Corona: In Frankreich und Großbritannien beginnt die Aufarbeitung, in Deutschland der nächste Corona-Winter

Man habe manchmal die „Gesundheit über die Menschlichkeit gestellt“, heißt es in Frankreich; in Großbritannien spricht der ehemalige Finanzminister darüber, wie er in Kabinettssitzungen boykottiert wurde, wenn er Zweifel an der Corona-Politik des Landes äußerte. Deutschland marschiert indes unverdrossen weiter.

IMAGO / Starface

„Natürlich bedauere ich vieles. Wir haben manchmal die Gesundheit über die Menschlichkeit gestellt.“ Das sind starke Worte nach zweieinhalb Jahren Corona-Maßnahmen. Sie stammen von Jean-François Delfraissy. In einem Radio-Interview räumte der Immunologe bereite Ende Juli ein, dass Fehler gemacht worden seien. Einige Bewohner von Altenheimen hätten ihren Lebenswillen verloren und nur noch auf den Tod gewartet, weil sie ihre Angehörigen nicht mehr sehen durften. „Bei den Schulen, bei den älteren Menschen hätten wir uns auf die Meinung der Bürger verlassen können. Aber die Politik wollte es nicht auf nationaler Ebene.“

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Delfraissy war der Vorsitzende des wissenschaftlichen Expertenrats, der in der Corona-Krise die Regierung von Emmanuel Macron beriet. Man muss das im Kontext mit früheren Äußerungen des französischen Staatspräsidenten sehen. Macron hatte dem Virus „den Krieg erklärt“ und er wollte „Ungeimpfte bis zum bitteren Ende nerven“. In Frankreich galten phasenweise rigidere Beschränkungen als in Deutschland. Und nicht nur bei Wissenschaftlern hat es einen Meinungsumschwung gegeben.

Erschwerend kommt hinzu: Die letzte Parlamentswahl hat Macrons Herrschaft als Sonnenkönig beendet. Er steht vor einem unkontrollierbaren Parlament, in dem eine informelle Koalition aus konservativen Republikanern, rechtem Rassemblement National und den Linksradikalen von NUPES die Corona-Bestimmungen jederzeit verhindern kann. Dieselbe Konstellation hat dazu geführt, dass es bereits jetzt keine Masken mehr im öffentlichen Nah- oder Fernverkehr gibt. Während in Deutschland die Maskenpflicht an der Straßenecke winkt, hat man sich in Frankreich auf das Ende der Pandemie verständigt.

Macron hat seine Rolle längst gefunden. Statt zum napoleonischen Aufbäumen gegen Corona aufzurufen, ist es nunmehr die Energie- und Wirtschaftskrise, die der Präsident in gewohnter Heldenpose rhetorisch bekämpft. Die Zeiten des Überflusses seien vorbei. Wenn eine Krise die nächste jagt, hat die Politik den Vorteil, sich neuerlich als Krisenbewältiger zu inszenieren, ohne dass man Bilanz bezüglich der letzten ziehen kann. Da sich aber einige Parameter im Nachbarland verändert haben, ist es fraglich, ob die Franzosen ihren angeschlagenen Staatschef so einfach davonkommen lassen.

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Auch in Großbritannien scheint das Bedürfnis groß, das Versagen aufzuarbeiten, statt sich im Spahn’schen Versöhnungsmodus „gegenseitig“ zu verzeihen. Robert Taylor hat im Telegraph die Lockdown-Skeptiker beglückwünscht, die trotz Schmähungen und Ablehnung weiterhin die Freiheit verteidigt hätten. Es sei ein „einsamer“ Kampf gewesen. Anlass für den Artikel gab der Offenbarungseid des früheren britischen Finanzministers Rishi Sunak. Sunak hatte dem Spectator ein Interview gegeben, in dem er seinen Windmühlenkampf innerhalb des britischen Kabinetts beschrieb.

