Belgischer Wahlkampf: Vlaams Belang verteilt Flugblätter in Afghanistan

Zeitgleich mit den Wahlen zum EU-Parlament im Juni finden Wahlen in Belgien statt. Der Vlaams Belang ist derzeit so stark wie nie in den Umfragen. Die Vivaldi-Koalition könnte wackeln und klagt den Konkurrenten radikaler Töne an. Der VB verteilt derweil Flugblätter in Kabul, weil die Regierung ihrer Verantwortung nicht nachkomme.

IMAGO / Belga
Tom Van Grieken, Vorsitzender der Partei Vlaams Belang, 21. Januar 2024

Auch in Belgien sind am 9. Juni Wahlen. Das ist ein ziemlicher Zufall, denn am selben Tag gehen auch die Wahlen zum EU-Parlament mit Sitz in Straßburg und Brüssel zu Ende. Das kleine Belgien mit seinen knapp zwölf Millionen Einwohnern – wovon derzeit noch zwei Drittel eindeutig belgischer Herkunft sind – war schon immer ein wenig das Labor für die EU, zumindest was die alte EU oder EG mit ihrer Mischung aus Romanen und Germanen anging.

In Belgien kann man die Schwierigkeiten dieses Völkergemischs jeden Tag von Neuem erleben. Flamen und Wallonen unterhalten bis heute, bei wenigen Ausnahmen, getrennte Parteien und Fraktionen im Parlament. Sogar die Meinungsumfragen werden für beide Großregionen getrennt durchgeführt. Fragt sich nur, wo die wenigen Deutschsprachigen im Hoheitsgebiet bleiben (sie gehen in der wallonischen Region Lüttich unter).

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Trotzdem drängt auch in Belgien eine Kraft in den Vordergrund, die einst auch im flämischen Norden eine mindere Macht war. Der Vlaams Belang (VB) steuert in Umfragen auf 26 Prozent Zustimmung zu und führt damit das Feld aller Parteien an. Die Partei lag bis 2015 bei rund fünf Prozent, danach bei zehn Prozent, sprang mit den Wahlen 2019 bereits auf 18 Prozent und konnte seitdem die konservative Neu-Flämische Allianz (N-VA) von Bart De Wever als Spitzenreiter des Parteiensystems ablösen. Zusammen erringen die beiden Rechts-Parteien, die beide für den Austritt Flanderns aus dem belgischen Bundesstaat sind, derzeit gut 40 Prozent (und vielleicht etwas mehr) in Umfragen. Die Financial Times fand es daher nötig zu bemerken, dass „Nachrichten vom Tode Belgiens verfrüht“ seien.

Gewissermaßen springt derzeit der rechtsnationale Funke von den Niederlanden auf Belgien über. Im November gratulierte Parteiführer Tom Van Grieken Geert Wilders zu seinem Wahlsieg im Nachbarland: „Zweifellos sehnen sich die Menschen nach echten Veränderungen, nicht nur in den Niederlanden, sondern auch in Flandern.“ Inzwischen liegt der VB auch in der zweisprachigen Region Brüssel, in dem die wallonischen Parteien sich den größten Teil des Kuchens aufteilen, bei fünf Prozent. Die Hauptstadt könnte bei den kommenden Wahlen an die Rechtsliberalen des Mouvement Réformateur (MR) gehen; das ist übrigens die Partei von EU-Ratspräsident Charles Michel, der nun doch nicht für das EU-Parlament antreten wird.

Das wiederum bedeutet, dass Michel nicht vor dem Ende seiner Amtszeit als Präsident zurücktreten muss und dass es folglich auszuschließen ist, dass Viktor Orbán in diesem Sommer im Zuge der (rotierenden) EU-Ratspräsidentschaft Ungarns auch den Sessel Michels – wenn auch nur provisorisch – übernähme. Das nämlich wollten die Eurokraten, namentlich der EVP-Vorsitzende Manfred Weber (CSU), um jeden Preis verhindern. Operation gelungen, Michel festgeklebt, Schlagzeile „Orbán wird EU-Ratspräsident“ verhindert.

Radikale Töne im belgischen Wahlkampf?

Doch genug von diesen belgisch-europäischen Miscellanea. Denn auch in Belgien werden die Wahlen interessant genug. Der VB ist seit Anfang des Jahres mit dem altbewährten Slogan „Erst onze Mensen“ (deutsch etwa: „Unsere Menschen zuerst“) angetreten. Im Hintergrund wird dieser Slogan durch Begriffe wie den einer „Umvolkung“ (omvolking) Belgiens flankiert, wobei es den parteipolitischen Gegnern angeblich „eiskalt den Rücken runterläuft“. Dabei sind es doch sie, denen genau diese Operation zugeschrieben wird.

