Ideologie vor Kompetenz

Deutschland leidet nicht nur an einem eklatanten Fachkräftemangel im Handwerk und anderen Sektoren, sondern auch an einem eklatanten Fachkräftemangel in der Spitzenpolitik, der seine Ursachen in unserem politischen System selbst findet.

© Sean Gallup/Getty Images

Das Problem an politischen Debatten, die im Alltag über einen längeren Zeitraum immer wieder eine Rolle spielen, ist, dass wir mit der Zeit in Bezug auf unsere Argumente in Gesprächen, Kommentaren in Social Media und ebenso im Schreiben von Artikeln dazu übergehen, zu automatisieren. Das ist insofern logisch, als sich im Zuge einer lang andauernden Debatte natürlich auch die einzelnen Themenzweige der Debatte in unterschiedlichen Geschmacksrichtungen wiederholen und in dem Maße, wie sich diese Themenzweige wiederholen, wiederholen wir uns in unserer Argumentation, verkürzen mitunter oder werden gar zynisch. Am Ende bleibt nicht selten – und das gilt im besonderen Maße auch für die Flüchtlingskrise –  nicht mehr als ein müdes de Funèssches „Nein. Doch. Oh.“ übrig.

Ähnliches lässt sich für die Diskussion um Kompetenz (oder viel mehr Inkompetenz) deutscher Politiker feststellen. Längst ist man auch hier dazu übergegangen, die Kommentarspalten des World Wide Webs allenfalls mit zynischen Bemerkungen zu Claudia Roths nicht vorhandenen Abschluss als Theaterwissenschaftlerin zu füllen, statt sich die Mühe zu machen, sich noch einmal ernsthaft und länger mit der Kompetenzfrage zu befassen.

Gewöhnung

Und genau darin liegt die Gefahr länger andauernder Debatten. Sie können nach dem Prinzip „steter Tropfen höhlt den Stein“ verlaufen, sie können aber eben auch ihren Wumms verlieren und mit Verlust dieses Wummses auch die Empörung und Wut und damit einhergehend schlussendlich auch das Bewusstsein, über das tatsächliche Ausmaß. Oder einfacher gesagt: Wir beginnen, uns an den Wahnsinn zu gewöhnen. Sei es an den millionenfachen Grenzübertritt illegaler Einwanderer, von denen wir nicht annähernd wissen, wer sie sind und welche Absichten sie verfolgen. An tägliche Übergriffe auf Frauen durch Asylbewerber, Behördenwahnsinn und in letzter Instanz sogar an den Terror. Daran, dass wir uns mittlerweile in einem Land wiederfinden, wo man eben einmal Sprengstoff bei einem syrischen Flüchtling findet.

Die Inkompetenz der Politiker, die auch hierbei die entscheidende Rolle spielt? Allenfalls ein Nebenschauplatz, mit dem man sich genauso abgefunden hat, wie mit Flüchtlingen wie Aras Bacho, der in der Huffington Post gerne einmal darüber schreibt, dass es vollkommen gerechtfertigt sei, dass der deutsche Steuerzahler für ihn und seinesgleichen aufkommt.

Aber es gibt Möglichkeiten, des Wahnsinns in regelmäßigen Abständen wieder gewahr zu werden. Diese gilt es zu nutzen. Immer und immer wieder. Zum Beispiel, wenn man wie ich einen guten Freund in Berlin hat, der in unmittelbarer  Nähe zum Bundesministerium für Wirtschaft und Energie wohnt. Jedes Mal, wenn ich also zu diesem Freund fahre, fahre ich an diesem Klotz von Gebäude vorbei. An seiner schönen Außenfassade mit den vielen Überwachungskameras, genauso wie an der Einfahrt mit eigener kleiner Ampel. Die Macht, man kann sie ebenso wie im Reichstag und den zahlreichen Botschaften in Berlin, förmlich riechen.

Und während ich so daran vorbeifahre, vergegenwärtige ich mir jedes Mal auf’s Neue, wer der Chef dieses Riesenbunkers ist. Wer der Chef all dieser Menschen ist, die vermutlich in diesem großen Gebäude arbeiten.

