Eine kleine Weinkunde deutscher Tagespolitik

Einfallslos neigen Politiker dazu, ihre Politik zum x-ten Mal mit längst verblassten Bildern zu beschreiben: besonders beliebt jenes vom alten Wein in neuen Schläuchen. Ein Anlass, den degustativen Blick auf die Angebote der Kellermeister zu werfen.

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Eigentlich ist gegen alten Wein nicht grundsätzlich etwas einzuwenden. Ganz im Gegenteil: Handelt es sich um Spitzenjahrgänge, die fachmännisch gelagert werden, so können alte Weine ständig an Qualität und Wert gewinnen. Das gilt aber eben nur für echte Spitzenprodukte. Die gepanschte Cuvée oder ein dilettantisch gekeltertes Produkt hingegen können schnell kippen und im besten Fall zu Essig werden – oder schlicht ungenießbar sein. Um zu retten, was nicht mehr zu retten ist, kommt manch einer auf die Idee, seinen Ausschuss neu verpackt und hübsch etikettiert doch noch an den Mann bringen zu wollen. Und tatsächlich reicht es manchmal schon, das abgestandene Produkt in einer werbewirksam gestalteten Verpackung zu kredenzen – vor allem dann, wenn auf dem Etikett eine Marke prangt, die dem Käufer von früher wegen ihrer Qualität bekannt ist. Da verlässt sich dann manch einer auf das Etikett – und stellt erst nach dem Kauf fest, was er sich hat andrehen lassen.

Der Etikettentrick

Apropos Etikett: Unsere Parteiwinzer haben sich angewöhnt, im Vorfeld von Wahlen den mehr oder weniger Kaufwilligen ihr aktuelles Spitzenprodukt mit dem Etikett „Kanzlerkandidat“ – auch Weinkönig-Prädikat genannt – anzudienen. Ginge es dabei um Politik – was im Wintergewerbe glücklicherweise nicht der Fall is -, dann führte selbstverständlich an der Kategorisierung dieses Etiketts als Fake-News kaum ein Weg vorbei. Denn nicht nur, dass der potentielle Käufer beim handelsüblichen Landeslistenangebot überhaupt keine Chance hat, sich direkt für dieses Angebot zu entscheiden – das Endprodukt wird auch von ganz anderen zusammengepanscht. Und wenn diese Anderen mehrheitlich beschließen, das Kanzler-Etikett einem anderen als dem zuvor Ausgewiesenen anzuheften, dann hilft kein Jammern und kein Wehklagen. Gewähr ist beim Kauf grundsätzlich ausgeschlossen und ein Rückgaberecht gibt es in der Regel erst nach vier Jahren – ein Zeitraum, in dem manch schlechter Wein so sehr verderben kann, dass er nicht einmal mehr als Essig taugt.

Dennoch übt dieser kleine Etikettentrick auf manche eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus. Weshalb es immer wieder mal selbst dann zum Einsatz kommt, wenn auch der naivste Käufer sofort merkt, dass das Weinkönig-Prädikat unerreichbar bleiben wird. Dann kann das Etikett aus einem halbwegs trinkbaren Wein einen kurzzeitig belustigenden Prickelessig werden lassen, der zwar heftig schäumt, aber bei Genuss stechenden Kopfschmerz hinterlassen kann.

Gelber mit zu wenig Öchsle

Das mussten dereinst die weinseligen FDP-Kellermeister erfahren. Die hatten 2002 ihren Gelben vom Niederrhein mit dem Etikett Kanzlerkandidat versehen und vollmundig „18 %“ draufgeschrieben. Nun wusste aber jeder potentielle Käufer, dass diese 18 Prozent im Endprodukt beim unvergorenen Most mindestens 126 Öchslegrad hätten aufweisen müssen – illusorisch an den kühlen Hangrändern des Nordrheins. So wurde das Produkt unveräußerbar und nur mit viel Mühen und ohne erkennbare Produktlinie kämpfen die gelben Winzer heute darum, wieder wahrnehmbare Verkaufszahlen für ihr Nischenprodukt zu ergattern. Bislang allerdings schaut nur der eine oder andere Kunde gelegentlich vorbei, der von der sinkenden Qualität der herkömmlichen Konkurrenzprodukte zunehmend enttäuscht ist. Da aber die Kellermeister um Kubicki und Lindner nach wie vor nicht wissen, in welcher Nische sie ihr Produkt platzieren sollen – ja eigentlich noch nicht einmal eine Entscheidung darüber gefallen ist, ob man sich auf seine alte Tradition der süffigen, dunkelgelben Dessertweine zurückbesinnen soll oder sich weiterhin darum bemüht, irgendwo in den Kellern der Konkurrenzangebote zu wildern, ist die Kundenansprache mühsam und wenig erfolgversprechend.