Konkret kritisieren VB-Vertreter wie der EU-Abgeordnete Tom Vandendriessche, dass sich die Asyl- und Migrationspolitik der EU eben nicht entschieden genug gegen die illegale Zuwanderung wende. Der jüngst beschlossene Europäische Migrationspakt gehe eben nicht gegen illegale Migration vor, sondern habe eigentlich das Ziel, „noch mehr Migranten anzuziehen“. Ein „bewusster und organisierter großer Austausch“ sei das.

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Parteichef Tom Van Grieken fügte hinzu, dass es „sich nicht um eine obskure Theorie“ handele, sondern „um die harte Realität und das Ergebnis jahrzehntelanger unkontrollierter Masseneinwanderung“. Ein weiterer Parteimann ergänzte, dass die Nationalsozialisten seinerzeit von „Umvolkung“ im positiven Sinne gesprochen hätten, als einem Ziel, das sie organisieren wollten. Dagegen wenden die heutigen rechtskonservativen und nationalen Parteien den Begriff kritisch gegen eine bewusst oder unbewusst herbeigeführte Politik der politischen Linken und des traditionellen Zentrums.

Laut der belgischen Statistikbehörde (Statbel) waren Anfang letzten Jahres noch 65,5 Prozent der Bevölkerung belgischer Herkunft, 21 Prozent waren Belgier mit Migrationshintergrund, 13,4 Prozent Ausländer. Gut die Hälfte der Ausländer stammen nicht aus einem anderen EU27-Land (53 Prozent). In Flandern sind es anteilig etwas mehr (58 Prozent), in Wallonien ist das Bild genau anders herum: Dort stammen 60 Prozent der Ausländer aus der EU, nur knapp 40 aus anderen Ländern. Die Hauptstadt Brüssel wird wie immer getrennt gezählt: Hier kamen 61 Prozent der Ausländer aus Nicht-EU-Ländern.

Flugblätter an Afghanen: 70 Prozent wollen euch nicht hier

Zugleich wird der Vlaams Belang aber auch im Ausland aktiv, und das gewissermaßen in der Höhle des Löwen selbst. In Afghanistan, vorerst nur in der Hauptstadt Kabul, verteilt die Partei demnach Flugblätter auf Englisch und dem dort geläufigen Dari-Persisch, wie das Niewsblad berichtet. Darin werden die Einwohner des Landes über das informiert, was man den großen „EU-Migrations-Betrug“ nennen könnte. Die Blätter belehren die einfachen Afghanen, wie folgt: „70 Prozent der Bevölkerung wollen dich nicht hier.“ Hier, das bedeutet „bei uns“, wie die Franzosen sagen, chez nous, in Belgien oder Europa.

Eine andere Information des Flugblattes lautet, in Anspielung auf eine neue Regelung der belgischen Regierung zu staatlichen Unterkünften (TE berichtete): „Du wirst obdachlos sein.“ Oder auch: „Die Lebenshaltungskosten sind sogar für Einheimische hoch.“ Tom Van Grieken meint dazu: „Die Vivaldi-Regierung weigert sich, etwas zu unternehmen, um den Zustrom von Asylbewerbern einzudämmen, also werden wir unserer Verantwortung gerecht.“ Vivaldi heißt die Regierung des Rechtsliberalen Alexander De Croo, weil in ihr außerdem noch drei andere politische Farben vertreten sind: nämlich Sozialisten, Christdemokraten und Grüne, also quasi Frühling, Sommer, Herbst und Winter, wie in dem bekannten Konzertzyklus des venezianischen Komponisten.

Van Grieken weist darauf hin, dass im vergangenen Jahr mehr als 35.000 Asylbewerber nach Belgien gekommen sind, von denen „die überwiegende Mehrheit keinen Anspruch auf Schutz hatte“, aber auch nicht abgeschoben wird. Auf Deutschland umgerechnet wären das ungefähr 252.000 Antragsteller. Deutschland übertraf Belgien demnach um etwa 40 Prozent der belgischen Zahl.

