Alle Parteien wollen den Parteienstaat

In einem sind sich alle Parteien einig, sie allein sind das Maß aller Dinge, nicht die Bürger und nicht die von ihnen gewählten Abgeordneten.

IMAGO / Christian Spicker
Wahlurne für die Abstimmung zur Wahlrechtsreform im Rahmen der Sitzung des Deutschen Bundestags am 17.03.2023 in Berlin

Das Wahlrechtsreform genannte Trauerspiel im Bundestag hat eines glasklar und unmissverständlich bestätigt: In einem sind sich alle Parteien einig, sie sind das Maß aller Dinge, nicht die Bürger und nicht die von den Bürgern gewählten Abgeordneten.

Ich zitiere auszugsweise Verfassungsrechtler Vosgerau (Hervorhebung von mir):

In der Rechtsgeschichte ist jede Wahlrechtsreform in Deutschland betrieben worden, um eine oder mehrere Parteien zu bevorteilen oder zu benachteiligen. So ist zum Beispiel die heute so wichtige Fünf-Prozent-Klausel von der FDP durchgesetzt worden. Das Ziel der FDP war, die anderen, noch kleineren Parteien aus dem Bundestag zu drängen …

Die Grundidee des neuen Wahlmodells finde ich gar nicht schlecht. Das Modell wurde aber nicht von der Ampelkoalition erfunden. Es handelt sich um ein Modell, das die AfD-Fraktion dem Deutschen Bundestag bereits im Oktober 2020 vorgelegt hat. Die AfD-Fraktion hat damals die Reformvorschläge eines sehr bekannten Verfassungsrechtlers der Humboldt-Universität, Hans Meyer, übernommen. Dieses Modell sieht vor, dass die Zahl der Bundestagsabgeordneten auf die gesetzlich angeordneten 598 beschränkt bleibt. Das wird erreicht, indem nicht jeder Abgeordnete, der die meisten Erststimmen in seinem Wahlkreis gewonnen hat, automatisch Bundestagsabgeordneter wird. Stattdessen wird ein auf den ersten Blick direkt gewählter Abgeordneter zunächst nur Wahlkreis-Kandidat für den Bundestag. Sein Wahlkreis-Mandat bekommt dieser Abgeordnete dann aber nur, wenn auch das Zweitstimmenergebnis seiner Partei dies rechtfertigt.

Dass ich den ganzen Vorschlag und seine veränderte Form der Verwirklichung negativ bewerte, gebe ich nur zu Protokoll. Mit den Details des nun Beschlossenen befasse ich mich nicht. Dem einen oder anderen Leser wird bekannt sein, was ich immer wieder zum Parteienstaat geschrieben habe. Kurz gefasst: Die Befreiung der Bürger aus den Klauen des Parteien-Kartells ist nur durch die Beseitigung des Parteienprivilegs möglich. Parteien mag unterhalten und gründen, wer will – wie andere Vereine auch. Aber Parteien dürfen nicht aus Steuern oder anderen Zwangsabgaben finanziert werden, nur Personen dürfen kandidieren, keine Parteilisten, Abgeordnete müssen ihr Mandat ehrenamtlich ausüben, und so weiter.

Roland Tichy sagt mir in Gesprächen zu Recht immer wieder: Das werden die Parteien, die das beschließen müssten, nie tun. Daran zweifle ich selbstverständlich nicht, das Bild von den Fröschen, die ihren Sumpf nicht trocken legen werden, ist allgemein bekannt.

Etliche TE-Leser, die regelmäßig Kommentare beitragen, werfen TE vor, sich nicht für die Wahl der AfD einzusetzen, anderen Lesern werfen sie vor, durch Nichtwahl die alten Parteien indirekt zu wählen. Mit ihrer Haltung in der Frage Parteien versus direkt gewählte Abgeordnete reiht sich die AfD unübersehbar ins Parteienkartell ein, auch wenn der alte Parteienstaat sie bisher nicht aufgenommen hat – was er ruhig tun könnte, ohne von ihr gestört zu werden. (Dass Journalisten sich mit niemandem gemein machen dürfen, merke ich hier nur der Vollständigkeit halber an.)

