„Kampf gegen Populismus“ wird zum Kostentreibsatz des Sozialstaats

Die AfD will das Thema „soziale Gerechtigkeit“ besetzen. Die Linke Sahra Wagenknecht und Olaf Scholz (SPD) reagieren mit einem Überbietungswettbewerb.

OMER MESSINGER/AFP/Getty Images

Der damalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel war der erste Sozialdemokrat, der nach den Wahlerfolgen der AfD im Osten Deutschlands mehr soziale Sicherheit als Konzept gegen den Aufstieg der „rechtspopulistischen“ Partei ins Gespräch brachte. Inzwischen ist daraus ein veritabler Überbietungswettbewerb entstanden, dem selbst als nüchtern und pragmatisch geltende Politiker wie Bundesfinanzminister Olaf Scholz frönen. Was mag den Hanseaten geritten haben, als er in der BILD am Sonntag die Festschreibung eines Netto-Rentenniveaus von 48 Prozent bis zum Jahr 2040 (!) verlangte? Natürlich sei sein Vorschlag „nicht gerechnet“, verkündete er treuherzig. Aber „stabile Renten verhindern einen deutschen Trump“, proklamierte er via BamS.

Auch die kluge Linke Strategin Sahra Wagenknecht ist beim Wettlauf um die Deutungshoheit des Themas „Solidarität und soziale Gerechtigkeit“ mit von der Partie. Denn mit ihrem Projekt „Aufstehen“ versucht sie als linke Politikerin nichts anderes, als der AfD neben dem Patriotismus- und Migrationsthema nicht auch noch das soziale Megathema zu überlassen. Im Gegensatz zu den Traditionslinken in ihrer Partei wie in der SPD weiß sie, wie zugänglich viele linke Wähler für die AfD sind. Die Wählerwanderungen von Linkspartei und SPD zur AfD bei den letzten Wahlen sind dafür ein anschaulicher Beleg. Deshalb versucht Wagenknecht eine realistische nationalstaatliche Migrationspolitik mit einer traditionell linken Füllhornpolitik – von Hartz IV-Abschaffung bis zu einem Rentenniveau von 50 Prozent – zu verknüpfen. Das macht sie für Linke zu einer „Rechtsabweichlerin“, die beim Thema Asyl und Migration AfD-Positionen zu kopieren scheint. Deshalb wird ihrem linken Vereinigungsprojekt mit einiger Wahrscheinlichkeit wegen der ideologischen Verbohrtheit der Parteifunktionäre kein Erfolg beschieden sein.

Die AfD selbst arbeitet programmatisch tatsächlich an einem „Deutschland First“-Projekt, das den Globalisierungs- und Digitalisierungsverlierern nationalstaatlichen Schutz vor Zuwanderung, Arbeitslosigkeit und Altersarmut garantieren soll. Der Wirtschaftsliberalismus der Gründerzeiten, als Leute wie Bernd Lucke, Joachim Starbatty oder Hans-Olaf Henkel in der Partei gegen die Euro-Rettung Front machten, ist längst einer etatistischen Staatsgläubigkeit gewichen, die teure Konsequenzen zeitigt. Am anschaulichsten zeigt sich das im „Thüringer Rentenkonzept“ der AfD, mit dem der rechtsnationale Landesvorsitzende Björn Höcke voll auf eine mit hohen Steuerzuschüssen alimentierte gesetzliche Rente mit Lebensstandardsicherung setzt. Private Vorsorge und Betriebsrenten haben für die dortige AfD einen geringen Stellenwert. Deutschen mit nur geringen Einkommen versprechen sie eine „Staatsbürgerrente“. Wer Kinder hat, erhält zusätzliche Rente. Über die Kosten wird in der AfD noch kaum diskutiert. Höcke selbst spricht von 125 Milliarden Euro (!) im Jahr.

