Neues Wahlrecht macht den Bundestag zur Wundertüte

Nach den Wahlen am 23 Februar könnten fünf Parteien im Parlament sitzen – oder auch neun. Die Umfragen geben eine extreme Bandbreite an Möglichkeiten her. Trotzdem steht die nächste Regierung praktisch schon fest.

picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Erinnert sich noch wer an Edmund Stoiber? Am Abend der Bundestagswahl 2002 stieg der damalige Spitzenkandidat der Union als Gewinner und neuer Kanzler in München ins Flugzeug – und landete in Berlin als Verlierer.

Damals war nach den Umfragen zwar schon Monate vorher klar gewesen, welche Parteien ins Parlament einziehen würden und welche nicht. Aber ob das schwarz-gelbe oder das rot-grüne Lager gewinnen würde, war noch während der Stimmauszählung unklar. Am Ende verteidigte Gerhard Schröder mit seiner SPD das Kanzleramt, und CSU-Mann Edmund Stoiber blieb bis zum Ende seiner Karriere Ministerpräsident von Bayern.

Bei der kommenden (vorgezogenen) Bundestagswahl im Februar 2025 ist es genau umgekehrt: Gleich vier Parteien könnten ins Parlament einziehen – oder eben auch nicht. Aber der nächste deutsche Bundeskanzler steht trotzdem schon so gut wie fest. Und seine Regierung auch.

Wie kann das sein?

Dazu muss man sich einerseits die Wahlumfragen der acht wichtigsten Umfrage-Institute ansehen – und das Wahlrecht andererseits. Die Institute sind (in alphabetischer Reihenfolge): Allensbach, Forsa, Forschungsgruppe Wahlen, Infratest-dimap, INSA, Institut Wahlkreisprognose, Ipsos und YouGov.

Für ihre sogenannte „Sonntagsfrage“ („Wen würden Sie wählen, wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahlen wären?“) verwenden die verschiedenen Institute unterschiedliche Methoden, um den Kreis der Befragten – das sogenannte „Panel“ – festzulegen. Teilweise sind diese Panels der Institute auch noch unterschiedlich groß, und die Umfragen werden zudem oft in verschiedenen Zeiträumen gemacht.

Zusammen mit noch ein paar anderen Faktoren führt das dazu, dass sich die Ergebnisse bei der Sonntagsfrage mitunter ganz erheblich voneinander unterscheiden. In dem Moment, als dieser Text hier fertiggestellt wurde, sah nach den jüngsten verfügbaren Umfragen die Bandbreite bei den Parteien so aus:

  • CDU/CSU 32,0 – 37,0 %
  • AfD 17,0 – 19,0 %
  • SPD 14,0 – 16,0 %
  • Grüne 10,0 – 14,0 %
  • BSW   4,0 –   8,0 %
  • FDP   3,0 –   5,0 %
  • „Linke“   2,5 –   4,0 %
  • Freie Wähler     1,0 –   3,0 %

Wahlumfragen sind keine Prognosen, aber sie zeigen die aktuelle politische Stimmung. Neben möglichen inhaltlichen Schwächen haben diese Umfragen zusätzlich auch immer eine rechnerische (statistische) Fehlertoleranz. Die liegt zwischen einem und drei Prozentpunkten. Wenn eine Umfrage zum Beispiel die FDP bei 4,5 Prozent und damit nicht im Parlament sieht, dann ist es allein schon wegen dieser statistischen Fehlertoleranz absolut möglich, dass die Liberalen bei der Wahl, sagen wir: 5,1 Prozent der Stimmen bekommen und damit doch in den Bundestag einziehen.

Die statistische Fehlertoleranz der Umfragen lässt derzeit bei gleich vier Parteien keine sinnvolle Prognose darüber zu, ob sie im neuen Bundestag vertreten sein werden oder nicht. Das gilt für das BSW, die FDP, die „Linke“ und sogar für die Freien Wähler.

Dazu kommt eine spezielle Festlegung im Wahlrecht: die sogenannte Grundmandatsklausel. Sie besagt, dass jede Partei, die bundesweit in mindestens drei Wahlkreisen das Direktmandat gewinnt, dann automatisch mit ihrem gesamten Zweitstimmen-Ergebnis ins Parlament einzieht – und zwar ausdrücklich auch dann, wenn die Partei ansonsten unter der Fünf-Prozent-Hürde bleibt.

Das ist der Weg, auf dem es die „Linke“ wieder in den Bundestag schaffen will: Die drei Oldies Gregor Gysi (in Berlin-Köpenick), Bodo Ramelow (in Erfurt) und Dietmar Bartsch (in Rostock) wollen in der „Aktion Silberlocke“ jeweils ihre Wahlkreise gewinnen und damit ihre stark schwächelnde Partei doch noch ins Parlament schubsen.

