Die Schweiz ist das nächste Land, das Schritte in Richtung einer digitalen Identität macht. Nicht zuletzt das deutsche Beispiel zeigt, dass die anfängliche Freiwilligkeit bald angenagt wird. Für Kritiker ist es das „Tor zur digitalen Hölle“ der Kontrolle.
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„Wir haben es im realen Leben auch gern, wenn wir wissen, mit wem wir es zu tun haben. Warum sollte das im Internet anders sein?“ Das fragt, ganz unschuldig, der Schweizer Justizminister Beat Jans (SP). „Stellen Sie sich vor: Eine Kundin betritt Ihr Geschäft, scannt einen QR-Code und identifiziert sich – ganz ohne Ausweis, Formulare oder Wartezeit. Die E-ID macht genau das möglich.“ Das schrieb das staatliche Kommunikationsunternehmen Swisscom im Vorlauf der Volksabstimmung.
Aber eigentlich war es früher (und oft noch heute) doch so: Man geht in ein Geschäft hinein, kauft etwas, bezahlt mit Bargeld und bleibt vollkommen unidentifiziert, unerkannt. Aber das soll offenbar bald nicht mehr möglich sein, zumindest online. Oder: Möglich bleibt es schon, aber es soll langsam aus der Mode kommen, so wie gerade in vielen Ländern das Zahlen mit Bargeld aus der Mode zu kommen scheint.
Die Schweizer haben sich nun denkbar knapp mit 50,39 Prozent für die E-ID entschieden – eine elektronische Identität, über die sie nach Einführung angeblich „selbstbestimmt“ verfügen sollen und die freiwillig sein soll, wie das immer so gesagt wird. Den Ausschlag gaben die Städte über die ländlichen Kantone, heißt es nun. Die Mehrheit der Kantone, 18 von 26, lehnte den Vorschlag ab. Aber ein sogenanntes Ständemehr war nicht nötig, das Volksmehr genügte in dieser Frage.
Immer mehr Regierungen wünschen sich offenbar eine digitale, elektronische Identifikation ihrer Bürger. In Estland und Belgien wird sie automatisch vom Staat vergeben, in Schweden und Norwegen geschieht dasselbe durch Banken (BankID). In Großbritannien will die regierende Labour-Partei eine Digital-ID (neckisch „Brit Card“ genannt) einführen, ohne die die Briten keine neue Arbeitsstelle mehr antreten können. Das hintertreibt offensichtlich jede behauptete Freiwilligkeit. Aber auch in anderen Ländern fürchten Bürger einen Dammbruch, wenn eine E-ID erst eingeführt ist. Dann ist es nur ein kleiner Schritt hin zu einer Verpflichtung, eine elektronische ID zu besitzen und zu nutzen.
In der Schweiz gab es ein „breite Allianz“ für die Ja-Kampagne – im Parlament aus Abgeordneten von SVP bis zu den Grünen und in der Wirtschaft. Der Anwalt und Aktivist Markus Haintz spricht vom aufgestoßenen „Tor zur digitalen Hölle“ und einem selbstgewählten „digitalen Gefängnis“, das den Weg zum digitalen Zentralbankgeld und einem Social-Credit-System öffne. Volksabstimmungen seien „in einer durch gekaufte Medien gelenkten Demokratie“ keine Garantie für vernünftige Entscheidungen.
Zweifelhafte Swisscom-Spende an Ja-Kampagne
Schon fordern Gegner eine Wiederholung der Abstimmung wegen einer umstrittenen Spende der Swisscom von 30.000 Franken an die Ja-Kampagne. Dabei gab es ohnehin schon ein massives Übergewicht bei den Spenden für die Ja-Kampagne: 670.000 Franken hatte die insgesamt erhalten, die Nein-Kampagne nur 140.000 Franken.
Nils Fiechter, Chef der Jungen SVP, nennt das eine „unzulässige Abstimmungspropaganda“, was umso bedeutsamer ist, als die Mehrheit mit 21.000 Stimmen hauchdünn war. Eine Wiederholung fordert auch Nicolas Rimoldi von der Bewegung „Mass-Voll“, die sich in der Coronazeit als kraftvolle Stimme gegen die Maßnahmen gegründet hatte.