Sunak sagt, dass es falsch gewesen sei, Wissenschaftlern so viel Macht zu geben und die langfristigen Auswirkungen des Lockdowns auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen nicht zu berücksichtigen. Es sei falsch gewesen, die „unvermeidlichen enormen Verzögerungen bei der Diagnose von Krebs, Herzkrankheiten und Diabetes nicht zu diskutieren; falsch, Schulen zu schließen; und falsch, solche Angst einzuflößen“, sagt der Ex-Schatzkanzler weiter. Sunak sei sogar daran gehindert worden, diese Probleme anzusprechen, und wenn er es getan hätte, wäre er auf eine „Mauer des Schweigens“ gestoßen.

Taylor nahm Susaks Statement zum Anlass, insbesondere die Verfehlungen von Medien und Politik anzusprechen. Diskussionen seien im Keim erstickt worden, weil jeder als Mörder deklariert worden sei, der dem Lockdown und anderen Maßnahmen kritisch gegenüberstand. Ein Abgeordneter hätte den Austausch damit abgewürgt, dass Skeptiker sich für ihre Ansichten – und damit Covid-Tote – verantworten müssten, und damit die Meinungsfreiheit beschnitten. In den sozialen Medien sei der Missbrauch dieser Argumente immens gewesen, indes Massenmedien die Skeptiker als kleine, einflusslose Minderheit abgetan und deklassiert hätten. Taylor geht damit weiter als einst eine dänische Tageszeitung, die sich bei ihren Lesern für die Corona-Berichterstattung entschuldigte: Er gibt denjenigen, die sich angeblich irrten, mit ihrer Ansicht Recht.

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In Italien, dem vierten großen Land in Europa, ist es derzeit auffallend still in Sachen Corona. Weniger die Krankheit und die Maßnahmen, denn die Zukunft des Corona-Fonds beschäftigt die Politik. Zwar kritisierte der geschäftsführende Gesundheitsminister Roberto Speranza erst kürzlich die in den Umfragen führende Giorgia Meloni: Sie „flirte“ mit Impfgegnern. Doch es sind Nebennotizen, die angesichts der galoppierenden Unzufriedenheit mit Speranza nur noch Bedeutung für die eigene Klientel hat. Die Warnung vor den Impfskeptikern und Maßnahmengegnern verpufft.

Denn auch in Rom rechnet man ab Herbst mit einer Kehrtwende. Sollte Giorgia Meloni Premierministerin werden, lastet auf ihr der Wählerdruck. Der Aufstieg ihrer Fratelli d’Italia ist auch der Opposition Melonis gegen die rigiden Corona-Regeln und dem Kampf gegen eine Impfpflicht geschuldet. Die Wähler werden nach dem 25. September von ihr erwarten, dass sie Italien eine Rückkehr zum Alltag ermöglicht. Wenn nicht, dürfte der Stern der Römerin schneller verglühen, als er aufgestiegen ist. Die Frage, warum das „Belpaese“ trotz härtester Restriktionen und Gängelungen zuletzt mehr Covid-Tote hatte als das liberale Schweden, liegt bereits jetzt in der Luft.

Und in Deutschland? Die Welt konfrontiert Gesundheitsminister Karl Lauterbach am Sonntag mit der Frage, warum im Rest der EU noch keine Corona-Regeln in Kraft seien. Funktioniert das Virus in Deutschland also anders? Lauterbach:

„Nein. Aber anders als viele andere Länder treffen wir in Deutschland bereits im Sommer Vorbereitungen für den Herbst. Wir haben aus der Vergangenheit gelernt: Letztes Jahr hatten wir einen unbeschwerten Sommer, und dann war berechtigterweise die Kritik groß, warum wir uns nicht genügend auf die Unwägbarkeiten des Herbstes vorbereitet hätten. Das darf sich nicht wiederholen.

