Wie Inflation vorbereitet wird

Deutschland geht es gut – aber wie lange noch? Problemfelder, die dringend angepackt werden müssten, zu denen Sie im Wahlkampfjahr aber wenig hören werden: Aussitzen, Verschleppen und Verschlimmern als Staatsraison?

© Sean Gallup/Getty Images

Bei einem klappt es mit der deutschen Politik des gemeinschaftlichen Aussitzens nicht so: Donald Trump. Nach muslimischen Schurkenstaaten, Pharmaindustrie und Mexikanern hat er sich jetzt die Deutschen vorgenommen. Bereits im Januar forderte er 35 Prozent Strafzölle auf deutsche Autos made in Mexiko. Das schien so absurd, dass man es kaum ernst nahm. Jetzt erfolgt der zweite Angriff – diesmal treffsicherer und schmerzhafter.

Handelskrieg mit den USA?

„Deutschland beutet weiter andere Länder in der EU und die USA mit einer ,impliziten Deutschen Mark‘ aus, die stark unterbewertet ist“, und habe deshalb im Handel mit anderen Eurostaaten und dem Rest der Welt ungerechte Vorteile, sagte Peter Navarro, neuer Chef des National Trade Council der Financial Times. Damit ist klar, dass sich die protektionistische Handelspolitik unter Trump nicht nur gegen Länder wie Mexiko und China, sondern auch gegen Deutschland richten wird.

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Navarro trifft einen wunden Punkt. 2016 hat die Bundesrepublik nach vorläufigen Zahlen für 310 Milliarden Dollar mehr Waren und Dienstleistungen aus- als eingeführt. Auch der Vorwurf der Währungsmanipulation ist nicht aus der Luft gegriffen: „Deutschland ist im Euro unterbewertet, und der Euro selbst ist unterbewertet. Das macht deutsche Produkte im Ausland extrem billig“, sagt der langjährige Chef des Ifo-Instituts Hans-Werner Sinn: Um jeweils 20 Prozent im Verhältnis zum Dollar und innerhalb Europas sei Deutschland zu billig. Der Euro als Einheitswährung überdeckt die unterschiedliche Leistungsfähigkeit: unterschiedlich hohe Lohnniveaus, unterschiedliche Produktivität und Infrastruktur. Gemessen daran müssten Länder wie Griechenland und Italien abwerten, die Deutschen aufwerten. Weil dies im Euroraum nicht geschieht, panzern deutsche Exporteure ihre europäische Konkurrenz nieder. Selbst brutalstmögliche Lohnsenkungen in diesen Ländern würden der Wirtschaft nicht mehr aufhelfen – so schnell kann man Fabriken nicht aufbauen, wie sie mit dem Eurosprengstoff weggeschossen werden.

Das ist der Grund, warum der griechische Joghurt im Supermarktregal aus dem Allgäu stammt und nicht vom Peloponnes: Es gibt in Griechenland die modernen Großagrarier mit Massenviehställen und den Produktionsverbund mit hocheffizienten Molkereien gar nicht, die mit elektronischen Signalen bis zur letzten Kuh, Futterstelle und Melkmaschine die Milchproduktion nach Absatzlage steuern. Nur die freundliche Kuh auf der Alm in der Fernsehwerbung und die letzten bayerischen Kleinbauern verstellen noch den Blick auf die maximale Effizienz, auf die selbst die deutsche Landwirtschaft gedrillt ist – sonst ein kaum wahrgenommener Wirtschaftsbereich.
Aber keiner murkst Schweine so schnell, so billig und so hygienisch einwandfrei ab wie die in Serie gebauten Schlachtfabriken von Tönnies im Westfälischen. Und Deutschland, noch nie Land der Feinschmecker, wirft französischen Gourmetkäse europaweit aus den Regalen. Kein schwacher Franc verschafft den französischen Produzenten ein Jährchen Luft, um sich zu fangen – Schimmelpilzkäse von Bergader aus Waging am See macht keine Gefangenen in Roquefort.

