Von lahmen Enten und gelähmten Parteien

Die Union hat sich von Merkel das Kreuz brechen lassen. Sie ist gelähmt. Und nicht nur sie. Das erodierende System der Parteiendemokratie ist den Herausforderungen dieser Jahre längst nicht mehr gewachsen.

Kein Scherz: Diese Woche ist für Merkel nicht schlecht gelaufen. Im Grunde hätte ihr kaum etwas Besseres passieren können als die Abwahl ihres Schildknappen Kauder. Jetzt ist viel Druck aus dem Kessel gewichen.

I.

Warum hat Merkel nicht unverzüglich in der Fraktion auch noch die Vertrauensfrage gestellt? Sie wäre doch mit großer Mehrheit zu ihren Gunsten beantwortet worden und hätte Merkels Regiment stabilisiert; der neue Fraktionsvorsitzende hätte seine ganze frisch gewonnene Autorität dafür eingesetzt. Seine bisherigen Äußerungen („kein Blatt Papier zwischen ihr und mir“) lassen keinen anderen Schluss zu. Hat sie es nicht gewagt? Sie hat es nicht nötig. Vertrauensfragen sind das letzte zur Verfügung stehende Machtmittel vor dem Sturz, gleichsam Erpressung. Man kann es nur einmal anwenden, danach ist es verbraucht. Merkel weiß genau, dass sie sich die letzte Waffe noch aufsparen kann. Sie gilt in den Unionsparteien noch immer für alternativlos.

II.

Ralph Brinkhaus´ Wahl wäre ohne die Maaßenäffäre unmittelbar zuvor nicht passiert. Maaßen war der geschlagene Sack, gemeint war der Esel, also Seehofer. Der Witz an der Geschichte ist, dass auch Kauder seine Ablösung Seehofer zu verdanken hat. Diesmal ist er der Sack. Niemals hätte die Maaßenaffäre ein solches Gewicht bekommen dürfen. Das wird Seehofer nicht weniger als Merkel angekreidet. Und auch Seehofer hat Kauders Wiederwahl propagiert. Es war die beste Empfehlung für Brinkhaus. Der Bayer bellt immer nur, hat Merkel niemals wirkungsvoll widerstanden. Ohne gütige Hilfe Seehofers und seiner CSU wäre Merkel gar nicht mehr Kanzlerin. Es ist seine Kanzlerin.

III.

Es ist auszuschließen, dass Merkel im Dezember die Wahl zur Bundesvorsitzenden der CDU verlieren wird. Gegen wen denn? Nirgends ist ein Brinkhaus zu sehen, der eine Gegenkandidatur wagen würde. Und es würde auch gar nicht helfen. Mit einem anderen Ton und etwas mehr innerparteilicher Demokratie wäre es nicht getan. Den Unionsparteien bleibt eine neue Kursbestimmung nicht erspart. Wer sollte sie bewältigen? Ist irgend jemand zu erkennen, dem die Partei dabei folgte? Frau Kramp-Karrenbauer würde klaglos akzeptiert werden, gerade weil sie keine Kurskorrektur will. Dann kann Merkel bleiben. Ob sie, wie gerade angekündigt, noch einmal antritt als Vorsitzende, werden die Wahlen in Bayern und Hessen zeigen. Ein verheerendes Ergebnis ist garantiert. Trotzdem kann Merkel Parteichefin bleiben, wenn sie will. Sie allein entscheidet über ihre Zukunft und über ihre Nachfolge. Der Aufstieg eines Sebastian Kurz ist in der CDU nicht wiederholbar.

IV.

Das abzusehende Wahldesaster wird die Berliner Notgemeinschaft nicht sprengen. Bloß jetzt nicht in eine neue Bundestagswahl gehen müssen! Das letzte, was die Parteien der Großen Koalition noch zusammenhält, ist die Angst vor dieser Wahl. Die ehemaligen Volksparteien hoffen auf die Vergesslichkeit der Wähler 2021.

V.

