Kreuzritter für Syrien gesucht?

Graue Wölfe auf Anti-Israel-Demonstration in Frankfurt: Islamistische Radikale gewinnen Gefolgsleute in Deutschland
Mit dem Kommentar in der „Bild am Sonntag“ flammte die notwendige Auseinandersetzung mit dem Islam kurz auf – und wurde wieder erstickt. Dabei sollten wir den Islam so ernst nehmen wie unsere christlichen Kirchen – auch die brutalen Schattenseiten und importierten Konflikte.

Der Kommentar von „Bild am Sonntag“-Vizechefredakteur Nicolaus Fest zum Thema Islam hat ziemlich viel Wirbel ausgelöst – Ruprecht Polenz von der CDU nannte den Kommentar „rassistisch und hetzerisch“. Der NRW-Landtagsabgeordnete Serdar Yüksel (SPD) stellte gleich Strafanzeige gegen Fest wegen Verdachts auf Volksverhetzung; die Islamverbände sprachen von einer „Beleidigung“ des Islam. Selbst BamS-Chefin Marion Horn und der Chefredakteur der Bild-Zeitung Kai Diekmann gingen auf Distanz; ein ungewöhnlicher Vorgang.


„Islam als Integrationshindernis“ lautet die Überschrift von Fests Meinungsartikel. Darin heißt es:

„Nur der Islam stört mich immer mehr (…) Mich stören Zwangsheiraten, ‚Friedensrichter‘, ‚Ehrenmorde‘. Und antisemitische Pogrome stören mich mehr, als halbwegs zivilisierte Worte hergeben. Nun frage ich mich: Ist Religion ein Integrationshindernis? Mein Eindruck: nicht immer. Aber beim Islam wohl ja. Das sollte man bei Asyl und Zuwanderung ausdrücklich berücksichtigen!“

Die Zurechtweisung erfolgte auf dem Fuße. Dieckmanns Gegenargument, vorgetragen für den gesamten Springer-Konzern: „Wer eine Religion pauschal ablehnt, der stellt sich gegen Millionen und Milliarden Menschen, die in überwältigender Mehrheit friedlich leben.“

Verbrechen im Namen des Islam

Da hat Dieckmann ja auch recht. Allerdings nehmen die Verbrechen, die im Namen des Islam begangen werden, gerade ziemlich an Zahl und Grausamkeit zu. Und zwar derart massiv, dass die Antwort, es seien nur Einzeltäter, an Überzeugungskraft verliert. Klar ist auch, dass der Islam in eine Vielzahl von Strömungen zerfällt, die schwer auseinanderzuhalten sind. Auch sind die meisten Todesopfer im Namen des Islams andere Islamgläubige, die dummerweise gerade auf der andere Seite einer theologischen Demarkationslinie stehen – oder sie werden Opfer einer machtpolitischen Auseinandersetzung, die nichts mit irgendwelchem Glauben zu tun hat, außer, dass sie dafür als Begründung missbraucht wird. Mitteleuropa kennt das ja aus dem 30-jährigen Krieg, diesem Knäuel aus Macht-, Interessen- und Religionskrieg, der diesen Kontinent vermutlich ähnlich stark geprägt hat in Verlauf und Folgewirkung wie der erste Weltkrieg.

„Man führe sich nur die Kriege vor Augen, die die arabischen Länder in den letzten fünfzig Jahre geführt haben, und zwar nicht gegen Israel, sondern gegeneinander“, schreibt der niederländische Arabien-Kenner und langjährige Korrespondent Jogis Luyendijk in seinem lesenswerten Band „Von Bildern und Lügen in Zeiten des Krieges“. (Tropen, http://dnb.d-nb.de) Und er zählt auf: „Marokko gegen Algerien, Ägypten gegen Libyen, den Sudan und Saudi-Arabien, der Irak gegen Kuwait, Syrien gegen Jordanien, Jordanien gegen die Palästinenser und jeder gegen jeden im Libanon“. Luyendijk verzweifelte angesichts der unvereinbaren Vielfalt in Arabien und hing seinen Job als Korrespondent an den Nagel; insbesondere auch, weil die vielen arabischen Diktaturen journalistische Arbeit einfach unmöglich machen. Ja, der Islam wird benutzt. Es häufen sich die Gewaltausbrüche; sicherlich ist es nicht verkehrt, von einem mörderischen Flächenbrand des radikalen Islamismus zu sprechen. Selbst im sonst friedlichen Herford, wo islamische Tschetschenen, die mit der irakischen Terrorgruppe ISIS sympathisieren, einen dagegen protestierenden und Jesiden angriffen – ob es uns gefällt oder nicht, längst sind die sich ausweitenden Konflikte mit eingewandert. Sind das nur Radikale, die man vom Islam gewissermaßen abziehen muss, um zu seiner unverfälschten, friedlichen Reinform zu gelangen?

Und vor allem: wie gehen wir damit gedanklich um?

Träumerisch zur Annäherung an die Wirklichkeit

Schließen Sie mal die Augen und stellen wir uns vor, wie wir mit katholischen Radikalen umgehen würden.

