Tichys Einblick
Politischer Klimawandel

Die deutsche Lust am Niedergang

Besonders in der Krise lehnt die deutsche Seele die Freiheit des Individuums ab. Im Kollektiv gibt es keine Freiheit, sondern nur den Zwang zur Einordnung und Unterwerfung. Es sieht so aus, als würden sich immer mehr Deutsche geradezu schämen für siebzig Jahre Wachstum und Wohlstand.

Abgesehen von Schönfärbern und Selbstbetrügern zweifelt niemand am Absturz dieses Landes. Der in siebzig Jahren erarbeitete Wohlstand schmilzt schneller als das Eis der Arktis. Schuld daran ist nicht der reale Klimawandel, auf den sich die Gesellschaftszertrümmerer berufen, sondern der politische Klimawandel. Doch Widerstand regt sich kaum. Dramatik und Folgen des Verfalls scheinen bei der Mehrheit der Bürger noch nicht angekommen zu sein.

I.

Der politische Klimawandel setzte mit dem großen Epochenbruch 1989 ein – mit der Überhitzung der globalen Finanzmärkte, mit der Illusion ewigen Friedens und dem Vormarsch der neuen grünen Welterlösungsideologie. In Deutschland wurde das Verhängnis spätestens mit dem Durchregieren A. Merkels unumkehrbar, als Unfähigkeit und eine unselige protestantisch-preußische Mentalität eine verheerende Mischung eingehen. Die Partei, die ihre Wurzeln, die Medien, die ihre Aufgabe, die Mehrheit der Bürger, die ihr eigenes Erbe verrieten, gingen Merkels Kamarilla willig auf den Leim. Das Ampelregiment setzt den generellen Kurs unverändert fort, allerdings gestört von den verheerenden Folgen der Coronapolitik und von Putins Angriffskrieg („Zeitenwende“). Noch immer aber vertrauen die meisten Deutschen den grünen Zerstörern Habeck, Baerbock und Özdemir. Sie scheinen geradezu verliebt in die Schamanen des Niedergangs.

II.

Was sind die Gründe? Das besserwisserische Getrommel der Regierungs- und Parteienpropaganda, der dauerdonnernde Moralgesang der Medien und ein eklatanter Mangel an Bildung haben dem Mainstream eine Gewalt verliehen, gegen den die Flutwelle des Ahrtals ein munter plätscherndes Bächlein gewesen ist. Inzwischen hören sich die Nachrichten so an, als seien die apokalyptischen Reiter rechtmäßig ins Parlament gewählt worden. Daran allein aber kann es nicht liegen, dass sich das Volk von Angststarre und Schicksalsergebenheit überwältigen lässt.

III.

Es verfestigt sich der Verdacht, die Deutschen seien von Lust am Niedergang erfasst. Das psychopathologische Phänomen kann mentalitätsgeschichtlich erklärt werden. Das deutsche Wesen harmonierte weder mit der römischen Zivilisation noch mit französischer Lebenskunst, noch mit angelsächsischem Liberalismus. Auch die Aufklärung ist ein Import, dem die Deutschen in schwierigen Zeiten misstrauen. Die Deutschen haben als Totengräber der Zivilisation einen gewissen Ruf zu verteidigen. Am liebsten schlagen sie ihre idealistischen Nägel in den eigenen Sarg. Als Volksgemeinschaft wird der Untergang erst richtig schön. Erschreckend neu erscheint das jetzt nur zu sein, weil zumindest der Westen des Landes in den goldenen Jahrzehnten der Bonner Republik einen anderen Weg eingeschlagen hatte. In dieser kurzen Epoche hatte das verhängnisvolle nationale Erbe kaum mehr eine Rolle gespielt.

IV.

Doch seit der Rückkehr zu Berliner Verhältnissen lassen die Deutschen wieder einmal erkennen, dass sie sich für etwas Besseres, Klügeres halten als der Rest der Welt. Ein perverses Heldentum hebt sein blödes Haupt. Wer sich für weltumspannend überlegen hält, kann umso besser leiden. So erst wird die selbst auferlegte Pflicht zum Genuss. Das ist mehr als gewöhnlicher Masochismus. Diese verquere Ethik wäre nicht möglich ohne einen im deutschen Wesen tief verwurzelten Glauben an das Heil des Volkskörpers, des Kollektivs, an den ewigen Sinn von Gemeinschaft. So gesehen wird der neue Spruch des Kanzlers, You never walk alone, zu einer unverhohlenen Drohung. Unterhaken funktioniert nur im Gleichschritt. Die Krisen scheinen ihn zu erzwingen. Deshalb lieben die Deutschen im Grunde ihres Herzens Krisen. Sie machen den geliebten Gleichschritt alternativlos.

V.

Besonders in der Krise lehnt die deutsche Seele die Freiheit des Individuums ab. Im Kollektiv gibt es keine Freiheit, sondern nur den Zwang zur Einordnung und Unterwerfung. Es sieht so aus, als würden sich immer mehr Deutsche geradezu schämen für siebzig Jahre Wachstum und Wohlstand. Hatten sie doch mit zunehmend schlechtem Gewissen ihre Exportweltmeisterschaft verachtet. Es ist beispielsweise nur folgerichtig, dass die Erfinder und Vollender des Automobils alles tun, um den Individualverkehr zu zerstören. Dass das einst reisefreudigste Volk (weil es nur zu Hause nicht auszuhalten war) sich nun selbst die Reisefreiheit auf Straßen, Schienen und in der Luft systematisch vergällt. Und wie radikal erst diesem Volk der schäbige Traum vom Eigenheim aus den Köpfen geschlagen wird!

VI.

Schwerer Dachschaden? Nein, die dem Zeitgeist verfallenen Deutschen sind nur hart wie früher Kruppstahl, flink wie früher Mercedes, und zäh wie immer schon. Unglaublich zäh ist ihre Bereitschaft zum Verzicht. Es ist der neue Kult. Am widerwärtigsten führen sich dabei die Erben auf, die selbst nichts geschaffen haben. Aber nun mit irrer Selbstgefälligkeit zurückfallen in die atavistischen Verkrümmungen der deutschen Seele. Jedenfalls solange es ihre Bequemlichkeit zulässt.

VII.

Es bleibt das große Rätsel: Weshalb sich ein so begabtes Volk derart fesseln und dem Glück, das es nur in Einzeldosen gibt, so wenig Aufmerksamkeit schenkt? Auch die Lust am Untergang gibt es nur im Kollektiv.

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