Chatkontrolle rückt näher: Heute nicken die EU-Botschafter ab – ohne Diskussion

Der neue Vorschlag zur Chatkontrolle verzichtet offiziell auf Aufdeckungspflichten. Die könnten aber hinterrücks eingeführt werden, als „freiwillige Risikominderungsmaßnahme“. Außerdem wollen die EU-Staaten eine verpflichtende Altersverifikation einführen.

picture alliance / Anadolu | Dursun Aydemir

An diesem Mittwoch soll die Chatkontrolle in der EU klammheimlich durch den Rat der Mitgliedsstaaten gewinkt werden. Das berichtet der EU-Abgeordnete Martin Sonneborn (Die Partei). Der neue Vorschlag steht demnach heute auf der Tagesordnung der EU-Botschafter. Und man scheint sich einig zu sein: Eine Diskussion ist nicht vorgesehen, nur das „Abnicken“ des Vorschlags, so Sonneborn auf X.

Der formale Verzicht auf eine verpflichtende Chatkontrolle ist dabei gleich mehrfach durchlöchert durch Ausnahmen und Erweiterungen. Denn die „Aufdeckungspflichten“ wurden zwar grundsätzlich gestrichen. Aber der Artikel 4 des neuen Vorschlags verpflichtet Messengerdienste zu „allen angemessenen Risikominderungsmaßnahmen“. Und das bedeutet laut Experten, dass die Anbieter in bestimmten Fällen doch zu einer Durchleuchtung aller Nachrichten gezwungen werden können. Es wäre die Chatkontrolle durch die Hintertür.

— Martin Sonneborn (@MartinSonneborn) November 24, 2025

Und damit könnte es dann doch wieder zum clientseitigen Scannen (CSS) kommen, direkt „auf unseren Smartphones“, wie der ehemalige EU-Abgeordnete und Digitalexperte Patrick Breyer warnt. Und das würde „das Vertrauen in Kommunikationsdienste enorm beschädigen“. Das bedeutet, Nachrichten – etwa auf WhatsApp – werden noch vor der Verschlüsselung auf Schlüsselworte durchsucht. Und all das anlasslos, bei allen Nutzern. Es sollen auch nicht mehr allein Internetadressen und Bilder gescannt werden, sondern auch Text und Videos. Das gehört zu den Ausweitungen des neuesten Vorschlags.

Außerdem soll die EU-Kommission gemäß dem Vorschlag künftig immer wieder prüfen, ob die Verpflichtung zum Scannen vielleicht doch „notwendig“ und „machbar“ ist. Damit wird die Tür für eine Neuregelung der Chatkontrolle in der Zukunft aufgehalten – je nach den technischen Möglichkeiten.

Massenüberwachungsinstrument, nichts sonst
Experten zur EU-Chatkontrolle: enormes „Potential für Missbrauch und Schaden“ – kein Schutz für Kinder
Daneben soll eine Altersverifikation kommen, etwa wenn Nutzer Apps herunterladen, die vermeintlich ein höheres Risiko für die Verbreitung von CSAM (child sexual abuse material) oder Grooming (das Kontaktieren Minderjähriger) haben. In diese Kategorie dürften vor allem Messengerdienste (wie Whatsapp, Telegram, Signal) und soziale Plattformen (wie X oder Facebook) gehören, aber auch Spiele mit integrierten Chats. Nutzer müssen also mit Altersüberprüfungen rechnen, wenn sie künftig diese Apps herunterladen oder bestimmte Funktionen aktivieren wollen.

Zu den Kritikern der Neuregelung gehören auch zahlreiche Cybersicherheitsexperten. So meint Carmela Troncoso vom Max-Planck-Institut für Sicherheit und Privatsphäre (Bochum), dass der neue Vorschlag „hohe Risiken für die Gesellschaft“ birgt, „ohne dass klare Vorteile für Kinder erkennbar wären“. Die Ausweitung der Datengrundlage (Bilder, URLs, Texte, Videos) werde viele falsche Meldungen hervorrufen. Laut Troncoso waren Ende-zu-Ende-verschlüsselte Nachrichten über Messenger wie Whatsapp oder Signal bislang sicherer als E-Mails. Das könnte nun Geschichte sein.

Nach der Botschafterentscheidung dürfte der Vorschlag in einem Innenministerrat im Dezember auf die Tagesordnung kommen. Danach käme die Abstimmung zwischen Parlament, Kommission und Rat, Anfang 2026. Die Kritiker der Neuregelung sehen darin noch gewisse Chancen, die neue Chatkontrolle doch noch zu verhindern – auf dem Umweg über das EU-Parlament. Alles im Fall, dass der EU-Rat letztlich dem abgeschwächten und zugleich ausgeweiteten Vorschlag zustimmt.

Anzeige

Unterstützung
oder