EU – wie weiter?

Die tektonische Verschiebung der politisch gesäßgeografischen Kontinentalplatte nach "Links" in den letzten 50 Jahren kommt nun zum Erliegen und setzt zur Verschiebung in die Gegenrichtung an.

© Sylvain Lefevre/Getty Images

FPÖ-Bundesobmann Heinz-Christian Strache nutzte vorgestern abend die ORF-Sendung „Im Zentrum“, um sich vom Front National abzugrenzen. Ich ordne das als einen Teil seiner Bemühungen ein, die „Braut“ FPÖ für die politisch offensichtlich mögliche Trauung mit dem Hochzeiter SPÖ herauszuputzen. Wirtschaftspolitisch teile seine Partei den „sozialistischen Weg“ von Le Pen nicht. Zum Kurs der FPÖ insgesamt formulierte Strache: „Wir sind heute viel stärker in der Mitte der Gesellschaft angekommen als Marine Le Pen“. Europapolitisch sagte er: „Wir wollen nicht austreten, sondern das EU-Projekt in die richtige Richtung entwickeln.“

Die FPÖ zählt anders als alle anderen Parteien, die von den Meinungsführer-Medien im von ihnen so genannten „rechten“, „rechtspopulistischen“ oder „rechtsextremen“ Spektrum eingeordnet werden, insofern zu den „alten“ Parteien, weil es sie bereits seit der unmittelbaren Nachkriegszeit gibt (ihren Vorläufer „Verband der Unabhängigen“ eingeschlossen) – seit 1955 unter dem Namen FPÖ: Freiheitliche Partei Österreichs. Mir geht es hier bei der FPÖ nur um die Europapolitik.

Lange Zeit waren die „Freiheitlichen“ die einzige Partei für die Teilnahme Österreichs am europäischen Einigungsprojekt. Alle anderen, von den Kommunisten bis Christsozialen waren wegen der „immerwährenden Neutralität“ Österreichs dagegen. Ich erinnere mich gut, dass an Bauzäunen und Hauswänden – damals noch gemalt, nicht gesprayt – stand: „EWG – neuer Nazi-Schmäh“ (Schmäh für Nichtösterreicher: Trick, Schwindel).

Erst mit Jörg Haider, der selbst lange zur Pro-Europa-Fraktion gehörte, begann die Absetzbewegung zur „Europa-kritischen“ Haltung zu Beginn der 1990er  – zeitlich ziemlich parallel zur Umbenennung von EWG in EG (zur Erinnerung: Österreich wurde 1995 Mitglied der EU nach einer Volksabstimmung 1994 mit 66,6 Prozent Ja). Am Ende ordneten sich alle anderen österreichen Parteien außer der Splitterpartei KPÖ eindeutig pro-EU ein und die FPÖ setzte sich immer mehr ab.

Die Systemgegner kommen aus der Mitte
Diesen Zeit-und-Meinungs-Verlauf finde ich interessant, weil er mit zeitlicher Verzögerung auch in den neuen Mitgliedsländern der EU aus dem ehemaligen Ostblock stattfand. Der anfänglichen Begeisterung für das Europäische Unionsprojekt folgte recht abrupt der Wechsel zur „Europa-kritischen“ Haltung. Auch in den westlichen EU-Ländern etablierten sich „Europa-Kritische“ bis hin zu denen, die aus der EU austreten wollen. Vorläufiger Höhepunkt: Ukip und der Brexit. Da Ukip ausdrücklich kein anderes Ziel verfocht, verlor die Partei aktuell in den britischen Kommunalwahlen 114 von 115 Sitzen.

Wenn FPÖ-Vormann Strache jetzt einen EU-Reform-Kurs setzt, kann das sehr gut ein Indikator für alle bisherigen EU-Gegner und EU-Kritischen sein, so wie der Richtungswechsel der FPÖ Anfang der 1990er ein indirektes Signal in die andere Richtung war. Als Fieberthermometer der EU-Kritischen scheint die FPÖ kein schlechter Anhaltspunkt. Noch allerdings ist das Gerät in Brüssel nicht im Einsatz.

Aus Frankreich verlautet, Marine Le Pen wolle den Front National zu einer neuen Bewegung umbauen und umbenennen. Manche ihrer Anhänger setzen dabei schon gar nicht mehr auf sie, sondern die nächste Generation Le Pen, Marines Nichte Marion Maréchal-Le Pen; übernimmt diese tatsächlich das Ruder, steuert sie wohl den entgegengesetzten Kurs der Strache-FPÖ.