Wachsende Wut in Europa

Europa spielt dabei eine wichtige Rolle: Tschechien, die Slowakei und Polen sind heute billige Zulieferer für Deutschlands Endmontage und das wertsteigende Label „Made in Germany“. Audis Motoren werden günstig in Győr, Ungarn, gefertigt; Skoda-Ingenieure kassieren nur ein Drittel von dem, was vergleichbar gut ausgebildete VW-Werker in Wolfsburg verdienen, und das in völlig vereinheitlichten, weltweit normierten Fabriken gleicher Produktivität: Im Supermarkt in Prag aber gelten Europreise, sogar höher als in Deutschland, und im Zweifel ist es eine Filiale von Lidl oder Aldi.

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Es klingt nicht freundlich – aber mit dem Euro hat sich Deutschland sein Großdeutsches Wirtschaftsreich wiedergeholt. Natürlich gehört mehr dazu – effiziente Fabriken, glänzende Ingenieurkunst, divers verbrämtes, aber erbarmungsloses Management, Technik und Innovation: Die vielen Cluster aus Unis, Fraunhofer-Instituten und damit verbundenen Mittelständlern liefern den Rohstoff, der mit dem Einheitseuro zur Blitzkriegswaffe wird.

Man darf die wachsende Wut in Osteuropa nicht unterschätzen: Schaffen für die Deutschen, Einkaufen teurer als die Deutschen und bei den Deutschen, aber Verdienen so dreckig wie ein Pole eben oder ein Tscheche – dies erklärt, warum die Osteuropäer nicht bei Merkels „Flüchtlingspolitik“ mitmachen wollen. Es ist nicht „Rassismus“ – sie wollen nicht auch noch zum Asylantenheim für die Migranten werden, die germanischen „Gutmenschen“ das Herz wärmen. „Europa steht vor der erneuten Zerstörung“, bilanzierte Sigmar Gabriel anlässlich seiner Flucht aus dem Wirtschaftsministerium.

Und wenn Trump Ernst macht? Dann bricht das deutsche Modell des Wirtschaftswachstums zusammen. Denn wenn eine Deutsche Mark 20 Prozent aufwertet, wäre die Frage in New York nicht: BMW oder Audi? Sondern wieder: Chevy oder Ford? Griechenland und Portugal ziehen den Wert der Währung in den Keller – und von dort aus werden die Deutschen zum Exportweltmeister. Aber dieses Modell hat Donald Trump gerade zur Disposition gestellt, und auch in Europa wächst der Widerstand gegen den „Eurokolonialismus“. Es gibt einfach zu wenig Gewinner außer der deutschen Industrie.

Und es ist ja keineswegs so, dass es auch in Deutschland nur Gewinner gäbe. Eine Währung, die so dramatisch unterbewertet ist wie der deutsche Euro, bedeutet ja nichts anderes, als dass Arbeitnehmer und Konsumenten die Zeche zahlen. Importe könnten deutlich billiger sein: sowohl Autos und Champagner aus Frankreich als auch Laptops aus Taiwan oder griechischer Joghurt, der Urlaub außerhalb der Eurozone sowieso. Nicht nur Donald Trump hat den Exporttrick der Deutschen durchschaut, die Europäische Zentralbank sieht das ganz ähnlich. Sie muss mit ihrer Einheitswährung ein Einheitsdach bauen – für die deutschen Autofabriken und die griechischen Ziegenställe, italienischen Familienbetriebe und slowenischen Garagen. Auf deutschen Druck hat die EZB versucht, Italien und Griechenland zur inneren Abwertung zu zwingen – Löhne runter, Renten beschneiden, Staatsausgaben kürzen, Preise senken. Damit sollten die ständig wachsenden deutschen Wettbewerbsvorteile aufgefangen werden.