Die Höcke-Hausnummer zeigt, welche gigantischen Umverteilungskosten dieser Deutungswettstreit um die sozialste Partei in Deutschland nach sich ziehen wird. Hohe dreistellige Milliardensummen würde auch Olaf Scholz´ Festschreibung des Netto-Rentenniveaus in den kommenden beiden Jahrzehnten verschlingen. Dass CDU und CSU dieser Füllhornpolitik programmatisch etwas entgegensetzen, ist leider nicht zu erwarten. Denn in der jüngeren Vergangenheit haben beide Parteien ja anschaulich bewiesen, dass sie einem Rentenwahlkampf dadurch aus dem Weg gehen, dass sie auf Versprechungen der Konkurrenz mit eigenen teuren Projekten reagieren (Stichwort: Mütterrente).

Deshalb ist zu befürchten, dass ausgerechnet in einer Phase, in der die Sozialausgaben aufgrund der Alterung unserer Gesellschaft ohnehin explodieren, der ausgerufene „Kampf gegen den Rechtspopulismus“ zum gigantischen Kostentreibsatz für die Sozialausgaben wird. Diese Zeche wird aber zu bezahlen sein: von den Beitrags- und Steuerzahlern. Im vermeintlichen „Kampf gegen den Rechtspopulismus“ züchten die etablierten Parteien millionenfach neue Wutbürger. Doch die müssen sich dann andere Ventile suchen, weil die AfD mit ihrer neuen Sozialpolitik Teil der teuren Volksbeglückungs-Allianz geworden ist.

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Kommentare ( 105 )

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Nachdenkerin X
5 Jahre her

Ich vermisse aber bei den Berechnungen und Mahnungen angesichts von Politikergeschenken an uns, die uns Wähler ruhigstellen sollen, die Zahl von (so liest man es zumindest) ungefähr 10 000 „Rentnern“, die monatlich in diesem Land auftauchen und nicht nur vielleicht 10 oder 20, sondern unter Umständen 50 bis 60 Jahre lang „Renten“bezieher sein werden.

Sonny
5 Jahre her

Der „Rententopf“ gehört zwingend verbunden mit der Rentenauszahlung. Wenn sich die Politiker aus diesem Topf nicht mehr für artfremde Sachen bedienen könnten, hätten wir gar kein Rentenproblem.

Hugo Waldmann
5 Jahre her

1971 wurde Erich Honecker der erste Mann der DDR. Erste Maßnahme: mehr Konsum ermöglichen, auch wenn es ein Minusgeschäft ist.

Der Rest sollte bekannt sein.

Klaus Reichert
5 Jahre her

Während die SPD ein wenig von dem Geld was sie uns vorher weggenommen hat wieder verteilt und dafür geliebt werden will, aber nicht wird, arbeitet Merkel hartnäckig aber unauffällig daran, dass ihre Politik auch nach ihrem Abdanken fortgeführt wird. Bundesbank – Weidmann als EZB Präsident wird aus dem Kanzleramt mit allen Mitteln torpediert. So kann die katastrophale Draghi – Politik fortgeführt und ein weiterer Merkel – Kritiker in die Wüste geschickt werden. Stattdessen wird ein(e) deutsche(r) Nachfolger(in) für Kommissionspräsident Juncker lanciert. Die Kandidaten: Peter Altmaier (CDU), Manfred Weber (CSU) und Ursula von der Leyen (CDU). Ein Trio Infernale. Auf diese… Mehr

Joachim
5 Jahre her

„Deshalb ist zu befürchten, dass ausgerechnet in einer Phase, in der die Sozialausgaben aufgrund der Alterung unserer Gesellschaft ohnehin explodieren, der ausgerufene „Kampf gegen den Rechtspopulismus“ zum gigantischen Kostentreibsatz für die Sozialausgaben wird.“ Ich habe es in einem anderen Posting bereits dargelegt: Die Rente ist keine Sozialausgabe. Für die Rente wurden Beiträge noch und nöcher gezahlt. Natürlich wurde und wird die Rente bzw. der Rententopf missbraucht, um damit Sozialgeschenke – am Haushalt und damit an den Steuern vorbei – zu finanzieren. Das muss aufhören. Und in einem langfristigen Plan müssen dieser Gelder wieder zurück fließen an die Beitragszahler. So daß… Mehr

Tomas Kuttich
5 Jahre her
Antworten an  Joachim

Natürlich ist es eine Sozialausgabe. Nie und nimmer haben Sie das eingezahlt, was Sie herausbekommen.