„Nur eine strikte Einwanderungspolitik ist menschlich“

Daneben wies Van Grieken darauf hin, dass „eine strikte Einwanderungspolitik die einzige menschliche Migrationspolitik“ sei, womit er zweifellos auf die vielen Toten auf den illegalen Migrationswegen hinwies. Zudem kann man auch die Warnungen über die Schwierigkeiten eines Lebens in Belgien hier veranschlagen: Was blüht vielen Zuwanderern in Europa anderes als ein langes Leben von der Stütze? Den Afghanen rät der Vlaams Belang, zu Hause zu bleiben oder sich nach Reise- bzw. Fluchtalternativen in der eigenen Region umzusehen.

Angeblich gab es durchaus auch Zustimmung für die Flugblatt-Aktion von afghanischer Seite: „Es gibt einige Afghanen, die mit uns übereinstimmen, aber es gibt auch diejenigen, die Zeugnis davon ablegen, wie einfach es ist, nach Europa zu kommen.“ Mit anderen Worten: Afghanen, denen es nicht schwerfiel in die EU zu kommen und hier als Flüchtling anerkannt zu werden.

Was wird nach den Wahlen im Juni passieren? Für Belgien wie für die Niederlande sind aufgrund der Zersplitterung der Parteienlandschaft lange Verhandlungsrunden üblich. Belgien hat eine Fünf-Prozent-Hürde, was die Vielstimmigkeit aber wegen der Zweisprachigkeit kaum mindert. 26 Prozent für den VB könnten bedeuten, dass die Partei knapp ein Sechstel der 150 Parlamentssitze bekäme und bei Koalitionsverhandlungen weniger leicht ignoriert werden dürfte – zumindest ihre Positionen, die sich offenbar zunehmender Beliebtheit erfreuen.

Noch lässt sich rein auf dem Schreibtisch anhand der Umfragezahlen eine knappe Mehrheit der Vivaldi-Koalition von etwa 75 Sitzen (also genau die Hälfte der Abgeordnetenkammer) konstruieren. Die würde fallen, wenn Vlaams Belang und N-VA gemeinsamen wachsen würden, ohne ihre Stimmen gegenseitig auszutauschen.

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Kommentare ( 13 )

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Boris G
2 Monate her

Für die Flamen sollte das, was sich gerade in Antwerpen abspielt, ein Menetekel sein. Die ethisch organisierte Kriminalität unterwandert mit den Methoden der Narko-Mafia Justiz, Polizei und Politik. Daneben segregiert sich klar entlang ethnischer Grenzlinien ein Prekariat, für dessen junge Männer in zu großer Zahl der tägliche kleine Bürgerkrieg das Lebenselixier ist.

Steffchen
2 Monate her

Ich befürchte, die deutsche Position wird sich langfristig in Europa durchsetzen: Die Welt zu Gast bei Freunden. Warum auch immer linke Parteien die illegale Migration gut finden, es ist mit gesundem Menschenverstand nicht nachvollziehbar. Europa wird an seinen eigenen Wertevorstellungen (welche das auch immer sind) ersticken und dabei niemals die Welt retten sondern sich selbst verraten. UvdL übernehmen Sie, damit die palliative Therapie für Europa nicht all zu lange dauert.

Jens Frisch
2 Monate her

Parteichef Tom Van Grieken fügte hinzu, dass es „sich nicht um eine obskure Theorie“ handele, sondern „um die harte Realität und das Ergebnis jahrzehntelanger unkontrollierter Masseneinwanderung“.“

Jeder mit Augen im Kopf sieht das es so ist – ein Blick in einen Kindergarten oder eine Grundschule reicht vollkommen dafür aus, um das zu bestätigen. Was ich nicht verstehe ist, dass die rechten Parteien nicht den Schritt weiter gehen: „Umvolkung“ ist nur eine nette Umschreibung für „Völkermord“ – warum klagt keine der Parteien nach VStGB §6?

Ron
2 Monate her

A propos Belgien:
Der Präsident der Belgischen Nationalbank hat die Abgeordneten des Europäischen Parlaments aufgefordert, ihre Bürger vor den verheerenden Folgen einer „grünen“ Wirtschaft zu warnen.
https://uncutnews.ch/die-gruene-katastrophe-in-europa-wird-energie-achtmal-teurer-sein-als-in-amerika/
Der Originalbeitrag findet sich bei politico.eu

H. Hoffmeister
2 Monate her

Europa hat leider fertig, die Demografie deutet bereits heute auf muslimische Mehrheiten in wenigen Jahrzehnten in vielen Ländern hin. Was das bedeutet, kann in allen Ländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit besichtigt werden.

