Das unheilvolle Schweigen des Drachen, der den Putsch verschlief

Lange Zeit galten China und Russland als engste Verbündete in dem seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs geführten Kampf um eine neue Weltordnung. Doch angesichts des Putsches von Prigoschin schweigt Peking bislang. Der schlafende Drache wird zum Elefant im Raum.

David Boos/Midjourney

Spätestens seit der gemeinsamen Erklärung von Russland und China im Vorfeld der Olympischen Spiele im Februar 2022 schienen Russland und China vereint im Kampf gegen den „NATO Expansionismus und westliche Einmischungspolitik“. Die Rollenverteilung war dabei immer klar: Russland, der Bär, in der Rolle des vor allem ökonomischen Juniorpartners, aber dafür mit einer geistigen Verwandtschaft zum Westen, die geprägt war von jahrhundertelanger Koexistenz. China, der Drache, ist ein ökonomischer Gigant und militärisches Schreckgespenst, dessen tatsächliche Macht aber niemand bis heute wirklich einzuschätzen weiß.

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Kurze Zeit spät brach der Krieg mit der Ukraine aus und Wladimir Putin bediente sich seitdem einer deutlich aggressiveren Rhetorik gegen den Wertewesten, als er es in den Jahren zuvor getan hatte. Die Rückendeckung Chinas schien ihm Aufwind zu verleihen und er hoffte, dass diese neue Partnerschaft ihm ermöglichen würde, den von ihm für nötig erachteten „Befreiungsschlag“ für Russland zu bewirken.

Während aber China sich weigerte, den Krieg Russlands öffentlich zu verdammen, war Peking dennoch sehr erpicht darauf, sich nicht als Kriegspartei verwickeln zu lassen. Man pochte wiederholt auf Verhandlungen, übte sich ansonsten in vornehmer Zurückhaltung, wie man es im wiedererstarkten China gerne tut. Während Nato-Länder gefühlt ihren gesamten Fuhrpark in der Ukraine entsorgten, wurde China zwar aufmerksam beäugt, trat aber nie als größerer Waffenlieferant in Erscheinung.

Just am Tag des Ausbruchs der Rebellion von Prigoschin, dem 23. Juni, veröffentlichte die New York Times einen Artikel, in dem sie China Munitionslieferungen an Russland vorwarf. Dass diese aber womöglich nicht in dem Ausmaß stattfanden, wie Russland es sich gewünscht hätte, lässt sich aus den empörten Beschwerden Prigoschins vor dem Putsch ablesen, der just den Mangel an Munition bemängelte und der Armeeführung vorwarf, Soldaten – wohlgemerkt in jahrhundertelanger Tradition russischer Kriegsführung – schlecht ausgerüstet in den Fleischwolf geschickt zu haben.

Ein Putsch, der nur Verlierer kennen wird

Zum jetzigen Zeitpunkt ist der Ausgang des Putsches schwer absehbar. Es wird viel spekuliert, dieselben Argumente werden für unterschiedlichste Ergebnisse herangezogen. Betrachtet man aber die beiden möglichen Resultate, erweisen sich beide als Schritt zur weiteren Eskalation der Lage für die Weltgemeinschaft.

Denn wenn Prigoschin triumphiert und Putin abgesetzt wird, droht nicht nur das Land auseinanderzubrechen, es hätte sich auch ein Hardliner durchgesetzt. Müsste man im Lexikon unter Warlord nachschlagen, fände man ein Bild von Prigoschin. Wie auch schon bei den verfehlten Hoffnungen des Westens auf russische Oppositionelle wie zum Beispiel Nawalny, der teils ultra-nationalistische Positionen vertritt, könnte man letzten Endes auch hier den Teufel mit dem Beelzebub austreiben. Das größte Land der Erde würde destabilisiert, ein Bürgerkrieg in einer Atommacht könnte möglicherweise ausgelöst werden.

