Europäische Zentralbank darf Staatsschulden monetarisieren

Der EuGH erteilt der EZB einen Persilschein für ihre Staatsanleihenkäufe und bügelt die Bedenken des deutschen Bundesverfassungsgerichts komplett ab.

© Hannelore Foerster/Getty Images

Eigentlich war es ein Paukenschlag aus Luxemburg, als das oberste rechtssprechende Organ der Europäischen Union am Dienstagvormittag das umstrittene Staatsanleihenkaufprogramm der Europäischen Zentralbank vollumfänglich billigte. Alle gewichtigen Einwände des deutschen Bundesverfassungsgerichts, die dieses mit seinem Vorlagebeschluss vom 15. August 2017 geltend gemacht hat, verwarfen die europäischen Richter. Einmal mehr bewies damit der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass er sich vor allem als Erfüllungsgehilfe der EU-Zentralisierungsbefürworter und seiner Institutionen versteht (auch die EZB gehört dazu) und Einwände wegen des befürchteten demokratischen Souveränitätsverlusts der europäischen Mitgliedstaaten fast gleichgültig vom Tisch fegt.

Doch im politischen Berlin beschäftigten sich am Dienstagnachmittag auf den Fluren des CDU/CSU-Fraktionssaals die meisten Abgeordneten (und auch die Journalisten) der größten Regierungsfraktion lieber mit der Möglichkeit, wie der beim Ringen um den CDU-Vorsitz unterlegene Friedrich Merz künftig in die Partei eingebunden werden könnte. Unter einem Ministeramt gehe nichts, tuschelten viele. Aber unter Angela Merkel? Ausgeschlossen! Die Parteipolitik drehte sich mal wieder um sich selbst, während Machtverschiebungen zu Lasten der nationalstaatlichen Kompetenzen innerhalb der EU mehr oder weniger achselzuckend hingenommen werden.

Dabei hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem Vorlagebeschluss an den EuGH durchaus die Sorgen von vier vorgelegten Verfassungsbeschwerden, u. a. von Peter Gauweiler und Bernd Lucke, geteilt, die das seit 2015 laufende Kaufprogramm von Staatsanleihen als Überschreitung des Mandats der Notenbank und als unzulässige Monetarisierung der Staatsschulden von Euroländern wie Italien einstufen. Zu Recht erinnerte der Prozessvertreter von Peter Gauweiler am Dienstag vor Journalisten: „Das Verbot der monetären Staatsfinanzierung war für Deutschland unter der Regierung Kohl unabdingbare Voraussetzung für den Beitritt zur Währungsunion.“

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Zwar wird die EZB an diesem Donnerstag das Ende ihres Kaufprogramms zum Jahresende 2018 verkünden. Seit seinem Start im Jahr 2015 hat sie dann Wertpapiere in Höhe von knapp 2.600 Milliarden Euro erworben, darunter rund 2.000 Milliarden Euro an Staatsanleihen von Euro-Ländern. Erst vor kurzem hatte Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftspolitik (ZEW) in Mannheim belegt, dass die Käufe immer stärker vom Schlüssel für die Kapitalzeichnung der EZB abweichen und notleidende Krisenländer wie Italien massiv begünstigen. Damit wird die Währungsunion weiter zu einer Haftungsunion umgestaltet.

Doch das Ende des Kaufprogramms wird keineswegs ein Ende der ultralockeren Geldpolitik bedeuten. Denn die EZB wird aufgekaufte Staatsanleihen, die auslaufen, wieder prolongieren, so dass das Portfolio im Volumen vollumfänglich erhalten bleibt. Wahrscheinlich wird sie bei der Verlängerung von kurzlaufenden Anleihen auf Langläufer umschichten, um die langfristigen Zinsen niedrig zu halten. Womöglich wird die EZB die Banken auch mit einer neuen zinslosen Liquiditätsspritze namens TLTRO beglücken. Die englische Abkürzung steht für „zielgerichtete langfristige Refinanzierungsgeschäfte“. In der Praxis wäre das vor allem eine Nothilfe für Italiens Banken.