Ökowinzer ohne klare Linie

Nicht unmittelbar in den Wettbewerb um den Weinkönig bringt sich wieder einmal jene immer etwas wirkende Truppe ehemals alternativer Jungwinzer ins Spiel. Sie, die ihre Offerten grundsätzlich ohne amtliches Prüfsiegel als Ökoweine ausweisen, starteten mit an kargen Hangrandlagen angebauten Essigweinen, für die sie eine ständig depressive Kundenklientel gewinnen konnten. Doch der große Durchbruch blieb aus, und so konzentriert man sich darauf, seinen Essig als Veredelung des Industrieweinangebots zu preisen.

Für die aktuelle Zeremonie der Kür des Weinkönig am 24. September liegen deshalb gleich zwei Abfüllungen im Angebot: Ein moralinsaures Gewächs aus dem Thüringischen Wald und eine kaukasisch veredelte Cuvée aus Württemberg. Zusammengepanscht wird das, wie jeder Weinkenner bestätigen kann, ungenießbar, da es jeden Charakter verliert. Hätten die Thüringer mit einer sonnigen Hanglage aus dem Saale-Unstrut-Anbaugebiet aufwarten können, wäre ja vielleicht noch etwas gegangen. Aber die auch deshalb alternativlose, moralin-saure KGE-Abfüllung repräsentiert nun einmal den geschmacklichen Markenkern dieser Kellermeister der alten Alternativen besser als die experimentierfreudige Cem-Rebe mit dem Hauch von Schwarzbeere aus dem Süden der Republik.

Nicht zuletzt, weil sich diese Kelterer ohnehin niemals hätte entscheiden können, welches ihrer beiden Produkte sich um das Weinkönig-Prädikat hätte bewerben sollen, wurde auf jede weitere Etikettierung verzichtet. So bleibt es nun dabei: Essigsaurer Thüringer und Württemberger Cuvée im Doppelschlauch – und wer es kauft, wird erst nach dem Öffnen der Schläuche gewahr werden, ob das, was er sich eingehandelt hat, noch genießbar ist oder sich zwischenzeitlich osmotisch zur Ungenießbarkeit vermengt hat.

Die dunkelroten Altweinspezialisten

Mit einem wenig verführerischen Doppelschlauch sind auch die Spezialisten für die knallroten Weine gestartet. Da die Kellermeister seit vielen Jahrzehnten unter Einfallslosigkeit leiden und die Überwindung ihres nun schon über 150 Jahre alten Gärungsverfahrens verweigern, ist der Inhalt beider Schläuche fast identisch – ein wenig ins Altrosa schimmernd der eine, während der andere einen leichten Hauch ins Venezianischrot annimmt.

Wer nun aber meint, es hier mit besonders edlen Tropfen zu tun zu haben, wird sich leider getäuscht sehen. Wie das manchmal so ist mit Rotem, der aus überalterten Reben gewonnen und falsch gelagert wird: Geschmacklich ohnehin gewöhnungsbedürftig, kippen sie schnell, werden korkig und vielleicht sogar graugrünschimmelig. So sind dann diese Farbnuancen nie ein Zeichen von Kellermeisterkunst, sondern der Lagerung in billigen Fässern oder schlecht verkorkten Schläuchen. Da trauen sich dann nur noch einige ganz Abgehärtete ran, die ihre Geschmacksnerven schon vor langen Zeiten mit dem häufigen Genuss von „Braunem“ und „Weißem“ beschädigt hatten.

Die Bemühungen roter Industrieproduktion

Wenden wir uns nun jenen zu, die sich schon vor Jahren von ihrer traditionellen Winzerkunst verabschiedet haben und auf Industrieproduktion umgestiegen sind. Gerade dieser Tage liefern sie einmal mehr ein Schauspiel der Umetikettierungen und Umfüllungen in der Hoffnung, ihre zunehmend den Eigengeschmack verlierenden Lagen irgendwie noch an den Mann bringen zu können.

