Auf den Kriegsschauplätzen „Palästina“ und „Ukraine“ ist ein umfassender Frieden nicht in Sicht. Aber man tut sich auch schwer, wenigstens zu einem distanzierten Nebeneinander zu kommen.
picture alliance / press.media | Belkin AleÑ
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In den gegenwärtigen internationalen Beziehungen herrscht ein heftiges Hin und Her. Dieses Hin und Her zeigt sich einerseits in den militärischen Entwicklungen. Mal sieht man den Gegner schon am Boden und einen Sieg in greifbarer Nähe, dann wieder zeigt sich, dass der Gegner über Ressourcen und Durchhaltevermögen verfügt, die seinen Zusammenbruch sehr unwahrscheinlich machen.
Aber auch an der diplomatischen Front gibt es ein Hin und Her: Vorstöße, die Lösungen mit substanziellen, auch territorialen Zugeständnissen andeuten. Aber kaum werden solche Zugeständnisse konkret, gewinnt wieder das Schreckbild eines unersättlichen Feindes, den jedes Zugeständnis nur zu weiteren Eroberungen reizt, die Oberhand. So gerät die Diplomatie wieder ins Stocken, und kehrt zurück zur Logik einer eskalierenden militärischen Abschreckung.
So ist die Weltpolitik – und auch die Weltwirtschaft – in diesem Jahr 2025 hin- und hergerissen zwischen zwei Zuständen. Aber wie müssen diese beiden Zustände beschrieben und verstanden werden? Man ist geneigt, von „Krieg und Frieden“ zu sprechen. Aber das wäre zu sehr schwarz-weiß gedacht, um die wirklichen Alternativen zu erfassen. Denn die Lösungsmöglichkeit, die sich in diesem Jahr 2025 aufgetan hat, würde gar nicht als eigenständiges Ordnungsprinzip begriffen. Gemeint ist das Prinzip der „Koexistenz“.
Dieses Prinzip bedeutet, dass weder ein tiefer, nicht enden wollender Kriegszustand, noch ein tiefer, ewiger Frieden herrscht. Im Modus der Koexistenz findet der Geist der Feindschaft wenig Nahrung, es muss aber kein Geist der Versöhnung beschworen werden. Die bestehenden Gegensätze hätten sich nicht immer weiter in einem Gegeneinander ineinander verkämpft. Aber sie hätten sich auch nicht in einem versöhnenden Miteinander aufgelöst. Die internationalen Beziehungen hätten eine Zustandsform finden können, die sich diesseits der radikalen Alternative „entweder Gegeneinander oder Miteinander“ bewegt: in einem Nebeneinander.
Gemessen an den großen Ansprüchen von „Krieg oder Frieden“ sind bei dieser „Koexistenz“ die Ansprüche geringer. Sie erfordert keine „Überwindung der Gegensätze“. Sie erfordert auch keine komplexen Lösungspakete mit allen möglichen Sonderzuwendungen und Kompensationen. Sie muss nicht in jahrelangen Verhandlungen komplizierte Gebäude errichten, die niemand mehr kontrollieren kann (wie das seit Jahren die Weltklimapolitik vorführt).
Sie kann viele Dinge dem Nebeneinander und der inneren Entwicklung der Staaten und Volkswirtschaften in den verschiedenen Weltregionen überlassen. Freilich ist diese „innere Entwicklung“ leichter gesagt als getan. Das soll an anderer Stelle erörtert werden. Hier soll zunächst gezeigt werden, dass hinter der Idee der Koexistenz ein eigenständiges und sehr reales Erfahrungs- und Handlungsfeld steht.
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Auf dem Schauplatz „Ukraine“ schien sich, zumindest in den USA, die Einsicht durchzusetzen, dass der dortige Roll-Back-Krieg gegen alles Russische nicht zu gewinnen ist. Das könnte mit der Einsicht verbunden sein, dass eine weitere Aufrüstung der Kiewer Regierung sinnlos und gefährlich ist, und dass es vernünftig ist, den Anschluss eines Teils der ukrainischen Ostgebiete an die Russische Föderation zu akzeptieren. Es kam zu einem Treffen von Donald Trump und Wladimir Putin, das an frühere Entspannungszeiten zwischen den USA und China wie auch zwischen den USA und Russland erinnerte.
Ein zweites Treffen in Budapest schien schon sicher…und dann kam es doch nicht dazu. Auf einmal gewann wieder die Konfrontationslogik die Oberhand. Wir kennen nicht die Einzelheiten, aber plötzlich waren die Gründe, die den US-Präsidenten zu einem Herunterfahren des Ukraine-Engagements und zu Zugeständnissen an die russische Seite bewogen hatten, keine sicheren Gründe mehr.
Gewiss hat Russland seine militärischen Operationen fortgesetzt – die Kiewer Regierung hatte ja jegliche Gebietsabtretung strikt abgelehnt. Aber keineswegs hatte die russische Seite eine ganz neue Offensive gestartet, aus der man hätte folgern können, Russland sähe sich nun zu einer Annektierung der ganzen Ukraine ermutigt.
