Jeder Lockdown scheitert: Die Regierenden kennen die Regierten nicht

Die Hausarrest-Toleranz der Bürger in Europa ist erschöpft. Wo die Regierenden auf diese Signale der Regierten nicht bald mit einer Umkehr aus ihrer Lockdown-Sackgasse antworten, sind keine Überraschungen mehr auszuschließen.

picture alliance/dpa | Annette Reuther
Rodler und Wanderer sind im Skigebiet Spitzingsee unterwegs. Da die Lifte im Lockdown stillstehen, hieß es: Zu Fuß auf den Berg.
Die Gegner der Lockdown-Politik, jene, die das Corona-Virus nicht für gefährlicher halten als andere Viren auch, und jene, die durchaus vorsichtig sind, aber die Maßnahmen für rechtswidrig bis überzogen halten, haben die Regierenden sowieso gegen sich. Das ist aber erkennbar eine Minderheit. Der Mehrheit haben die Regierenden mithilfe williger Medien ihre Gefahrendarstellung wirkungsvoll vermittelt und ihre Lockdown-Serie begründet erscheinen lassen – vor allem mit der Erlösung versprechenden Perspektive: Impfen. Nun zeigt sich jeden Tag deutlicher, die Regierenden versagen bei der Einlösung des Versprechens Impfung und damit Ende des Lockdowns. Schon wird der Zeitpunkt des Lockdown-Endes vereinzelt von Sommer aufs Jahresende verschoben. Den Lockdown haben viele noch hingenommen, aber dass ihnen nun der versprochene Ausweg versaut wird, das ist zu viel. Jetzt ist nur noch eine negative Steigerung möglich. Stellen Sie sich mal vor, was geschieht, wenn Impffolgen das Ausmaß übersteigen, das es bei jeder Impfung gibt.

Es begann schweigend und wird nun laut. Die Regierenden kennen die Regierten nicht. Und das nicht nur in Deutschland, sondern in fast allen Ländern des Westens. In ihren Corona-Politiken wird unübersehbar, was bei jedem Thema davor durch Politik und Medien verdeckt wurde: Die politischen Trennlinien verlaufen nicht nach Parteien, sondern quer durch alle Teile der Gesellschaft zwischen den Freunden der Freiheit und ihren Verächtern. Und zwischen der Gesellschaft im allgemeinen und ihren quasi autonomen Segmenten; dazu nach einem aktuellen Blick.

Wo sich Bürger in Kanada wehren, wenn die Polizei eine „illegale“ Zusammenkunft auflösen will, zeigt sich der Unterschied zwischen legal und legitim.

Die Doppelbödigkeit des Handelns der Regierenden gegenüber unterschiedlichen Gruppen der Bevölkerung wird immer häufiger thematisiert.

Die Leser zu fragen, was sie davon halten, ist der Rahmen, in dem sich sogar ein Wetterdienst traut, das Thema Obertan und Untertan ins Netz zu rücken.

— wetteronline.de (@WetterOnline) January 2, 2021

Wo Gastronomen in den Niederlanden sagen, wir machen jetzt auf, was immer ihr tut, stellt sich legitim gegen legal.

Der Händler in Rosenheim reiht sich bei den Unternehmern in den Niederlanden ein.

Der Ruf nach einem neuen Hashtag schließt sich an: #WirMachenAuf. Er findet großen Zulauf.

Don Alphonso setzt es in ein sarkastisch-satirisches Bild.

Der Drang in den Schnee ist nicht nur Flucht vor dem Lockdown, sondern auch Protest.

Die Tage sprach ich darüber mit einem Veteranen der Meinungsforschung. Er wies darauf hin, dass mit dem höheren Bildungsgrad die Disziplin zur Einhaltung der Regierungsmaßnahmen steige. Das stimmt nur bedingt, wandte ich ein, und vor allem giIt es nicht, wo soziale Bindung Bildung bricht. Ich machte ihn aufmerksam, was der veröffentlichten Berichterstattung ebenso entgeht wie den Regierenden, weil sie die Regierten nicht kennen.

Sozial dichte Strukturen entziehen sich dem Lockdown

Wo Stadtviertel von Zugewanderten geprägt sind, gilt kein Lockdown. Nicht, weil die dort Lebenden besonders widerständig wären, sondern weil in ihrem sozial sehr dichten Zusammenleben die eigenen kulturellen Regeln zählen. Im klassischen Türkenviertel in Köln und im Ruhrgebiet, erzählt mir ein alter Freund aus dieser Gemeinde, der zur selben Zeit in die Bundesrepublik kam wie ich, wissen die meisten Älteren, vor allem Frauen von den Corona-Maßnahmen gar nichts, weil sie nur türkische Sender schauen; die Jüngeren schert der Staat generell nichts.

Das gilt in sehr vergleichbarer Weise in den Großstadt-Kiezen von Berlin wie in ähnlichen Vierteln Wiens und anderswo. Wo große Familien-Clans, arabische wie andere, das Sagen haben, gilt immer ein Lockout der nicht dazu Gehörenden, aber kein staatlicher Lockdown. In den Großstädten addieren sich die kulturellen Inseln der Zugewanderten und die kulturelle Szene der politischen Linken, in Mittelstädten und kleineren Orten, vor allem des Ostens, die kulturelle Szene der politischen Rechten. Zusammen mit Großfamilien in traditionell ländlichen und kleinstädtischen Gegenden entziehen sie sich in der Regel lautlos den Maßnahmen der Regierenden, meist ohne dass Polizei und andere Ordnungskräfte überhaupt erst versuchen, den Lockdown durchzusetzen.

Die Partyszene ist nicht weniger sozial vernetzt, nur gründet sie nicht auf Verwandschaft, Religion oder Herkunft, sondern ein Sozialverhalten, das sich in allen urbanen Ansammlungen, von Metropolen bis hin in die Kleinstädte seit den 1960ern kontinuierlich ausgebildet hat: Freizeit ist Freiheit und die Freizeit mit dem meisten Zulauf ist die Party – von einem Dutzend Teilnehmern bis zur Rave-Party in Barcelona, in der Bretagne. Vielen Älteren ist nicht bewusst, wie sehr die Party der einzige „Freigang“ von der Schule, vom Leben bei Eltern, von der ungeliebten Arbeit ist. Die Partyszene der Migranten der letzten Jahre ist noch einmal unerreichbarer für jede staatliche Maßnahmen.

Die Aufzählung lässt sich noch erheblich verlängern. Aber mir geht es hier darum klarzumachen, dass es eine nennenswert große Menge an Leuten in kulturellen und sozialen Räumen gibt, in denen schon in „Normalzeiten“ nach den Regeln der dortigen Strukturen gelebt wird und nicht nach denen des Staates.

Im verhängten Ausnahmezustand namens Lockdown wird überdeutlich sichtbar, dass die Regierenden die Regierten nicht kennen. Nach den genannten Segmenten der Gesellschaft, die sich schon lange dem Einfluss der Regierenden entziehen, treten nun nach dem zweiten und bald im dritten Lockdown unübersehbar die ersten auf den Plan, die nicht zu den genannten quasi autonomen Segmenten gehören, die sich aber nun auch ihre Freiheit, wenigstens als Freizeit, nicht mehr nehmen lassen wollen.

Die Hausarrest-Toleranz der Bürger in Europa ist erschöpft. Wo die Regierenden auf diese Signale der Regierten nicht bald mit einer Umkehr aus ihrer Lockdown-Sackgasse antworten, sind keine Überraschungen mehr auszuschließen.

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