Skrupel brauchen die Notenbanker beim Gebrauch dieser Instrumentarien nicht mehr zu haben. Denn der EuGH hat der EZB nicht nur für die bereits getätigten Käufe den Rücken gestärkt und eine Mandatsüberschreitung eindeutig bestritten, sondern ihre Möglichkeiten sogar deutlich erweitert. Denn die EZB darf mit richterlichem Segen die erworbenen Wertpapiere auch ausdrücklich bis zur Endfälligkeit halten, ja sie darf sogar Titel mit negativer Endfälligkeitsrendite erwerben.

Das Karlsruher Bundesverfassungsgericht muss jetzt die vorliegenden Verfassungsbeschwerden aus Deutschland im Licht der EuGH-Entscheidung abschließend behandeln. Dass Karlsruhe einen offenen Eklat riskiert und die Deutsche Bundesbank verpflichtet, sich nur unter Auflagen am Anleihen-Kaufprogramm zu beteiligen, halte ich für ausgeschlossen. Trotzdem werden die Karlsruher Richter irgendwann vor der Frage stehen, ob sie der deutschen Politik nicht unmißverständlich auftragen, die schleichende Aushöhlung der nationalen Souveränität zu beenden. Schlußendlich wird die Politik die Frage entscheiden müssen, ob ein europäischer Zentralstaat den Nationalstaat ersetzt oder es bei einem Staatenbund souveräner Mitgliedstaaten bleibt. In einer solchen entscheidenden Frage ist aber der eigentliche Souverän, das Volk, gefragt. Ohne Volksabstimmung lässt sich der Nationalstaat nicht abschaffen. Oder doch?

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Kommentare ( 54 )

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54 Comments
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Cluny
5 Jahre her

Liebe Redaktion, leider gestattet das Kommentarsystem es nicht, daß ich unten auf Ihre Nachfrage „Wer?“ direkt antworten kann – daher auf diesem Wege eine Präzisierung. Es war und ist hier des öfteren zu lesen, wie Autoren und Kommentatoren beklagen, daß die CDU dies und jenes macht oder nicht macht. Beispiele sind etwa Herr Herles oder auch Herr Müller-Vogg, z.B. in seinem Beitrag vom heutigen Tage. Dies erinnert ein wenig an die „Frühzeit“ der Diskussionen um die Merkelsche Migrationspolitik, als noch viele mutmaßten, daß „die in Berlin“ ein wenig dumm seien oder irgendwelche Dinge nicht verstanden hätten oder Merkel keine Fehler… Mehr

Fritz Goergen
5 Jahre her
Antworten an  Cluny

Selbst die sehr wenigen Autoren auf TE, die Parteimitglieder sind, machen hier keine Parteiwerbung, kaum jemand anderer kritisiert „seine“ Partei so scharf wie einer von ihnen. TE insgesamt wird selbstverständlich für keine Partei plädieren. Sie kennen doch die klassiche Aufgabe des Journalisten: sagen, was ist. – Dabei bleibt hier meine eigene Position zum Parteienstaat außen vor, nach der dieser durch keine Partei reformierbar ist.

Cluny
5 Jahre her
Antworten an  Fritz Goergen

Danke für Ihre Erläuterung. Ja, das ist ein heftiger Standpunkt, in der Tat, und vermutlich zutreffend. Leider. Schönen Sonntag dennoch.

Ursula Schneider
6 Jahre her

„Ohne Volksabstimmung lässt sich der Nationalstaat nicht abschaffen. Oder doch?“
Sicher nur eine rhetorische Frage. Ohne die Bürger zu befragen wurde die D-Mark abgeschafft, die Energiewende beschlossen, die Kontrolle über die Grenzen aufgegeben, der Migrationspakt unterzeichnet usw. Und da sollte die Abschaffung der nationalen Souveränität (die ja schon laufend im Gange ist) ein Problem sein?