Haba Orwell
2 Monate her
Antworten an  H. Hoffmeister

Schon länger habe ich den Eindruck, dass es die übelsten Woken Spinnereien in Nordwesteuropa gibt: Deutschland, Österreich, BeNeLux, Großbritannien, Skandinavien. Dazu USA, Kanada, Australien. Liegt es am Protestantismus oder verfallen germanische Völker gerne in Extreme? In beiden Fällen kann es nicht mehr so weiter gehen. Es reicht einfach.

Wenn Umma nicht genehm ist, kann man sich noch Richtung Osteuropa orientieren – zuerst diesen Teil nicht mehr als „Dschungel“ ansehen. Chaotische Failed States, die gibt es im Westen.

MagicDude
2 Monate her
Antworten an  Haba Orwell

Lebe im Protektorat Böhmen und diese Probleme sind hier (noch) nicht existent. Richtig ist Ihre Beobachtung, das die pc-Dummheit eine germanische Sache ist…..plus Frankreich als Romanen mit einem gehörigen Anteil (Franken) germanischen Blutes.

Boris G
2 Monate her
Antworten an  Haba Orwell

Es ist der Siegeszug des egalitär-behavioristischen Weltbildes seit dem 2. Weltkrieg, der unseren „Eliten“ den Verstand vernebelt: Sie können sich nicht mehr vorstellen, dass es gewaltige Unterschiede im Denken und Verhalten zwischen den Völkern dieser Erde gibt. Die Migranten aus „Westasien“ funktionieren in Belgien nicht viel besser als im Gaza-Streifen.

Magdalena
2 Monate her

Mitte Januar dieses Jahres ereignete sich Seltsames im Brüsseler Parlament, worüber allerdings erst jetzt u. a. in der NZZ berichtet wird. Orientalische Klänge und Verse wie in einer Moschee waberten durch den Raum. Vorgetragen wurden jene von dem pakistanischen Imam Muhammad Ansar Butt. Es war die Sure „al-Ahzab“, bei der es um die Auslöschung eines jüdischen Stammes im 7. Jahrhundert geht. Laut NZZ hat der Imam zwar die Stellen ausgelassen, bei denen explizit zur Tötung von Juden aufgerufen wird. Aber die im typischen Singsang vorgetragenen Verse (zu hören auf Youtube) forderten die Menschen auf, den Islam anzunehmen. Von Skandal spricht… Mehr

MagicDude
2 Monate her
Antworten an  Magdalena

Europa ist seiner überdrüssig geworden und arbeitet an seiner Abschaffung mit. Spengler hatte im „Untergang des Abendlandes“ diesbezüglich doch recht. Die christlich-abendländische Kultur ist um die 1000 Jahre alt und ihre Zeit des Abtretens gekommen. Ob allerdings die islamische der Nachfolger wird, bezweifle ich, denn auch diese ist schon lange über ihren Zenit hinaus……offene Barbarei ist denkbarer…..und teilweise schon Realität.

Haba Orwell
2 Monate her

> Die Blätter belehren die einfachen Afghanen, wie folgt: „70 Prozent der Bevölkerung wollen dich nicht hier.“ Hier, das bedeutet „bei uns“, wie die Franzosen sagen, chez nous, in Belgien oder Europa.

Die wissen genau, was alles zusteht, wenn man doch kommt – und 70% der Bevölkerung wollen absolut solche Zustände; sonst hätte man sie längst geändert. Nachdem in Frankreich medizinische Kritik streng verboten wurde, wird vielleicht in Belgien und in den Niederlanden welche an der Migration verboten – das wär’s dann mit den Flugblättern.

Grenz Gaenger
2 Monate her

„Fragt sich nur, wo die wenigen Deutschsprachigen im Hoheitsgebiet bleiben (sie gehen in der wallonischen Region Lüttich unter).“

Genau genommen gibt es vier Gruppierungen in Belgien: die Flamen, die Wallonen, die Bruxelloises und die DG (Deutsche Gemeinschaft) in Ostbelgien, die ihren eigenen Ministerpräsidenten hat.

MagicDude
2 Monate her
Antworten an  Grenz Gaenger

Habe 1996 sieben Monate in der DG Ostbelgiens gelebt und fand es super. Wollte mich dort gar als Rentner niederlassen, kann mir das aber ob der hohen Lebenskosten in Belgien nicht leisten. Schade…ich liebe Ostbelgien.