Ich halte fest: Die AfD ist für das Parteien-Privileg, die AfD ist nicht gegen den Parteienstaat, sie will ganz im Gegenteil nur endlich ganz drinnen mit dabei sein im Parteienstaat. Sie will gar keine Alternative sein, sondern nur eine Variante mehr.

Der Parteienstaat, ich wiederhole es, ist nicht reformierbar. Sein bisher größter Treppenwitz: Jene Partei, die angetreten war mit dem Anspruch, nicht so zu sein wie die alten Parteien, ja geradezu das Gegenteil derselben, jedenfalls etwas ganz und gar anderes, ist nun die Inkarnation der hemmungslosen Rücksichtslosigkeit des Parteienstaats, der grenzenlosen Selbstbedienung mit dem Geld der 15 Millionen Nettosteuerzahler, die es noch gibt. Die sich Grüne nennen, übertreffen alles, was sich vor ihnen alle anderen Parteien an Inakzeptablem herausgenommen hatten. Der interessante Unterschied: Die Grünen in der zweiten und dritten Reihe ihrer Machthierarchien versuchen – anders als die der anderen Parteien – gleich gar nicht, ihre wahren Absichten der totalen Machtausweitung überhaupt noch hinter irgendwelchen Nebelworten zu verbergen.

Wer in dieser real existierenden Berliner Republik an Wahlen anders teilnimmt als durch die Abgabe einer ungültigen Stimme, so drehe ich jetzt das oben genannte Argument von TE-Lesern gegen die Nichtwahl um, wählt den Parteienstaat – und damit vor allem seine neuen Jakobiner, die Grünen.

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Kommentare ( 64 )

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MartinL.
11 Monate her

Hatte letzte Nacht einen Traum. Das Reichstagsgebäude wird zum Palast der Republik.
Den Konflikt der Wichtung zwischen Personen- und Parteienwahl kann und will der Bundestag nicht auflösen. Haben wir mit dem Internet nicht die Möglichkeit bekommen, Volksabstimmungen recht einfach durchzuführen. Damit wäre die Institution des Bundestages, verbundener Finanz-, Raum- und Ressourcenbedarf nicht mehr notwendig. Vorschläge zur Abstimmung könnten sowohl von Bürgerinitiativen als auch von Verwaltungen oder Regierung eingebracht werden. Entscheiden würde dann der mündige und hoffentlich auch gut informierte Bürger. Eine Institution wird eher nicht für die eigene Abschaffung stimmen. Sollte das Grundgesetz nicht durch eine neue Verfassung ersetzt werden?

J. Braun
11 Monate her

Das mit der Wahlenthaltung halte ich für falsch (siehe unten), das mit der Steuerenthaltung ist aber ein durchaus gangbarer Weg. Es reicht schon, wenn jeder nur so viel arbeitet wie unbedingt sein muß. Also: Dienst nach Vorschrift, keine Überstunden, am besten 2/3 oder halbtags. Das erhöht die Lebensqualität und kostet die Presser richtig Geld. Das kann nicht jeder, aber es reicht schon, wenn alle, die dazu in der Lage sind, so steuerminimierend arbeiten. Man muß das ja nicht auf ewig machen, ein paar Monate reichen und das System ist pleite.

J. Braun
11 Monate her

Alles was Herr Georgen hier (das nicht zum erstenmal) schreibt, ist vollkommen richtig. Nur: Wir werden das System ausschließlich in einer blutigen Revolution stürzen können und die Kollateralschäden jeder Revolution sind nicht zu verachten und man weiß nie, wer siegen wird. Da das also nicht funktioniert, sollte man besser versuchen, aus dem System das Beste zu machen. Und mit Wahlenthaltung, wählt man automatischdie Regierung (Wahlenthaltung und Ungültigmachung der Stimme bedeuten am Ende dasselbe). Vielmehr muß man grundsätzlich die wählen, die Sand ins Getriebe der Juntisten streuen. Momentan ist das ausschließlich die AfD. Was Wahlenthaltung der Unzufriedenen bedeutet, kann man ja… Mehr

Andres
11 Monate her

Im Grundgesetz wird den Parteien eine Mitwirkung bei der „politischen Willensbildung“ zugedacht. Den Satz: „Deutschland gehört den Parteien“ kann ich dort nirgends entdecken.

