Ausgerechnet Daniel Cohn-Bendit als Festredner

Am 17. Juni 1990, damals noch Gedenktag, setzte Daniel Cohn-Bendit im rot-grünen Magistrat Frankfurts durch, dass auf jedes Gedenken an die Opfer des Aufstands von 1953 verzichtet wurde. Stattdessen rief die Stadtregierung zum „Tag der deutschen Vielfalt“ auf und zum „Fest der Farben“. Ein Affront, dass ausgerechnet er jetzt zur Deutschen Einheit in der Paulskirche spricht.

© Carsten Koall/Getty Images

Am 3. Oktober, dem Tag der deutschen Einheit, tut Frankfurt am Main das, was die meisten deutschen Städte tun: Die Stadtverwaltung lädt zu einer Feierstunde mit Streichmusik und Festredner. Das ist in „Bankfurt“ seit 1990 so. Doch in diesem Jahr hat die Feier heftigen politischen Streit ausgelöst, genauer: die Wahl des Festredners Daniel Cohn-Bendit (71). Die CDU, die seit kurzem zusammen mit SPD und Grünen den Magistrat bildet, lehnt Cohn-Bendit als Einheitsredner strikt ab – wegen seiner „pädophilen Vergangenheit“. Prominente Frankfurter CDU-Politiker wollen der Feierstunde demonstrativ fernbleiben. Kritik kommt auch von der FDP. Zwei rechtspopulistische Fraktionen im Stadtparlament haben zum Boykott aufgerufen.

Cohn-Bendit, der einstige Straßenkämpfer und Mitbegründer der Grünen, ist am Main kein Unbekannter. Hier hat er an der Seite Joseph Fischers nach der Gründung der Grünen für den Realo-Kurs gekämpft, hier wurde er 1989 in der ersten rot-grünen Stadtregierung ehrenamtlicher Stadtrat und Leiter des auf seine Initiative hin geschaffenen „Amtes für Multikulturelle Angelegenheiten“. Von hier aus hat er in ganz Deutschland für ein „multikulturelles“ Deutschland geworben. Multikulti blieb für Cohn-Bendit, von 1994 bis 2014 abwechselnd für die deutschen und französischen Grünen Mitglied des Europaparlaments, eines der zentralen Themen.

Als im Jahr 2013 die Grünen wegen der Bejahung der Pädophilie in den 1970-er und 1980-er-Jahren in die Schlagzeilen gerieten, traf es auch Cohn-Bendit. Es sind vor allem Passagen aus dem Buch „Der große Basar“ aus den siebziger Jahren, die Cohn-Bendit anhängen. Er hatte damals – es war die Hochzeit der „antiautoritären Erziehung“ – dreieinhalb Jahre in der Uni-Kita gearbeitet und dann dreieinhalb Jahre in einer Krabbelstube. Darüber schrieb er unter anderem: „Es ist mir mehrmals passiert, dass einige Kinder meinen Hosenlatz geöffnet und angefangen haben, mich zu streicheln.“ Noch 1982 brüstete er sich im französischen Fernsehen damit, er habe sich von einer Sechsjährigen ausziehen lassen.

Vor drei Jahren hat Cohn-Bendit sich damit verteidigt, das alles sei seiner Fantasie entsprungen, habe mit seiner Tätigkeit als Erzieher nichts zu tun gehabt. Jetzt sagte er der Frankfurter Rundschau: „Ich war in einer Phase damals, in der ich permanent provozieren musste. (…) Deshalb habe ich angeberisches Zeug geschrieben, das den Spießbürger provozieren sollte.“ Und: „Ich habe in meinem Geltungsdrang einen Text verfasst, der 40 Jahre später mit Recht unsäglich wirkt.“ Im Übrigen zeigt sich der grüne Alt-Star angesichts der Debatte um seinen geplanten Auftritt und der entsprechenden Fragen der FR verärgert: „Ich habe mich des Öfteren dafür öffentlich entschuldigt, mehr kann ich nicht tun. Ich habe diese Scheiße so satt!“

Was immer Cohn-Bendit auch satt haben mag: Die Diskussion um seine Person und seine Eignung als Festredner zum Tag der deutschen Einheit dürfte nicht verstummen. Dabei gäbe es gewichtigere Gründe, die den Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) an seiner Rednerwahl zweifeln lassen sollten als Cohn-Bendits wirre Äußerungen zum Thema Sex mit Kindern. Denn 1990, im Jahr der Einheit, stand der Grüne wie so viele in seiner Partei der Einheit eher ablehnend gegenüber. Ihre angebliche Sorge: Im wiedervereinten Land könnte der Nationalismus eine neue Blüte erleben. Deshalb plakatierten die Grünen im Bundestagswahlkampf 1990: „Alle reden von Deutschland. Wir reden vom Wetter.“ Noch deutlicher konnte man sein Desinteresse an dem Ende des SED- und Stasi-Staates kaum äußern.

Auch Cohn-Bendit konnte sich damals als Frankfurter Stadtrat für die neuen Freiheiten für 16 Millionen Deutsche nicht so recht erwärmen. Das zeigte er im Zusammenhang mit dem 17. Juni 1990, der – wenige Monate vor der Wiedervereinigung – noch ein nationaler Gedenktag war. Er setzte damals im rot-grünen Magistrat durch, dass Frankfurt auf jedes Gedenken an die Opfer des Aufstands von 1953 verzichtete. Stattdessen rief die Stadtregierung den 17. Juni zum „Tag der deutschen Vielfalt“ aus und veranstaltete ein „Fest der Farben“, das sich in erster Linie an die in der Mainmetropole schon immer überdurchschnittlich große Zahl von Zuwanderern richtete. So demonstrierte Frankfurt damals auf Betreiben Cohn-Bendits eine besondere Form der Geschichtsvergessenheit: Multikulti war „in“, die Erinnerung an den gescheiterten Aufstand „out“.

26 Jahre später will Cohn-Bendit auf der offiziellen Veranstaltung der Stadt Frankfurt „meine Deutung der Deutschen Einheit geben, des Deutschlands heute, 26 Jahre nach der Wiedervereinigung.“ Da wird es mehr um Flüchtlinge, MultiKulti und Europa gehen als um deutsche Geschichte, modernen Patriotismus und die Frage, ob Deutschland Deutschland bleiben soll, muss oder kann. Falls der Oberbürgermeister den Plan gehabt habe sollte, am Tag der Einheit in Frankfurt Zwietracht zu säen – mit Cohn-Bendit als Festredner dürfte ihm das gelingen.

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