Erlaubte und verbotene Demonstrationen

Im "Tagesspiegel" findet sich ein Begründungszusammenhang, der unfreiwillig klar und deutlich sagt, dass es zweierlei Demonstrationen gibt: gute und schlechte, richtige und falsche.

IMAGO / Stefan Zeitz
CSD, Berlin 24.07.2021
Für Zusammenkünfte von Vielen im öffentlichen Raum hat die Staatsmacht angeordnet, dass Masken getragen werden müssen. Bei der „CSD-Parade“ in Berlin taten das viele Teilnehmer nicht, wie in Berichten zu sehen war. Die Staatsmacht schritt nicht ein.

Die Demonstrationen der sogenannten Querdenker müssen jetzt in Berlin, aber auch sonst generell damit rechnen, dass diese von vornherein verboten oder bei Stattfinden früh aufgelöst werden mit der Begründung, dass die Teilnehmer überwiegend keine Masken tragen.

Im Tagesspiegel findet sich ein Begründungszusammenhang, der unfreiwillig klar und deutlich macht, dass es zweierlei – neuhochdeutsch – „Demos“ gibt: gute und schlechte, richtige und falsche. Die Zeitung wörtlich:

Die Corona-Leugner haben permanent die Auflagen der Polizei missachtet. Mit Absicht. Bei keiner Demonstration der Querdenker in der Stadt trug die Masse der Teilnehmer Schutzmasken oder hielt Abstände ein. Der Hass auf den Staat eskalierte gar zum versuchten Sturm auf den Reichstag. Dass die Berliner Polizei die Demonstrationen von Querdenkern verbietet, erscheint zwingend.

Dass der Vorwurf Hass auf den Staat stimmt, ist zwar nur eine Wertung des Schreibers, die aber auch in meiner Wertung plausibel erscheint, allerdings mit einem Unterschied, auf den es ankommt: Der Redakteur verwechselt den Staat mit jenen, die in ihm zur Zeit das Sagen haben, er setzt also die Institution Staat mit der herrschenden Staatsmacht gleich.

Die Mär vom versuchten Sturm auf den Reichstag passt zu diesem schiefen Bild. Das tatsächliche Ereignischen am Rande der damaligen Querdenker-Demo, bei der es mehr um „Selfies“ ging als alles andere, war nicht einmal der Versuch eines „Sturmes“. Aber darum geht es hier nicht, was der nächste Passus im Tagesspiegel dokumentiert:

Die Teilnehmer der CSD-Parade hingegen kamen nicht mit der Absicht, den Staat herauszufordern. Das war auch früher nie der Fall.

„… nicht mit der Absicht, den Staat herauszufordern. Das war auch früher nie der Fall.“ – Das ist historisch falsch, denn genau das war zu Beginn der CSD-Bewegung ihr Zweck. Heute nicht mehr, das ist richtig, denn inzwischen haben Mitwirkende und Unterstützer der CSD-Bewegung mehr Einfluss in der Staatsmacht, als seinerzeit ihre Gegner hatten.

Haben die Demonstranten, welche die Querdenker mobilisieren, die „Absicht, den Staat herauszufordern„? Da gibt es sicher welche, für die das zutrifft. Aber die Mehrheit, der bisherigen Teilnehmer an solchen „Demos“ kommt aus höchst unterschiedlichen Motiven, immer leicht erkennbar an der Anmutung der Teilnehmer, am auffälligsten den Regenbogenfahnen. Zentrales Motiv, das die Teilnehmer eint, ist die Ablehnung der Coronapolitik der Staatsmacht, aktuell zugespitzt durch eine zunehmende Zahl vn Gegnern des Impfens generell, nicht nur des Impfzwangs. Dass diues die Staatsmacht „herausfordert“, ist klar, dass dies ein Grund ist, solche Demonstrationen zu unterbinden, ist unübersehbar. Dass die Masken nur als Mittel missbraucht werden, ist es auch.

Weiter beim Tagesspiegel zum Unterschied zwischen der „guten“ CSD-Straßenparty und der „schlechten“ Querdenker-Demonstration:

Wenn Gruppen junger Leute auf die Maske verzichten und sich klar erkennbar nicht an Auflagen halten, sind noch mehr deutliche Ansagen notwendig. Und notfalls ein zeitweiliger Stopp der Demonstration, damit Maskenverweigerer zur Besinnung kommen.
Die Lehre, die die Polizei ziehen wird, ist unschwer zu vermuten. Beim nächsten CSD, sollte Corona noch akut sein, werden die Auflagen mit mehr Nachdruck vertreten, womöglich auch verschärft. Bei den Querdenkern hingegen hilft kein Reden mehr.