Ob Merkel eine lame duck ist? Selbst das steht noch lange nicht fest. Gerade hat sie sich geweigert, Auskunft darüber zu geben, ob sie sich nicht doch noch einmal zur Wiederwahl stellen wird. So gut wie alle Beobachter gehen davon aus, diese Amtszeit sei Merkels letzte, es könne es gar nicht anders sein. Möchte jemand die Hand dafür ins Feuer legen? Merkel ist geschwächt, sie hat Energie eingebüßt, sie leidet wie alle Langzeitamtsinhaber an Realitätsverlust, aber sie ist keine lame duck, weil noch immer nichts ohne sie geht.

VI.

Brinkhaus steht nicht für eine neue CDU, sondern nur für ein wenig mehr Mut in der alten CDU. Die Wahl eines neuen Fraktionsvorsitzenden, der den angeblich nur ihrem Gewissen verantwortlichen Abgeordneten ein wenig mehr Selbstbewusstsein versprochen hat, deutet keinerlei Kurswechsel an. Sie beweist lediglich, dass die Nerven noch nicht ganz abgestorben sind – oberhalb der Bruchstelle. Was aber nützt es, wenn das Gehirn noch funktioniert, die Partei sich aber nicht mehr bewegt. Sie hat sich von Merkel das Kreuz brechen lassen. Sie ist gelähmt. Und nicht nur die Unionsparteien sind es. Das erodierende System der Parteiendemokratie ist den Herausforderungen dieser Jahre längst nicht mehr gewachsen.

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Kommentare ( 97 )

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Wolfgang Schuckmann
5 Jahre her

Sind die Wahlen in Bayern und Hessen gelaufen, sprechen wir uns wieder. Die Wahlprognosen sind gefärbt wie die ganze Berichterstattung. Nur, die Leute in Bayern wissen mittlerweile wer sie vergackeiert oder sie vergackeiern will. Der vielbeschworene rechte Rand der CSU wird sich da erstmalig aus dem Kernschatten des bayrischen Selbstverständnisses seiner Herkunft lösen. Da ist Söder etwas aus der Hand geschlagen worden, von dem er annahm es könne sich eigentlich nicht ereigenen, weil diese Leute bitteschön erkennen müssten, dass es ohne den großen Bruder nicht geht. Nein, so einfach ist das diesmal nicht mehr. Sollten CSU und AFD am Sonntag… Mehr

karel
5 Jahre her

Und der Bremsklotz am „Hamsterrad“ heißt Nahles.
Diese Name war schon immer für unnötige Probleme gut.

Karl Heinz Muttersohn
5 Jahre her

Ja, die letzte Woche lief für Merkel ausgezeichnet! Das Sicherheitsventil hat funktioniert, man darf sich im Gefühl sonnen, Merkel mit der Abwahl des Ekels Kauder eins ausgewischt zu haben. Jetzt haben wir Brinkhaus, der sich noch enger an Merkel schmiegen wird, so eng, dass wir nicht mal ein Blatt Papier dazwischen kriegen. Die Ergebnisse der CSU bei den Wahlen in Bayern werden es Merkel erlauben Seehofer loszuwerden, dann geht es munter weiter so.

Porcelain by Nocken-Welle
5 Jahre her

+

„Von lahmen Enten und gelähmten Parteien“ – ist die Rede

Merkel Seehofer Maaßen Brinkhaus und jeden Tag ein neues Schweinderl, das durchs Dorf getrieben wird: steifer Personenkult einer lahmen Gesellschaft, die sich – auch altersbedingt – mit dem zaghaften Drehen am Hamsterrad zufrieden gibt – das Ganze ein morscher Schwung in der Manege.

Gruß vom Sibirischen Tiger

+

Ursula Schneider
5 Jahre her

Ich würde das „Blatt Papier …“ nicht zu ernst nehmen, sondern halte es eher für eine ungeschickte sprachliche Wendung in einer überraschenden Situation (nur zwischen siamesische Zwillinge passt kein Blatt Papier). Viel bemerkenswerter scheint mir die Äußerung von Brinkhaus in einer Lokalzeitung, bei der er u.a. sagte: „Wir machen … den Fehler, dass wir unsere eigene Position jeweils moralisch überhöhen gegenüber der anderen Seite.“ Auf diesem Moralisieren und Schwarz-weiß-Malen beruht ja der ganze links-grüne Mainstream – auch Merkels Warnung vor rechten Demos: „Folgen Sie denen nicht … zu oft sind Vorurteile, Kälte, ja oft sogar Hass in deren Herzen. Halten… Mehr

