Während Trump die Europäer gewarnt hat und sie selber so tun, als wollten sie den Strömen einen Riegel vorschieben, scheint der wirkliche Plan zu sein, die Migration aus der arabischen Welt weiter zu ermutigen. Ursula von der Leyen will die „fortschreitende Integration“ der beiden Weltregionen vorantreiben.
picture alliance / Hans Lucas | Martin Bertrand
Die neue Sicherheitsstrategie von Donald Trumps Regierung ist noch keinen Monat alt. Auf dem alten Kontinent hat sie anscheinend keinerlei Wirkung hinterlassen, jedenfalls nicht bei denen, die sie angeht – den Mächtigen in der EU. Da warnt also eine Stimme von jenseits des Atlantiks: Achtung, ihr Europäer, verspielt nicht euren Kontinent! Verspielt nicht die Länder, in denen ihr lebt! Doch die EU-Gewaltigen haben nichts Besseres zu tun, als den Staatenblock mit seinen 27 Mitgliedern auch weiter auf Durchzug zu stellen, wollen ihn noch stärker gegenüber einer Weltregion öffnen, die vorsichtig gesagt problematisch ist.
Denn darum geht es im Kern in dem neuen „Pakt für den Mittelmeerraum“, den der Rat der EU-Mitgliedsländer im November gebilligt hat. Der Titel klingt idyllisch, nach Meeresbrise und Strandurlaub. Aber inhaltlich geht es um nicht weniger als die Überwindung des Mittelmeers als Grenze und eine nachhaltige Annäherung an die arabische Welt.
Vor 30 Jahren, in der Barcelona-Erklärung von 1995, hatten sich die damaligen EU-Mächtigen mit zwölf Staaten oder Entitäten von der gegenüberliegenden Mittelmeerküste schon einmal auf eine „umfassende Partnerschaft“ geeinigt. Schon damals war kein EU-Bürger gefragt worden, ob er so etwas will. Die zwölf Entitäten von damals waren: Algerien, Ägypten, Israel, Jordanien, Libanon, Malta, Marokko, die Palästinensische Autonomiebehörde, Syrien, Tunesien, die Türkei und Zypern. Inzwischen sind zwei von ihnen – Malta und Zypern – der Union beigetreten. Bleiben also zehn Entitäten. Bis auf Israel sind alle mehrheitlich muslimisch besiedelt.
Mitte Oktober hatte das Kollegium der 27 Kommissare mit Ursula von der Leyen an der Spitze den neuen Pakt beschlossen. Die Präsidentin würdigte das mit den Worten: „Lasst uns einen Gemeinsamen Mittelmeerraum erschaffen, mit dem Ziel der fortschreitenden Integration zwischen uns.“ Mehr als 100 gemeinsame Projekte gebe es schon, darunter eine geplante gemeinsame Mittelmeer-Universität oder die Idee von KI-Fabriken auf beiden Ufern des Binnenmeers. Die Europäer wollen „finanzielle Instrumente“ bereithalten und als „Team Europe“ auftreten. Dreieckskooperationen mit den Golfstaaten seien möglich – etwa für einen Korridor bis nach Indien. Kein Plan ist zu groß für UvdL. Eine Frau scheint ihre Berufung gefunden zu haben: groß sprechen und kleinlich handeln, jedenfalls dort, wo es um die Freiheit der Bürger geht.
„Menschen“, Integration, Migration als Zielvorstellungen
Schlägt man die Dokumente auf, die den „Pakt“ für die Bürger erklären sollen, dann heißt es, man wolle einen „Prozess mit offenem Ende“ beginnen und einen „praktischen Rahmen der Zusammenarbeit“ schaffen. Das ist nichts Neues, man hat es schon seit 30 Jahren versucht. Aber nun soll die Zusammenarbeit intensiver werden.
Der neue „Prozess mit offenem Ende“ soll auf drei Säulen ruhen: erstens den „Menschen“ („people“), die die „Triebkraft für Wandel, Verbindungen und Innovation“ seien. Man hört schon heraus, um welche „Menschen“ es hier gehen könnte – die, die Landesgrenzen hinter sich lassen und versuchen, ihr eigenes Leben ganz „innovativ“ zu „verwandeln“. Zweitens will man am Ende „stärkere, nachhaltigere und integriertere Volkswirtschaften“ haben. Schon wieder Integration, als wäre das ein Gut an sich. Drittens soll es um „Sicherheit, Vorbereitung und Migrationsmanagement“ gehen. Das also auch noch.