Stephan Stahl
5 Jahre her
Antworten an  Tomas Kuttich

Rechnen Sie noch mal nach. Bei 45 Beitragsjahren bekommt keiner das was er eingezahlt hat! Es gibt da genügend Beispielrechnungen zu finden.

Joachim
5 Jahre her
Antworten an  Tomas Kuttich

Hallo Herr Kuttich, ich rede hier über die, die 45 Jahre eingezahlt haben (und nicht über die, die Sozialgeschenke aus der Rentenkasse erhalten). Und die bekommen jetzt schon nicht mehr das raus, was sie eingezahlt haben. Bei einer weiteren Senkung des Rentenniveaus wird es immer weniger. In 2 Posts weiter unten hatte ich vorgerechnet, daß man nach 45 Jahren ca. 8,5 Brutto-Jahresgehälter eingezahlt hat (bei 19% Rentenbeitragssatz). Gehen sie mit 67 in Rente, haben sie statistisch noch 14 Jahre auf Erden. Das Rentenniveau 48% ist in „netto vor Steuern“ angegeben (schöner Trick des Staates). In „vom Brutto“ ist es 4%-5%… Mehr

amendewirdallesgut
5 Jahre her
Antworten an  Joachim

Auch auf die Gefahr hin des Sozialbashings bezichtigt zu werden , darf man meiner Meinung nach die im Rentenalter bezogenen Leistungen nicht für sich allein bewertet stehen lassen , denn schon die relativ günstige Kranken und Pflegeversicherung sprengen meines Erachtens gefühlt das Äquivalenzverhältnisses des gesammten Sozialsystems und daß ohne die vielen anderen etablierten gegenleistungslosen wohlfahrtsstaatlichen Verrechtlichungen aufzuzählen

Joachim
5 Jahre her

„Private Vorsorge und Betriebsrenten haben für die dortige AfD einen geringen Stellenwert.“ Private Vorsorge und Betriebsrenten sind tolle Sachen. Aber nicht, wenn mir gleichzeitig knapp 20% vom brutto abgezogen werden, für die ich dann eine Kümmer-Rente bekomme nach 45 Jahre, kaum höher, als sei ich gerade illegal über die Grenze geschlüpft! Obwohl sich die Beiträge kumuliert auf über 300.000 Euro belaufen (bei Durchschnittsverdienst) Das müsste dann aber ungefähr wir folgt aussehen: Alle Einkommen, ohne Ausnahme, ohne Beitragsbemessungsgrenze, zahlen ca. 6% (genau durchgerechnet habe ich es nicht) in den Rententopf. Dafür bekommt jeder ab 65 eine „Standardrente“ – ungefähr Hartz-IV-Niveau. Alle… Mehr

Franz Reinartz
5 Jahre her
Antworten an  Joachim

Da sind Sie bedauerlicherweise m.E. auf dem Holzweg. Ich habe mich zu Beginn meiner qualifizierten Berufstätigkeit auch um private Altersvorsorge u.a. durch Eigenheim, Direktlebensversicherung und Riester gekümmert. Die „Betriebsrentenbeiträge“ werden zwangsweise aufgeführt, darauf habe ich keinen Einfluss. Im Ergebnis habe ich durch die nachträgliche und rückwirkende Sozialabgabenpflicht der privaten Lebensversicherung (SPD) einen gut ausgestatteten Mittelklassewagen verloren. Die Negativzinspolitik der EZB schmilzt es weiter ab. Das mein Eigenheim mein eigenes Heim ist, stimmt nur so lange, wie ich kein Pflegefall werde, dann muss ich es nämlich dem Sozialamt abtreten – oder ich schaffe das, es 10 Jahre vor Eintritt der Pflegebedürftigkeit… Mehr

