Journalistenverband nennt Bein stellen „zivilcouragiert“

Der Deutsche Journalistenverband Thüringen erklärt eine Gewaltaktion seines Geschäftsführers gegen einen Teilnehmer einer verbotenen Demonstration in Weimar zur Zivilcourage. Kurz nach der Tat sprach Scholz noch davon, er sei „nicht rechtzeitig weggekommen“.

IMAGO / ZUMA Wire

Sebastian Scholz, Geschäftsführer des Deutschen Journalistenverbands (DJV) in Thüringen, hatte am 1. Mai in Weimar einen Teilnehmer einer zuvor untersagten Demonstration, der eine Polizeiabsperrung durchbrochen hatte, mit dem Bein gewaltsam zu Fall gebracht. Scholz nahm dabei die Verletzung des Mannes in Kauf. Die Szene wurde gefilmt und sorgte im Netz für Empörung.

Der DJV Thüringen brauchte zehn Tage, um sich zu dem Vorfall zu erklären. Diese Stellungnahme allerdings wirft nun noch mehr Fragen auf, als sie eigentlich hätte beantworten können.

Nach dem gestellten Bein von Weimar
Thüringer DJV-Geschäftsführer redet sich raus: "Ich bin nicht rechtzeitig weggekommen"
Die gewalttätige Szene mit Scholz als Akteur ist eindeutig. Der DJV rechtfertigt die Aktion aber mit einer Vorgeschichte, die im Video nicht zu sehen ist: Auf der gerichtlich verbotenen Demonstration am 1. Mai, so der DJV, sei es „zu Handgreiflichkeiten und Angriffen auf eine Polizeibeamtin sowie einen Journalisten“ gekommen, „in Folge derer die um sich schlagende Person vor der Ergreifung durch die anwesenden Polizeibeamten die Flucht ergriff. Unser Geschäftsführer Sebastian Scholz stellte sich dieser Person zivilcouragiert in den Weg.“

Von nachfolgenden Ereignissen ist hier leider nicht die Rede. Die allerdings könnten den DJV Thüringen in Bedrängnis bringen: So sind Aufnahmen aufgetaucht, wo Sebastian Scholz auf sein „Bein stellen“ hin angesprochen wird und erklärt: „Ich bin nicht rechtzeitig weggekommen.

Scholz ist nicht rechtzeitig weggekommen? Die Filmaufnahmen dazu zeigen aber eindeutig eine zielgerichtete Attacke von Scholz gegen den Flüchtenden. Jetzt, zehn Tage später, macht der DJV Thüringen daraus: „Unser Geschäftsführer Sebastian Scholz stellte sich dieser Person zivilcouragiert in den Weg.“ Eine halbe Stunde nach seinem Übergriff hielt sich Scholz selbst noch keine Zivilcourage zugute, sondern nur, dass er „nicht rechtzeitig weggekommen“ sei. Der Journalistenverband geht also davon aus, dass der Geschäftsführer die Unwahrheit gesprochen hat..

Weiterhin bleibt in der Stellungnahme die Frage offen, in welcher Funktion Scholz überhaupt vor Ort war und in Bereichen der Polizei, die sonst nicht für jedermann zugänglich sind. Er ist Geschäftsführer des DJV – worum geht es also hier?

Der DJV Thüringen und Scholz selbst thematisierten zuvor und auch wenige Tage nach dem 1. Mai Gewalt von Querdenkern gegen Pressevertreter. Möglicherweise war Scholz ja vor Ort, um Gewalt gegen Journalisten zu dokumentieren für eine Veranstaltung bei der Friedrich Ebert Stiftung am 3. Mai, am Tag der Internationalen Pressefreiheit, wo er sprechen sollte? Der DJV Thüringen schreibt nichts zur eigentlichen Rolle von Scholz am 1. Mai 2021 in Weimar.