Doch selbst wenn Putin an der Macht bliebe, ließe sich nach dem niedergeschlagenen Putsch nicht einfach weiter regieren, als wäre nichts passiert. Putins – in russischen Militärkreisen kritisierte – mangelnde Härte im Kampf in der Ukraine müsste dann zugunsten eines kompromissloseren Kampfes weichen, bei dem noch mehr Menschen – Soldaten, wie auch Zivilisten – ihr Leben lassen müssten. Auch innenpolitisch würde die Gangart dann nochmal verschärft werden. Denn wenngleich ich zurzeit keine Lust auf eine Einreise nach Russland habe, so weiß ich von früheren Besuchen, dass es sich bislang keineswegs um nordkoreanische Verhältnisse oder Vergleichbares handelte. Presse- und Redefreiheit würden nach einem niedergeschlagenen Putsch noch einmal merklich eingeschränkt, die politische Opposition noch viel mehr unterdrückt.

So oder so scheint es unumgänglich, dass der Bär in Zukunft noch gereizter agieren wird. Doch wie steht es um den Drachen?

Ein schlafender Drache mit halb geöffnetem Auge

Der hält sich bislang auffallend zurück. Im Ukraine-Konflikt hat China sich – trotz eingangs erwähnter partnerschaftlicher Beziehungen mit Russland – bewusst auf eine Mittlerposition zurückgezogen und tunlichst vermieden, in irgendeiner Form als aktive Kriegspartei wahrgenommen zu werden.

Bürgerkrieg in Russland?
Reaktionen auf den Putsch der Wagner-Gruppe im Ausland
Doch bald 24 Stunden nach Ausbruch des Putsches, nachdem bereits viele Regierungen Stellung zu den Vorgängen bezogen haben, liegt nach wie vor keine Stellungnahme aus Peking vor. Keine Solidaritätsbekundung, kein Unterstützungsangebot, nichts. Aus Sicht Putins muss diese Funkstille als ein Affront wahrgenommen werden, wenngleich sie ihn vielleicht nicht überraschen sollte. China war nie sein Wunschpartner, aber der einzige Partner, der eine Zusammenarbeit mit Russland lange Zeit als opportun betrachtete. Denn wenn Russland sich in der Ukraine gemeinsam mit der Nato aufreibt, so spielt das China nur in die Karten. Ein geschwächter Westen ist ein einfacherer „Verhandlungspartner“, wie es in China immer so schön heißt. Ähnliches gilt für ein geschwächtes Russland, zumal die Hierarchie zwischen Junior-/Seniorpartnern in der Zusammenarbeit mit China nur verfestigt würde.

Wenn aber Prigoschin sich als mehr als nur ein Lüftchen erweisen sollte, Russland ins Wanken gerät und womöglich in einen Bürgerkrieg schlittern sollte, dann ist ein solches Szenario für China nicht zwingend ein Grund, um dies auf Seiten Putins zu verhindern, denn wenn Russland zerfallen sollte, gäbe es manch rohstoffreiche Gebiete in Sibirien, die dann womöglich nicht nur geographisch, sondern bald auch schon politisch näher an Peking als an Moskau liegen könnten. Für China eine Win-win-Situation, für Putin ein bitteres Einsehen, dass Russland, abgesehen von der Nibelungentreue Lukaschenkos, auf wenige wirkliche Verbündete zählen kann.

Doch es kommt noch schlimmer für Putin. Die Nachrichten aus China in den letzten Tagen müssten – gepaart mit der Funkstille angesichts des Putsches – Anlass zur Sorge im Kreml geben. Die Annäherung von Blinken und Xi sowie das Treffen des Präsidenten mit Bill Gates machen zwar noch lange keine US-chinesische Tauwetterperiode, zeigen aber, dass Peking seine Allianzen nicht auf Lebenszeit schließt, wie sie auch gezeigt haben, rhetorisch nicht in den Kulturkampf mit dem Westen einsteigen zu wollen, sondern opportun nach dem eigenen Vorteil zu suchen.