Joachim
5 Jahre her
Antworten an  Franz Reinartz

Hallo Herr Reinartz, also zum einen ging ich ja nur auf einen zentralen Satz dieses Artikels ein, den ich hier auch zitierte am Anfang meines Posting. Andererseits kann ich einige Passagen von ihnen nicht nachvollziehen, u.a. die mit dem „Pflegeheim, daß dann das Häuschen evtl. wieder weg wäre“. Ja, könnte dann passieren. Aber ohne die 13% vom brutto mehr, die ich angab, hätten sie ja gar kein Häuschen gehabt in meinem Beispiel . Nämlich daß sie die eingesparten Rentenbeitragssätze zur Finanzierung eines Eigenheims hätten nutzen können. Hätten sie weiter die 19% in die RV eingezahlt, wäre das Geld genauso weg.… Mehr

Joachim
5 Jahre her

Beim Thema Rente kommen ich und Tichys Einblick irgendwie nicht zusammen. Die Rente ist stabil zu halten, denn ist ist keine Sozialleistung, sondern eine Versicherung, für die der Rentner auch Beiträge gezahlt hat. Über 45 Jahre. Bei 45 Beitragsjahren und einem Beitragssatz von 19% sind also insgesamt 8,55 Brutto-Jahresgehälter in die Rentenkasse eingezahlt worden. Ein Rentenniveau von 48%, das in „netto vor steuern“ angegeben wird, ist in „vom brutto“ bei gerade noch gut 43%, also knapp 5 Prozentpunkte weniger. Jetzt rechnen wir mal aus, wie lange das im Durchschnitt reichen müsste: 8,55 geteilt durch 0,43 ergibt recht genau 20 Jahre.… Mehr

Hans Wein
5 Jahre her

„Aber „stabile Renten verhindern einen deutschen Trump“, proklamierte er (Scholz) via BamS.“

Welch ein schlichtes Gemüt! Hätte man sich einen solchen – ich sage mal trotzdem – Politiker in der Hochzeit der deutschen Demokratie vorstellen können? Ich glaube nicht…

Petra Horn
5 Jahre her

Daß der (westdeutsche) Bürger verängstigt und wehrlos ist, ist ein Riesenproblem, welches eine ganze Reihe von Folgeproblemen zur Folge hatte.
Er gilt wieder, sich aus seiner selbst verschuldeten Wehrlosigkeit zu befreien.
Bei den Deutschen hat eine Duldungsstarre um sich gegriffen, die solange anhält, wie man meint, daß das Sich Bewegen die Lage verschlimmert.
Wenn sich die Erkenntnis durchsetzt, daß man mit dem Stillhalten alles verliert, werden sich auch wieder grpößere Gruppen wehren.
Dann wird man sich auch über die linke moralische Propaganda, die uns lange Jahre sprachlos machte, hinwegsetzen.

horrex
5 Jahre her

Das Elend besteht nicht nur in den oben beschriebenen Dingen/Zusammenhängen,
sondern darüber hinaus auch noch darin, dass „sozial“ und „Staat“ ja auch Kernthemen von Merkel sind. – Alles in deren Richtung läuft! –

Snakebite
5 Jahre her
Antworten an  horrex

Welche Themen, mit den sich die nächste Wahl gewinnen lässt, werden denn nicht „Kernthemen von Merkel“?
Sobald irgendein (halbwegs) politisches Thema in der Bevölkerung hoch kommt wird es doch ein „Kernthemen von Merkel“, eben damit: „Alles in deren (Merkels) Richtung läuft!“

Wichtig wäre zu sehen, was sich in diesen „Kernthemen“ tut…
(Veränderungen auf der Mondoberfläche sind da auffälliger und einfacher zu beobachten. („Niel Armstrongs Fußabdruck“))