Das Spiel der Geschlechter beim Schachspiel und im Neuen Testament

Patriarchat oder auch Matriarchat sind oberflächliche Etiketten, hinter denen sich vielfältige, diffizile und differenzierte Austarierungen im Spiel der Geschlechter verbergen.

picture alliance / dpa-Zentralbild | Stephan Schulz

Ich finde es spannend, wie im Schachspiel die Geschlechterrollen entfaltet werden. Schach spiegelt die patriarchale Gesellschaft. Oben in der Hierarchie steht der männliche „König“. Wenn der spielentscheidende „König“ geschlagen wird, ist die Partie zuende. Doch erstaunlicherweise ist der „König“ eine ziemlich schwache Figur. Er darf sich zwar in alle Richtungen bewegen, aber jeweils nur ein einziges Feld. Selbst der rangniedrigste „Bauer“ darf in der Anfangsbewegung zwei Felder nach vorne gehen.

Es ist ausgerechnet die „Dame“, die gegenüber dem schwachen „König“ quasi ein Tausendsassa und Alleskönner ist. Sie kann in alle Richtungen gehen jeweils so weit und so viel sie möchte. Die „Dame“ ist die spielstärkste und damit wichtigste Person auf dem Feld. Wird einseitig die „Dame“ geschlagen, dann sieht auch der „König“ alt aus.

Die „Dame“ im Schach steht dafür, dass hinter der patriarchalen Fassade oft die Frauen spielentscheidend sind. Vorurteilsgeladene Begriffe wie „Patriarchat“ können einen auf die falsche Spur setzen. Bei meinen Eltern stand mein Vater immer im Vordergrund. Doch jeder, der hinter diese Fassade schaute, merkte: Es war die „Dame“, die beim Autofahren, bei den Finanzen, in der Erziehung und in Diskussionen oftmals beweglicher, sensibler, durchdachter und zielsicherer war.

Nicht die äußerlichen Etiketten oder Kampfbegriffe sind entscheidend, sondern die immer wieder neuen diffizilen Macht- und Liebesspielchen zwischen Mann und Frau. Hinter oberflächlichen Fassaden kommen dabei auf beiden Seiten erstaunliche und überraschende Taktiken und Ressourcen zum Vorschein.

Uwe Seeler brachte das Patriarchat in einem Bonmot so auf den Punkt: „In meiner Ehe bestimme ich als Mann alle wichtigen Entscheidungen. Mein Frau darf nur die unwichtigen Fragen entscheiden. Allerdings bestimmt meine Frau, welche Entscheidungen wichtig oder unwichtig sind.“

Auch die Bibel scheint auf den ersten Blick patriarchalisch zu sein. „Ihre Frauen, ordnet euch euren Männern unter wie dem Herrn. Denn der Mann ist das Haupt der Frau“ (Paulus in Epheser 5,22-23). Doch dann geht es überraschend revolutionär weiter: „Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie auch Christus die Gemeinde geliebt hat und hat sich selbst für sie dahingegeben“ (Epheser 5,25). Wie hat Christus die Gemeinde geliebt? Jesus hat seinen Jüngern die Füße gewaschen (Johannes 13,1-15). Das war damals der Job der Sklaven, den Höherrangigen beim Betreten des Hauses die staubigen und verschwitzten Füße zu waschen. Paulus macht das zur Aufgabe der Männer gegenüber ihren Frauen. Und noch mehr: Jesus hat aus Liebe zu seiner Gemeinde sein Leben am Kreuz für sie geopfert (Johannes 3,16). Was für eine Orientierung für die Männer im Verhalten zu ihren Frauen.

Bei genauem Hinsehen kommt die „Dame“ im christlichen Geschlechterspiel also nicht schlecht weg. Die Krönung besteht darin: In Gottes Advent wird Gott Mensch in dem Bauch einer jungen Frau (Lukas 1,26-38); Maria wird sogar „Gottesmutter“ genannt, während Josef dagegen nur ein zweitrangiger Statist ist. Kein Wunder, dass die Frauenemanzipation in christlich mitgeprägten Kulturkreisen religiösen Rückenwind hat.

Nach einem Gottesdienst von Paulus im griechischen Thyatira bekehrt sich die reiche Unternehmerin und Purpurhändlerin Lydia als erster Europäer zum christlichen Glauben (Apostelgeschichte 16,14-15). Sie ist so begeistert vom Christentum, dass sie nicht nur sich, sondern gleichzeitig alle ihre (männlichen) Hausmitglieder und Hausangestellten taufen lässt und sich als Gastgeberin von Paulus und seinem Missionsteam aufdrängt. „Als sie aber mit ihrem Haus getauft war, bat sie uns (…): Kommt in mein Haus und bleibt noch ein wenig da!“ (Apostelgeschichte 16,15)

Am Beginn des Christentums in Europa steht eine starke Frau mit matriarchalem Führungsstil. Doch ich bin mir sicher, dass hinter dieser Fassade die männlichen Bewohner im Haus der Lydia sich nicht haben unterbuttern lassen, sondern mit ihren bewussten und unbewussten Ressourcen ihre Interessen ins Spiel der Geschlechter eingebracht haben.

