Sieht so der Casino-Kapitalismus der Zukunft aus?

Im Gleichklang mit den Börsenkursen explodieren die Notenbankbilanzen. Von der Geldschwemme getrieben, entkoppelt sich die Finanz- von der Realwirtschaft.

Die Corona-Pandemie ist überwunden. Das signalisierten nicht nur Tausende leichtgläubige Techno-Raver auf der Berliner Spree, die am Wochenende in Schlauchbooten – mit viel Alkohol und abstandsfrei – für die Öffnung der Berliner Clubs warben. Das dokumentieren seit Wochen bereits die Indices der wichtigsten Weltbörsen. Seit seinem Tiefstand am 18. März dieses Jahres, als der deutsche Leitindex in Corona-Alarmstimmung auf 8.441 Punkte abgestürzt war, hat er sich auf inzwischen bereits wieder knapp 12.500 Punkte erholt. Ein sattes Plus von rund 46 Prozentpunkten in weniger als drei Monaten. Der Dow Jones verarbeitete die Corona-Krise mit einem der kürzesten Rückschläge aller Zeiten. Von seinem Tiefstand am 23. März mit 18.592 Punkten arbeitete er sich bereits nach wenigen Wochen wieder hoch und nahm bereits die Hürde von 26.000 Punkten.

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Die Börsen befinden sich in einem Bullenstatus, der mächtig kontrastiert zur tristen realwirtschaftlichen Lage in den meisten Volkswirtschaften der Welt. Während Regierungen mit immer gigantischeren Milliardensummen die darniederliegende Realwirtschaft ankurbeln wollen, die sie selbst mit ihrer Lockdown-Verordnung monatelang stillgelegt haben, werden die Kursphantasien an den Finanzmärkten immer optimistischer. In Zeiten, in denen die Arbeitslosenzahlen in nahezu allen Volkswirtschaften nach oben schnellen, wenn man mal von dem Überraschungscoup der italienischen Statistik absieht, die ausgerechnet jetzt in diesem Krisenland die geringste Arbeitslosenrate seit 2007 verzeichnet, entkoppelt sich die Finanzwirtschaft von der Tristesse in weiten Teilen der Realwirtschaft. Jetzt ist es keineswegs so, dass die Börsen in historischer Betrachtung mit ihren Kursen schlechtere Prognostiker sind als Politiker oder Ökonomen. Allerdings verwundert schon die Leichtgläubigkeit, mit der die Finanzmarktakteure an den wundersamen V-Effekt einer schnellen weltwirtschaftlichen Erholung nach dieser säkularen Corona-Schockstarre glauben.

Konjunkturprogramm als Lückenbüßer
Konjunkturpaket: Große Zahlen, wenig Wirkung
Steckt nicht eine ganz andere Ursache hinter der wundersamen Kursrallye, die den Dow Jones oder den DAX nach der kurzen Bären- in die Bullenphase getrieben haben? Seit der Finanzkrise der Jahre 2008/2009 müssten doch alle wissen, dass die Finanzmärkte wie Junkies an der Nadel der Notenbanken hängen. Sie leben nicht von guten Fundamentaldaten der Realwirtschaft, sondern von der wundersamen Geldvermehrung der Notenbanken, die mit der Druckerpresse immer ungenierter Staatsschulden monetarisieren und die Kreditzinsen von Höchstschuldnerländern genauso niedrig halten wie die von Zombiefirmen, indem sie deren Staatsbonds und Firmenanleihen ohne Rücksicht auf deren Werthaltigkeit aufkaufen. Eine Grafik von Bloomberg veranschaulicht, wie synchron die DAX-Performance zur Aufblähung der Bilanz der Europäischen Zentralbank seit dem Corona-Crash Anfang März verläuft.

Um rund 900 Milliarden Euro explodierte die EZB-Bilanz in den vergangenen drei Monaten von 4,7 auf rund 5,6 Billionen Euro – dem alten PSPP- wie dem aktuellen PEPP-Notfallkaufprogramm geschuldet. Der DAX reagierte wie in den USA der Dow Jones vor allem auf die gigantische Geldflut der Notenbanken.

