USA: Linksradikale Demonstranten belagern Bundesrichter vor ihren Wohnhäusern

Der Supreme Court fällte eine Entscheidung zum Abtreibungsrecht – daraufhin drehen weite Teile des linken Spektrums durch. Sie versuchen, die Richter in ihren Wohnhäusern einzuschüchtern, angestachelt von Politikern. US-Präsident Joe Biden distanziert sich ausdrücklich nicht.

IMAGO / ZUMA Wire

Man stelle sich folgende Situation in Deutschland vor: Es kommt heraus, dass das Bundesverfassungsgericht bald eine Entscheidung treffen wird, die der Partei des Bundeskanzlers missfällt. Politiker der Partei machen daraufhin Stimmung gegen das Urteil und Parteianhänger marschieren zu den Wohnungen der Richter, um sie vom geplanten Urteil abzubringen.

Genau das passiert gerade in den USA.

Samstagnacht hat eine Gruppe von etwa 100 linken Demonstranten die Wohngegend der konservativen Supreme-Court-Richter Brett Kavanaugh und John Roberts aufgesucht, Letzterer ist der Vorsitzende Richter des obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten. Die „Aktivisten“ haben lautstark vor den Häusern der Richter Stimmung gegen ein bevorstehendes Urteil zum Abtreibungsrecht gemacht. „Wir werden nicht zurückgehen“, riefen die Demonstranten vor Kavanaughs Haus. „Die Zeit der Höflichkeit ist vorbei“, sagte die Organisatorin des Protests. „Mit Höflichkeit kommt man nicht weiter.“

Die US-Senatorin Elizabeth Warren von den Demokraten schrieb etwa auf Twitter, sie werde „wie in der Hölle kämpfen“. Die gleiche Formulierung verwendete auch Donald Trump vor gut einem Jahr, als er zu Demonstranten gegen die Zertifizierung von Bidens Sieg in der Präsidentschaftswahl sprach, von denen ein radikaler Kern dann später das US-Kapitol stürmte. Die gleichen Metallzäune, die danach monatelang das US-Kapitol abriegelten, sind nun rund um den Supreme Court hochgezogen worden. Aber das hielt den Mob jetzt nicht auf, zu den Häusern der Richter zu ziehen.

Schon vor Tagen, als eine Karte von Privatadressen der Richter veröffentlicht wurde, fragte ein Reporter im Weißen Haus nach, was der Präsident von solchen Demonstrationen vor den Häusern der Richter halte, ob so etwas extrem sei und ob er so etwas verurteilen würde. Die Antwort: „Der Präsident ist der Ansicht, dass es viel Leidenschaft gibt“, und solche Proteste seien nicht extrem, weil sie ja friedlich seien, und er habe „keine Position“ dazu, wo demonstriert werde. Für viele klingt das so, als würde das Weiße Haus solche Einschüchterungstaktiken gegen Richter billigen.

Hintergrund ist das dieses Jahr anstehende Urteil des Supreme Courts im Fall Dobbs v. Jackson Women’s Health Organization, der sich um das Abtreibungsrecht dreht und zu einer Aufhebung des umstrittenen Roe v. Wade-Urteils aus den 70ern führen kann. Ein Urteilsentwurf davon, der genau das vorsieht, war vergangene Woche geleakt worden. Mit Roe führte der Supreme Court ein Verfassungsrecht auf Abtreibung ein, das im eigentlichen Verfassungstext gar nicht auftaucht, und schränkte die Restriktionen zu Abtreibungen scharf ein – so scharf, dass die USA dadurch aktuell ein deutlich liberales Abtreibungsrecht haben als die meisten europäischen Länder.