Wer dazu gehört und wer nicht
Was kommt nach den Sozialdemokraten in allen Parteien?
Bei der AfD ist nicht klar, wie es richtungsmäßig weitergeht. Dass sie in alle noch offenen Länderparlamente – einziges Fagezeichen Bayern – einzieht und in den Bundestag, scheint von heute aus gesehen so gut wie sicher. Ob es von dort weiter aufwärts geht, steht in den Sternen. Dass sich die bei ihr angesammelten Wähler, die überwiegend frühere der CDU sind, wieder zurückbewegen, ist entgegen der Ansicht vieler Experten, Politiker und Journalisten jedoch äußerst unwahrscheinlich – da irrten ihre Vorgänger schon bei den Grünen. Haben Bürger einen solchen Schritt weg vom Üblichen des jeweiligen Zeitgeistes einmal trotz der massiven öffentlichen Brandmarkung getan, bindet sie jede öffentliche Verurteilung nur noch enger an die neue politische Heimat.

Was in der Bewegung En Marche ! von Emmanuel Macron steckt, die sich in „La République en Marche“ umbenennt, weiß noch keiner, Kenner Frankreichs sagen, Macron selbst auch nicht. Aber von Merkel über Gabriel bis Gysi einschließlich praktisch aller Medien wissen es alle, reklamieren alle Parlamentsparteien den Mann als ihren. Was Najib Karim, der in Hamburg der FDP abhanden kam, auf Facebook sehr schön auf den Punkt bringt:

In Griechenland und Spanien scheint der Hype um die neuen Parteien Syriza und Podemos, die als „linkspopulistisch“ klassifiziert werden, schon wieder vorbei – bei den „neuliberalen“ Ciudadanos wohl auch: ähnlich wie bei den NEOS in Österreich. Bei der Partei Die Linke neigt sich ihre Existenz im Westen wohl dem Ende zu, im Osten wird es sie geben, solange noch genug SED-Traditionalisten leben. Wogegen die erst 2009 in Anwesenheit von Oskar Lafontaine gegründete Parti de Gauche von Jean-Luc Mélenchon geschlagen, aber keineswegs entmutigt aus der Präsidentenwahl hervorgeht.

Womit ich sagen will, an vielen Stellen in der EU ist politisch Bewegung. Insgesamt kommt die tektonische Verschiebung der politisch gesäßgeografischen Kontinentalplatte nach „Links“ in den letzten 50 Jahren nun zum Erliegen und setzt zur Verschiebung in die Gegenrichtung an. Das sozialdemokratische Zeitalter begann 1918 und 1968 starteten die Epigonen von 1967 – beide Perioden gehen 2018 zu Ende. Die Nachhutgefechte sind im Gange. Ihre Träger wissen es nur noch nicht oder wollen es nicht wahrhaben. Dass die Wortführer des abtretenden Zeitgeistes alle ihre Hoffungen in Emmanuel Macron bündeln, den sie gar nicht kennen können, zeigt ihre Verzweiflung.

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Kommentare ( 35 )

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Barbara Goergen
6 Jahre her

Hallo Frank Kuebler:

Ceterum censeo … wenn Ihnen Ihr semper idem so sehr am Herzen liegt, sei’s drum.
Der alte Cato hatte weniger charmante Gedanken im Sinn …

Salve!

Falk Kuebler
6 Jahre her
Antworten an  Barbara Goergen

Da sage ich dann einfach: Danke!

Und weil ich es schon einige Zeit vermisst hatte:

Ceterum censeo AfD esse eligendam… ;-))

Seneca
6 Jahre her

Man muss Inhalte, Ziele, Strategie und Taktik von einander trennen. Die politischen Themen der „Populisten“ sind heute weltweit als Reaktionen auf die Auswüchse der Globalisierung sehr ähnlich. Bei den Zielen hakt es. Sind 50%+X denn überhaupt ein realistisches Ziel für EINE neue Partei in einem Mehrparteiensystem? Kann dieses die Messlatte sein dh LePen, Strache & Co. unter 50% = Flop? Wohl kaum. Niemand erwartet heute mehr von einer Partei gegen alle anderen 50% + x zu erzielen. Nicht einmal von der CSU in Bayern. Das Ziel muss deshalb letztlich doch sein, erst einigermaßen groß und bedeutsam, und dann koalitionsfähig zu… Mehr