Der Telekommunikationskonzern Swisscom hat ein handfestes Interesse an dem Abstimmungsergebnis. E-Identitäten dürften letztlich auch die Zahl der online erledigten Einkäufe erhöhen. Damit wächst der Markt für die Anbieter. Die Swisscom führt eben dies als Argument in ihrem Sinne an: Die E-ID sei „sehr nahe“ am eigenen Kerngeschäft und soll angeblich bei der Datensicherheit helfen. Ganz konkret erleichtert sie die Vergabe von E-Signaturen, welche die Swisscom viel verkauft. Der Bundesrat hatte die Swisscom einst beauftragt, zu „Digitalisierung und Datenschutz“ beizutragen.
Als bundesnaher Betrieb, dessen Aktien mehrheitlich in Bundeshand sind, ist die Swisscom eigentlich zur politischen Neutralität verpflichtet. Die Regel ist aber nicht ohne Ausnahmen: Wenn ein bundesnaher Betrieb von einer Frage betroffen ist, darf er sich „sachlich und mit Zurückhaltung in einen Abstimmungskampf einbringen“, zitiert der Blick den Staatsrechtler an der Universität Basel Markus Schefer. Aber sind 30.000 Franken wirklich „zurückhaltend“? Die Nein-Kampagne hatte nur knapp fünfmal so viel.
In Deutschland seit 2017 nicht mehr freiwillig
Ein Bundesgericht kann die Abstimmung im Nachhinein kippen, wenn es die freie Willensbildung der Wähler als beeinträchtigt ansähe. Das passiert vor allem, wenn sich gravierende Fehler im Abstimmungsbüchlein finden, das die Wahlbürger über die zur Wahl stehende Alternative informiert.
Auch in Deutschland gibt es die freiwillige eID-Karte. Seit 2010 kann jeder Bürger seinen Personalausweis dafür freischalten lassen. Seit 2017 gibt es hier keine Wahl mehr. Man muss nur noch eine PIN ändern, um die Funktion zu nutzen. Aber nur ein gutes Drittel (35 Prozent) tut das. Offenbar braucht man es nicht zum Überleben. Aber auch der deutsche Fall zeigt schon, wie es nach der ersten Einführung Schritt für Schritt von Freiwilligkeit zu Verpflichtung geht. Und wieder liegen die großen Städte vorne bei der Aktivierung: In Berlin liegt die Rate bei 54 Prozent, in Hamburg bei 40 Prozent – etwa aus einem diffusen Gefühl der eigenen ‚Fortschrittlichkeit‘ heraus?
Das Schweizer Nein-Komitee sieht Gefahren für Privatsphäre und Demokratie durch die E-ID gegeben. Staatliche oder private Akteure könnten demnach Profile von Nutzern erstellen, diese gezielt mit Werbung besenden. Zweifel gibt es auch am Datenschutz. Vom „Steilpass für Big Tech“ ist die Rede. Aber die E-ID dürfte auch ein Steilpass für alle staatlichen Überwachungsfans sein.





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Volkabstimmungen sind für mich eine der demokratischsten Instrumente, die es gibt. Die Schweizer Bürger haben mit der Abstimmung ihre Souveränität gezeigt.
Dass sich eine Mehrheit für den digitale Kontrolle entschieden haben, bzw. den meisten das gleichgültig ist, zeigt aber, dass die Schweizer mittlerweile genauso links-grün verstrahlt und verblödet wie die Deutschen sind.
Ich denke, daß bei der Ablehnung eines persönlichen ID-Codes, der für sich genommen eigentlich harmlos ist, und den (zu Recht abgelehnten) hintergründig geplanten mißbräuchlichen Nutzungen durch staatliche Stellen/Geheimdienste/Polizei etc., 2 Dinge vermischt werden. Im ersten Abschnitt des Artikels wird deutlich, wovon die Rede ist: Warum sollte das im Internet anders sein?“ Das fragt, ganz unschuldig, der Schweizer Justizminister „Stellen Sie sich vor: Eine Kundin betritt Ihr Geschäft, scannt einen QR-Code und identifiziert sich – ganz ohne Ausweis, Formulare oder Wartezeit. Die E-ID macht genau das möglich.“ (Swisscom) und wie die feuchten Träume aussehen: totale Kontrolle und Identifizierbarkeit. Überall! Wir haben auch… Mehr
Bei einer Wahlbeteiligung von 49,6% liegt die Zustimmungsrate zwar seehr knapp, aber doch unter 25% der Schweizer Wahlberechtigten.