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Kritiker werfen dem Gericht nun Frauen- und Demokratiefeindlichkeit vor. Sie berufen sich darauf, dass eine knappe Mehrheit der Amerikaner die Aufhebung von Roe ablehnt. Was unterschlagen wird: Eine deutliche Mehrheit wünscht sich auch Abtreibungsrestriktionen, die unter Roe gar nicht möglich wären. Mississippis Abtreibungsgesetz, über dessen Verfassungsmäßigkeit nun entschieden werden soll, erlaubt Abtreibungen etwa noch einige Schwangerschaftswochen später als in Deutschland. Trotzdem wäre das Gesetz unter Roe verboten – und nun sieht es so aus, als wäre Roe bald Geschichte.

Mit der Aufhebung wäre allerdings Abtreibung keineswegs verboten, was viele fälschlicherweise denken – nur würde wieder jeder Bundesstaat eigene Regelungen dazu treffen, die erwartungsgemäß ganz unterschiedlich sein dürften. Man wird dann beide Extreme sehen: Einige Bundesstaaten erlauben Abtreibung bis zur Geburt, einige werden es bis auf Ausnahmen verbieten, und der Rest wird irgendwo dazwischen liegen. Das ist weniger „undemokratisch“ als vielmehr föderalistisch.

Undemokratisch dagegen könnte man es nennen, wenn die dritte Gewalt im Staat mit Drohungen und Mobs dazu gedrängt werden soll, die Meinung zu ändern. Der Leak des Urteilsentwurfs, der die aktuelle Stimmungsmache erst möglich machte, ist zweifellos eine beispiellose Verletzung der Integrität des Gerichts. Aber es ist bei Weitem nicht die erste Einschüchterung dieser Art, die man in letzter Zeit gesehen hat – gerade von links.

„Ich möchte Ihnen sagen, Gorsuch, ich möchte Ihnen sagen, Kavanaugh, Sie haben den Wirbelsturm befreit und Sie werden den Preis zahlen! Sie werden nicht wissen, was Sie getroffen hat, wenn Sie mit diesen schrecklichen Entscheidungen fortfahren.“ Das sagte der Fraktionsvorsitzende der Demokraten im Senat, Chuck Schumer, schon im März 2020, als er auf den Stufen des Supreme-Court-Gebäudes zwei der konservativen Supreme-Court-Richter beim Namen attackierte.

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Und selbst mit den Richtern aus dem eigenen Lager geht man kaum besser um: Stephen Breyer, der älteste Richter des linken Flügels, sah sich mit einer „Tritt zurück, Breyer!“-Kampagne konfrontiert, inklusive entsprechenden Plakatwägen vor dem Gericht, bevor er ankündigte, in den Ruhestand zu gehen. Und nicht mal da gab man ihm die Möglichkeit, die Entscheidung selbst bekannt zu geben: Sie wurde Wochen, möglicherweise Monate vor dem ursprünglich geplanten Termin geleakt, damit Präsident Biden noch schneller eine Nachfolgerin ernennen und durch den Senat bestätigen lassen konnte. Nichts durfte dem Zufall überlassen werden, da man befürchtet, dass die Republikaner im November die Senatsmehrheit zurück gewinnen.

Am liebsten würden viele Politiker der Demokraten dem Gericht zusätzliche Posten hinzufügen und dann mit eigenen Richtern besetzen, um die ideologische Balance zu verschieben. Eine Taktik, die man in anderen Ländern als autoritäre Attacke auf den Rechtsstaat brandmarken würde. Aber noch spielen nicht alle Senatoren der eigenen Partei bei diesen Spielen mit – also greift man stattdessen zu Druck von außen. Und wenn es sein muss, eben vor der Haustür der Richter.

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Kommentare ( 37 )

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pantau
1 Jahr her

Wenn es zu 1 Thema 10 Mainstreamlügen gibt, gehen selbst einem kritischen Autor manchmal die eine oder andere quasi durch die Lappen. Ich fand kürzlich selbst beim stilistisch so reflektierten Alexander Wendt das Wort „Studierende“. Oder aber es geschieht vorsätzlich, um zu demonstrieren, dass man das eine oder andere Zugeständnis ans Gegenlager zu machen bereit ist.

Alexis de Tocqueville
1 Jahr her

Eine unnötige, experimentelle Gen-Spritze verweigern geht gar nicht, ein lästiges Baby ermorden ist ok? Weil ist ja ihr Körper?