Peter Gramm
6 Jahre her

Die EZB darf dies weil sie gar nicht mehr anders kann. Jetzt wird den Banken noch erlaubt die Zombiekredite aus der Bilanz auszulagern. da sonst das Eigenkapital nicht mehr ausreicht die Abschreibungen auf faule Kredite auszugleichen. Das Schuldgeldsystem hat fertig und liegt in den letzten Zügen und Krämpfen. S’isch over. Die Zeche ewrden die zahlen die noch realte Werte besitzen. Wer sonst. Nicht umsonst wird kräftig an der Digitalisierung der Grundbücher gearbeitet. Eintragung von Zwangshypotheken an der ersten Stelle per Knopfdruck damit die Politchaoten wieder weiter machen können wie bisher. Diejenigen, die gespart, ehrlich sich ihr Eigentum erwoben haben werden… Mehr

Tesla
6 Jahre her

Mit seinem Urteil hat der EUGH einfach mal so die kollektive und permanente Verletzung des Maastrichtvertrags legalisiert.

ShaundasSchaf
6 Jahre her

Ich glaube ja nicht, daß, wenn Deutschland seine nationale Souveränität aufgibt, worauf es ja offensichtlich hinausläuft, andere Länder folgen werden.
Am Ende wird es eher so sein, daß ein von den „EU-Partnern“ ausgesaugtes, ehemaliges, vom Nationalaufgabe** zerfressenes, zentraleuropäisches Siedlungsgebiet für Fremde aus aller Welt übrig bleiben wird, in dem die Restdeutschen, so fern sie nicht die Flucht ergriffen haben, sich mit den „neu Hinzugekommenen“ um die letzten Krümel raufen werden.
Zugegeben, dieses Szenario wirkt apokalyptisch, aber auszuschließen vermag ich es nicht gänzlich.

KoelnerJeck
6 Jahre her

Die Juristen waren schon immer die Hure der Macht. Alex de Tocqueville, Der alte Staat und die Revolution: „Die Juristen lieferten ihnen nötigenfalls die Unterstützung des Rechts gegen das Recht selbst.“ (S. 218)

Der Staat ist ein Massenmörder, ein Dieb und ein Bankrotteuer. Zur öffentlichen Kontrolle brauchen wir als erstes kleinere Staaten – Sezession ; ggf. sollten wir es mit Private Cities probieren.

CarolusMagnus
6 Jahre her

Das ist der Anfang vom Ende. Jetzt müsste eigentlich ein (Protest)- sturm losbrechen und diese Burschen hinweg fegen!

Protestwaehler
6 Jahre her

Die totalitäre EUDSSR ist längst beschlossene Sache, da hilft auch kein Lamentieren mehr. Als nächstes werden die Wahlen abgeschafft und dann das Bargeld, und Michel wirds beklatschen, die fleißigen Helfershelfer in den Medien werden schon dafür sorgen, den Rest erledigt das Bildungssystem welches das Sklaventum zum neuen Ideal verklärt.

Franzl
6 Jahre her

Das Urteil war absehbar, da der EUGH ansonsten bis zur Entscheidung das Schaffen non Fakten hätte unterbinden müssen. Nun sind die Staatsanleihen gekauft, das Geld dafür wurde gedruckt. Einziges Mittel zur Wehr ist, die Parteien Gauweilers und der sonstigen Verantwortlichen, die die in dieser Sache Handelnden erst durch mangelnde Voraussicht ermächtigt haben, nicht mehr zu wählen.

derAlte
6 Jahre her

Herr Metzger, „Nationalstaaten abschaffen“, wer denkt denn daran? Nein, wir wählen weiter alle 4 Jahre einen Bundestag, der wählt einen Bundeskanzler, gern divers, der wählt mit seinen europäischen Kollegen eine „Europäische Kommission“, und DIE erläßt Regeln, an die sich alle halten müssen. So ist der Bundeskanzler für nichts verantwortlich und kann immer wieder gewählt werden! Spätestens, seit die Bundesregierung „versuchen“ will, Fahrverbote in Deutschland zu „erschweren“, wird doch die Skurrilität dieser Demokratie-Persiflage offenbar. Und abgeschafft wird dabei nichts, hängen ja Versorgungsposten dran. Es wurde in letzter Zeit viel über die Kosten des Brexit spekuliert, aber einen Vorteil hätten die Briten:… Mehr

Protestwaehler
6 Jahre her
Antworten an  derAlte

Anschließend erlebt die Guillotine ihre Renaissance.