Das trotzige Glaubensbekenntnis der großen Multilateralen

Merkel, von der Leyen, Guterres und Macron: Ein Staraufgebot der internationalen Politik bekennt sich in einem gemeinsamen Beitrag nicht nur zur "multilateralen Kooperation", sondern offenbart auch, wie erfahrungsresistent und bürgerfern ihre Vorstellung vom "Krisen Überwinden" ist.

IMAGO / Pacific Press Agency
Angela Merkel, Ursula von der Leyen, António Guterres

Das Autorenkollektiv selbst ist sicher die eigentliche Botschaft des Textes: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Uno-Generalsekretär António Guterres, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, EU-Ratspräsident Charles Michel, dazu noch der senegalesische Präsident Macky Sall. Ein Staraufgebot der internationalen Politik hat für die FAZ und andere Zeitungen seine Pressestäbe in die Tasten greifen lassen: „Mit multilateraler Kooperation die Krisen überwinden“ lautet die Überschrift. 

Warum jetzt ein solcher Beitrag mit einem derartigen Aufgebot an mächtigen Namen? Wenn die „multilaterale Kooperation“, für die die Autoren einstehen, die Krisen tatsächlich überwänden, wäre er wohl überflüssig. Taten sprechen für sich. Offenbar hielten Merkel, von der Leyen und Co diesen international verbreiteten Beitrag gerade jetzt für notwendig, da sich die Schwächen der multilateralen Kooperation bei der Lösung eines akuten Problems deutlicher als kaum je zuvor offenbaren: Die multilaterale EU hat bei der Beschaffung von Impfstoff versagt, während sich der kleine Nationalstaat Israel und das frisch aus der EU ausgetretene Großbritannien als sehr viel handlungsfähiger erweisen. 

Also müssen statt der Taten eben doch Worte für den Multilateralismus als großen Krisenüberwinder sprechen. Und so wirkt das zentrale Glaubensbekenntnis der sechs Autoren wie ein trotziges jetzt-erst-recht: „Wir glauben, dass die pandemische Krise eine Gelegenheit sein kann, durch effiziente Zusammenarbeit, Solidarität und Koordination wieder einen Konsens über eine internationale Ordnung zu erzielen – eine Ordnung, die auf Multilateralismus und Rechtsstaatlichkeit beruht.“ 

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Die Kanzlerin musste man zu dem Projekt vermutlich nicht lange überreden. Da ihre Corona-Politik und vor allem das von ihr mit zu verantwortende EU-Impf-Versagen mittlerweile selbst ihre bisher treusten Unterstützer in den Medien zu allmählicher Kritik zwingt, kann Merkel ein deutliches Signal der Geschlossenheit mit anderen Mächtigen gut gebrauchen. Außerdem: Unter den Lieblingsworten der Bundeskanzlerin nimmt „Multilateralismus“ eine besondere Spitzenstellung ein. Wenn man überhaupt so etwas wie eine politische Überzeugung bei ihr suchen kann, dann wird man vielleicht am ehesten hier fündig. Es ist ein zentraler Begriff für Merkels politisches Handeln und vor allem ihre Selbstdarstellung, eine Art Leitnarrativ der Spätphase ihrer Kanzlerschaft. 

Multilateralismus sei „unabdingbar für eine gedeihliche Entwicklung“, alles andere führe „ins Elend“, sagte sie zum Beispiel 2019 beim WEF-Forum in Davos. Was sie darunter versteht, hat Merkel 2018 im Bundestag (und in ähnlicher Diktion auch mehrfach andernorts) mit einer Neudefinition der nationalen Interessen zusammengefasst: „Ich glaube, wir sollten unsere nationalen Interessen jeweils so verstehen, dass wir die Interessen anderer mitdenken und daraus Win-Win-Situationen machen, die die Voraussetzung für multilaterales Handeln sind.“  Nach den Erfahrungen mit der EU-gemeinsamen Impfstoffbestellung muss man wohl feststellen, dass durchaus auch Lose-Lose-Situationen dabei herauskommen können

Die multilateralen Argumente des Gastbeitrags, etwa die Behauptung der „Immunisierung als globales öffentliches Gut“ haben es jedenfalls schwer gegen die offenkundig größeren Krisenüberwindungsfähigkeiten der genannten souveränen Nationalstaaten (man könnte auch noch Korea und Japan dazu nennen). Die sechs Weltenlenker behaupten: „Im Angesicht einer Pandemie ist unser Gesundheitsschutz nur so stark wie das schwächste Glied in der globalen Kette. Ist auch nur ein Ort in der Welt von Covid-19 betroffen, sind Menschen und Volkswirtschaften allerorten gefährdet.“ Nehmen diese sechs mächtigen Autoren tatsächlich nicht wahr, dass sogar innerhalb großer Länder die Betroffenheit von der Pandemie sehr unterschiedlich ist? Vielleicht will man das lieber nicht. Natürlich haben Merkel und vor allem Ursula von der Leyen im Angesicht des von ihnen zu verantwortenden Impfdesasters ein ganz handfestes Interesse daran, den absurden Glauben zu verbreiten, dass „unser eigener Gesundheitsschutz“ von dem „schwächsten Glied in der globalen Kette“ abhängig sei. Denn das lässt sich sicher irgendwo jenseits ihrer Zuständigkeit finden. 

