Hart aber Fair: Beim Impfdesaster bröckelt die Einheitslinie

Tatsächlich: Bei hart aber fair wird die Bundesregierung hart aber fair kritisiert. Das grenzt nicht nur an ein Wunder der deutschen Fernsehunterhaltung, sondern offenbart mehr: Denn bei diesem Kolossalversagen will keiner mehr für Merkel in die Bresche springen.

Screenshot ARD: Hart aber Fair

Ob man beim WDR gute Vorsätze für das neue Jahr hat? So wirkt es zumindest bei „Hart aber Fair“ am Montagabend, wo man als Zuschauer tatsächlich mit einer kritischen Diskussion beglückt wird. Die vorweihnachtliche Einigkeit vom letzten Mal scheint vergessen. Stattdessen gibt es in Plasbergs Runde am Montagabend tatsächlich Dissens und Wortgefechte. „Rettung nur Tröpfchenweise – bekommt Deutschland zu wenig Impfstoff?“ ist die Titelfrage der Sendung, auf die die Antwort eigentlich unisono „Ja“ lautet. Spiegel-Journalist Markus Feldenkirchen, CDU-EU-Abgeordneter und Gesundheitspolitiker Dr. Peter Liese, Wissenschaftsjournalistin Christina Berndt („SüZ“), SPD-Politiker Dr. Karl Lauterbach und FDP-Generalsekretär Volker Wissing sind sich da einig.

Und obwohl zunächst alle erklären, dass die Impfstoffbeschaffung durch die EU prinzipiell eine gute Idee war, wird die nächsten Minuten lang von allen ausgebreitet, warum das eben doch nicht so ist. Hat die EU versagt? So genau will das keiner sagen. EU-Abgeordneter Liese erklärt zunächst, Haftungsfragen hätten die Impfstoffbeschaffung behindert. Karl Lauterbach entgegnet, dass auch nationale, protektionistische Überlegungen eine Rolle gespielt hätten: Die Franzosen zum Beispiel wollten nicht zu viel deutschen Impfstoff kaufen und stattdessen lieber auf eigene Produzenten setzen. 

Heft 01-2021
Tichys Einblick 01-2021: Wer schützt unsere Demokratie vor Corona?
Woran es am Ende auch immer lag: Dass die „europäische Lösung“ der Impfstofffrage schlecht gelaufen ist, kann keiner der Anwesenden leugnen. Vor allem, nachdem die Gäste mit Aussagen von Professor Frauke Zipp konfrontiert werden. Die Wissenschaftlerin der „Leopoldina“ erklärte, Deutschland hätte im Sommer für 10 Milliarden Euro mehr als genug Impfdosen kaufen können, hätte dies aber versäumt. In diesem Zusammenhang wird Donald Trumps Impfstoffbeschaffung in der Runde sogar gelobt: Die USA hätten sich getraut, ein vielfaches dieser Summe in die Hand zu nehmen.  Die größte Überraschung des Abends in einem Nebensatz: Donald Trump wird in einer öffentlich-rechtlichen Sendung nicht nur fair dargestellt, sondern sogar gelobt. Doch selbst wenn Deutschland so handeln wollte wie Trump:  Wie Karl Lauterbach wenig später klarstellt, habe die EU bilaterale Impfstoffkäufe gar nicht erlaubt. Gott sei Dank schützt uns die EU also vor rechtspopulistischen Ideen wie einem ausreichenden nationalen Impfstoffvorrat. 

Hier das EU-Konzept zu verteidigen, fällt auch Dr. Liese schwer. Der stockt und stammelt, und schiebt die Schuld anschließend Sozialdemokraten, Grünen, Linken und Liberalen im EU-Parlament zu, die immer wieder Haftungsfragen gegenüber den Produzenten ins Spiel gebracht hätten. „Ich bin unglücklich mit dieser Situation“, erklärt er. „Aber für mich war es schwierig genug, den Einkauf gegen Sozialdemokraten, Grüne und Linke durchzusetzen.“ Anschließend verrennt er sich in einer peinlichen Analogie: In England würde man ihn mit Jürgen Klopp vergleichen. Und Klopp würde nicht darauf rumreiten, was man in der Vergangenheit hätte tun können, sondern in die Zukunft blicken. Politikversagen, insbesondere auf EU-Ebene, will der Brüsseler Abgeordnete offensichtlich nicht diskutieren. Doch das lassen ihm weder Frank Plasberg, noch die übrigen Anwesenden durchgehen: Im Verlauf der Sendung bezieht „CDU-Klopp“ noch ordentlich Kloppe. 

Dann haut Lauterbach noch einen raus

Denn Politik- und Staatsversagen zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Thematik. Die Einblicke, die die Studiogäste liefern, zeigen ganz deutlich: Beim Thema Impfstoff haben es die handelnden Organe nicht nur in Brüssel, sondern eben auch in Deutschland versaut. FDP-Politiker Wissing berichtet davon, dass Angela Merkel  einen Vorschlag von Gesundheitsminister Spahn, mit wenigen Ländern gemeinsam noch mehr Impfstoff zu kaufen, abgeschmettert hätte. Erklären kann das keiner – verstehen wahrscheinlich auch nicht. 

