit bedeutet Widerstand. Diesen gilt es unter allen Umständen zu vermeiden. Nur unter Zwang können die angestrebten Ziele realisiert werden. Niemand wird sich z.B. freiwillig ein Windrad vor die Haustür stellen lassen. Das wird aber passieren, da sonst für die angestrebte Anzahl an Windkraftanlagen einfach der Platz fehlt. Es wird sich auch niemand vorschreiben lassen, wann er seine Wäsche wäscht. Ich sehe schon eine App auf meinem Handy, durch die mir der Staat mitteilt, wann ich waschen darf und wann nicht. Es… Mehr

Rifugio Auronzo
2 Jahre her

Viele konservative Journalisten schreiben nun, dass die FDP ihre Standpunkte in dieser Koalition verrate. Ich sehe das ganz anders: die Standpunkte der FDP haben sich in den letzten Jahren soweit nach links verschoben, dass gelbe Themen von grünen Themen kaum noch zu unterscheiden sind. Klar, Opportunisten wie Lindner haben das geschehen lassen, aber Leute wie Lambsdorff oder Strack-Zimmermann haben aktiv an der Linksverschiebung gearbeitet. Liberal ist bei der FDP nur noch Einwanderungs-, Drogen- und Identitätspolitik. Bei Bürgerrechten, Staatsquote, Neutralitätsgebot und Verteilungspolitik hat man sich schon lange von wirklich libertären Werten verabschiedet (außer beim Wahlkampf; da ködert man gerne noch ein… Mehr

Mausi
2 Jahre her

„Sozialdemokraten und Grüne können jetzt stolz sein, auf das, was sie in diesen Koalitionsvertrag hineinverhandelt haben. Für die FDP will ich sagen, dass wir auch unsere Beiträge zum Gelingen leisten werden.“
Unsere Beiträge zum Gelingen – dessen, was SPD und Grüne hineinverhandelt haben. Die armen FDP Wähler.

Michaelis
2 Jahre her
Antworten an  Mausi

Das war die Täuschung, und sie ist der FDP gelungen. Jetzt zählen nur noch die angeblich jungen FDP-Wähler, die Alten sind als nützliche Idioten abgehakt.