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Aber die Autoren dürften eben auch nicht nur auf die argumentative Durchschlagskraft ihr Argumente setzen, die im Text ohnehin eher nebensächlich sind. Die Botschaft ist vielmehr: Es gibt keine Alternative, weil wir es wollen. So ist dann wohl auch der Schlussabsatz zu verstehen, der erstaunlich deutlich macht, wie sich die sechs mächtigen Multilateralisten die Überwindung der Krisen konkret vorstellen: 

„Die Welt wird nach Corona eine andere sein. Lassen Sie uns verschiedene Foren und Möglichkeiten wie das Pariser Friedensforum nutzen, um diese Herausforderungen mit einer klaren Zukunftsvision zu bewältigen. Wir laden Führungspersönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Religion und anderen Bereichen ein, sich an diesem globalen Gedankenaustausch zu beteiligen.“

Nicht der demokratische Souverän, nicht die Bürger also sind „eingeladen“, durch ihre Wahlentscheidungen und ihr freies Handeln diese andere Welt nach Corona zu bestimmen. Nein, „Führungspersönlichkeiten“ sollen ihre Gedanken „global“ austauschen. Und zwar auf Emmanuel Macrons Friedensforum. Nach Belegen für die Bürgerferne der politischen Klasse muss man derzeit wahrlich nicht lange suchen. Sie stellt sie offen zur Schau. 

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Kommentare ( 66 )

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Boudicca
3 Jahre her

Merkel bringt sich in Stellung für Guterres Nachfolge.

Robert Tiel
3 Jahre her
Antworten an  Boudicca

Wenn in Deutschland jetzt ein Kanzler von Merkels Gnaden „gewählt“ wird, Merkel, was ich auch denke, den UN-Generalsekretärsposten anstrebt, dann sitzt sie im Prinzip auf dem Sessel des Kanzlers, der EU Kommissionspräsidentin und des UN Generalsekretärs.
Sowas bekommt man ganz alleine hin…?

Boudicca
3 Jahre her
Antworten an  Robert Tiel

Sie hat einen großen Mitarbeiterstab und noch Zugriff auf die größte Steuerkasse Europas.

Ulrich
3 Jahre her
Antworten an  Boudicca

Dann hat sie den Schuss nicht gehört, der von Russland und China am Ende der deutschen Mitgliedschaft im Sicherheitsrat abgegeben wurde. Beide Vertreter brachten unter Nichtberücksichtigung diplomatischer Gepflogenheiten unmissverständlich zum Ausdruck, dass Deutschland keinen ständigen Sitz im Sicherheitsrat erhalten wird. Man kann sicher sein, dass in beiden Staaten das autoritäre Gehabe der Gottkanzlerin im eigenen Lande gut geobachtet wird. Merkel als Guterres Nachfolger: da würden bei ihr wohl die letzten Hemmungen fallen.

Boudicca
3 Jahre her
Antworten an  Ulrich

So fern sie je solche hatte.

Betreutes Denken
3 Jahre her
Antworten an  Boudicca

Das ändert aber nichts weiter. Es würde lediglich der eine Marxist durch die andere Marxistin-Leninistin ersetzt. Man muss aus diesen zutiefst korrupten Organisationen wie z.B. WHO, etc. austreten. Die sind nämlich nicht reformierbar. Trump hatte das übrigens erkannt und die Konsequenzen daraus gezogen.

Boudicca
3 Jahre her
Antworten an  Betreutes Denken

Die Transformation in ein sozialistisches Utopia wird noch weiter beschleunigt, zumindest in Deutschland. Sie wird dann die „Gefallen“ einfordern.

Juergen Schmidt
3 Jahre her
Antworten an  Boudicca

„Merkel bringt sich in Stellung für Guterres Nachfolge.“
Nicht nur das, ihr ganzes Vorgehen und Handeln, seit Jahren, ist eine einzige Bewerbung für den Posten als UN-Vorsitzende.

Boudicca
3 Jahre her
Antworten an  Juergen Schmidt

Sie versucht sich einen Posten zu sichern, der sie nicht in die Bedeutungslosigkeit eines Altkanzlers verbannt.

w.k.
3 Jahre her

Kafkas „Schloss“ wird nun global.

Flavius Rex
3 Jahre her

Es geht nur darum Macht auszuüben ohne Verantwortung zu tragen.

Die Beschaffung und Organisation des Coronaimpfstoffs zeigen die Gefährlichkeit des Konzepts Verantwortung: wenn es einmal in 16 verlorenen Merkeljahren um tatsächlich messbare Ergebnisse geht zeigt sich die völlige Inkompetenz Merkels.

Das Spiegelbild des globalen Kollektivismus im Kleinen ist übrigens der Team-Kult in vielen Firmen. Auch dort will niemand Verantwortung tragen.