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Doch auch mit dem vorhandenen Impfstoff scheint man nicht richtig arbeiten zu können. Warum wird viel weniger geimpft, als möglich wäre? Da gerät Volker Wissing, der gerade noch die Bundesregierung scharf attackierte, plötzlich in die Defensive. Denn als stellvertretender Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz muss er gegenüber Plasberg erklären, warum der Impfstart auch in seinem Bundesland so langsam anlaufe. Der Impfstoff sei kurzfristig gekommen, da seien wenige Impfungen nicht verwunderlich. „Doch“, sagt Plasberg. Auch Dr. Liese schießt sich jetzt auf den FDPler ein. Doch das daraus folgende Politiker-Gekabbel kommentiert nicht nur Markus Feldenkirchen mit Unverständnis.

Auch die Einsendungen der Zuschauer stellen einen scharfen Kontrast dazu dar. Impfen, so sagt ein Zuschauer, sei doch der Weg aus der Krise. Warum gebe man in der Politik dann nicht soviel Geld wie nötig aus? Dazu kommen Berichte über den verbockten Impfstart aus erster Hand: Eine Zuschauerin, die ihre Mutter impfen wollte, erzählt von endlosen Warteschlangen in sinnlosen Hotlines, bei denen sie gar nicht durchkam. Ein 81-Jähriger kritisiert, mit der Online-Terminvereinbarung überfordert zu sein. Volker Wissing korrigiert die Kommentare der Zuschauer direkt: „Nach meinen Informationen ist das gut angelaufen.“ Alles hätte funktioniert und der Impfstart sei geglückt. In dieser Pandemie bei weitem nicht das erste mal, dass bemerkenswerte Diskrepanz zwischen Politikererzählung und Bürgerempfinden besteht. 

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Auch „SüZ“-Journalistin Berndt bestätigt in diesem Segment wieder, was eigentlich offensichtlich ist: Das größte Hindernis bei der Pandemiebekämpfung stellt die Ineffizienz des Staates dar. Gerade auf dem regionalen, lokalen Level sei es die überbordende deutsche Bürokratie, die die schnelle, unkomplizierte Immunisierung der Bevölkerung verhindert. Dass das anders geht, zeigt der Blick in andere Länder, den Moderator Plasberg in der Anmoderation der Runde wagt: Israel zum Beispiel hat bereits jetzt knapp 20% der Bevölkerung impfen können. Auch die oft für schlechtes Pandemie-Management gescholtenen USA sind dort um einiges weiter als Deutschland. 

Da Karl Lauterbach unter unseren Lesern ja sehr beliebt ist, wollen wir den Knaller, den der Gesundheitspolitiker am Ende noch auspackt, natürlich nicht verschweigen: Lockdowns sollten ab sofort am besten „open-end“, also ohne vorbestimmtes Enddatum verhängt werden. „Er muss so lange gehen, bis der angestrebte Zielwert erreicht ist“.  Trotz Impfungen, so Lauterbach, ständen uns jetzt die „härtesten drei Monate der gesamten Pandemie“ bevor.

Was nimmt man aus der Talkrunde mit? Vor allem erlebt man zumindest in einem Sektor eine belebte und uneinige Debatte, die man als Zuschauer schon gar nicht mehr gewohnt ist. Tatsächlich: Manchmal ist kritisches Diskutieren im ÖRR noch möglich. Und wenn im ÖRR die Bundesregierung scharf angegangen wird, ist das das größte Signal dafür, dass unser Staat auf ganzer Linie versagt hat – und diese Linie Merkel scheint damit doch ganz entschieden zu bröckeln.

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Kommentare ( 60 )

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60 Comments
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Lothar Finger
3 Jahre her

Bei Impfungen soll es manchmal zu sogenannten „Nebenwirkungen“ kommen! („Side effects“ steht manchmal auf den Packungen) Daher sollte man auch mit Druck und Zwang sehr zurückhaltend sein! Besonders bei Impfstoffen, welche auf die Gene des menschlichen Körpers einwirken, dort verheerende Schäden anrichten können und das auch machen! Narkolepsie – hieß das nach der so erfolgreichen Impfung gegen die Schweinegrippe! Nicht mehr bekannt? Egal – Impfen ist teil der Aufklärung (hab ich gestern gelesen) Und die Aufklärung – ja – genau diese, die dürfen wir doch wohl nicht in Frage stellen! Warum wird eigentlich nicht mehr gegen Schweinegrippe geimpft? Weil das… Mehr

Pankratius
3 Jahre her

Der Autor scheint regelmäßig den deutschen Staatsfunk zu konsumieren. Bei meinen Bekannten gleicher Konsumausrichtung stelle ich das Gleiche wie hier fest: Die Demokratie-Simulation des ÖRR wird für echt gehalten. Tatsächlich aber ist der Staatsfunk der größte Manipulator in Deutschland, dicht gefolgt von den Gates-sponsierten Relotiusblättern und dem Rest der Leidmedien, die mit Hunderten Millionen Steuergeldern in die finanzielle Abhängigkeit von der Regierung gebracht worden sind und fast alle den großen Seibert machen. Innerhalb dreier Jahre haben die Talkshows die größte Oppositionspartei im Bundestag fast komplett wegmanipuliert und die kleinste Partei im Bundestag weit überproportional herbeimanipuliert. Die Umfrageergebnisse bestätigen die Wirkung… Mehr

Fritz Goergen
3 Jahre her
Antworten an  Pankratius

Vorschlag: noch mal lesen.