Interessant dazu: Der DJV Thüringen befindet sich seit 2019 in einer Kooperation mit der Polizei Thüringen. Der DJV schreibt online dazu: „So soll der DJV Thüringen in geeigneter Weise in die Polizistenausbildung einbezogen werden. Der DJV will der Polizei in Journalistenworkshops die Möglichkeit geben, über ihre Arbeit zu informieren. Ziel der Kooperation ist, sich über Aufgaben und Belange des jeweils anderen auszutauschen.“

Dazu passend die Szene, in der Scholz sagt, er sei nicht schnell genug weggekommen. Denn auch diese hat ein Vorspiel: als Scholz sich anmaßte oder sich gar von einer Polizeisprecherin dazu aufgefordert empfinden konnte, stellvertretend für die Polizei den Macher des Videos zu befragen in Gegenwart der Polizeisprecherin. Auch dazu kein Wort vom DJV.

Stattdessen hat man zehn Tage gewartet und die entsprechende Empörungswelle in den sozialen Medien mitgenommen, um jetzt „Eine beispiellose Welle des Hasses“ – so die Überschrift zur Stellungnahme – zu beklagen.

DJV-FUNKTIONÄR stoppte Demonstranten
In welcher Rolle war der DJV-Geschäftsführer auf der Weimarer Demo?
Der bei einem gewalttätigen Übergriff gefilmte Sebastian Scholz wird also jetzt unter Verdrehung der Tatsachen zum Opfer erklärt. Der Verband schreibt, Scholz sei zur „Zielscheibe für eine Gruppe Personen aus den Reihen der selbsternannten Querdenkerbewegung geworden“. Dass er sich mit seinem Übergriff allerdings selbst in den Fokus des öffentlichen Interesses gestellt hat, lässt der Verband weg, schreibt ihm stattdessen Zivilcourage zu.

Zivilcourage verlangt sicher am meisten Mut, wenn sie sich gegen ein Unrechtssystem richtet, das zeigt die deutsche Geschichte vielfach. Und dort ist auch der Heldenmut vieler Thüringer verortet. Was allerdings Sebastian Scholz am 1. Mai 2021 in Weimar tat, war sicher nicht einem unrechtmässigen staatlichen Handeln entgegengestellt. Er hatte ja keine Repressionen zu befürchten, allenfalls dass die Polizei seine Tat nicht dulden würde und strafrechtlich verfolgt. Dieses Risiko ist Scholz tatsächlich eingegangen mit seiner Attacke. Aber war das Mut? Ist es Mut, sich als Journalist auszugeben, und unter dem Schutz des Presseausweises als Hilfspolizist oder Ein-Mann-Bürgerwehr zu betätigen? Allenfalls mutig ist es, sich de Vorwurf der Körperverletzung auszusetzen. Den Journalisten in Deutschland jedenfalls hat er einen Bärendienst erwiesen. Zukünftig wird ihre Rolle nicht mehr als die eines „neutralen Beobachters“ wahrgenommen werden sondern als Aktivisten im selbsternannten Auftrag.

Tatsächlich ging später eine Meldung ein – allerdings wegen des Vorwurfs von Polizeigewalt; die Vermutung war, dass hier ein Zivilpolizist gewalttätig wurde, was die Polizei aber wahrheitsgemäß verneinen konnte.

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 84 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

84 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Christa Born
3 Jahre her

Blutgrätsche nennt man das beim Fussball. Gibt ne rote Karte, wenn der Schiri nicht blind ist.

Juergen P. Schneider
3 Jahre her

Den Bütteln des Staates zur Hilfe eilen. Na das nenn‘ ich mal „Zivilcourage“. Das Loblied der Mächtigen zu singen, nennt man ja neuerdings auch „Haltung“. So ist das jetzt im besten Deutschland, das es je gab.

Marcel Seiler
3 Jahre her
Antworten an  Juergen P. Schneider

„Den Bütteln des Staates zur Hilfe eilen.“ Kommentiert hier die polizeifeindliche Antifa? – Vermutlich nicht. Aber es erstaunt mich schon, wie die linke Polizeiverachtung jetzt plötzlich das bürgerliche Lager erobert.