Putin spricht zur Nation
Putin: Prigoschin unternimmt „kriminelles Abenteuer“ gegen Russland
Auch mit der EU kam es erst vor drei Tagen zu einer Annäherung beim Treffen des chinesischen Premiers Li mit unter anderem Emmanuel Macron und Charles Michel. Diese neue Kooperationsbereitschaft sollte zwar vor allem EU-Bürgern aus guten Gründen zu denken geben, zeigt aber auch Russland, dass der Drache gerne schon mal ein Auge zudrückt, wenn ihm dafür ein Schatz anderswo in Aussicht gestellt wird.

Ein beängstigendes Szenario: Ein zerfallendes Russland, das in einem Bürgerkrieg versinkt, in dem Warlords wie Prigoschin oder auch Kadyrow (der NOCH seine Loyalität bekundet) um die Macht buhlen würden und in dem der rohstoffreiche Osten zumindest in Teilen an China fallen könnte. Was die Nato-Staaten oder die Ukraine tun, ist dabei noch nicht einmal mitgerechnet.

Viele Menschen wünschen sich Putin weg, womöglich auch zurecht, aber die wenigsten bedenken, was danach kommen könnte. Sollte der Tag nach Putin demnächst bevorstehen, werden sich viele noch wundern, wie viel düsterer dieser aussehen könnte, als man es sich je ausmalen hätte können.

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Kommentare ( 28 )

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Freigeistiger
10 Monate her

Wieder einmal hat sich gezeigt: Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Da war die Zurückhaltung Chinas und anderer Länder doch richtig und so manche Journalisten könnten sich ein Beispiel nehmen.

Andreas aus E.
10 Monate her
Antworten an  Freigeistiger

So ist es. Selbst bei Putin insgesamt durchaus zugeneigten Medien (etwa Anti-Spiegel, Compact oder RT) ging es drunter und drüber. Als ich das heute früh endlich alles gelesen/gesehen hatte, brachte sogar der Deutschlandfunk, daß sich die ganze Sache in mehr oder minder Wohlgefallen aufgelöst hatte.
Füße stillhalten und abwarten ist nicht immer schlechteste Idee.

Im Nachgang wünsche ich mir nun eine nüchterne und kenntnisreiche Analyse echter Experten, welche mir ihre Sicht der für mich etwas wirren Vorgänge denkanstoßend darlegen könnten.

marue75
10 Monate her

Während der Autor immer noch über „Rollen und Ausgang“ fabuliert, holt ihn, wie bei Falken-Journalisten üblich, die Realität ein. Auch „Tichys Einblick“, ein absolut lesenswertes Portal, kann halt nicht aus seiner „unipolaren Rolle“ heraus. Das ist aber in Ordnung, für Russland-, China- und andere weltweite Themen gibt es zum Glück auch andere (alternative) Medien.

TschuessDeutschland
10 Monate her

China „verbindet“ mit Rušland vor allem eine tiefgehende Abneigung, die auf die Zeit Mao’s zurückgeht (der in China immer noch oder jetzr wieder verehrt wird) und die in der Weigerung der damaligen russischen Kommunisten begründet ist, ihre Nukleartechnik mit den chinesischen „Brüdern im Geiste“ zu teilen, was die ôkonomische Entwicklung China’s um Jahrzehnte verzögert hat. Das haben die chinesischen Rot-Kommunisten bis heute nicht vergessen. Daß Herr Putin ausgerechnet China als wichtigsten Partner sieht zeigt nur, daß der Mann entweder sehr dumm oder sehr verzweifelt ist – oder beides.

Herbert
10 Monate her
Antworten an  TschuessDeutschland

Irrtum, die tiefgehende Feindschaft der USA gegen Russland und China, die für beide eine ständige existenzielle Bedrohung ist, verbindet die beiden Länder. Daran ändern auch Lockangebote der USA nichts.
Und im Übrigen ist gegen die Verbindung China- Russland schon länger „kein Kraut“ mehr gewachsen.
Die USA haben es nur noch nicht begriffen.