Mausi
3 Jahre her

Das gehört zu den kleinen taktischen Päuschen für die harmlosen sich Aufregenden. Ein „bisschen“ Kritik, die inzwischen als gigantisch wahrgenommen wird, und wir haben uns abreagiert, sind wieder folgsam. Dann geht es weiter wie bisher. Massnahmen über Massnahmen. Und sollte die Kritik widererwarten doch unkontrolliert in eine Pandemie ausarten, dann ist man dabei gewesen.

Last edited 3 Jahre her by Mausi
schwarzseher
3 Jahre her

Wenn der Autor glaubt, in Zukunft würden die Öffentlich-Rechtlichen objektiver berichten, dann irrt er meiner Meinung nach. Merkel hat kaum noch Posten oder andere Privilegien zu vergeben, also muß man sich nicht mehr anbiedern. Im Gegenteil. Sollte Merkels Intimfeind Kanzler werden, dann ist es ratsam, sich rechtzeitig umzuorientieren. Die Breitseiten, die SPD Politiker seit kurzem in Richtung CDU/CSU abfeuern, obwohl sie als Mitregierende ebenso verantwortlich sind, sind wohl schon beginnender Wahlkampf. Und die alte Dame SPD, die im Herbst von einer Jüngeren verdrängt werden wird, übt schon den Rosenkrieg.

Silverager
3 Jahre her

Man erkennt, was man erkennen will. ?

Silverager
3 Jahre her

Wie? Was?
Das soll eine scharfe kritische Debatte gewesen sein?
Wo waren denn die Fachleute, die den Lockdown für falsch halten? Wo waren die skeptischen Mediziner, die Langzeitfolgen dieser lachhaften Impfung für nicht einschätzbar halten?
Da hocken doch immer die gleichen Gäste, die sich diesmal ein bisschen zanken dürfen.
Sorry, aber das war genauso eine Volksverar…, pardon Verhohnepipelung wie all die anderen seichten Plapper-Runden.

Christian
3 Jahre her
Antworten an  Silverager

Ich habe nur den Artikel gelesen, eine scharfe Debatte sehe ich auch nicht!!!! Das ist nur Show .Die gesamten Ursachen sind viel tiefer.Letztendlich saßen die Etablierten dort

Noergel Jo
3 Jahre her
Antworten an  Christian

Richtig. Das ist nur Show um den Menschen/Bürger/Untertan draussen das Gefühl zu vermitteln „jetzt tut sich was“. Das beruhtig die Menschen/Bürger/Untertanen und fördert damit ihre Bereitschaft, weiter darauf zu harren, was sich tut statt selber tätig zu werden.

moorwald
3 Jahre her

Ein Hauptgrund dürfte der Überdruß, das Leiden an all den Einschränkungen sein.
Die Menschen setzen große Hoffnungen auf den Impfstoff, der ihnen endlich wieder ihr normales Leben ermöglichen soll
Wahrscheinlich eine Illusion. Diese wird natürlich von den Machthabern, denen ihr blinder Aktionismus und ihr gleichzeitige Versagen längst über den Kopf wachsen, kräftig genährt.
Ihre Bedenken, die jeder mit kühlem Kopf teilen wird, werden wohl weitgehend ausgeblendet von den „Versessenen“.

Gerhart
3 Jahre her

Naja, der antifaschistische Schutzschirm über Herrn Macron, um Le Pen abzuwehren, ist ja schon aufgespannt

Kassandra
3 Jahre her

Nicht nur all diese abendfüllenden Diskussionen finden auf den tönernen Füßen eines Testes statt, der dabei bisher niemals in den MSM infrage gestellt wurde:
„Alle Maßnahmen basieren auf einem PCR-Test, der von hochkarätigen Wissenschaftlern angezweifelt wird.
Die vermeldeten Fallzahlen u Inzidenzwerte hängen von diesem Test ab.
Nach IfSG ist eine Infektion exakt definiert. Paragraf 2 , Absatz 1, Nr.2“
https://twitter.com/DrPuerner/status/1346426596262096897

GerdM
3 Jahre her

Es ist doch sinnlos, dass wir uns hier noch aufregen. aktuell sieht es so aus, dass Spahn beiseite geschoben wird und Merkel eine Arbeitsgruppe bestehend aus Gesundheitsminister Jens Spahn, Wirtschaftsminister Peter Altmaier (beide CDU), Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und dem Chef des Bundeskanzleramtes, Helge Braun (CDU) einsetzt.
Damit wird Sie sicher wird von unseren DDR-Medien gefeiert und als die Gößte hingestellt.