Schon bei den vergangenen Weinkönig-Meisterschaften landeten sie mit ihren oftmals wenig authentisch wirkenden Offerten nur noch weit abgeschlagen auf Platz zwei. Das Etikett „Kanzlerkandidat“ wurde so bei ständig sinkenden Verkaufszahlen nicht nur wegen seines grundsätzlichen Fake-Charakters zur Mogelpackung. Auch war nicht erkennbar, wie die Industrieprodukte der SPD-Kellerei nur annähernd in die Nähe des Weinkönig-Prädikats kommen sollten. Also wurde immer und immer wieder umgefüllt und neu etikettiert.

Erst versuchte man sich mit einem Lager-Altbestand aus den Hannoveraner Fässern des letzten erfolgreichen Winzerkönigs. Ein seichtes, weitgehend geschmacksneutrales Produkt, wenig geeignet, um einen Markenkern zu repräsentieren, welches derzeit seiner Endlagerung in den Katakomben des Schlosses Bellevue entgegen sieht. Zwischenzeitlich versuchte man es dann sogar mit einer Rückbesinnung auf die Geschmacksrichtungen früherer Jahre – doch der industriell gemixte, geschmackliche Abklatsch kam bei den Kunden nicht an und wurde schnell vom Markt genommen.

Seitdem experimentieren die auf leichte Rotweine spezialisierten, ideenlosen Kellermeister ständig herum. Mal versuchen sie, doch noch an die verronnenen Erfolgsmodelle früherer Jahrzehnte anzuknüpfen, ein andermal kleben sie sich modernistische Etiketten auf die abgelagerten Schläuche und bleiben mit ihren wenig charaktervollen Kreationen doch beim Kunden ohne den erhofften Erfolg.

So kamen die Produzenten seichter Roter sogar auf die Idee, es mit einem süffigen Produkt aus dem Harzvorland zu versuchen. Da dort aber der Weinanbau keinerlei Chancen hatte und es anders als in den Hansestädten im Norden auch keine Rotspon-Tradition gibt, versuchte man es mit industriell gefertigtem Kräuterwein. Dieser Gabriel-Kräuterverschnitt sorgte für manche Geschmacksexplosion, war jedoch nicht in der Lage, das Stammpublikum zu begeistern. Und da aus einem Goslarer Kräuterwein niemals ein gehaltvoller Roter wurde und der hohe Zuckergehalt bei dem Versuch, diesen Kräuterwein zu einem Likörwein umzuetikettieren, immer wieder unerwartet auftretende Gärungsprozesse erzeugte, nahm sich dieses Angebot nun selbst aus dem Wettbewerb. Statt dessen soll es, wie der bisherige Kellermeister seiner völlig überraschten Winzergenossenschaft mitteilte, ein neues, unverbrauchtes Produkt aus dem Westrheinischen Schiefergebirge richten.

Am Weintrester gereift

Das ist zwar auch kein klassisches Weinanbaugebiet, doch verweisen die Marketingstrategen des SPD-Mutterhauses an der Wilhelmstraße darauf, dass ihr gerade aus Straßburg nach Berlin umgefülltes Angebot nicht nur viele Jahre in unmittelbarer Nähe zu einem hochprozentigen, luxemburgischen Weintrester gelegen haben soll – es sei auch über viele Jahre im für seine guten Weine berühmten Elsass gereift. Damit sei nun nicht nur das Kanzlerkandidaten-Etikett des künftigen Kellermeisters mehr als gerechtfertigt – man verspreche sich mit dieser Umfüllung auch beste Chancen, endlich einmal wieder den Titel des Weinkönigs zu erhaschen.

Und damit sind wir nun wieder beim Etikettenschwindel. Denn vom Titel des Weinkönigs ist dieser leider doch nicht so neue Schulz-Wein in seinem uralten, brüchigen Schlauch meilenweit entfernt. Wenn überhaupt, dann hätte er bestenfalls die minimale Chance, sich mit den Angeboten der Öko-Etikettierer und der Überlagernden verpanschen zu lassen. Diese für den Kunden unverträgliche Mischung wird zwar von einigen Panschern aus den Probierstuben der Winzergenossenschaft als Wein der Zukunft propagiert – doch der erste Versuch, Kunden von diesem Mix zu überzeugen, fährt derzeit krachend an die Wand. Was für eine ungenießbare Geschmacksrichtung bei dieser Panscherei herauskommt, erleben gerade die Berliner – die aber zu ihrem und zum Glück der Panscher traditionell keine Weintrinker sind und sich deshalb fast alles als edlen Tropfen andrehen lassen, was nur irgendwie ein wenig rot aussieht und einen essigsauren Abgang hat.

