Die Zeit der harmlosen Höflichkeit ist vorbei. Das jedenfalls ist das Signal, das von einer Konferenz des MCC in Brüssel ausgeht. Ob es sich um Wunschdenken oder einen echten Aufbruch handelt, wird sich über kurz oder lang erweisen.
MCC Brussels
„Die Wahrheit ist wie ein Löwe. Man muss sie nicht verteidigen. Lass sie los, und sie wird sich selbst verteidigen“, zitiert die Politologin Monika Bartoszewicz den heiligen Augustinus und setzt nach: „Release the lions!“. Es wird nicht das letzte Mal sein, dass auf dieser Konferenz Worte des Kirchenlehrers erklingen.
Unter dem Titel Battle for the Soul of Europe hatte das Mathias Corvinus Collegium Brussels in die belgische Hauptstadt geladen, um angesichts der Krise, die sowohl die Europäische Union als auch den gesamten Kontinent erfasst hat, Lösungsansätze zu entwickeln.
Ungewohnte Töne
Aus deutscher Perspektive überrascht, mit welcher Selbstverständlichkeit „Konservatismus“ hier seinen Platz unter den politischen Ausrichtungen einforderte. Und zwar nicht als Mahner und Warner, sondern als Problemlöser.
Denn „klassischer“ Konservatismus kann hierzulande als tot gelten. Und das liegt nicht nur an dem Linksruck, der sich unter Angela Merkel vollzogen hat. Wäre die Partei nicht bereits vorher von ihrem Wesenskern abgerückt, wäre eine Neupositionierung in dieser Radikalität kaum möglich gewesen.
Die AfD, die als Fundamentalopposition unzufriedene Wähler aller Lager anzieht, ist in ihrem Wesen keineswegs konservativ, auch wenn sie nach wie vor heimatlos gewordenen Christdemokraten Unterschlupf bietet. Die Partei vereint unterschiedlichste und teils unvereinbare politische Überzeugungen, derzeit noch ausreichend konsolidiert durch den Druck, der von außen auf sie einwirkt.
Doch als „bewahrende“ Haltung steht Konservatismus „revolutionären“ politischen Akteuren entgegen, gleich, ob diese „linke“ oder „rechte“ Politik verfolgen. Daher besteht zwischen ihm und den Hauptprotagonisten der AfD (und das Um- und Vorfeld betreffend) ein weltanschaulicher Konflikt, der weit tiefer reicht als Übereinstimmung in inhaltlichen Fragen.
Konservatismus – doch noch nicht tot?
Im neurechten Spektrum betrachtet man Konservatismus dementsprechend als nicht radikal genug, um das Ruder herumzureißen.
Die Botschaft, die von der Battle for the Soul of Europe ausgeht, ist eine vollkommen andere: Dass Konservatismus sehr wohl adäquat sei, um die Krise zu beheben. Vorausgesetzt, er bekennt sich zu sich selbst – und zur Wahrheit, an der er sich auszurichten hat.
„Habt keine Angst!“, ist dementsprechend ein immer wieder geäußerter Satz auf der Tagung: Hier versicherten sich konservative Denker, Politiker und Aktivisten des Umschwungs und Aufbruchs, der in konservativen Kreisen wahrgenommen wird – trotz oder gerade wegen der Bemühungen von linker und woker Seite, nichtlinke Stimmen zu marginalisieren.
Selbstwahrnehmung und Fremdzuschreibung
In dem Aufruf zur Furchtlosigkeit kommt ein Paradox zum Vorschein, das überwunden werden muss, will der Konservatismus wieder zur prägenden und proaktiven Kraft in Europa werden: Während zu schwersten Gewalttaten bereite linke und woke Aktivisten ihren Hass als Kampf für Gerechtigkeit verbrämen, diskreditieren diese destruktiven Kräfte Konservative, oder besser gesagt: jeden, der nicht links ist, indem sie ihnen all das unterschieben, dessen sie sich selbst schuldig machen.
Doch die wenigsten Nichtlinken finden sich wieder in dem Zerrbild, das von ihnen gezeichnet wird: fremdenfeindlich, rassistisch, misogyn, von zahlreichen „Phobien“ geplagt, rückständig?
Eingeschüchtert von solchen Vorwürfen ist seit mittlerweile knapp zwei Jahrzehnten die übliche Reaktion, sich zurückziehen und in höflicher Harmlosigkeit zu üben. Nicht nur, um sich aus der Schusslinie zu manövrieren, sondern auch, um sich zu beweisen, dass man nicht jenes faschistoide Monster ist, als das man dargestellt wird.
Diese Strategie bewirkt lediglich, dass sich der Debattenraum auf wenige Quadratzentimeter verengt. Doch das soll sich ändern – jedenfalls wenn es nach den Rednern der Battle for the Soul of Europe geht.