Ideologie vor Kompetenz

Und dann wird mir wieder einmal klar, wie wahnsinnig das wirklich alles ist und wie wahnsinnig wir Deutschen sind, dass wir es uns gefallen lassen, dass ein ehemaliger Deutsch- und Politiklehrer der Chef eines der wichtigsten Ministerien des Landes ist.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin mitnichten ein Verteidiger der Fachidiotie und übertriebener Akademisierung des Landes. Menschen ohne Abitur oder Studium können selbstverständlich genauso intelligent oder gar intelligenter als Akademiker sein. Sachverstand und Lebenswissen sind wichtiger als Akademiker, die noch nie etwas andere als Schule oder Universität gesehen haben. Eine Wertschätzung, die wir insbesondere in Zeiten des Fachkräftemangels und der Überakademisierung tunlichst wieder entdecken sollten. Auch können Menschen, die nicht das entsprechende Fach studiert haben, sich durchaus Wissen über den jeweiligen Fachbereich angeeignet haben. Zumal unsere Politiker darüber hinaus über einen ganzen Tross von Experten verfügen, die sie zu allen wichtigen Themen beraten.

Und dennoch: Als jemand, der ebenfalls zwei Geisteswissenschaften studiert, schlage ich die Hände über dem Kopf zusammen, wenn ich sehe, dass jemand aus unserem Fachbereich (und dann auch noch ein Soze) über die Wirtschaftspolitik eines Landes wie Deutschland entscheidet. Nicht, weil man im Politikstudium nicht auch in Berührung mit volkswirtschaftlichen Elementen kommt, sondern weil man das nicht im Ansatz mit der Ausbildung eines tatsächlichen Volkswirtes gleichsetzen kann und weil die Politik Gabriels für sich spricht. Hier die zurecht gescheiterte Fusion von Edeka und Kaisers Tengelmann, dort das Herunterreden der Deutschen Bank. Dass gerade Letzteres zu einem gefährlichen und vor allem teurem Spiel werden kann, scheint jenseits der Vorstellungskraft des Wirtschaftsministers zu liegen. Der Grund hier wie auch in vielen anderen Fällen: Fehlende volkswirtschaftliche Expertise. Ideologie vor volkswirtschaftlicher Realität. Oder wie erklärt man sonst, dass man allen Ernstes plant, den Verbrennungsmotor ab 2030 zu verbieten und halb Niedersachsen damit in die Arbeitslosigkeit zu stürzen? Und woher der Strom für das E-Auto kommen soll, ist darüber hinaus auch noch völlig unklar. Ein jetzt veröffentlichtes Gutachten des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomik im Auftrag für die INSM beziffert die Kosten für die Energiewende aktuell auf 520 Milliarden Euro bis zum Jahr 2025. Bis Ende 2015 sind für die Energiewende bereits 150 Milliarden Euro ausgegeben worden, die Kosten für den notwendig gewordenen Netzausbau noch nicht mit einberechnet.

Fachkräftemangel auf allen Ebenen

Was wir damit in Deutschland vorfinden, ist nicht nur ein eklatanter Fachkräftemangel in Bereichen des Handwerks und anderen Sektoren, es ist ein eklatanter Fachkräftemangel in der Spitzenpolitik, der seine Ursachen in unserem politischen System selbst findet. Wer ein wahrer Fachmann ist, geht hierzulande in der Regel in die freie Wirtschaft oder wird allenfalls beratend für die Politik tätig. Wer nichts wird, wird Wirt, oder wer zumindest noch über genügend Machtstreben verfügt, eben Politiker. Für die wirklichen Spitzenkräfte und Visionäre ist die Politik in der Regel nicht zuletzt auch aufgrund der Bezahlung nicht attraktiv. Sie ist eben eher etwas für ehemalige Lehramtsstudenten wie Sigmar Gabriel. Vom einem sicheren Staatsjob in den Nächsten – nur eben mit mehr Zaster und Rundumabsicherung.

Diese Liste ließe sich endlos fortsetzen. Neben der Fachfremde spielt auch die Tatsache, dass sich die wenigsten unserer Spitzenpolitiker einmal wirklich in der freien Wirtschaft behaupten mussten, eine entscheidende Rolle bei der Frage, wie es dazu kommen konnte, dass wir von Menschen regiert werden, die offensichtlich nicht den blassesten Schimmer von der Lebenswirklichkeit des normalen deutschen Bürgers haben. Menschen wie Andrea Nahles, die in ihrem Ressort über die arbeitende oder arbeitslos gewordene Bevölkerung richtet, hat in ihrem Leben als studierte Germanistin und Politikwissenschaftlerin nie außerhalb der Politik gearbeitet. Genau genommen weiß Frau Nahles also nicht einmal annähernd, was es für ein Gefühl ist, nicht rund herum abgesichert sein und tatsächlich so etwas wie eine wirkliche Leistung im Beruf erbringen zu müssen, um nicht entlassen zu werden und plötzlich vor dem Nichts zu stehen.