MUKS
6 Jahre her

Sie haben Recht mit dem Pendel! Oder Druck erzeugt Gegendruck! In den letzten Jahrzehnten war alles, was für IDENTITÄT ausmacht – ob persönliche oder nationale – wurde unterdrückt. Es ist verrückt daran zu denken, wenn man nach GENDER betrachtet und INTERNATIONALISMUS – dass Menschen und Völker ohne WURZEL, ohne Bewusstseins, was oder wer sie sind, lebensfähiger werden. Sogar Häuser brechen ohne Fundament zusammen. Die ex-kommunistische Länder wissen es. Die SU wollte die gemeinsame geschichtliche Erinnerung ausloschen, was nicht gelungen ist. DESHALB sind sie achtsamer und kritischer gegenüber Gender und von der EU propagierte Internationalismus. 1. Anlauf für den „NEUEN MENSCH“… Mehr

CG
6 Jahre her

Eine Bewegung der ehemaligen CDU-Wähler, die ins Lager der AfD übergelaufen sind, kann erst beginnen, wenn Merkel und ihre Kamarilla nicht mehr in Amt und Würden sind. Das sage ich als langjährige CDU-Wählerin, nunmehr Ex-CDU-Wählerin. Der Fisch stinkt vom Kopf her, und solange dieser stinkende Fisch weiterhin auf dem Präsentierteller der CDU liegt, geht da gar nichts.

Rufus
6 Jahre her

Ein Ende der seit Jahrzehnten andauernden politischen Linksdrift kann ich zumindest in Deutschland nicht ausmachen. Meines Erachtens setzt sich die Verlinksgrünung des politischen Establishments fort – von der AFD geringfügig eingebremst. Um nicht vom „Wahrheitsministerium“ an das „Fake-Kreuz“ genagelt zu werden, zunächst ganz fernsehlike ein ausdrückliches SATIRE ON: Auch von den neugehypten liberalen Shootingstars am etablierten Firmament kann ich bisher nur die in Wahlkampfzeiten übliche „Wähler-hinter-die Fichte-führen-Strategie“ erkennen. Hier erwarte ich – sollten dies die Mehrheitsverhältnisse nach der BTW hergeben – ein zügiges Verschlupfen unter Muttis Rock, wo auch das blauweißverschnurrte Löwenkätzchen vermutlich schon leicht protestbrüllmaunzend auf die Streicheleinheiten durch… Mehr

John Galt
6 Jahre her

Der Verwendung ohne Definition nach zu urteilen, ist dieses von einem Spiegel-Reporter erfundene Attribut ein klarer Kampfbegriff.
Die Etikettierung soll die inhaltliche Auseinandersetzung ersparen.

Rainer Neuhaus
6 Jahre her

H. Lederer,

die von Ihnen scherzhaft angeführten Lebensmittelpakete gab es wirklich, sie hatten nur einen anderen Namen.

– Deutsche Urlauber-

Marcel Börger
6 Jahre her

Genau! Da sie alle nicht „von gottes Gnaden“ regieren, dienen sie dem, von dessen „Gnaden“ Sie auf jenen Stuhl gerieten. Da CDU und SPD den Staat insgesamt fest im Griff haben, sind Wahlen bis auf weiteres nur Makulatur, bis andere Parteien ausreichend Stimmen zur Übernahme der Mehrheit erlangen können, egal ob von links oder rechts, oben oder unten, Farbe auch egal. Das Kartell der Parteienmacht aus CDU und SPD dient nur marginal den Interessen der Bürger, ihren Proforma-Wählern, insbesondere nicht dem produktiven Teil der Wähler. Diese sind nur Melkkuh zur Finanzierung der ganzen Staatsshow, politischer Geschenke an wen auch immer,… Mehr

Marcel Börger
6 Jahre her

Sehr richtig, die Schicksalsfragen! Die von Ihnen erwähnten und einige mehr, stellen den Pflichtenkatalog, die ToDoListe des Regierungspersonals dar, umgrenzt ihre Pflichtenethik. Bekanntlich reden heute alle pausenlos über Haltung und Gesinnung, also fast nur über Gesinnungsethik. Laut Medien, Politikern und/oder Berufsschwindler sei alles (fast schon) gut, toll oder perfekt, wenn man nur über die richtige, angesagte und politisch korrekte Haltung verfüge und diese zeige, ausdrücke, veröffentliche etc. Selbst ein Unwort aus totalitären Zeiten ist wieder salonfähig geworden, die richtige Gesinnung. Mir persönlich ist es vollkommen Wurst, wer für sich welche Gesinnung, Haltung oder Religion in Anspruch nimmt. Diese inneren Umstände… Mehr

Rudolf Stein
6 Jahre her

Hier stimme ich Ihnen voll zu. Die AfD kann sich streiten so viel sie will, ich werde sie wählen. Unbeirrt. Egal, ob ich denen etwas zutraue oder nicht. Ich werde sie wählen, denn sie sind das absolut Alternative. Das einzig Alternative gegen das Böse, das uns seit Jahrzehnten regiert.