Als Kern des radikalen Katholizismus gelten ja die Pius-Brüder. Sie hören die Messe auf Latein. Als Gegner des 2. Vatikanischen Konzils von 1962 bis 1965 lehnen sie ab, dass die Hostie beim Abendmahl dem Gläubigen in die Hand gegeben wird und stattdessen verlangen sie, sie auf die Zunge zu legen. Einige ihrer Mitglieder leugnen den Holocaust, was nun wirklich eine ziemliche Dummheit ist. In der noch radikaleren Form gibt es den Opus Dei, dessen Mitglieder sich nachts selbst mit der Peitsche überziehen. Eine der radikalen Katholikinnen ist Birgit Kelle („Mach doch die Bluse zu“). Sie tritt dafür ein, dass es Frauen gestattet und ermöglicht werden soll, nicht nur für ihrer Karriere zu leben, sondern auch ihre Kinder selbst zu erziehen. Andere „Radikale“ sind für ein Abtreibungsverbot.

Aber im Ernst: Ist das wirklich radikal? Geht da nicht nicht noch mehr, könnte man fragen, wenn man an die Islamistische Seite denkt.

Denn diese begrenzte Radikalität deutscher Katholiken meine ich nicht. Sie zeigt ja eher, wohin der polit-publizistische Mainstream fließt.

Ich meine richtige Radikale. Die etwa ihre Jungs dazu anhalten, des Nachts Schwule zu klatschen. Die schon mal ein Mädchen abstechen, das sich in den Teufel verliebt hat, der in Person eines Evangelischen daher kam und sie küsste. Und die dann die so radikalisierten Jungs, die übrigens Aramäisch lernen, die Sprache Jesus und der Urchristen, zu einer Miliz schicken. Deren Ziel ist es, den Bischofssitz in Aleppo wiederzuerobern – ein Kreuzzug nach Syrien, wo das Wort „Christen“ erstmals entstanden ist und nach Damaskus, der Stadt, in der Saulus zu Paulus wurde. Es ist urchristliches Gebiet, dummerweise gerade von Muslims besetzt, die dabei sind, die letzten christlichen Gemeinden in Syrien zu massakrieren. Und die Jungs von der Organisation „Rächer des Kreuzes Christi“ ziehen also in einen neuen Kreuzzug zur Befreiung der Brüder und Schwestern, die auch in der Türkei keine Religionsfreiheit besitzen. Zur Übung für den Krieg in Syrien zünden sie daher vorerst in der Türkei ein paar Moscheen an. Im übrigen führen sich ihre Vertreter so antisemitisch auf, dass die jüdische Gemeinde in Frankfurt, wie jüngst geschehen, aus Protest den Rat der Religionen verlässt.

Eine ziemlich absurde Vorstellung von Christentum also. Und wenn es nur drei so verrückte Radikal-Kathos gäbe, da wäre aber die Hölle los. Denn die Unterscheidung „katholisch“ und „katholizistisch“ gibt es nicht und würde auch nicht akzeptiert werden.

„Wir sind alle Allah“

Sondersendungen in der ARD, die sich über den rechtsradikalen Terror aus der Kirche entrüsten. Titelstories im Spiegel über „Der Wahn, der aus der Hostie kriecht“, klar, Schlagzeilen in BILD („Wir sind alle Allah“); ein Bundespräsident der dekrediert: „Diese Irrlehre gehört nicht zu Deutschland, der Islam aber schon“. Sämtliche Talkshows und auf allen Kanälen fünf aufgeregte Betroffene, Vertreter der Islamischen Gemeinden, und immer dabei Heribert Prantl, der mit donnernder Stimme die Umwidmung der Kirchen in Umerziehungslager für Mitglieder des Opus Dei, katholischer Geistlicher und anderer Unterstützer fordert; immer fünf gegen irgendeinen verschüchterten Bischof oder Kirchenfunktionär, der alles Christradikale in vorauseilendem Gehorsam verdammt, verurteilt, exkommuniziert, Bußgeldzahlungen an die muslimischen Gemeinden anbietet – und auf dem Höhepunkt eine Kanzlerin, die sagt. „Das war jetzt nicht hilfreich“.

Bloß keine Distanzierung

Aber Schluss jetzt damit, der Traum ist aus. In diesen Tagen höre und lese ich, dass der ganze Wahn, der da abläuft – Ehrenmorde in Köln, Zwangsverheiratung in Duisburg, unfassbar brutale Massenmorde im „Kalifat“ im Irak, Ausrottung der letzten Christen in Syrien, Hatz auf Schwule in Berlin-Schöneberg, Salafisten aus Frankfurt, die in den Krieg nach Syrien ziehen – der ganze große und der kleine Wahn, nichts mit dem Islam zu tun hat, in dessen Namen diese Verbrechen begangen werden. Es sei ja nur eine kleine, radikale Minderheit innerhalb der großen, friedliebenden Religion, die zu achten und ehren wir alle verpflichtet sind. Deswegen darf man von diesen wenigen Irregeleiteten nicht darauf schließen, dass da was im Glaubenssystem verkehrt ist; und eine klare und laute Distanzierung der Mullahs und ihrer Verbände hierzulande darf man auch nicht verlangen, weil schon die Distanzierung etwas unterstellt, was gar nicht da ist: eine Verbindung des Islam zu den realen Vorkommnissen.