Etwas überraschend, aber keineswegs aussichtslos haben sich auch die Freien Wähler vorgenommen, mit demselben Trick erstmals in den Deutschen Bundestag einzuziehen. Außer mit dem in Bayern enorm populären Landeswirtschaftsminister Hubert Aiwanger im Wahlkreis Rottal-Inn rechnet sich die Partei noch im Oberallgäu mit der Landrätin Indra Baier-Müller, in Landshut mit dem Landrat Peter Dreier und in Augsburg mit dem Gersthofener Bürgermeister Michael Wörle Chancen auf mindestens drei Direktmandate aus.

Der nächste Bundestag könnte also einerseits so aussehen:

  • CDU
  • CSU
  • AfD
  • SPD
  • Grüne

Er könnte aber auch so aussehen:

  • CDU
  • CSU
  • AfD
  • SPD
  • Grüne
  • BSW
  • FDP
  • „Linke“
  • Freie Wähler

Fünf Parteien oder neun Parteien: Da wird doch wohl das Rennen um das Kanzleramt bis zum Schluss spannend bleiben, würde man denken. Falsch gedacht. Denn ganz egal, wie der nächste Bundestag zusammengesetzt ist – die Regierung steht im Prinzip schon fest. Der nächste Bundeskanzler heißt Friedrich Merz – wenn er sich nicht noch in einem Anfall geistiger Umnachtung in einem unpassenden Moment wie weiland Armin Laschet um den Wahlsieg grinst.

Koalitionspartner wird die SPD sein. Das ist die Partei, die immer so tut, als habe sie mit den Problemen des Landes nichts zu tun. Dabei sollte man ab und zu in Erinnerung rufen, dass die Sozialdemokraten in den vergangenen 26 Jahren insgesamt 22 Jahre in der Bundesregierung saßen. Dabei stellten sie zehn Jahre lang den Bundeskanzler und zwölf Jahre lang den Vizekanzler.

Unter ganz bestimmten Bedingungen – bei sehr wenigen Parteien im Parlament – könnte es für CDU/CSU und SPD sogar zu einer Zweier-Koalition reichen. Falls nicht, stehen die Grünen zur Mehrheitsbeschaffung bereit. Eine schwarz-rot-grüne Koalition hätte nur unter sehr ungünstigen Umständen – in einem Parlament mit sehr vielen Parteien – keine sichere Mehrheit.

Politisch wird sich also absehbar nicht viel ändern in Deutschland. Der Kanzler hat einen anderen Namen, aber vermutlich zwei von drei Parteien der gescheiterten Ampel werden weiterregieren – mit denselben gescheiterten Figuren an der Spitze. „Wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie verboten.“ Das war Jahrzehnte lang ein Slogan der linken Reichshälfte in Deutschland. Ironischerweise war der Satz nie so wahr wie heute, da linke Parteien die Regierung dominieren.

Anderswo – in den USA etwa, oder in Argentinien – ändern Wahlen politisch wirklich etwas. In der EU eher nicht.

Das liegt maßgeblich daran, dass die herrschende EU-Politiker-Kaste versucht, sich und ihre Pfründe hinter der sogenannten „Brandmauer“ in Sicherheit zu bringen. In Deutschland hat die erste grüne Bundeskanzlerin das eben gerade noch einmal deutlich gemacht: Angela Merkel hat den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder öffentlich dafür getadelt, dass er eine Koalition der Union mit den Grünen ausschließt. „Unklug“ sei das, meinte Merkel – und führte als Beleg „erfolgreiche“ schwarz-grüne Bündnisse auf Landesebene an.

Nun kann man absolut trefflich darüber streiten, ob Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein wirklich „erfolgreich“ regiert werden. Vor allem die desaströse wirtschaftliche Entwicklung in beiden Bundesländern spricht recht deutlich dagegen. Aber Merkels Intervention aus dem Ruhestand hatte erkennbar ja auch gar nicht den Zweck, irgendwelche belastbaren Fakten zu liefern.

Der Altkanzlerin ging es vielmehr darum, ihre immer noch überall in der CDU versteckten Resttruppen zur Ordnung zu rufen: Wehe, Ihr verlasst meinen Grünen-Kurs. Der Subtext dieser Botschaft war ebenfalls überdeutlich: Sehr viele Menschen in der Union haben ihre Karrieren allein Merkel zu verdanken – und Karriere unter Merkel konnte nur machen, über wen die Machtfrau genug wusste, um ihn handzahm zu halten.

Merkels scheinbar so harmloser taktischer Zwischenruf war in Wahrheit eine Warnung.