Das freundliche Antlitz des Konservatismus
Der Publizist Francesco Giubilei brachte in seinem Impulsvortrag die Diskrepanz zwischen konservativer Befindlichkeit und, wie sie dargestellt wird, zum Ausdruck: „Man sagt, Konservative seien gegen Kultur, aber im 20. Jahrhundert gab es Dutzende konservative Schriftsteller, Denker und Philosophen. Man sagt, Konservative kümmerten sich nicht um die Umwelt, aber der Ruf nach ihrer Bewahrung gehört zu den wichtigen Anliegen in der konservativen Welt. Man sagt, Konservative gäben Frauen keinen Raum, aber einige der bedeutendsten Politikerinnen sind Konservative (…). Doch die vielleicht größte Falschinformation über den Konservatismus ist, dass wir gegen Europa seien.“
Es scheint, als müssten Nichtlinke in Europa die Zuschreibungen, die auf sie projiziert werden, erst einmal abschütteln. Dieser Prozess scheint nun vor allem in einer jungen Generation Konservativer in eine Phase überzugehen, in der Mut und Kraft ausreichen, um aus einer unwirksamen Defensive sowohl in eine effektive Abwehrhaltung zu kommen, als auch darüber hinaus eine positive Standortbestimmung vorzunehmen:
„Die Linken stehen für Zensur, wir verteidigen Freiheit. Wo die Linke Verzweiflung sät (…), bringen wir Hoffnung. Sie sagen, sie stünden für Liebe, aber in Wirklichkeit verbreiten sie Hass. Sie hassen die Familie, die Religion, sie hassen Europa, sie hassen die Sprache – alles, worauf wir gegründet sind. Wir hingegen stehen auf der Seite der Liebe. Wir verteidigen die Familie, sie die Einsamkeit des Individuums. Wir stehen auf der Seite der Freiheit“, so Édouard Bina, einer der Redner, die junge Konservative repräsentierten, die auch im Plenum zahlreich vertreten waren.
Eine junge Generation: Renaissance des Wahrheitsbegriffs
Eines der aussagekräftigsten Panels der Konferenz war denn auch jenes, das jungen Erwachsenen ein Forum bot. Einer Generation, die sich erfolgreich durch linksdominierte Universitäten gekämpft hat: Sie sei froh, in dieser Runde „Sehr geehrte Damen und Herren“ sagen zu dürfen, ließ Daria Malec verlauten. Denn vor einigen Jahren, als sie an der Universität Warschau studierte, hätte dort die offizielle Anrede „Liebe Personen“ gelautet, so die junge Polin. Eine portugiesische Jurastudentin sah ihre Generation als Opfer postmoderner Jakobiner: Diese würden sich keiner herkömmlichen, sondern einer „sozialen Guillotine“ bedienen und Angst verbreiten: Angst vor Isolation, öffentlicher Demütigung.
Von Larmoyanz und Stagnation war indes nichts zu spüren. Sara Silva, die diese Worte mit sich vor Enthusiasmus überschlagender Stimme in den Raum schleuderte, ist Mitbegründerin einer studentischen Initiative mit dem unmissverständlichen Namen „Kreuzzug“. Augustinus wurde auch in dieser Runde zitiert, das Bekenntnis zu Jesus Christus und zum christlichen Glauben als Fundament Europas ohne Zögern vorgebracht. Hier entschuldigte sich niemand mehr. Nicht für den Glauben, nicht für die eigene Meinung, nicht für die politische Überzeugung.
Dies steht nicht nur für Kampfbereitschaft im Hinblick auf Cancel Culture. Neben Freiheit und Furchtlosigkeit war ein bestimmendes Motiv der gesamten Konferenz die „Wahrheit“. Dies deutet auf einen grundsätzlichen Bruch mit Moderne und Postmoderne und dem von ihr genährten Relativismus: Nicht der Erfolg einer mehr oder minder beliebig konstruierbaren politischen Agenda ist das letztendliche Ziel, sondern die Ausrichtung dieser Agenda an der Wirklichkeit.
Ein solches Verständnis betrachtet „Wahrheit“ nicht als Instrument, um Andersdenkende aus dem Diskurs auszuschließen, sondern als Gegenstand, um dessentwillen Diskurs überhaupt betrieben wird. Die „soziale Guillotine“ soll zerstört, nicht gegen andere in Stellung gebracht werden.
Harter Tobak für jene revolutionär-umstürzlerischen Kreise rechts der Mitte, die ihrerseits lediglich Meinungshegemonie unter veränderten Vorzeichen anstreben, und zudem eine Ansage an den bestimmenden Einfluss von Relativismus und Konstruktivismus: Beides ist auch unter Konservativen verbreitet.
Kein Wunder also, dass der Ruf nach der Wiederausrichtung an einer (transzendenten) Wahrheit und Wirklichkeit nicht unwidersprochen blieb. Bemerkenswert allerdings, wie unerschrocken und unverkrampft dieser Ruf ertönte – mit einer Unverblümtheit, wie sie jedenfalls im deutschsprachigen Raum weitgehend unbekannt ist.
Auf der Battle for the Soul of Europe präsentierte sich damit ein konservatives Selbstverständnis, das Opportunismus ablehnt, Selbstverzwergung und Selbstaufgabe den Kampf ansagt und damit beansprucht, sich nicht mehr unbesehen Prämissen anderer oktryoieren zu lassen. Kann sich diese Haltung durchsetzen, wäre eine Renaissance des Konservatismus in Europa kein Ding der Unmöglichkeit.

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Ist der Konservatismus doch noch zu retten?…..ein ganz klares NEIN. Das problem ist das der konservatismus sich nicht weiter entwickelt hat sondern immer noch auf den alten dingen rumreitet. Was uns da jetzt als neu verkauft wird ist nur das alte in einer neuen verpackung.