Ich habe den ganzen Sommer daher an Schutzmaßnahmen gearbeitet. So manches Nachbarland wird im Herbst ähnliche Maßnahmen wie wir jetzt ergreifen. Weder die übrigen EU-Staaten noch wir sind schon durch das Gröbste hindurch.“

Deutschland geht also wieder voran. Mit Vorbildfunktion. Wie so oft. Den Rest kennen wir bereits.

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Kommentare ( 30 )

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Rob Roy
1 Jahr her

Wer die Impfung propagiert, hat höchstwahrscheinlich ein geschäftliches Interesse daran. „Ärztepräsident“ Montgomery war bis zum April im Aufsichtsrat eines Unternehmen, welches mit Biontech-Aktien gehandelt hat. Jetzt ist er zudem immer noch im Vorstand eines Unternehmen, welches mit Anlageprodukten im Gesundheitswesen Geld verdienen will. Komiker-Arzt Von Hirschhausen sitzt im gleichen Vorstand. Viele andere, die sich öffentlich für die Weiterspritzung einsetzen haben sicher ähnliche Jobs in der Pharmaindustrie. Und auch für Lauterbach gibt es garantiert nach seiner Amtszeit einen schönen Posten. Dasselbe Geklüngel ist vermutlich auch bei den FFP2-Masken der Fall, wo jemand mit Kontakten in die Politik noch auf einem Haufen… Mehr

Michael Palusch
1 Jahr her
Antworten an  Rob Roy

„Und auch für Lauterbach gibt es garantiert nach seiner Amtszeit einen schönen Posten.“
Meine Eindruck ist eher, auch mit Blick auf Lauterbachs Wirken in Sachen Fettsenker/Appetitzügler, Krankenhausprivatisierung sowie sein Einsatz für die Schweinegrippeimpfstoffe, auch die waren ja „hochwirksam und sicher“, dass Lauterbach diesen Posten längst hat.

Nachhaltiger Energie und Klimawandler
1 Jahr her

Wir haben hier die Möglichkeit in die Schweiz und nach Frankreich auszuweichen. Geht es z.B. um einen Flug innerhalb von Europa oder International kommt nur Zürich oder Basel in Frage. Um Frankfurt werden wir einen großen Bogen machen. Hinzu kommt, dass durch die Deutsche Bahn nicht gewährleistet ist, dass wir da überhaupt hinkommen. Von Herrn Lauterbach möchte ich keine Betreuung jedweder Art erfahren. Von einem führungsstarken Bundeskanzler würde ich mir wünschen, dass er diesen Dilettanten endlich aufs Abstellgleis schiebt und die Weiche auf Dauer blockiert.

Onofrio DelGrillo
1 Jahr her

Warum kommen mir ausgerechnet jetzt diese Zeilen von B.Brecht in den Sinn?

„Hinter der Trommel her
Trotten die Kälber                                 
Das Fell für die Trommel                          
Liefern sie selber.
Der Schlächter ruft: Die Augen fest geschlossen     
Das Kalb marschiert. In ruhig festem Tritt.         
Die Kälber, deren Blut im Schlachthaus schon geflossen
Marschiern im Geist in seinen Reihen mit…“

Deutschland – Kälberland. Immer wieder. Egal ob’s von links oder rechts oder grün plärrt.

Michael Krabbe
1 Jahr her

Hobbits schauen nicht über den Tellerrand. Corona schwimmt nur in einem Meer von Tellern, die allesamt einem Strom folgen. Und der führt nicht in ein goldenes Zeitalter. Für das muss sich jeder erheben.

ketzerlehrling
1 Jahr her

Die Deutschen sind bekannt für ihre Dummheit und Bockigkeit. Sie sind Extremisten, unfähig zu Angemessenheit, zu Verhältnismäßigkeit, dafür voller Selbstüberschätzung, Selbstgefälligkeit und damit immer neben der Spur.