Nibelung
11 Monate her

Der letzte Absatz in der Feststellung der neuen Jakobiner hat mir in diesem Ausatz am besten gefallen und zeigt in aller Deutlichkeit auf, wo wir uns bereits befinden und das mitten in der angeblichen Demokratie, die zur Parteiendiktatur verkommen ist und zwar als Einheitsfront gegen den Bürger und seine angestammten Rechte, die ihm immer mehr genommen werden. So wie sich das Bildungsbürgertum während der französichen Revolution eingeschlichen hat um aus dem Protest der Massen ihre eigenen Vorteile zu ziehen, so hat sich das schon seit Jahrzehnten in ähnlicher Art und Weise bei uns fortentwickelt und die Maßnahmen die heute schon… Mehr

Teiresias
11 Monate her

Daß sich der Parteienstaat nicht durch das wählen einer Partei abschaffen lässt, versteht sich von selbst. Bei den Wahlen geht es mir zuerst um die Themen, die lichterloh brennen: Masseneinwanderung in die Sozialsysteme über offene Grenzen. Deindustrialisierung über die esoterische Klimareligion. Kriegstreiberei gegen Russland für US-Geopolitik. Inflationspolitik zur Enteignung der Mittelschicht zugunsten der Hochfinanz. Entmachtung der Nationalstaaten und damit der Demokratien durch (Selbst)-Ermächtigung der EU. Was nützt das Wahlrecht, wenn EZB und EU-Kommission alles bestimmen? Bei all diesen Punkten kann die AfD einen Unterschied machen – auch innerhalb des Parteienstaats. Deshalb MUSS man sie wählen, auch wenn das nur die… Mehr

Last edited 11 Monate her by Teiresias
Or
11 Monate her

Hallo Herr Georgen,

ich verstehe, dass Sie die direkt vom Bürger gewählten Abgeordneten als Verlust ansehen. Geht mir ähnlich.

Nur würde ich diesen Verlust als schmerzlich empfinden, würden sich diese direkt gewählten Abgeordneten anders als alle anderen nicht dem Fraktionszwang unterwerfen und sich bei Abstimmungen eben nur ihrem Gewissen und ihren Wählern verpflichtet fühlen.

osthollandia
11 Monate her

Was zu tun wäre – was absolut nicht getan werden wird – ist das Verbot jeder Partei. Die Partei als Sonderform des Vereins darf es nicht mehr geben. Der Parteienstaat als solcher ist ja bereits eine Verfallserscheinung der Demokratie, und das erleben wir ja jetzt gerade. Macht man das nicht, verbietet man nicht sofort alle sämtlichen Parteien, die ja auch schon alle Organe des Staates, allen voran das Verfassungsgericht und den ÖRR, komplett unterwandert haben, ist die Demokratie weg. Das ist dann bestenfalls ! DDR 2.0, wenn überhaupt. Auch die neuen Bestrebungen, da angebliche Parität zwischen Mann und Frau einführen… Mehr

Anglesachse
11 Monate her
Antworten an  osthollandia

uuuh…dünnes Eis!
Leider ist es eine geschichtliche Tatsache, dass die Ur-SPD 1914 die Finanzen für den 1.WK mitbewilligt hat.
Die Parteien haben die NSDAP als „Koalitionspartner“ mitgetragen.
Nach Durchsicht (Wiki) der Gründungspolitiker der (alten) BRD und des GG bestanden wohl die Meisten aus den alten Parteikadern, die es schon vor Adolf gegeben hatte.
Die SED der Ostzone bestand aus alten wohlbekannten Parteien.
Bei den „Amis“ und den Briten werden jedoch Personen (trotz Partei) gewählt.

Frage: ist ein Parteiensystem, welches öff.Finanzprivilegien besitzt, reformierbar?

Unser altes (1979)GG sah jedenfalls NUR eine MITwirkung von Parteien zur Willensbildung der Bürger bei Wahlen vor.

Joe X
11 Monate her

Es ist zwar schon alles gesagt, aber noch nicht von jedem.
Jetzt müssen auf jeden Fall auch noch Achijah Zorn und Cora Stephan etwas zum neuen Wahlgesetz schreiben!