Boko Haram eine schwarze IRA?

Nun hat die muslimische CDU-Politikerin Cemile Giousouf, deren Eltern aus Griechenland nach Deutschland eingewandert sind, vordergründig Recht, wenn sie in der FAZ vom 5.8.2014 formuliert, dass es unsinnig ist, „dass ein deutscher Muslim, der in der vierten Generation hier lebt, sich nicht mehr für islamistischen Extremismus in der Welt rechtfertigen will. Ein Katholik muss sich für die Anschläge der IRA auch nicht rechtfertigen.“

Aber damit springt sie zu kurz. Denn die generelle Weigerung, sich mit den breiten, radikalen Strömungen auseinanderzusetzen, verdrängt die globale Gewalttätigkeit islamistischer Gruppen von den Bildschirmen. Wenn Islamkritik so schnell als „rassistisch“ tabuisiert wird, dürfen wir uns nicht wundern, wenn es schon etwas länger her ist, dass wir etwas von Boko Haram gehört haben, jener brutalen islamischen Gruppe in Nigeria, die 200 Mädchen gefangen hält und vermutlich ungeheure Abscheulichkeiten an ihnen begeht? Was sagen eigentlich die Vertreter des friedlichen Islam dazu? Und warum hat es so lange gedauert, bis das Vordringen der islamischen ISIS-Kämpfer im Irak in die deutschen Medien gelangte, obwohl seit Monaten die Bilder von Massenerschießungen völlig unbeteiligter Menschen auf Youtube zu verfolgen waren? Hat die Errichtung eines Kalifats mit der sexuellen Zwangsverstümmelung der Frauen wirklich nichts mit dem Islam zu tun? Wirklich nichts? Wie funktioniert eigentlich diese Trennung in „islamistisch“ und „islamisch“, wie kann die Endung „-istisch“ die Verantwortung so weit weg schieben vom Islam? Oder ist es nicht doch eher so, dass der Islam die Quelles eines antimodernen Sentiments ist, dass Konflikte zum Leben erweckt, die wir im Abendland längst überwunden glaubten und die wir jetzt zum Teil durch Migration importieren und durch Mullahs hierzulande potenzieren.

Denn es ist natürlich nicht so, dass die deutschen Muslime generell Dschihadisten wären – die meisten haben von der islamisch geprägten Welt ziemlich die Schnauze voll; von der Unterdrückung der Frau, ebenso wie vom gestrigen Weltbild einer vorindustriellen Gesellschaft. Viele Muslime lieben Deutschland deshalb, weil dieses Land ihnen persönliche wie religiöse Freiheiten gewährt, die sie in der Türkei, in Ägypten oder in einem der anderen diktatorischen, bis auf die Knochen korrupten, ausbeuterischen Länder Arabiens niemals erfahren würden.

Aber diesen Menschen helfen wir nicht, wenn wir die immer wieder versuchte Zwangsherrschaft mancher muslimischer Verbände über die Menschen muslimischen Glaubens nicht aufbrechen, sondern durch Wegschauen sogar noch verstärken.

Und Kritik am Islam muss sein. Das ist längst keine Religion einer Minderheit mehr, deren Tun notwendigerweise toleriert werden sollte: Über 2.000 Moscheen gibt es in Deutschland, die im übrigen dem türkischen Religionsministerium Ditib unterstehen. Es gibt zwischen zwei und 4,5 Millionen muslimische Gläubige – diese enorme Unsicherheit über die wirkliche Anzahl von Muslimen zeigt, dass für viele die Herkunftstreligion keine wirklich Bedeutung jenseits der Folklore hat; lediglich die muslimischen Verbände blähen die Zahlen künstlich auf, um ihre eigene Bedeutung zu maximieren. Aber wie auch immer – auch mit nur zwei Millionen Anhängern sind die Muslime nach der katholischen und evangelischen Kirche mit je gut rund 22 Millionen Gläubigen bereits die drittgrößte religiöse Gruppe; und zwar mit Abstand vor weiteren Kirchen: Die nächstgrößte Gruppe zählt die griechisch-orthodoxe Kirche mit 450.000 Gläubigen; die jüdischen Gemeinden haben 200.000 Mitglieder. Schon rein quantitativ also sind die Zeiten vorbei, in denen man es sich erlauben konnte, wegzuschauen. Dem Islam erweisen wir erst dann die ihm gebührende Ehre, wenn wir ihn so ernst nehmen und mit seinen vielfachen Äußerungen und Strömungen so glaubwürdig umgehen, wie wir es mit heimischen Religionen auch tun: Undenkbar, dass die wir mit -istisch als Entschuldigung davonkommen liessen. Und wer darauf hinweist, was da alles geschieht an Gräueln jeden Tag im Namen des Islam, der beleidigt dessen Gläubige nicht – er hilft nur bei einer dringend nötigen Klärung und Modernisierung einer Religion, die zu weiten Teilen noch nicht in der Moderne angekommen scheint.

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