Über 50% scheint es egal zu sein. Ich denke aber, der Souverän ist von seinen Angestellten mal wieder nicht ausreichend informiert worden. Besonders über die Gefahren und Kontroolmöglichkeiten nicht.
Dieser Souverän muss, wenn er einer sein will, schon selbst mitdenken und sich informieren.
Das sind wieder so Weisheiten, die beim Entstehen von der ersten Synapse direkt zum Ausgang geleitet werden.
Zwei Synapsen weiter würde sich der Souverän fragen, wofür er Angestellte hat. Ob er sich bei jedem Thema bis in die letzte Verästelung selbst einlesen muss. Und woher er die Informationen bekommt, die Fachleute den Angestellten für sein Steuergeld zur Verfügung stellen.
Sie sind kein Chef einer Firma. Wenn die Angestellten dem Chef nicht alle Zahlen, Prognosen, Risiken und Erfolgschancen ordentlich aufbereitet präsentieren, kann der Chef nicht die richtigen Entscheidungen treffen.
Ja, in der Schweiz gibt es Volksabstimmungen, das Volk hat entschieden. In Deutschland gibt es das noch nicht und so lange das nicht so ist, müssen wir auch nicht handeln. Ich bin für Volksabstimmungen, nur so sieht gelebte Demokratie aus, ob der Nachbar ein E-Auto hat, oder einen Pool, oder kurze Hosen trägt, seine Entscheidung. Wer gerne Fahrrad fährt, kann auch nach Holland auswandern.
Ob 75% Kartellparteien wählen, welche totale Überwachung umsetzen oder es in einem Referendum die meisten direkt wünschen – was ist der Unterschied? In beiden Fällen wird westliche suizidale Dekadenz sichtbar. Zumindest westeuropäische, vielleicht ist es in den USA besser.
Für mich macht es einen Unterschied, da sagt einer, mit mir gibt es keine neuen Schulden, oder ich bestimme, es gibt keine neuen Schulden. Das Ergebnis ist auf jeden Fall ein anderes.
In den USA vielleicht, in Australien eher nicht – dort soll Zensur jeder Kritik am Klimagemurkse zu den „Menschenrechten“ gehören: https://tkp.at/2025/09/30/menschenrechtskommission-fordert-zensur-von-klimawandelkritik/
Was haben die Westler bloß in den Köpfen? Und dann beschweren sich Manche, wenn wer die westliche „Zivilisation“ als längst gefallen ansieht.
Na ja, dann sollte man aber auch die Ergebnnisse von Volksabstimmungen akzeptieren, und nicht nur dann, wenn sie einem in den eigenen Kram passen. Mit der niedrigen Wahlbeteiligung zu arguimentieren ist auch nicht lauter. Denn die Menschen, die nicht dafür gestimmt haben, haben ebensowenig dagegen gestimmt.
Na ja, ich habe nie von eine niedrigen Wahlbeteiligung gesprochen!
Es wird immer wo anders geschaut, die haben, warum nicht auch wir?
Kinder argumentieren gerne, alle in der Klasse haben schon ein Smartphone, nur ich nicht, nur wir sind erwachsen, haben wir nicht schon genug Probleme, sollte wir diese nicht mal erst lösen und nicht die Wähler anlügen, nur um Bundeskanzler zu werden? In der Wirtschaft wäre es ein Kündigungsgrund!
Warum wird mein Kommentar nicht freigeschaltet?
Mit welcher Propaganda haben sie diesen Irrsinn der schweizer Mehrheit als etwas Erstrebenswertes verkauft?
Das würde mich ernsthaft interessieren.
Es ist nicht zu fassen, was aus der Schweiz geworden ist.
Zitat: „„Wir haben es im realen Leben auch gern, wenn wir wissen, mit wem wir es zu tun haben. Warum sollte das im Internet anders sein?“ Das fragt, ganz unschuldig, der Schweizer Justizminister Beat Jans (SP).“ > Was ist das denn wieder für ein Bullshitgelaber und volksverblödender dämlicher Spruch??! Wenn ich zum Beispiel mit den Öffis fahre, beim Einkaufen bin, in der City auf der Bank sitze, im Schwimmbad bin, im Park spazieren gehe, aufm Konzert bin (usw, usf) und hier dann mit irgendjemanden ins Gespräch komme, dann möchte ICH bei weitem NICHT wissen mit wem ich mich unterhalten UND… Mehr
> UND ich möchte noch weniger, dass die mir fremde Person einfach erkennen kann und am wissen ist wer ich bin.