Alle Welt will Frau ihren Willen aufzwingen? Weil alle Welt was gegen Mord hat? Potzblitz!

Hieronymus Bosch
1 Jahr her

Für die Linken ist Gewalt das tägliche Brot zum Leben! Wie man ohne Nahrung nicht leben kann, können sie ohne Gewalt nicht existieren!

Axel Fachtan
1 Jahr her

Der Kampf um das Recht ist ein geistiger Kampf. Dieser Kampf darf nicht auf der Straße ausgetragen werden. Weder Richter noch Amtsträger dürfen bedrängt und genötigt werden. „Schiri, wir wissen wo dein Auto steht“ ist weder Recht, noch Demokratie, sondern Faustrecht. Diese Art Faustrecht wird durch Rechtsstaat und demokratische Teilhabe ersetzt. Wer die Axt an die Wurzeln von Rechtsstaat und Demokratie legt, der muss sich nicht wundern, wenn genau die Strukturen zerstört werden, auf die er selbst auch angewiesen ist. Die Praxis „wenn mir Urteile gefallen, ist es ja o.k. . Aber wenn mir Urteile nicht gefallen, dann stehe ich… Mehr

Takeda
1 Jahr her

Ich sagte bereits vor Jahren, wenn die Republikaner/Konservativen auf Diplomat mimen, wird das böse ende. Man sieht es momentan im ganzen Westen, Linksradikale/Ökofaschisten übernehmen die Federführung, gepampert von den meisten Medien und die Konservativen und Liberalen, machen lieber den Kotau oder werden gänzlich ausgegünthert, aehm ausgetauscht.

Juergen P. Schneider
1 Jahr her

Wenn Linke merken, dass eine bestimmte Entwicklung sich gegen ihre eigene Ideologie richtet, wenden sie alle Mittel an, um diese Entwicklung zu verhindern. Sie schrecken vor keiner Unverschämtheit und manchmal auch vor keinem Unrecht zurück, nur um am Ende ihre Sicht der Dinge durchzusetzen. Leider wird es ihnen seit Jahrzehnten durch feige und unfähige Konservative allzu leicht gemacht. Dies gilt für die gesamte westliche Welt.

Lars Baecker
1 Jahr her

„Man stelle sich folgende Situation in Deutschland vor: Es kommt heraus, dass das Bundesverfassungsgericht bald eine Entscheidung treffen wird, die der Partei des Bundeskanzlers missfällt.“
Unvorstellbar.

Johann Thiel
1 Jahr her

An Ihrem Hinweis, lieber Friedrich Wilhelm, erscheint gar nichts befremdlich, ist dieser doch ganz im Gegenteil ein Volltreffer. Zumindest dann, wenn man sich noch ein Stück Restvernunft bewahrt hat und sich entgegen allem Guten-Anschein, dem besagtem Schierlingsbecher zu verweigern traut.

Mausi
1 Jahr her

„Mit der Aufhebung wäre allerdings Abtreibung keineswegs verboten, was viele fälschlicherweise denken – nur würde wieder jeder Bundesstaat eigene Regelungen dazu treffen, …“

Also eine Entscheidung für die Demokratie. Das geht für Linke mit Träumen von Planwirtschaft und Gleichheit Aller natürlich gar nicht.

Als erstes sollte in D die Bannmeile wieder eingeführt werden. Genehmigte Demonstrationen gibt es nur auf bestimmten Plätzen. Alles andere ist unter Polizeischutz zu stellen bzw. zu unterbinden. Auch Meinungsäußerung an öffentlichen Gebäuden wie Regenbogenfahne oder Beleuchtung in Form von Schlagworten gehören auf die Verbotsliste.

Last edited 1 Jahr her by Mausi
Albert Pflueger
1 Jahr her

In der Zusammenfassung heißt es, der Supreme Court „fällte“ ein Urteil, im Text dann, es stehe ein Urteil bevor. Was ist denn nun richtig?