Fieselsteinchen
10 Monate her

Unheilvolles Schweigen? Nein, der chinesische Drache schweigt, weil es (noch) nichts zu sagen gibt. Der russische Bär muss sich um seine eigenen Probleme kümmern, aus welchem Grund sollten die Chinesen sich in russische Interna einmischen. In China verbittet man sich auch jegliche Einmischung.

chino15
10 Monate her

Zu früh gefreut: der Putsch wurde ohne größeres Blutvergießen beigelegt und Putin geht eher gestärkt daraus hervor. Er hat jetzt Gelegenheit aufzuräumen, Prigoschin ist in Belarus bei Lukaschenko und Kadyrow in Rostow – nahe des Kriegsgebietes. Im Nachhinein war es doch eher schlau von Peking, die Sache ohne Drama einfach laufen zu lassen.

Kaltverformer
10 Monate her

Ehrlich gesagt wundert es mich, dass sich China nicht einfach den östlichen Teils Russland einverleibt. Ich glaube nicht, dass Russland hier ausreichende Reserven mehr aufbringen könnte, um das zu verhindern – abgesehen von der Drohung mit Kernwaffen.

Herbert
10 Monate her
Antworten an  Kaltverformer

Die leider auf unglaublich leichtsinnige Art und Weise ständig negiert wird.

Nibelung
10 Monate her

Meiner Ansicht nach ist der heutige russische Präsident noch die angenehmere Variante, denn er kennt den Westen und seine Lebensgewohnheiten und was sich derzeit in Rußland abspielt ist sicherlich als außergewöhnlich zu betrachten, könnte sich aber auch ebenso in den USA entwickeln, wenn man deren interne Widersprüche sieht. Das Verhalten der Chinesen nach außen ist typisch und entspricht ihrer Mentalität, dafür sind sie aber nach innen umso restriktiver und im Ernstfall könnte man sie auch noch kennenlernen, wenn es um die Verteidigung ihrer Interessen geht, denn im Gegensatz zum Westen herrscht in Asien generell eine völlig andere Einstellung zur Obrigkeit… Mehr

DerVoluntaer
10 Monate her

China und Russland sind strategisch „natural born Verbündete“, wird doch der chinesische Drache und der russische Bär von ca. 600 amerikanischen Militärstützpunkten und vom Petrodollar weltweit eingeschnürt. Klar mag der Drache zwinker-smily machen und der Bär ulkig grumpeln, aber Beiden ist bewusst, dass die USA eigentlich ein gemeinsamer Spinne-Feind ist, gegen den man nur gemeinsam bestehen kann. Wie in einer Beziehung zwischen Drache und Bär kommt es natürlich öfters zu Dissonanzen wegen des Geruch, aber strategisch führt kein Weg an der Feindschaft zu den USA vorbei, es sei denn man lügt sich was 24/7 in die Tasche, wie in Deutschland.

Metric
10 Monate her

Hm. Was sollte denn China jetzt auch sagen? Wenn man in einer akuten Situation keine Möglichkeit des eigenen Eingreifens hat (mir ist nicht bekannt, dass China Truppen in Russland stationiert hätte), wartet man einfach besser mal ab und sammelt Informationen, bevor man sich vorschnell positioniert. Die Chinesen sind schlaue und langfristig denkende Leute mit Sinn für die Realität; im Unterschied zum „Wertewesten“, dessen Politikdarsteller ständig mal eben „Haltung“ raushauen müssen, mit der sie sich (wie aktuell) schon 12h später verkalkuliert haben.

Timur Andre
10 Monate her

Was soll der Drache sagen, und warum? Er kann sich die Entwicklung erstmal in Ruhe anschauen. 25.000 Mann werden Moskau nicht einnehmen, das weiß auch Beijing.
Divide et imperia wird nicht mehr funktionieren, es ist allen klar, sonst gehe sie unter.