Doch nun wurde von amerikanischer Seite wieder die Lieferung weittragender Waffen an Kiew als Möglichkeit ins Spiel gebracht, und es wurde eine Ausweitung der Wirtschaftssanktionen gegen Russland in die Wege geleitet. So hat sich das Fenster, das aus dem Krieg herausführen konnte, bis auf Weiteres wieder geschlossen.
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Auf dem Schauplatz „Palästina“ wurde ein erstes Kapitel, das mit dem Überfall der Hamas am 7.10.2023 begann, beendet. Die Herausgabe der Geiseln wurde erzwungen, und die Trümmer in Gaza zeigten, in welchem Maße ein Angriff auf Israel auf diejenigen zurückschlägt, die ihn unternahmen und bejubelten. So wurde die militärische Initiative, die anfangs bei der Hamas lag, gebrochen.
Die Verwirklichung des Ziels einer Vernichtung Israels und einer Vertreibung seiner Bevölkerung ist blockiert. Es bleibt festzuhalten, dass dieser Stand nicht auf einer tieferen Einsicht und freiwilligen Rücknahme dieser Ziele beruht, sondern auf der israelischen Schlagkraft und auf dem unerschütterlichen Zusammenhalt zwischen der Regierung Israels und der Regierung der USA.
Allerdings wäre es ganz falsch, nun ein zweites Kapitel zu erwarten, in dem der ganze „Friedensplan“ für die Region verwirklicht wird. Die Hamas-Kämpfer sind dabei, die Polizeigewalt in Gaza zu übernehmen, und es ist keineswegs ein Bruch zwischen der Bevölkerung und der Hamas eingetreten. Das macht es sehr fraglich, ob sich die Dinge im Gaza-Streifen von außen befrieden und auf eine andere Bahn lenken lassen.
Es ist auch sehr fraglich, ob man für die Region einen Zustand von „Frieden und Wohlstand“ versprechen kann, wenn die Palästinenser weit davon entfernt sind, auch nur eine elementare Selbstversorgung aus eigener Kraft zu erarbeiten. Es droht eine Wiederkehr alter Zustände, die nur wieder Schuldzuweisungen und Begehrlichkeiten gegen Israel wecken. Es kann daher sein, dass das nächste Kapitel auf dem Schauplatz „Palästina“ sich auf die Einrichtung eines sehr breiten und gut befestigten Grenzstreifens zwischen Israel und Gaza beschränken muss. Dazu gehört auch, dass Terrorakte gegen Israel und eine erneute Aufrüstung des Gazastreifens mit Gegenangriffen beantwortet werden müssen. Das wäre noch keine von einem beiderseitigen Willen getragene Koexistenz, aber eine Vorbedingung für ihre allmähliche Entstehung.
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Das Grundproblem der übergriffigen Ansprüche – So zeigt sich auf den beiden Kriegsschauplätzen „Ukraine“ und „Palästina“, dass eine Lösung durch Koexistenz an manchen Orten dieser Welt kein Selbstläufer ist. Beide Seiten müssen nicht bloß „aufeinander zugehen“. Es gibt Gegensätze, die nicht einfach durch einen Interessenausgleich entschärft werden können. Das gilt dann, wenn Ansprüche und Erwartungen einer Seite im Raum stehen, die nur durch Übergriffe auf die andere Seite erfüllt werden können.
Und es gilt besonders dann, wenn diese Ansprüche und Erwartungen nicht einfach von extremen politischen Parteien ausgehen, sondern auf geschichtlich gewachsenen und gefühlten Gegensätzen beruhen. Oder wenn in ihnen großräumige Gegensätze der Weltgeographie wirken.
Und doch bleiben auch solche „tief“ oder „weltweit“ begründeten Ansprüche übergriffige Ansprüche, die man nicht erfüllen kann und darf. Mit einem bloßen „Waffenstillstand“ ist es nicht getan. Andererseits kann man die Ansprüche auch nicht in Luft auflösen. Sie können nur in ihrer Wirkung blockiert werden und in ihrer Dynamik gebrochen werden. Anders kommt an solchen Konfliktlinien der Welt kein stabiles Nebeneinander zustande. Darin besteht die spezifische Härte, die dem Modus „Koexistenz“ innewohnt. Das zeigt sich jetzt auf den Kriegsschauplätzen „Ukraine“ und „Palästina“. Und es führt dazu, dass man sich mit dem Entschluss zur Koexistenz so schwertut.

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Ein bloßer „Waffenstillstand“ hat niemals funktioniert. Die Ursachen dafür liegen hauptsächlich im Willen Dritter, über die Konfliktparteien Einfluss auf den Nachkriegszustand zu gewinnen. Sowohl die Ukraine als auch die in Gaza lebenden Araber führen Proxykriege.