Wer sich diesen Umstand einmal wieder vergegenwärtigt, der braucht sich sodann auch nicht wundern, wie es zu solch hanebüchenen Aussagen wie denen von Heiko Maas und Julia Klöckner kommt, nach denen sich der Deutsche in der Migrationskrise um seine Finanzen keine Sorgen machen brauche, da der Staat gut gewirtschaftet hätte. Wer nicht round about 70% seines sauer verdienten Geldes an eben jenen Staat abdrücken muss, der kann halt auch schon einmal vergessen, dass nicht der Staat den Riesenbatzen Geld für die Migrationskrise erwirtschaftet, sondern der Steuerzahler, der in anderen Bereichen wie Bildung und Infrastruktur dafür in die Röhre guckt oder am Ende sogar noch mit Beitrags- und Steuererhöhungen draufzahlt.

Vergegenwärtigen Sie sich genau diese Dinge einmal wieder. Fahren Sie nach Berlin ins „Zentrum der Macht“ oder besuchen Sie von zu Hause aus die Webseiten unserer Politiker wie z.B. die von Aydan Özoguz – unserer Beauftragten für Integration und Migration und Schwester von zwei äußerst gut integrierten fundamentalistisch-muslimischen Männern. Werden Sie sich darüber bewusst, wer über uns und unser Leben entscheidet und wie wenig Bezugspunkte zu unserer Lebenswirklichkeit diese Menschen tatsächlich haben, von denen wir uns obendrein noch als Pack oder zumindest Menschen mit „diffusen Ängsten“ betiteln lassen. Claudia Roth mag hierbei ein besonders harter Fall sein, aber auch sie steht nur stellvertretend für eine gesellschaftliche Gruppe namens Spitzenpolitiker, die größtenteiles aus inkompetenten Elfenbeintürmlern besteht.

Gestaltung gefragt

Lange ging es insbesondere in den letzten Jahren in Deutschland darum, Erfolge vorangegangener Regierungen und vor allem die Leistung des emsig arbeitenden, fleißigen deutschen Bürgers zu verwalten. Diese Zeiten sind angesichts einer historischen Migrationskrise, die lange noch nicht vorbei ist, und der damit einhergehenden wiederentfachten Debatte um die Integrierbarkeit des Islams in westliche Gesellschaften, endgültig vorbei. Umso mehr zeigt sich angesichts eines Bedürfnisses nach aktiver, gestaltender Politik mittlerweile fast täglich, wie viel Schaden geballte Inkompetenz in der Politik tatsächlich verursachen kann. Wie ein stabiler Staat binnen Monaten in ein Chaos, dessen Folgen noch nicht einmal im Ansatz in Gänze zu erfassen sind, gestürzt werden kann.

Damit muss Schluss sein. Eine derart komplexe Welt mit ihren vielfältigen Konflikten und Herausforderungen, wie wir sie heute vorfinden, erfordert, dass wir an den entscheidenden Stellen des Staates Menschen sitzen haben, die etwas von ihrem Fachbereich verstehen oder zumindest um die Grenzen des eigenen Wissens wissen und sich statt in ideologisch verbrämten heimlichen Sozialismusträumchen an der Realität orientieren. Was wir brauchen, sind Leute, die das Gesamte pragmatisch und rational im Blick haben, die sich im Sinne der Arbeitsteilung umfassend beraten lassen. Keinen ehemaligen Politiklehrer im Wirtschaftsministerium, keine Ärztin als Verteidigungsministerin, keine Germanistin und lebenslange Berufspolitikerin als Arbeitsministerin und erst recht keinen Juristen, der kein Rechtsverständnis hat und eine zur Alleinherrscherin verkommende Bundeskanzlerin, die nur noch Ja-Sager um sich herum schart.

Es braucht Politiker, die nicht vollkommen entfremdet von der Mehrheitsgesellschaft sind. Die auch nur annähernd abschätzen können, was es bedeutet, nicht finanziell abgesichert zu sein oder in einer gutbürgerlichen Gegend zu leben. Nicht aus der Kindheitserinnerung, sondern aus der Erfahrung des eigenen Berufslebens. Menschen, die auch deshalb noch das Bewusstsein darüber besitzen, dass die Dinge nicht selbstverständlich sind. Dass man sie verlieren kann. Finanzielle Absicherung genauso wie Heimat und Werte. Und wenn man selbst nicht so jemand ist oder sein kann, dann sollte man zumindest wieder damit beginnen, genau diesen Menschen Gehör zu schenken.

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