Jo_01
5 Jahre her

Insbesondere für Ihren letzten Satz haben Sie meine volle Zustimmung. Alles andere liest sich für mich zwar logischer, als die nicht wenigen Stimmen, die vom Anfang von Merkels Ende fabulieren. Trotzdem ist auch Ihre Einschätzung einfach eine weitere Spekulation, nicht mehr. Die klassischen Parteien sind im Niedergang – Goergen nennt es Lawine – das steht fest. Ich spekuliere auf eine nicht mehr allzu ferne Zeit, in der sich zwei neue Lager gegenüberstehen: Globalisten vs. Befürworter nationaler Eigenständigkeit. Manche gehen sogar von Eigenständigkeit einzelner Regionen eingebettet in konförderative Strukturen aus. Die Vertreter dieser beiden Lager werden hierzulande absehbar die Grünen und… Mehr

Dr. Mephisto von Rehmstack
5 Jahre her

„Der Bayer bellt immer nur, hat Merkel niemals wirkungsvoll widerstanden. Ohne gütige Hilfe Seehofers und seiner CSU wäre Merkel gar nicht mehr Kanzlerin. Es ist seine Kanzlerin.“Hm, ja , der Spruch nach Jamaika: „Angela, wir danken dir für diese Tage“, scheint dieses zu stützen. Dagegen steht die Aussage: „ich lasse mich doch nicht von der entlassen, die ich zur Kanzlerin gemacht habe“. Also, warum zeigt er nicht AM ihre Grenzen auf? Warum läßt er sich zum Bettvorleger enteiern, warum tut er sich das an?. Vielleicht weil er die Stimmung bei vielen CDU 11Minuten Klatschhasen und der veröffentlichen Prantl Meinung richtig… Mehr

karel
5 Jahre her

Hunde, die bellen, beißen nicht…… ein altes Sprichwort.

Ohne die Kanzlerin wäre ein Seehofer niemals Innenminister.
Es ist eher der Innenminister, der der Getriebene ist.

Armes Hascherl……

R.J.
5 Jahre her

Danke, Herr Herles, für diese luzide Analyse. In der Tat, die „Physikerin“ wird vermutlich auch über 2021 hinaus ihr Neroprogramm fortsetzen können. Sie schreiben „Die ehemaligen Volksparteien hoffen auf die Vergesslichkeit der Wähler 2021“. Dass diese Rechnung aufgeht, bezweifle ich, dazu reichen die Zerstörungen der politischen Kultur zu tief, immer mehr Wähler werden nicht vergessen und es unter den Zeichen eines multipel zerfallenden Staates auch gar nicht können. Das sichere Remedium kann nur lauten: Zerstörung der organisierten Opposition, und das ist derzeit die AfD. Hier lässt sich vom türkischen Freund lernen. Man muss nur genügend starke fingierte Belege für einen… Mehr

pm
5 Jahre her

Werter Herr Herles, Ich muss schon sagen, je länger ich Ihrer Kolumne folge, umso berechenbarer erscheinen Sie mir: immer die gleiche Leier, die CDU ist schwach, aber die AFD ist unwählbar. Aus meiner Sicht ist es ganz einfach: die CDU löst sich von Merkel und koaliert baldmöglichst mir der AfD. Dann, und nur dann, hat sie noch ein Chance, sich zu erneuern und den Niedergang zu stoppen, genauso wie Herr Kurz das in Österreich erfolgreich getan hat/tut. Ansonsten wird die AfD wachsen und wachsen und die CDU wird verschwinden. Schönen Gruß aus Boston P.S.: Herr Hartman in Sachsen hat das… Mehr

Mozartin
5 Jahre her

Nicht schlecht überlegt.
Ich bin aber ziemlich sicher, dass es bei der FDP keine Anstalten geben wird, sich der AfD zu nähern.
Es wäre auch völlig ausreichend, ein eigenes Programm zu entwerfen und für dieses einzustehen.
Lindner hat entsprechend zuletzt Jamaika abgesagt auf Bundesebene.

Jo_01
5 Jahre her
Antworten an  Mozartin

Es gibt keine FDP mehr, sondern nur noch eine an Beliebigkeit nicht zu überbietende Lindner-Partei.