Sieht so der Casino-Kapitalismus der Zukunft aus? An den Börsen werden keine realwirtschaftlichen Zukunftserwartungen mehr gehandelt, sondern nur noch Wetten auf die unbeschränkte Geldzufuhr der Notenbanken abgeschlossen:

  • Dann bleiben Zombiefirmen am Markt und vernichten dringend notwendige Produktivitätszuwächse.
  • Dann werden Kapitalbesitzer weiterhin zu Lasten der „dummen“ Sicherheits-Sparer reicher.
  • Dann investieren Unternehmensvorstände auch künftig lieber in Aktienrückkäufe als in Innovation.
  • Dann vermeiden Politiker erst recht unpopuläre Strukturreformen und sonnen sich lieber in schuldenfinanzierter sozialstaatlicher Planwirtschaft.

An aktuellen Beispielen für diese defätistische Zukunftsprognose mangelt es nicht. Das 130 Milliarden Euro-Konjunkturpaket, auf das sich die Berliner Koalitionsspitzen am Mittwochabend verständigten, ist vor allem ein Wünsch-Dir-Was-Programm für die unterschiedlichsten Wähler- und Wirtschaftslobbys. Trotz einiger Überraschungen bleiben Strukturreformen Mangelware! Auch die heutige Entscheidung der EZB, ihr PEPP-Notfallprogramm massiv auszuweiten, dokumentiert vor allem eines: Die Droge für die Finanzmärkte und die staatlichen Verschuldungsorgien wird erneut erhöht.

Doch ein solcher Casino-Kapitalismus kann nur scheitern. Ohne realwirtschaftliche Wertschöpfung gibt es auf Dauer keinen Wohlstand. Der kluge Ludwig Erhard brachte es auf den einfachen Nenner: „Verteilt werden kann nur, was vorher erwirtschaftet worden ist.“

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Kommentare ( 18 )

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Iso
3 Jahre her

Die EZB ist seit Jahren im Reichsbankmodus, hat selbst keine Idee was sie mit ihrem Geld anfangen soll, belegt es mit Strafzinsen, und ertränkt die Wirtschaft in wertlosen Euros. Das das so ist, und die Währung immer lausiger wird, kann man sehr gut an der Wertentwicklung von Gold ablesen, was seit dem Jahr 2000 in die Höhe schoss. Und auch wenn es inzwischen Konsenz ist, dass keines der Euroländer die Absicht hat seine Schulden zu begleiche, so wird irgendjemand darauf sitzen bleiben, und die Zeche bezahlen. Die Sparer sind es nicht nicht nur allein, sondern auch all jene die Monat… Mehr

Korrektorator
3 Jahre her

„Verteilt werden kann nur, was vorher erwirtschaftet worden ist “. Dann würde es keine Kredite und somit kein Bankwesen geben . Das ist eher Klein Erna als Dicker Erhard . Wirtschaft ist immer auch spekulative Erwartung . Die crasht regelmäßig , ebenso regelmäßig boomt sie . Zu Ludwigs Zeiten kostete ein IBM – Großrechner den Preis eines Mehrfamilienhauses , ein qm Bauland in München 10 DM . Heute kostet der billigste Laptop ( mit vielfacher Leistung ) 250€ , ein qm Land ……… . Deflation und Inflation sind gleichwertig zu betrachten , verkürzte Zitate verstellen den Blick !

Julius
3 Jahre her

Ein Punkt fehlt: Covid-19, die angebliche Pandemie, ist auch _die_ Gelegenheit wieder Beschäftigte abzubauen, da steigen die Gewinne und Kurse – von dem von größeren Firmen zwischendurch geschluckten Staatsgeld („ohne müssten wir noch mehr entlassen, wenn wir vielleicht nicht sogar pleite gingen“) ganz abgesehen. Hat nichts mehr mit Politik (Polis, Staat im Sinne von Gemeinschaft) zu tun. Es gibt keine Werte mehr, es geht nur noch um virtuelles Geld. Apropos: Statt Schulden-, Casino- oder Zombiekapitalismus schlage ich Staats- oder genauer transnationaler Staatskapitalismus vor. Ist auch kein Kapitalismus im guten Sinn mehr (von Hayek, Erhard, usw.). So laufen die Idioten, Idiotinnen… Mehr