Dubravka Šuica, die kroatische EU-Kommissarin von der EVP-HDZ und für das Mittelmeer zuständig, posaunt die eigentliche Botschaft frei heraus: Die größte Stärke der Region sei „ihre Jugend“, eine Aussage, die sie mit den Füllwörtern „Kreativität“ und „Talent“ ausschmückt. Natürlich meint Šuica nur die jenseitigen Küstenstriche des Mittelmeers, denn auf dieser Seite kämpfen auch Spanier, Italiener und Griechen mittlerweile um ihr Überleben als Völker, daneben auch mit der Abwanderung der Jungen. Die drei Länder sind also in der Summe alles andere als jugendlich oder kinderreich.
„Wohlstand teilen“ – Informationsblatt mit Kopftüchern
Aber Šuica kennt die starken Trümpfe ihres Portfolios. Im nächsten Satz sagt sie, in dem Pakt gehe es auch um „geteilten Wohlstand“, neue Investitionschancen und Jobs. Man will also den Handel im Mittelmeerraum verstärken, wogegen nichts einzuwenden wäre. Aber „geteilter Wohlstand“ klingt dann doch etwas so, dass wir etwas abgeben sollten, damit der Wohlstand auf beiden Seiten des Meeres wieder gleich ist. Oder wir teilen den Wohlstand eben, nachdem die anderen zu uns herübergekommen sind. Auch das scheint möglich. Darauf deutet auch das Wort „Migrationsmanagement“ hin, das sicher nicht einfach als Grenzschutz zu lesen ist.
Das EU-Informationsblatt („factsheet“) dazu ist passenderweise auch auf Arabisch verfügbar. Darin springen sofort die bekopftuchten Frauen ins Auge, die namentlich die Säulen „People“ und „Security, preparedness and migration management“ bebildern. Man hat also tatsächlich nicht das Bild einer funktionierenden Grenze für den letzten Pfeiler genommen, sondern jubelnde Araber auf einem öffentlichen Platz. Also genau das, was es nun auch zum Nikolaustag auf deutschen Straßen und Plätzen gab. Nur dass die Syrer dummerweise nicht Deutschland oder den gemeinsamen „geteilten“ Wohlstand feierten – das vielleicht nur implizit –, sondern ihr endlich befreites Land, so die Botschaft der Demonstrationen.
Natürlich wird auch der alte Begriff des „Mare Nostrum“ von Šuica und anderen beschworen und im Zeichen von „co-ownership, co-creation and joint responsibility“ („Mit-Eigentum, Mit-Gestaltung und gemeinsame Verantwortung“) neu dekliniert. Das Meer gehört uns gemeinsam, so die Botschaft. Warum sollten dann nicht die einen es auf Booten befahren, um zu den anderen zu gelangen? Das ist die Schlussfolgerung, die quasi aus jeder Pore dieses Info-Materials tropft.
Rat will legale Wege in die EU „strukturieren“
Die beschlossenen „Schlussfolgerungen des Rates“ zum Pakt bestätigen dieses Bild, denn zwar ist da auch die Rede davon, dass „die Geschäfte von Schleusern durch verstärkte Grenzkontrollen zu zerschlagen“ seien und „irreguläre Migration zu verhindern“ sei. Aber besonders wichtig sei der „rechtebasierte Ansatz“, den man dabei verfolgt – mit anderen Worten, die Rechte der lieben „Migrantinnen und Migranten“ sind zu wahren. Oft befinden sie sich ja „in prekären Situationen“, vielleicht werden sie bald schon zu „Asylbewerbern und Flüchtlingen“. Neben die „menschenwürdigen Rückführungen“ sollen daher „nachhaltige Wiedereingliederungen“ treten – man erfährt nur nicht, wo diese „Wiedereingliederung“ stattfindet. Es klingt ein wenig so, als wäre das in den Herkunftsstaaten, aber das wird dann offenbar noch das Geld der EU-Bürger kosten.
Der Migrations-Absatz im Ratsdokument schließt damit, dass man „legale Wege … strukturieren“ will. Und der Leser fragt sich, wer dem EU-Rat der nationalen Regierungen eigentlich diesen Auftrag gegeben hat. Gab es irgendwann in irgendeinem EU-Land eine Abstimmung darüber, ob die EU mehr Zuwanderung aus dem arabischen Raum braucht? Nein. Offenbar hat aber auch die deutsche Bundesregierung – ein Merz, ein Dobrindt – aus den jüngsten Wahlergebnissen abgeleitet, dass die Deutschen sich mehr und besser „strukturierte“ legale Einreisen aus Arabistan nach Europistan wünschen. Das ist eine starke Annahme und ein ebenso starkes Stück.
Der Mittelmeerpakt macht keinen Hehl daraus: Orient und Okzident sollen eine Einheit werden, und Rat und Kommission tun alles dafür, dass das so wird. Man kann noch nicht einmal ausschließen, dass in einigen Jahren den ersten auf der anderen Seite die Mitgliedschaft angeboten wird. Von der Leyens Ziel ist ja die „fortschreitende Integration zwischen uns“.

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