Aber diese Art Deflationspolitik scheitert am Widerstand der Betroffenen, wie Deutschland schmerzvoll erfahren hat: Die Brüning’sche Deflationspolitik Anfang der 30er-Jahre hat die Reichsmark gerettet, aber das Deutsche Reich in die Arme Hitlers getrieben. Deshalb nimmt die EZB jetzt die Deutschen in die Zange, hat den Bundesbank-Präsidenten Jens Weidmann neutralisiert und die Riege der früheren Bundesbank-Falken in der EZB gefeuert oder gezähmt: Nullzinsen sind der eine,
brutale Angriff. So werden Milliarden über Exporterfolge erwirtschaftet und auf die hohe Kante gelegt – und dann über Nullzinsen entwertet.

Zu Arbeitnehmern mit zu niedrigen Löhnen, zu Konsumenten, die zu hohe Preise zahlen, kommt eine weitere Verlierergruppe: die Sparer. Mindestens 200 Milliarden Euro kostet sie die Nullzinspolitik. Und das ist erst der Anfang. Denn jetzt baut die EZB den Druck von der anderen Seite auf: Inflation. Und weil die Deutschen Inflation mehr fürchten als den Teufel, macht sie es langsam. Je nach Standpunkt mag man es behutsam oder verschlagen nennen.

Vorbereitung auf das Unsagbare

2003 galt für die Geldpolitik der EZB das Inflationsziel in einer „Bandbreite zwischen null und zwei Prozent“. Seit einigen Jahren hat sie das stillschweigend auf „nahe zwei Prozent“ geändert. Zwei Prozent – das ist schon richtig Inflation. Zwei Prozent, das bedeutet: 1.000 Euro sind, gemessen an der Kaufkraft, nach einem Jahr real 980 Euro wert, nach zehn Jahren nur noch 817 Euro: keine „Peanuts“ für den, der langfristig für sein Alter spart.

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Aber geht es nach der EZB, dann geht noch mehr. Wenn die Inflation eine Reihe von Jahren unter zwei Prozent lag, dann dürfte sie genau so lang auch über zwei Prozent liegen, erklärte praktisch unbeachtet von der Öffentlichkeit das EZB-Ratsmitglied Erkki Liikanen. Seine Rechnung: Da in den vergangenen Jahren die Inflationsrate bei 0,2 Prozent lag, also 1,8 Prozent unterhalb der magischen Zweiergrenze, dürfe sie danach genauso lang auch auf 3,8 Prozent steigen, oder eben vier Prozent für einige Zeit. Liikanen steht mit dieser Meinung nicht allein. EZB-Präsident-Draghi bestätigte, dass die zwei Prozent „over the medium term“, also im Durchschnitt, erreicht werden müssten. Wenn die Inflation längere Zeit unter der Grenze verharrt habe, müsse sie schon aus logischen Gründen ähnlich lange auch darüber liegen dürfen. Die Vier lässt grüßen, sie wird rhetorisch langsam vorbereitet. Wenn sie kommt, sind die Deutschen die Dummen, weil sie wieder nichts gemerkt haben.

Es ist kein Streit um Worte. Im Januar beschleunigte sich die Inflation in Deutschland bereits auf 1,9 Prozent; ein weiterer Anstieg ist zu erwarten, weil Energiepreise, Mieten und Löhne anzuziehen beginnen. Inflation ist kein Heizkörperthermostat, den man beliebig auf- oder zudrehen kann.

Inflation besitzt eine merkwürdige Eigendynamik: Sie wächst aus sich selbst. Wer Inflation erwartet, kalkuliert sie in seine Preise ein. Dann werden Mieten, Löhne und Gehälter mit Blick auf die zukünftige Entwertung sicherheitshalber bereits in der Gegenwart erhöht, und die Inflation steigt wie von Geisterhand gelenkt. Meist immer schneller, mit allen Folgeerscheinungen.