Ulrich
3 Jahre her

Vielleicht habe ich da etwas überhört beim lauten Corona-Donner. Was prädestiniert den senegalesischen Präsidenten für diese Aktion? War der zufällig gerade in Paris und hat außer einem neuen Vertrag über französische Einmischung in seinem Land auch den FAZ-Artikel unterschrieben, den Macron auf seinem Schreibtisch zufällig vergessen hatte?

Flavius Rex
3 Jahre her
Antworten an  Ulrich

Na, Black History Month ist doch gerade …

ludwig67
3 Jahre her

Die Hauptvorteile von „Multilateral“ für die politische Klasse sind: Die Möglichkeit jede Form der Verantwortlichkeit zu vermeiden, wie man jetzt sehr gut an Söder sehen kann, der wegen der Impfstoffbeschaffung auf Uschi „losgeht“ (Bild). Die Anschluss- oder Alternativverwendung für sich und seine politischen Freunde in supranationalen Organisationen und deren Gliederungen. Die Möglichkeit sich und seine politischen Freunde aus der Schusslinie zu nehmen wenn es mal eng wird. Da wird fix irgendwo unter dem Radar ein schöner und gut dotierter Job in Brüssel, Genf oder New York gefunden. Die Monetarisierung von Zugang nach Amtsende (Pay for Play) an den Meistbietenden oder… Mehr

lube
3 Jahre her

In der DDR hieß es proletarischer Internationalismus, meinte aber das selbe
Bonzen verteilen unser Geld an andere Länder

horrex
3 Jahre her
Antworten an  lube

Exakt so ist es!!!
Übrigens: Nur mir scheint aufzufallen, dass der Begriff „Pakt“, spätestens seit M. an der Macht ist, im deutschen Sprachgebrauch um sich gegriffen hat. Ich jedenfalls assoziierte 50 Jahre lang unter „Pakt“ ausschließlich Konstrukte des „Ostens“, z.B. den „Wahrschauer Pakt“. Heute wird er im deutschen Sprachgebrauch für alle möglichen Konstrukte verwendet die aber allesamt einen sozialistischen touch haben. –

Betreutes Denken
3 Jahre her

Der Traum vom Endsieg ist bei den Multilateralisten offenbar noch nicht ausgeträumt. Welch intellektuell erbärmliche Figuren!

Sagen was ist
3 Jahre her

„das zentrale Glaubensbekenntnis der sechs Autoren ist ein trotziges jetzt-erst-recht: „Wir glauben, dass ….“

Die Nomenklatura handelt GeWissenlos jeden gottverdammten Tag – denn

Glauben heisst NICHT Wissen

Thorsten
3 Jahre her
Antworten an  Sagen was ist

Das Mantra aller „Gläubigen“: wenn es nicht geklappt hat, dann hat man zuwenig Einsatz gezeigt. Also noch eine Schippe drauflegen.
Das der „Plan“ oder die „Theorie“ nicht funktioniert ist ja unmöglich …

horrex
3 Jahre her
Antworten an  Thorsten

So ist es.
Das alte „Heimwerker-Verfahren“: Wenn die Schraube(sic!) nicht mit dem kleinen Hammer in die Wand geht, dann nimmt man halt nen Größeren, und noch nen Größeren. Bis die Mauer einstürzt. Und dann ist selbstverständlich die MAUER schuld. Niemals aber das falsche Werzeug!

Dr. Michael Kubina
3 Jahre her

Es fällt immer schwerer, gegen die Bilderberg-Verschwörungs-Gläubigen zu argumentieren. Tortzdem bin ich mir sicher, es ist nur Größenwahn von psychisch gestörten.

Flavius Rex
3 Jahre her
Antworten an  Dr. Michael Kubina

Was heißt hier NUR Größenwahn? Diese Leute haben ganz real enorme Macht, genug davon jedenfalls um die Welt und unser aller Leben zu ruinieren.

spindoctor
3 Jahre her
Antworten an  Dr. Michael Kubina

Wer gegen etwas, was ist, versucht zu argumentieren, ist der Verschwörungsgläubige(m/f/d).

Wilhelm Roepke
3 Jahre her

Tja, Macron wirbt für seine Wiederwahl und Merkel will Generalsekretärin werden. Ist zwar UNO, aber egal. Generalsekretär war für jedes Mitglied von SED, FDJ oder KPdSU schon immer die höchste Instanz. Hat sich bei ihr nichts geändert…

EinBuerger
3 Jahre her

Merkels Gerede kommt in Deutschland sicher gut an. „Wir müssen alle zusammen halten. Wir dürfen nicht egoistisch sein.“
Wie sich das auswirkt, merkt man erst nach Jahren. D.h. jede Seite kann jahrelang sagen, dass sie Recht hat.
Ich glaube bei China war sehr lange das Motto, dass mit dem Handel sich auch das politische System ändert. Dieses Motto gilt heute als zu „blauäugig“. („Wir waren alle zu blauäugig.“) D.h. selbst wenn sie nachweislich total falsch gehandelt haben, hat es keine Auswirkungen für sie.