Gegengipfel in Tianjin: Der Westen unter Druck

Klare Botschaft der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit: Der Westen verliert an Einfluss, während sich ein multipolares Machtgefüge etabliert. Europa stolpert über sich selbst – in Tianjin entsteht ein massives Gegengewicht.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Alexander Kazakov

In Tianjin hat am Wochenende die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, kurz SOZ, ihren Gipfel eröffnet. Chinas Staatschef Xi Jinping empfängt dort so viele Gäste wie noch nie. So traf gestern Russlands Präsident Wladimir Putin zu einem mehrtägigen Besuch in der Volksrepublik China ein. Er landete am Sonntag in der nordchinesischen Hafenstadt Tianjin und wurde mit einer Ehrengarde begrüßt – nicht so wie vor kurzem die EU-Abordnung mit Kommissionspräsidentin von der Leyen durch den Hintereingang eingelassen und auch wieder hinausgeworfen wurde.

Am Mittwoch gehört Putin dann zu den Gästen einer riesigen Militärparade in Peking, mit der an den 80. Jahrestag des Sieges über Japan und das Ende des Zweiten Weltkrieges erinnert wird.

Bereits am Samstag war der indische Regierungschef Narendra Modi in China eingetroffen. Er will seinen Besuch am Montag auch für ein bilaterales Treffen mit Putin nutzen, heißt es. Vorab telefonierte Modi nach eigenen Angaben mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj, um über die Friedensbemühungen im Ukraine-Konflikt zu beraten. Sie hätten sich über „die Bemühungen um die Wiederherstellung von Frieden und Stabilität ausgetauscht“, schrieb Modi am Samstag in Onlinenetzwerken über das Telefonat. Indien unterstütze „alle Bemühungen in dieser Richtung uneingeschränkt“, heißt es floskelhaft.

Das Gipfeltreffen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit ist weit mehr als ein Regionaltreffen. Hier sitzen Staats- und Regierungschefs zusammen, die gemeinsam rund 40 Prozent der Weltbevölkerung und ein Viertel der globalen Wirtschaftsleistung vertreten. China, Russland, Indien, Pakistan, Iran, Belarus und die zentralasiatischen Staaten – dazu Partner wie Türkei, Saudi-Arabien und Ägypten. Sie alle wollen zeigen: Die Zeit einer allein vom Westen dominierten Weltordnung geht zu Ende.

Die Agenda reicht von Terrorismusbekämpfung über Energie- und Transportkorridore bis zu Zahlungsfragen. Politisch will Peking die SOZ als Sprachrohr eines „Globalen Südens“ inszenieren; strategisch gilt das Treffen als Testfall für eine engere China–Indien-Koordinierung und für Pekings Schulterschluss mit Moskau. Neue US-Zölle liefern den geopolitischen Hintergrund.

Die Organisation wurde 2001 ursprünglich gegründet, um Grenzkonflikte zwischen China, Russland, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan zu klären. Inzwischen umfasst sie China, Russland, Indien, Pakistan, Iran, Belarus sowie mehrere zentralasiatische Staaten.

Im Mittelpunkt des Treffens steht unter anderem die Abkehr von westlichen Konstruktionen wie dem Internationalen Währungsfonds oder der NATO. Eigene Finanz- und Sicherheitsnetzwerke sollen etabliert und ausgebaut, die Dominanz des US-Dollars eingeschränkt werden. Für Russland ist das Treffen eine Demonstration gegen die westlichen Sanktionen, für China eine Gelegenheit, seine Rolle als Ordnungsmacht in Eurasien zu präsentieren – mit der „Neuen Seidenstraße“ als Hebel zu mehr Einfluss.

Natürlich gibt es Rivalitäten, wie etwa zwischen Indien und Pakistan, aber auch zwischen Indien und China: Hier ist besoders das separate Treffen zwischen Xi und Modi am Sonntag von Bedeutung. Xi betonte: Beide Länder sind Kooperationspartner, keine Rivalen. Es sollen wieder Direktflüge zwischen China und Indien aufgenommen werden. Die Symbolik zählt: Während Europa und die USA mit sich selbst beschäftigt sind, wächst im Osten ein Machtblock heran, der den Westen herausfordert.