Mich bestätigt dieses kleine Beispiel von Haltung statt Journalismus in meinem Fazit seit spätestens Mitte der Merkelzeit. Zwischen den Wortführern des Zeitgeistkartells in Politik, „Zivilgesellschaft“ und Medien auf der einen Seite und ihren wesentlich weniger homogenen Kritikern und Gegnern auf der anderen Seite ist kein Diskurs, kein Streit in der Sache mehr möglich. Nur noch der Schlagabtausch von Parolen findet statt. Argumente? Das war einmal.

Ein alter Bekannter aus Bonner Politik- und Medientagen fragte mich die Tage dazu: Aber Du hast doch damals 1967/68 mit Hardcore-Leuten von SDS und APO hart, aber gesittet auf Podien diskutiert, warum geht das heute nicht?

Meine Antwort war und ist schlicht: Damals hatten diese Leute den Zeitgeist gegen sich, heute sind sie das Zeitgeistkartell. Ihre Toleranz ist null, der damalige Zeitgeist war vergleichsweise liberal.

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Kommentare ( 48 )

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Elli M
2 Jahre her

Verehrter Herr Goergen der letzte Absatz faßt alles zusammen, was die heutige Misere ausmacht. Intolerant bis ins Mark, verachtend gegenüber anderen Meinungen und den sie vertretenden Menschen, selbstgerecht, verantwortungslos, habgierig ohne Leistungswillen, statt dessen scharf auf Staatsknete, besserwisserisch und engstirnig, möchte ich ergänzen. Darf gerne vervollständigt werden.

Henni
2 Jahre her

Meine Güte, da wollen Deutsche die ca. 20% bis 30 % der Bevölkerung repräsentieren, gegen Grundrechtsverletzungen demonstrieren, ein richtig ernstes Problem also, kein Vergleich zu den anderen pillepalle Demos zu Regenbogen, Gender oder diese Klimaphantasien, und es wird verboten, von einer Handvoll „Rottweiler-Mitläufer“ der Regierung. Unfassbar aber auch zu 100% erwartbar. So geht das nicht liebe Demonstranten, so wehrt man sich nicht liebe Freiheitsrechteverteidiger. Da muss schon mehr Bums dahinter stecken, es muss richtig knallen. Ich fahr doch nicht 700 km nach Berlin, um harmlos mit gesenktem Kopf wieder abzuziehen. Ich kann immer nur wieder an die Demonstrationskultur der Franzosen… Mehr

Aegnor
2 Jahre her
Antworten an  Henni

Tja, wie Lenin so treffend sagte: Wenn die Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen sie noch eine Bahnsteigkarte. Es ist kein Zufall, dass es in Deutschland noch nie eine erfolgreiche Revolution gab. Der einzige richtige Versuch überhaupt, der von 1848, wurde niedergeschlagen. 1989 war nach meinem Verständnis keine echte Revolution, weil es keinen Gegner (mehr) gab. Das SED Regime stand vor dem Kollaps, Armee und Polizei weigerten sich mehrheitlich auf die eigenen Leute zu schießen, weil sie wussten, dass sie nach dem Zusammenbruch sonst zur Verantwortung gezogen wären. Die rote Armee stand dank Gorbatschow auch nicht zur Verfügung. Insofern habe… Mehr

Der Winzer
2 Jahre her

„Damals hatten diese Leute den Zeitgeist gegen sich, heute sind sie das Zeitgeistkartell. Ihre Toleranz ist null, der damalige Zeitgeist war vergleichsweise liberal.“
Genau so ist es. Es gibt eine Aufzeichnung einer Diskussionsrunde des RIAS oder SFB u.a. mit Sebastian Haffner, Ulrike Meinhof, u.a. Ende der 60er (als Meinhof sich irgendwo zwischen APO & RAF befand). Heute umgekehrt undenkbar … . Bis in weit konservative Kreise, leider … .

Dissident
2 Jahre her

Die Buntenrepublik (für mich Deutschland seit Rot-Grün im Bund, also seit Ende 1998) definiert sich zu einem guten Teil aus einem neurotischen „Kampf gegen Räääächz“, weswegen ja die Querdenker sofort aufgrund einer Handvoll an Flaggen des Deutschen Reiches (Schwarz Weiß Rot) zu „Rechtsextremen“ erklärt wurden. Inzwischen ist die gefährliche Kombination von Unfähigkeit zur Selbstkritik verbunden mit Paranoia schon so weit fortgeschritten, dass jedes tagespolitische Ereignis von der politmedialen Kaste sofort danach abgeklopft wird, ob nicht hinter irgendeinem Busch „Rechtsextreme“ sitzen könnten. Wobei als „rechtsextrem“ inzwischen jeder gilt, der nicht auf Punkt und Komma den „Toleranz“-Dogmas zustimmt.