Der Finanzjournalist Manfred Gburek erinnert daher „an die 70er-Jahre des vorigen Jahrhunderts, als der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt von sich gab, fünf Prozent Inflation seien nicht so schlimm wie fünf Prozent Arbeitslosigkeit“. 100 Euro verkümmern bei solch einer Inflation nach zehn Jahren zu einem realen Wert von gerade mal etwas über 80 Euro. Während die Sparer mit Nullzinsen und Inflation buchstäblich in die Zange genommen werden, freut sich der Staat als lachender Dritter. Nicht nur in Griechenland und Italien macht die EZB mit der Nullzinspolitik die grotesken Staatsschulden erträglicher, auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ist ein großer Gewinner: Seine Zinsersparnis dürfte mittlerweile 80 Milliarden Euro betragen, und sich bis 2020 auf 155 anhäufen. Die derzeitige schwarze Null ist weder Folge besonderer Sparleistung noch ausgewiesener Regierungskunst – der Erfolg fällt Schäuble in den Schoß. Nichtstun bringt Erfolg, solange die EZB es will.

Immer mehr Staat, immer teurer

Oder andersherum: Ohne die Nullzinspolitik der EZB stünde Schäuble genauso blamiert da wie sein sozialdemokratischer Vorgänger Hans Eichel, der bei einer Neuverschuldung von 50 Milliarden seinen Hut nehmen musste. Und Schäuble gewinnt zudem über die sprudelnden Steuereinnahmen. In nur zehn Jahren stiegen seit 2006 die Steuereinnahmen von Bund und Ländern von 488 auf 673 Milliarden Euro (2015); mittlerweile gilt auch die 700-Milliarden-Grenze als überschritten.

Finanzkrise hin oder her: Der Staat schwimmt im Geld. Für den Bürger bleibt wenig, rechnet Ansgar Neuhof vor: Seit Jahrzehnten stagnieren die verfügbaren Nettoeinkommen, also das, was nach Abzug von Steuern und Inflation übrig bleibt. Nichts wäre angebrachter als eine Steuersenkung, die wenigstens die Wirkung der kalten Progression an die Steuersklaven zurückgibt.

(Un)heimliche Steuererhöhungen
Das Steuerprogramm der CDU zur Wahl 2017
Aber davon kann keine Rede sein. Der neue SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz eiert zwar bei den meisten Themen noch herum, aber da hat er sich schon festgelegt: „Riesenvermögen“ sollen stärker besteuert werden, wer auch nur wenige Aktien besitzt, desgleichen, und auch bei der gerade erhöhten Erbschaftsteuer will er wieder ran. „Superreichtum“ beginnt nach der Definition des vorherigen Wahlkampfs für die Grünen bei 60.000, für die SPD bei 80.000 Euro. Martin Schulz spricht sich generell gegen jede Steuersenkung aus. Stattdessen will er die Milliarden- überschüsse investieren – etwa in Schulen. „Dann geben wir den Bürgern auch etwas zurück.“

Klar: Erst wird abkassiert, dann bürokratisiert und dann ein schäbiger Rest mit herrschaftlicher Geste an die Untertanen verteilt, die dafür noch dankbar sein und das Kreuz an der richtigen Stelle machen sollen.

Damit steht der Fahrplan für die nächste Große Koalition schon fest: Während die CDU bei Steuersenkungen wenigstens zurückhaltend ist, gibt die SPD Gas – und wird sich durchsetzen. Der Karren schleudert nach links, hin zu einem Staat, der bald weit über 50 Prozent der Wirtschaftsleistung für sich beansprucht und trotz der ungeheuren Geldschwemme doch Straßen und Brücken verfallen lässt, Schulen vergammeln und die innere wie äußere Sicherheit verludern. Noch nie in der Geschichte Deutschlands zeichnete sich eine derart brutale Ausweitung der staatlichen Verarmungsstrategie ab.

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Kommentare ( 1 )

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Henryke
7 Jahre her

Wohin soll ich mailen???
Bedenken Sie bitte, es gibt noch ein paar mehr ältere Semester, denen das Internet noch „Neuland“ ist;-)