Europäische Vertreter glänzen derweil weithin durch Abwesenheit: Lediglich der Schweizer Alt-Bundesrat Ueli Maurer (SVP) fliegt nach China und wohnt den Feierlichkeiten bei. Es sei wichtig, Kontakte und Beziehungen zu China zu pflegen, betont er, und muss sich dafür von seinen Eidgenossen maßregeln lassen. Er verursache einen „Reputationsschaden“. Neben ihm hat China noch ein halbes Dutzend weitere ehemalige Politiker aus Europa eingeladen. Lediglich zwei amtierende Staatsoberhäupter sind dabei: Serbiens Präsident Aleksandar Vučić und der Premierminister der Slowakei, Robert Fico.

Das Treffen sendet eine klare Botschaft aus: Europa stolpert über sich selbst. Der Westen verliert an Einfluss, während sich in Shanghai ein multipolares Machtgefüge etabliert.

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Kommentare ( 11 )

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giesemann
3 Monate her

Ein Inder warnt uns: Weltbank-Chef Ajay Banga prognostizert weitere 800 Millionen Flüchtlinge – FOCUS online – unbedingt mal lesen, den ganzen Artikel.

giesemann
3 Monate her

Der Westen steht unter demografischem Druck, weil sie alle zu uns rennen, porca miseria. Warum rennen sie nicht nach China, Indien, Russland, andere BRICS? So langsam sind sie bloß noch lästig.

giesemann
3 Monate her

Die USA haben die Wahl: Entweder sie unterstützen Russland gegen China (warum?), oder sie unterstützen China gegen Russland bei der Revision der „Ungleichen Verträge“, im russischen Osten, russisch „wostok“, Wladiwostok. Sollten die USA auf diese Idee kommen, dann wäre es für Russland sehr ratsam, sich mit dem Westen gut zu stellen, denn ein zwei-Fronten-Krieg ist so eine Sache, auch für das russische Riesenreich. (Im Süden drückt der Muslime, nebenbei bemerkt). Sollten somit die USA und China zu gemeinsamer Hand dafür sorgen, das Europa endlich vollständig wird, also mit Russland – na, das wäre doch was, oder? Wer sagt das den… Mehr

BK
3 Monate her

Wahrscheinlich wird nach dem Westen bald kein Hahn mehr krähen. In 25 Jahren sind wir ausreichend muslimisiert und sowas wie ein arabischer Hinterhof.

giesemann
3 Monate her
Antworten an  BK

Vorher aber müssen sie alle zu uns rennen – warum wohl? Nachdenken, Mann.

giesemann
3 Monate her

Wenn dieses Gegengewicht den Westen zusammen sch/w/eißt, dann ist es ein gutes Gewicht. Es ist an der Zeit für eine Rückbesinnung, »Die Reichen werden Todeszäune ziehen« – DER SPIEGEL (1982!) – solange sie noch das Geld dafür haben und es noch nicht verschleudert worden ist. Russland als Juniorpartner von China? Bitte sehr, wenn die das wollen.

Teiresias
3 Monate her
Antworten an  giesemann

„Russland als Juniorpartner von China? Bitte sehr, wenn die das wollen.“
Nicht wenn DIE das wollen.
Wenn WIR das wollen.
Da „wir“ die Zusammenarbeit mit Russland aufkündigen, hat Russland nur noch die Wahl zwischen USA und China.
Das ist im Interesse der Trump-Administration, die in der Illusion lebt, Russland auf seine Seite gegen China ziehen zu können.
Europa landet so im Abseits.

giesemann
3 Monate her
Antworten an  Teiresias

Sie klären erst mal Ihre Kinken.

Michael Palusch
3 Monate her

Indien unterstütze „alle Bemühungen in dieser Richtung uneingeschränkt“, heißt es floskelhaft.

Ich finde, in Anbetracht dessen, dass Deutschland weiterhin auf Eskalation und Kriegsverlängerung setzt, ist das eine ganze Menge.

Rosalinde
3 Monate her

Der Westen besteht im Wesentlichen aus 1,1 Mrd. Menschen.
Der verbleibende kleinere Rest von 6 Mrd. Menschen sucht einen anderen Weg. Vor allem außerhalb des Dollars. Das müsste nur noch Donald verstehen und nicht mehr auf niedrigeren US Zinsen bestehen.

giesemann
3 Monate her
Antworten an  Rosalinde

Der Rest ist übrigens sieben Milliarden; da wird sich doch ein Plätzchen für Sie finden lassen bei denen? Nix wie hin, zu den höheren Zinsen. Wenn sie nur fortbleiben und uns nicht belästigen. Außer denen: Chinese Female Soldiers Parade – YouTube, die sollen gerne kommen – ohne Kerle.