Im Dortmunder Museum DASA gibt es einen Teil mit historischen SF-Dysotopien – darunter ein Video, wie man auf der Straße etliche Infos über jeden Passanten angezeigt bekommt, mit dem Namen angefangen. Die Liebhaber-Namen, Kontostand usw. Die Schweiz ist gerade der Verwirklichung dieser Dysotopie einen Schritt näher. https://www.dasa-dortmund.de/ausstellungen/arbeit-und-wandel
Auf der Webseite sieht man, wie zwei Frauen solche Videos schauen. In einem anderen kündigt KI einem Herrn die Gesundheitsversicherung, weil sich dieser unerlaubterweise eine Pizza bestellte.
Das von einen vor alem staatlich und wirtschaftlich immer mehr Daten gesammelt und abgespeichert werden und das man auch deshalb immer „durchsichtiger“, erkennbarer und verfolg-/überwachbarer wird, das ist doch nur noch irre. Und da fängt man dann doch auch an sich zum Beispiel zu fragen, warum lehne ich da eigentlich noch bei REWE, Liddle & Co diese Bonus-Karten ab weil ich meine persönlichen Daten nicht im Umlauf geben will?
Manfred_Hbg, es gibt durchaus Möglichkeiten diese Karten, wie LIDL Plus, etc. zu nutzen. Es kommt immer darauf an, welche Daten dort für die Anmeldung verlangt werden, und wie clever Sie sind. Wenn Sie sich jedoch mit Klarname, Mailadresse, Bankverbindung etc. anmelden, und dann auch noch die Zahlfunktion nutzen wollen, können Sie es vergessen. Wenn Sie whatsapp oder Facebook benutzen, brauchen Sie sich ohnehin keine Gedanken mehr zu machen: Sie haben schon die Hosen runtergelassen. Diese Apps lesen sehr viele Daten auf ihrem Endgerät aus, um überhaupt den versprochenen „Komfort“ zu liefern. Das ist übrigens das Schlüsselwort, mit dem man alle… Mehr
Ich wüsste in der Tat sehr gerne, mit wem ich’s BEI DEN POLITIKERN zu tun habe, insbesondere von wem sie finanziert werden.
Lieber Herr Brummibaer,
wenn Sie glauben dass eine direkte Demokratie nur wünschenswerte Ergebnisse liefert , liegen Sie falsch.
Aber die direkte Demokratie liefert auch die Mittel , falsche Ergebnisse nach Erkenntnis der negativen Folgen zu korrigieren.
Anders als bei uns , wo Abweichler , die sich auf das freie Mandat berufen, schnell ausgeschaltet werden.
Die Schweiz….immer noch ein vorbild was demokratie angeht?
Anscheinend ist die Gesellschaft dort genauso wokisiert und neuronal reduziert, wie in umliegenden Ländern Westeuropas. Sonst würde man sich mit aller Kraft vor totalen Überwachung wehren.
Soll ich erinnern, wie hier Manche Bezahlkarten bejubelten, welche angeblich das Migration-Problem lösen sollten? Tatsächlich sollte dies nur erster Schritt zum Digitalgeld für alle werden.
Wenn ein Staat etwas beschließt, was dem „Wohl“ der Bürger dienen soll, ist immer Vorsicht angebracht. Meist dienen staatliche Beschlüsse dem Wohl des Staatsapparats und sei es im harmlosesten aller Fälle nur, um neue Bürokratien mit neuen Sachbearbeitern und deren politischen Vorgesetzten aufzubauen. Manchmal aber auch, um einen Apparat zur Überwachung seiner Bürger aufzubauen, den man aber – Ehrenwort – niemals dafür einsetzen wird. Die Erfahrung zeigt aber, was missbraucht werden kann, wird auch missbraucht werden. Die „rückständigen“ Landbewohner haben den „progressiven“ oder sollte man eher repressiven Braten gerochen und dankend abgelehnt. Die Städte mit ihrer selbstherrlichen Überheblichkeit haben ihre… Mehr