Peer Munk
3 Jahre her

Auf der FB-Seite des DJV Thüringen gab es eine Menge kritischer Kommentare zu Scholz und der Behauptung, der Mann habe Zivilcourage gezeigt. Am meisten wurde kritisiert, dass die Aussage von Scholz, er sei nicht „weggekommen“ vom DJV unterschlagen wurde. Ich fand keinen Kommentar, den man als „Pöbeleien“ bezeichnen könnte. Die Kritik war überwiegend inhaltlich, wenn auch deutlich und scharf. Um Corona ging es weder im Artikel noch in den Kommentaren. Trotzdem sah ein Leser sich bemüht, einem Kritiker, der diskutieren wollte, zu antworten: „Mit Querdenkern und Co lohnt kein Austausch. Und Tschüss“. Es gab einen Like für diesen wertvollen Diskussionsbeitrag:… Mehr

Last edited 3 Jahre her by Peer Munk
HavemannmitMerkelBesuch
3 Jahre her

Ja, die vielen Staasi-IM´s in Zivil, die querdenkende aus den Leipziger Demos 1989 fischten, um sie später in den Staasikellern zu foltern, waren auch sehr „zivilcouragiert“, besonders wenn es vom Genossen Staasioberst später das Lametta und den Sonderurlaub auf Rügen im FDGB „Ernst Thälmann“ gab…hat sich noch immer gelobt sich mit undemokratischen Unrechtsregimen gut zu stellen und anzubiedern, Gratismut vom Feinsten, bibt sicherlich bald das BundesfeineSahnefischfiletkreuz mit Steinmeierband für so viel Mut gegen Rechts..
Boah ist das alles widerlich peinlich DDRRetro!

Lars Baecker
3 Jahre her

Vor vier Tagen postete ich an gleicher Stelle folgendes:
„[…]Wahrscheinlich wird ihm dies von seinen Buddies noch als Zivilcourage ausgelegt werden. Seinen Job wird er jedenfalls ganz sicher nicht verlieren. Vielleicht winkt sogar eine Berufung zu Höherem.“
Wer’s nicht glaubt:
Journalisten-Verband-Geschäftsführer bringt einen Demonstranten aktiv zu Fall (tichyseinblick.de)
Dieses „Gesindel“ ist einfach zu berechenbar.

Last edited 3 Jahre her by Lars Baecker
meckerfritze
3 Jahre her

Von den meisten Journalisten in Deutschland ist alles zu erwarten. Zivilcourage allerdings eher nicht.

Karina Gleiss
3 Jahre her

Der Herr „Journalist“ wurde möglicherweise das Opfer einer „Hetzjagd“, und dies ist auf dem Video bewusst falsch rübergebracht worden. Schließlich ist er ja nicht mehr rechtzeitig weggekommen. Sarkasmus Ende. ?

Last edited 3 Jahre her by Karina Gleiss
Entenhuegel
3 Jahre her

Und da wundere sich noch jemand, warum der Begriff „Lügenpresse“ aufgekommen ist …

EinBuerger
3 Jahre her

Mainstream-Journalisten stellen sich selbst jeden Tag ein Bein.
Man merkte es an den Querdenkern. Von denen ich die meisten für bisherige Grünenwähler halte. Innerhalb kürzester Zeit haben die die „Lügenpresseeinstellung“ übernommen, weil sie direkt erlebten, wie extrem die Darstellung in den Medien und die Realität von einander abwichen.
So machen sich die Mainstream-Medien bei mehr und mehr Leuten beliebt. Gute Methode, wenn man Kunden haben möchte. Wenn man natürlich auf Staatsgelder hofft, spielt es keine Rolle.

Fulbert
3 Jahre her

Guter Bericht. Aber der Vollständigkeit halber wüsste man gerne, was mit dem Demonstranten passiert ist und warum er floh.