„Anders kommt an solchen Konfliktlinien der Welt kein stabiles Nebeneinander zustande.“
Evolutionäre Systeme (und soziale Systeme sind evolutionäre Systeme) kennen keine „stabilen Zustände“. Das ist eine ihrer konstituierenden Eigenschaften. Weshalb alleine der Wunsch nach „Stabilität“ schon völlig irre ist. Obwohl sich auch dieser evolutionssystematisch erklären lässt.
Lieber Herr Held hören sie doch auf stalinistische Kindermärchen zu erzählen, die jede menschenliche Intelligenz beleidigen. Damit machen sie allen Linksextremisten die Ehre. Wie naiv darf man als erwachsener Menschen sein? Oder bols naiv tun. Aus der Geschichte nichts gelernt. Es geht bei der Ukraine nicht nur um die Krim und Donezk, wie der Stalinist Putin und seine Verbrecherbande selber kundtgetan haben. Was bringt sie zu der naiven Überzeugung das Putin seinen Krieg beenden würde, wenn man ihm die Krim und Donezk gibt ? Lesen sie doch mal die Geschichte des Ausbruchs des 2WK. Oder wollen auch sie die Lügenlegende… Mehr
Auf den Kriegsschauplätzen „Palästina“ und „Ukraine“ ist ein umfassender Frieden nicht in Sicht. – Als Geschichte Kenner war das auch nicht zu erwarten. Aber man tut sich auch schwer, wenigstens zu einem akzeptierten Nebeneinander zu kommen. – das wird durch den jeweiligen Chauvinismus ausgeschlossen. Das geht in der Menscheitsgeschichte aber schon seit 10.000 Jahren so, überall in der Welt. Wieso sollte man die naive Ansicht und Anspruch haben, dass die nun plötzlich anders sein könnte? Solange solche faschistische Ansprüche wie „russische Erde“ zu erobern, die keine russiche Erde ist, geltend gemacht werden, kann es keinen Frieden in der Welt geben.… Mehr
In dem Kontext empfehle ich IMMER..
Samuell P. Huntigton.. Clash of Civilations..
Ist zwar jetzt ca. 30 Jahre alt..
Aber was..
Seine Analyse einfach nur Briliant..
Zumindest meine Sicht der Dinge..:-)
die Welt wird gerade neu aufgeteilt, hier glauben immer noch ein paar wir haben da etwas zu sagen…. nein!
Endlich! Ein lang erwarteter Beitrag
Augenmaß und Realitätssinn anhand des Schlüsselbegriffs Koexistenz (man lässt einander die Existenz, ohne sich aus den Augen zu lassen).
Sonst hätte TE den Spannungsfall bereits im Kommentarbereich…
Irgendwie finde ich auf dem obigen Bild keinen Bezug zum Text. Ganz rechts hat man Sheikh Zayed bin Sultan Al Nahyan eingebaut. Er war der oberste Sheikh von Abu Dhabi und Präsident der UAE – bis zu seinem Tod 2004. Ein sehr kluger, weiser und friedensfördernder Mann, aber ist er heute auch noch dabei ?
Natürlich, denn faktisch befinden wir in bereits im WK III. Von der Propagana über Wirtschaftssanktionen und Wirtschaftskrieg ist alles vorhanden. Nur ist dieser Krieg (noch) nicht sehr heiß, das kommt aber noch, der Westen arbeitet daran. Egal ob in Venezuela, Gaza, Iran, Korea, Taiwan, Kaukasus, Ukraine … überall wird gezündelt. Es ist ein Krieg des Westens (vor allem des ehemaligen Hegemons USA) gegen den Rest der Welt (vor allem die stark an Zahl der Länder und vor allem an Wirtschafts- und Militätmacht angewachsenen BRICS), der sich die Herrschaft des Westens nicht mehr gefallen lässt, denn der Westen ist schwach geworden,… Mehr
Interessant, dass hier in einem Artikel Palästina und Ukrostan behandelt werden, denn in Italien wird man für solche Vergleiche gefeuert: https://uncutnews.ch/ein-journalist-fragte-warum-israel-nicht-fur-den-wiederaufbau-gazas-bezahlt-danach-wurde-er-gefeuert/ > „… Laut dem italienischen Portal Fanpage geschah dies, nachdem Nunziati am 13. Oktober Paula Pinho, die Chefsprecherin der Europäischen Kommission, gefragt hatte: … „Sie wiederholen konstant, dass Russland für den Wiederaufbau der Ukraine zahlen soll. Glauben Sie, dass Israel für den Wiederaufbau Gazas zahlen sollte, da es fast die gesamte zivile Infrastruktur zerstört hat?“ …“ Die Antwort darauf lautete: > „Das ist definitiv eine interessante Frage, zu der ich keinen Kommentar abgeben möchte.“ Zum Ende lese ich noch:… Mehr