Gut, wenn auf rechtlicher Ebene Mann und Frau gleichberechtigt sind. Allerdings müssen im Alltag immer wieder neu die Kompetenzen und Rollen neu austariert werden. Das ist höchst individuell und situationsspezifisch; oben und unten, stark und schwach, links und rechts, dumm und klug oszillieren immer wieder neu. Das ist das schöne und spannende am Spiel der Geschlechter: Es wird niemals langweilig.


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Kommentare ( 8 )

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Deutscher
16 Tage her

Es ist sinnlos, eine Gesellschaft wie am Reißbrett konstruieren zu wollen. Das setzte ja voraus, den dazu passenden Menschen zu konstruieren. Und da sind wir eben gleich bei Lenin, Mao, Hitler, bei den Buchreligionen inkl. Luther und bei dem, wovor uns „1984“, „Schöne neue Welt“, „THX1138“, „Metropolis“ und andere Dystopien allgemein eindringlich warnen.

Die Kirche, insbesondere die heutige EKD, ist nur eine andere Seite derselben Medaille und potenziell nicht weniger problematisch.

Kurzum: Auch ein Herr Pfarrer möge leben, wie er es für richtig hält, aber sich darauf auch beschränken.

Last edited 16 Tage her by Deutscher
Nibelung
16 Tage her

Der Geschlechterkampf ist die gleiche Illussion wie die sozialistische Gleichmacherei in allen anderen Lebensbereichen, denn es sind natürliche Grenzen gesetzt und die wären so zu behandeln, wie die unterschiedlichen Fähigkeiten dazu als Voraussetzung dienen und niemand müßte zu kurz kommen, wenn man in der Betrachtung des Möglichen einen geordneten Mix zuläßt und die sozialistische Quote ist das Gegenteil davon, wo man mit der Brechstange versucht Gleichheit einzuführen, die es nirgendwo gibt und einer Fata Morgana gleicht. Die gesamten Entwicklungsstufen aller Lebewesen belegen doch im Grunde genommen, wie die Arten sehr unterschiedlich das eigene Leben bestreiten und nur wir Menschen glauben… Mehr

Apfelmann
17 Tage her

Das ist wohl alles korrekt. Deswegen haben die Frauen auch alle Männerdomänen in den letzten 20 Jahren erobert. Aber auch der Mann hat sich in vielen ehemaligen Frauendomänen ausgebreitet, egal ob Kindererziehung oder Haushalt. So mischt sie eben alles. Warum sollte es auch weibliche und männlichen Domänen geben. Jeder und jede kann heutzutage eben alles machen.

Johann Thiel
16 Tage her
Antworten an  Apfelmann

Weil heutzutage jeder alles macht, läuft es ja so besch… , weswegen die westlichen Gesellschaften sich selbst zerstören.

Apfelmann
16 Tage her
Antworten an  Johann Thiel

Ähhhh…..Nein. Spezialisierung ist längst überholt. Sowohl auf Arbeit als auch privat. Kooperative Arbeitsteilung ist das Zauberwort.

Johann Thiel
16 Tage her
Antworten an  Apfelmann

Ach mein lieber Apfelmann, Sie haben‘s oft nicht leicht. Bemerken Sie doch nicht einmal, dass „kooperative Arbeitsteilung“ eben nichts anderes als Spezialisierung ist.

Nibelung
14 Tage her
Antworten an  Johann Thiel

Und wenn man dann noch alles schön unter dem negativ verorteten Sammelbegriff Sexismus verbucht ist das für das weibliche Geschlecht das Einfallstor um darunter jeden Mann zu diskriminieren und besser ist es, er läßt es sein und überläßt den Sexismus in seiner widerlichsten Form den Medien, die ungeniert alle Frauen in den übelsten Stellungen vorführen und wenn das kein Sexismus ist, sollten sie mal Aufklärung betreiben, was sie darunten überhaupt verstehen, denn sie vergessen dabei den von der Natur gegebenen Auftrag und wäre der nicht vorhanden könnte niemand mehr über Sexismus und Gleichberechtigung sprechen, weil es uns nicht mehr gibt.

verblichene Rose
17 Tage her

Weil Sie, lieber Herr Zorn von Ihrer Familie schreiben.
Ich hatte vor allem immer meiner Mutter großen Respekt gezollt.
Sie war es, die mir nahe brachte, Anstand und Haltung zu haben.
Seitdem aber selbst Frauen heute auf solche Attribute pfeifen, kann ich die wenigsten Frauen noch respektieren.
Und was die Dame im Schach angeht, so gibt es nicht selten Situationen, in denen sich die beiden weiblichen Spielfiguren „unversöhnlich“ gegenüber stehen. Dann stellt sich meistens heraus, wessen übrigen Figuren das Spiel entscheiden und man klugerweise zuvor die Dame opferte.