Rene 1962
2 Jahre her

Ich habe mir den Artikel, im Tagesspiegel durchgelesen.
Danach die Leserkommentare. Jetzt weiss ich warum sich in diesem Land nichts ändert.
Schauderhaft!!!!!

Hanno Spiegel
2 Jahre her

Gäbe es auch nur andeutungsweise diese „gefährlichen Feinde“ der Demokratie wie „Reichstagsstürmer“, so würde doch ein Verlagshaus wie das des tagesspiegel, zweimal in der Woche „entglast“ werden.
Eine bei linksverstrahlten tagesspiegelern*innen durchaus beliebte Art der Kommunikation.

Or
2 Jahre her

Der Liberalismus scheitert daran, daß er den linken, den sozialistischen Kräften die Zeit und die Gelegenheit gibt, dieses Land zu durchsetzten.

Die alte BRD hatte noch ein Land direkt vor der Haustür, bei dem so gar der Dümmste, das Wirken des Sozialismus studieren konnte.

Dieses Studienobjekt gibt’s nun nicht mehr, bzw. haben die Jüngeren nicht miterlebt.

Und bis auf diverse unverbesserliche Altkommunisten, is‘s die Jugend, die unter dem Deckmantel des Gender- und Klimaglaubens den Sozialismus wieder einführen will.

Or
2 Jahre her
Antworten an  Or

Wer redet den von äußeren Feindbilder ?
Ich rede von äußeren Studienobjekte.

Und ja. Natürlich sind die Probleme hausgemacht. In seiner Liberalität gibt der Liberalismus eben wieder den Bewegungen Raum, die diese Republik in Richtung Sozialismus führen wollen.

Nennen Sie’s Klimakirche, Gender- u. Diskriminierungskult. Es ist Sozialismus.

Und was die Frankfurter Schule angeht.
Gegründet von Marxisten und Kapitalismuskritiker die nicht verstehen konnten, warum der Aufstand des Proletariats ausgeblieben ist.

Ja … bei solchen Menschen wird der Liberalismus gelebt. ?

Or
2 Jahre her
Antworten an  Or

„dass die Systeme des Westens ohne äußeren Zwang keine stabilen Strukturen hervorbringen können und tendenziell zerfallen müssen.“ Das sehe ich anders. Die asiatischen Länder, die im groben Ganzen, die Werte, die Technologie, die Ökonomiedes und damit auch den Liberalismus des Westens übernommen haben, sind äußerst stabil. Und das auch ohne äußeren Druck. Ihr Vorteil ist, daß sie ihre gewachsen Kultur mit integriert haben. Und genau da sehe ich hier das Problem. Das alte Europa im allgemeinen, Deutschland im speziellen hadert nicht nur mit seiner eigenen gewachsenen Kultur, sie wird sogar von großen Teilen der eigenen Bevölkerung abgelehnt. Und das in… Mehr

Last edited 2 Jahre her by Or
Thomas H.
2 Jahre her
Antworten an  Or

Spiegel: Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung…..
Adorno: Mir nicht.

marxzii
2 Jahre her
Antworten an  Or

In gewisser Weise handelt es sich doch um „äußere“ Einflüsse.
Schauen Sie sich doch mal an, wer die „Frankfurter Schule“ begründet hat…

Dissident
2 Jahre her

Bei der CSD-Klientel handelt es sich um Liebkinder des Establishments der Buntenrepublik, daher wird ihnen auch Narrenfreiheit zugestanden (wiewohl diese Gruppe für 85% der Infektionen mit sexuell übertragbaren Krankheiten verantwortlich zeichnet, aber dieser Umstand wird seit einiger Zeit erfolgreich tabuisiert). Dieser Staat ist freilich schon seit geraumer Zeit zu offener Klientelpolitik übergegangen und schert sich um den Grundsatz „vor dem Gesetz sind alle Bürger gleich“ schon lange nicht mehr.

Thomas H.
2 Jahre her

Bis 20 Uhr Kundgebung gegen die Maßnahmen. NETTELBECKPLATZ, S BAHN BERLIN WEDDING!!!!!

thinkSelf
2 Jahre her

Wieso werden eigentlich die lokalen Niederlassungen des Ministeriums für Propaganda und Volksaufklärung immer noch als „Medien“ und deren offizielle Mitarbeiter als „Journalisten“ bezeichnet?

Sprecht doch einfach mal Klartext.