Gustav Paul
1 Jahr her

Der folgende Text passt zwar nicht direkt zu obigem Artikel, aber ich möchte hier ein Thema aufgreifen, das im Kommentarteil mmer wieder direkt oder indirekt angeschnitten wird. Es geht um das Auswandern bzw. das Suchen/Finden eines potenziellen „Zufluchtortes“. Ich möchte Ihnen deshalb gerne kurz von einem Land berichten, das die wenigsten Ausreisewilligen in Betracht ziehen. Und zwar geht es um Nordzypern. Wir – Ehepaar – kennen diesen Inselteil schon seit über einem Vierteljahrhundert und leben auch seit vielen Jahren hier. Vorteile u.a.: Klima, wärmstes und sauberstes Meer Europas, extrem geringe Kriminalität, säkulare Gesellschaft (Toleranz gegenüber allen Religionen), Zureise von Asylanten… Mehr

Michael Palusch
1 Jahr her

„Ich habe den ganzen Sommer daher an Schutzmaßnahmen gearbeitet.“
Herr Lauterbach: ICH WILL VON IHNEN NICHT BESCHÜTZT WERDEN!!!

Timur Andre
1 Jahr her

Aufarbeitung? Der Digitale Pass ist unabdingbar für die totale Kontrolle, wie es die WEF/EU und Oligarchen als Ziel formuliert haben. Wesentlicher Bestandteil sind regelmäßige Impfungen (siehe youtube Thales Digital ID)!
Ob Corona nun natürlich ist oder nicht, das ist sogar zweitrangig, die gezielte Eskalation ist es aber nicht. WEF Jünger wie Macron werden einen Duvel tun und Ross/Reiter nennen, das ist alles Schau.

Michael Palusch
1 Jahr her
Antworten an  Timur Andre

Könnte sein, dass die Energiekrise, besser: Sanktionswahn, dem einen Riegel vorschiebt und die schönen Pläne wertlos macht. Vor diesem Hintergrund wäre auch die Hysterie des Westens plausibel.
Mal ehrlich, was gibt es in der Ukraine für den Westen sonst zu verteidigen? Das Verbot von Oppositionsparteien, zügellose Korruption und Oligarchen, einen Mindestlohn von 1,21€ odrt das einem Großteil der Bevölkerung die Benutzung ihrer Muttersprache verboten wird?
Und komme mir jetzt bloß keiner mit der Freiheit, denn regierungskritische Medien sind dort auch verboten.

Julischka
1 Jahr her

Noch nie war diese Gesellschaft derart gespalten, noch nie stand die Versorgungssicherheit auf so wackligen Füßen, noch nie ging es uns, einschließlich unserer Kinder psychisch so schlecht und noch nie war die 3.Weltkriegsgefahr so groß wie derzeit! Und die deutsche Bundesregierung traut sich ernsthaft neue Gängelungen, Verbote und Grundrechtseinschränkungen anzukündigen ! Entweder sind sie sich ihrer Sache soo sicher ODER es ist eine letzte Machtdemonstration, weil sie wissen sie sind am Ende!?

N. Niklas
1 Jahr her

Man hat nicht „die Gesundheit über die Menschlichkeit“, sondern den WEF und seine Welteroberungspläne über Demokratie und Selbstbestimmung gestellt. Insofern ist kaum etwas daran, was in GB und FR passiert, eine echte Aufarbeitung, sondern die nächste Nebelkerze, die nächste Ablenkung, die die Herrschaften sich leisten, weil sie uns, auch die Franzosen und Briten, ja jetzt mit „Ukraine“ und Energiekrise am Haken haben. Niemand bereut, niemand wird büßen – außer uns, nämlich dafür, dass wir „unnütze Leute“ für diese grauenhafte Creme sind. Wir werden ruiniert, schikaniert, entrechtet und am Ende eingesperrt, wenn unser Social Credit komplett aufgebraucht sein wird. Die Lager,… Mehr