So lag es nahe, dass diese mehr als gewöhnungsbedürftige Geschmacksnote bei den von den Marktbeobachtern regelmäßig durchgeführten Weinproben von Mal zu Mal weniger Anhänger findet. Und für den Elsass-gelagerten Schiefergebirgsler mit Trester-Aromen wird es bei aller eigenen Geschmacksneutralität kaum zum Weinkönig-Prädikat reichen.

Die alternativlose Schwarze Altmädchentraube

Womit wir dann noch einen kurzen Blick auf den Dauergewinner des Weinkönig-Prädikats werfen.

Der stammt noch aus den Lagern der Zeiten, als die unverbrüchliche sozialistische Freundschaft zwischen sekuritierten Rumänen und staatsgesicherten Deutschen die Chance bot, ein wenig ansprechendes Getränk aus brandenburgischem Anbau als Mädchentraube getarnt an die Winzer zu bringen. Mittlerweile zur Schwarzen Altmädchentraube vergoren, hält sich dieser Schlauchwein trotz deutlicher Spuren von Überlagerung und leichtem Grünschimmel hartnäckig als Spitzenreiter in den Verkaufsregalen. Dabei spüren immer mehr frühere Anhänger der ursprünglich recht bodenständigen Winzerunion, dass dieses in die Jahre gekommene Angebot seiner Auszeichnung mit dem Weinkönig-Prädikat nicht mehr gerecht wird.

Doch irgendwie gelang es den Verfechtern dieses die Sinne betäubenden Zuckerwassers, die noch in manchem Regal der Unionswinzer versteckten Spitzenweine zu entsorgen – und dynamische, experimentierfreudige Jungwinzer sind weit und breit nicht zu erkennen.

Also liegt die Schwarze Altmädchentraube alternativlos in den Regalen und verklebt mit seiner dicken Zuckerkruste nicht nur die Fässer der Unions-Kellerei – sie absorbiert auch die immer wieder getesteten Beimischungen der anderen Winzer, verliert dabei zwar ständig mehr von ihrem früheren Charakter, doch bleibt es dabei für eine Mehrzahl der Kunden trotz fadem Beigeschmack immer noch genießbar. So steht nun zu erwarten, dass die überlagerte Altmädchentraube auch dem europäisch gelagertem Schulzgewächs der sozialen Industrieproduktion zum Verhängnis wird.

Da offenbar in den Lagern der beiden Großwinzer nichts Besseres zu finden ist und auch die Reben der Randhanglagenwinzer keine neuen Geschmackserlebnisse produzieren, werden jetzt inmal mehr die Marketingexperten zu absoluten Hochtouren auflaufen und alles daran setzen, die potentiellen Käufer mit bunten Etiketten von der geschmackliche Wüste der Schlauchinhalte abzulenken. Doch es bleibt dabei:  Alter, überlagerter Wein wird nicht dadurch besser, dass man ihn von dem einen alten in einen anderen alten Schlauch füllt. Und Weinpanschereien zerstörten schon immer den Charakter selbst guter Provenienzen.

Da müssen sich die Altwinzer nicht wundern, dass manch früherer Kunde sein Auge auf eine junge Winzergemeinschaft wirft, deren Produkte derzeit noch völlig unausgegoren in ihren Bottichen die unterschiedlichsten Gerüche produziert.

So ist das eben auf dem zur Zeit noch freien Markt: Wer seine Kunden verprellt, indem er ideenlos auf überholte und unattraktive Produkte setzt, gibt neuen Anbietern eine Chance. Manch Frustrierter wird dann gern bereit sein, es mit diesen Newcomern einmal zu probieren. Auch auf die Gefahr hin, dass sich deren unausgegorener  Federweißer bei zu heftigem Genuss ebenfalls als gesundheitsschädlich erweisen sollte.

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