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Kommentare ( 45 )

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Wilhelm Roepke
12 Tage her

Das Wahlergebnis ist 2025 nicht so wichtig, da die Verarmung der Bevölkerung erst begonnen hat. 2029 wird spannend, wie es Alice Weidel korrekt prognostiziert hat.

Sidetrack
12 Tage her

„Aber der nächste deutsche Bundeskanzler steht trotzdem schon so gut wie fest. Und seine Regierung auch.“

Nach der Wahl dürften Viele der Kofferpacker Nägel mit Köpfen machen, weil sie keine weiteren vier Jahre mehr Zeit haben.
WU Maaßen/Meuthen statt FDP Lindner/Buschmann im BT könnte die Politikwende bringen.

Last edited 12 Tage her by Sidetrack
Paul S.
12 Tage her

„Der Kanzler hat einen anderen Namen…“ Ja, in weiser Vorausschau hat Frau Weidel kürzlich im Bundestag Herrn Merz als „Ersatz-Scholz“ bezeichnet. Der noch amtierende Kanzler zeigte sich amüsiert.

Michael Theren
12 Tage her

schon die Stoiber-Nicht-Wahl war alles andere als sauber, wer aber auch aus CDU/CSU Kreisen (Herr Glos z.B.) die Frage aufwarf, wieviele türkische Doppelstaatler (damals) verbotenerweise mitgewählt hatten wurde schnell (administrativ) zum Schweigen gebracht.

Dietrich
12 Tage her

Es ist doch clever mit mindestens 5 Parteien ins Rennen zu gehen, die im Grunde dasselbe wollen. So ist der Machterhalt immer gesichert.

tiptoppinguin
12 Tage her

Denk‘ ich an Deutschland in der Nacht, so bin ich um den Schlaf gebracht.

Abwärts immer, rückwärts nimmer. Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf.

In 20 Jahren hat wieder niemand davon gewußt, hat es wieder niemand gewollt und alle waren im Widerstand.

Paprikakartoffel
12 Tage her
Antworten an  tiptoppinguin

Ich ärgere mich jetzt schon über die zu erwartenden Wendehälse.

Marco Mahlmann
12 Tage her

Auch wenn Vosgerau das anders sieht, auch wenn die AfD schon ähnliches vorgeschlagen hat: Das neue Wahlrecht, das entgegen der Überschrift im Artikel nicht erwähnt wird, ist verfassungswidrig. Es darf nicht sein, daß der Parlamentseinzug eines direkt gewählten Wahlkreiskandidaten davon abhängt, daß seine Partei für ihn noch ein hinreichendes Abgeordnetenbudget durch die Zweitstimme hat. Wer gewählt wird, muß einziehen. Ansonsten ist die Wahl nicht direkt und nicht gleich. Der Einzug einer Partei über drei Direktmandate ist kein Trick, sondern Bestandteil des Wahlrechts; wenn die Linke aber nur zwei Wahlkreise gewinnt und unter fünf Prozent Zweitstimmen bleibt, gehen auch die beiden… Mehr

Lore
11 Tage her
Antworten an  Marco Mahlmann

NUR Direktmandate in den BT, 299 langen voll und ganz

Sabine Ehrke
12 Tage her

Der Wähler bekommt, was er verdient, solange, bis die AfD eine Mehrheit im Bundestag stellt. Sozialismus, Kommunismus, Faschismus, Stasi, Armut, Gefangenschaft, Tod und Verderben. Wie seit spätestens 2015 von uns aus der DDR Fortgemachten vorausgesagt. Auch hier bei Tichys belächelt und abgetan. Gerade noch kannst Du es Dir aussuchen, Deutsches Volk, ganz ohne blutige Aufstände.

Kraichgau
12 Tage her

ich kann den Namen dieses EX-SED U-Boots einfach nicht mehr sehen…
diese Zerstörerin meines Heimatlandes ist die Seuche ,die mein Gemüt belastet.
Ihre „Politik“ war,ist und wird immer kriminell gegen den Amtseid stehen

Falke53
12 Tage her

Vielleicht gibt es ja noch den befürchteten Blackout im Januar. Dann werden die Karten neu gemischt. Oder auch nicht (Notstand)…

Knilch
12 Tage her
Antworten an  Falke53

Bitte hier nicht spekulieren!
Ein echter Blackout riefe innerhalb weniger Tage marodierende Migrantenbanden auf den Plan, und dann gäbe es Mord und Totschlag.

Robert Meister
12 Tage her
Antworten an  Knilch

Da gebe ich Ihnen Recht. Leider ist das das einzige Szenario, dass die Bevölkerung aufrütteln könnte. Ob der Wassergraben um den Bundestag dann den Ansturm (von wem auch immer) standhalten wird, darüber darf spekuliert werden.