Konradin
3 Jahre her

Die Merkelgetreue und Anti-Trump-Gazette Welt beschrieb 2016 in einem Finanzartikel ebenfalls das Szenario: https://www.welt.de/finanzen/article157835999/Wie-die-EZB-schrittweise-die-Euro-Zone-entschuldet.html So wird es wohl auch kommen. Die EZB übernimmt nach und nach alle Staatsschulden der Eurozonen-Länder (sowie Unternehmensschulden, wenn sie in absehbarer Zeit auch Unternehmensanleihen kauft) und am Ende gibt´s dann den großen Schuldenschnitt. Schulden weg. Die EZB als der große Staatsfinancier und lender of last resort. So einfach geht das. Dass der kluge Ludwig Erhard der Meinung war: „Verteilt werden kann nur, was vorher erwirtschaftet worden ist“ interessiert in diesem Schulden-, Casino- und Zombiekapitalismus vermutlich kaum mehr jemanden. Ludwig Erhard interessiert in Frankreich oder den… Mehr

thinkSelf
3 Jahre her

Genau, Sicherheitssparer sind dumm. Da können sie ruhig die Gänsefüschen weg lassen. Und deshalb hält sich mein Mitleid mit denen auch in Grenzen. Wer sein Vermögen in Form von „Geld“ hält (abgesehen von einer Liquiditätsreserve oder für kurzfristig geplante Anschaffungen) dem ist nicht zu helfen. Wer sich halt nicht um sein Vermögen kümmert und sein Geld lieber abfackelt, der darf das tun. Soll hinterher aber nicht rumheulen. Und da die Schulden immer genau so hoch wie die Geldvermögen P.S. „Casino-Kapitalismus“ ist übrigens der falsche Begriff, denn mit Kapitalismus hat das nichts zu tun. Es handelt sich hierbei um einen feudalen… Mehr

schwarzseher
3 Jahre her

Die Devise der regierenden und der demnächst gern regieren wollenden Politiker “ Nach uns die Sintflut „. Die Frage, die mich beschäftigt, ist: Wird das grenzenlose Gelddrucken nur zu einer beträchtlichen Inflation führen, oder wird es tatsächlich einen Kollaps der Finanzmärkte und der Wirtschaft geben? Im zweiten Fall werden Bilder wie sie zur Zeit aus den USA kommen Standard auch in Europa werden. Die GRÜNEN freuen sich darauf und mit ihnen die Chinesen und andere, wenn sie zusehen können, wie ehemalige Konkurrenten im Chaos versinken.

Albert Pflueger
3 Jahre her

Noch eine Anmerkung zu ihrem Erhard-Zitat: das gilt nur für reale Güter. Geld, das lediglich gedruckt wird, ist billig und kann jederzeit verteilt werden. Wenn allerdings das Papiergeld seine Glaubwürdigkeit verloren hat, kann man so viele Nullen auf den Geldschein drucken, wie man will- niemand gibt einem ein Stück Brot dafür. Ein Haus, das jetzt das 10-fache wert ist wie vor 10 Jahren, ist immer noch dasselbe Haus.

Albert Pflueger
3 Jahre her

An die heilsame Wirkung von Konjunkturprogrammen habe ich noch nie geglaubt. Die Entwicklung der Börsenkurse macht mich ratlos, war ich doch immer davon ausgegangen, daß da im wesentlichen wirtschaftliche Zukunftsaussichten gehandelt werden. Aber ganz offensichtlich haben Sie recht, Herr Metzger, was wir schon bei der Finanzkrise gesehen haben, passiert jetzt wieder: Die Notenbanken werfen die Gelddruckmaschine an und es profitieren dieselben Leute, nämlich die, die Realgüter besitzen, weil das ganze Geld schwerpunktmäßig in die Vermögenspreise fließt und diese inflationiert. Ich bin allerdings davon ausgegangen, daß zuallererst die Immobilienpreise und Goldpreise steigen würden. Die Entwicklung der Aktienpreise überrascht mich- daß von… Mehr

HGV
3 Jahre her

Der Markt ist schon lange vollgepumpt mit Geld und wer Geld bei der EZB anlegt, muss Strafzinsen zahlen. Also irgendwo muss das Geld ja hin und wenn, dann halt in Aktien. Wenn man sich von den Zombie Unternehmen fernhält, kann das sogar lukrativ sein.
Apropos Zombie Unternehmen: Zombie Unternehmen führen in Deutschland zu Fachkräftemangel, denn z.B. die Fachkräfte aus Überkapazitäten im Automobilbau könnten auch in anderen Sparten eingesetzt werden.
In diesem Casino wir nur „Russisch Roulette“ gespielt. Die Zeche bezahlt der Steuerbürger!

Linkskatholik
3 Jahre her

Auch wenn zu erwarten wäre, das man es mit massiven Machtstrukturen zu tun bekäme, was könnten denn sinnvoll erscheinende Auswege aus diesem Casino-Kapitalismus sein?