Reicht es Vattenfall? Ahnungslose Abschalter

Klimaschutz kann man nicht essen, diese Erkenntnis muss noch wachsen. Den Schweden kann die Versorgungsicherheit des deutschen Stromnetzes egal sein. Das ist der deutschen Knäckebrot, an dem sie sich die grünen Zähne ausbeißen werden.

imago images / blickwinkel

Der tägliche Überlebenskampf gegen den todbringenden Klimawandel erfordert entschlossene, konsequente, ehrgeizige Maßnahmen zur Senkung der CO2-Emissionen. Die überzeugende und kluge Politik der Bundesregierung stellt mit dem Kohleausstiegsgesetz die Weichen (Formulierung kann Spuren von Ironie enthalten). Nun geht es auf zum Abschalten und vielleicht schaltet man die modernsten Anlagen zuerst ab. Genau dies regt das Gesetz an.

Wahnsinn mit Methode

Am 1. September startete entsprechend der Festlegungen des Kohleausstiegsgesetzes die erste Ausschreibungsrunde zur Stilllegung von Steinkohlekraftwerken. Für 4.000 Megawatt vorfristiger Abschaltung in 2021 winken Entschädigungen. Das Prinzip soll Unternehmen animieren, Steinkohlekraftwerke möglichst frühzeitig stillzulegen. Die Entschädigungshöhe liegt in dieser ersten Runde bei stolzen 165.000 Euro pro Megawatt (§ 19).

Für einige Schlagzeilen, vor allem im Norden, sorgte die Ankündigung Vattenfalls, sich mit dem nur fünf Jahre alten und entsprechend modernen Kraftwerk Hamburg-Moorburg an der Ausschreibung zu beteiligen. Bei 1.640 Megawatt installierter Leistung gäbe es einen stattlichen Betrag, um die 270 Millionen Euro. Was treibt Vattenfall? Das Kraftwerk Moorburg wird schon seit seiner Projektphase als „umstritten“ bezeichnet. Das ist die mediale Sprachregelung, um etwas negativ zu stigmatisieren.

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Ursprünglich wollte Vattenfall 2004 einen 700-Megawatt-Block an den Standort eines alten Ölkraftwerks setzen. Die CDU-Alleinregierung der Hansestadt ermutigte Vattenfall, einen Doppelblock zu bauen, was der Norddeutschen Affinerie erspare, in ein eigenes Kraftwerk zu investieren. Das Projekt wurde auf ein Kraftwerk mit 1.640 Megawatt Leistung erweitert. Nach den Wahlen 2008 ging eine CDU-Grünen-Regierung ans Werk. Der Erste Bürgermeister Ole von Beust musste sich nun als „Kohle-Ole“ bezeichnen lassen, da er an dem Projekt festhielt und die Grünen mussten zähneknirschend zustimmen, zu weit war das Genehmigungsverfahren schon vorangeschritten. Dafür taten sie dann alles, den Bau zu behindern. Zunächst versuchten die üblichen militanten Fußtruppen die Baustelle zu stürmen, während die grüne Umweltsenatorin Hajduk an weiteren Auflagen bastelte. Die Kohlekreislager mussten teuer von außen verklinkert werden, angeblich als Anpassung an das Ortsbild des hinterm Berg befindlichen Stadtteils Moorburg.

Vattenfall baute als Ausgleichsmaßnahme unter anderem eine –zig Millionen teure Fischaufstiegstreppe in Geesthacht, weitab vom Kraftwerk Moorburg. Es gab mehrere Gerichtsverfahren gegen die Einschränkungen, die Vattenfall zum Teil gewann, zum Teil verlor. Ein neues Urteil erwirkte der BUND unlängst, wonach Vattenfall kein Wasser aus der Elbe zur Kühlung entnehmen darf. Deshalb muss der im Ursprungsprojekt nicht vorgesehene Hybrid-Kühlturm dauerhaft betrieben werden. Dieser verschlingt für den Betrieb seiner Ventilatoren über 50 Megawatt des selbst erzeugten Stroms und drückt die Wirtschaftlichkeit in den Keller.

Der Einspeisevorrang der „Erneuerbaren“ führte zu geringeren Produktionsmengen, die CO2-Zertifikatepreise stiegen deutlich, vor allem aber die im Projekt vorgesehene und danach verhinderte Wärmeauskopplung ermöglicht keinen wirtschaftlichen Betrieb. Grün-rote Ideologie verhinderte durch die Einteilung in gute und böse Fernwärme den Bau einer Trasse. Bürgerinitiativen argumentierten mit der nötigen Fällung von 500 Bäumen. Die haut man heutzutage locker für eine einzige Windkraftanlage im Wald weg. Das sehen die Hamburger natürlich nicht, sie haben keinen Wald, aber Gesinnung. Nun geht ein Teil der Abwärme über den Kühlturm in die Umgebung, anstelle sie für die Wärmeversorgung zu nutzen.

Lukrative Einnahmen verlor Vattenfall zudem nach einem Volksentscheid zum Rückkauf des Strom-Verteilnetzes durch die Stadt Hamburg im Jahr 2013 („Unser Hamburg – unser Netz“). Der Entscheid ergab 50,9 zu 49,1 Prozent, ein denkbar knapper Ausgang, den Vattenfall klaglos akzeptierte.

Gretas strahlendes Heimatland
Schweden mietet ein Atomkraftwerk für die Netzstabilität
Seit Jahren tätigt Vattenfall erhebliche Abschreibungen auf das Kraftwerk Moorburg, was neben den Verlusten mit dem Kernkraftwerk Krümmel zu schlechten Ergebnissen im Gesamtkonzern führt. Schweden mag ein Sozialstaat sein, aber rote Zahlen bei einem staatseigenen Konzern duldet er nicht. Auch im eigenen Land ist die Lage problembehaftet. Schweden musste sich im Juni die vorzeitige Inbetriebnahme eines Kernkraftwerks von Vattenfall erkaufen, um die Netzstabilität zu erhalten. Vattenfall der größte Energieversorger Schwedens, Mangel fällt auch auf ihn als Staatskonzern zurück.

Vattenfall-CEO Magnus Hall, ein ehemaliger Manager aus der Papierindustrie, wird den Konzern Anfang nächsten Jahres verlassen („aus persönlichen Gründen“). Das schlechte Konzernergebnis dürfte eine Rolle bei der Entscheidung gespielt haben.

Die Wärmeversorgung Hamburgs indes bleibt im Ungewissen. Das betagte Heizkraftwerk in Wedel in Schleswig-Holstein, ein so genanntes „Adenauer-Kraftwerk“ aus den Sechzigern, bekommt ein Problem mit der Einhaltung der Emissionsvorgaben. Es versorgt den Westen Hamburgs und bleibt vorerst unabschaltbar. Ein Konzept für die Wärmeversorgung der Metropolregion gibt es bislang nicht. Die „Erneuerbaren“ sollen es richten. Daran arbeiten subventionierte Netzwerkprojekte wie „Norddeutsche Energiewende – NEW 4.0“ und künftig auch ein „Norddeutsches Reallabor“. Ziel ist, Großtechnologien wie Wasserstoff-Elektrolyseanlagen, Energiespeicher und aufwendige Steuerungssysteme für die Energieversorgung zusammenwirken zu lassen. Abwärme aus der Industrie, Wärmepumpen und Wärme aus Müll sollen die Lücken füllen, aber ohne ein neues Gaskraftwerk in Wedel oder Stellingen wird es wohl nicht gehen.

Nicht nur der Ersatz der Wärmeerzeugung, auch der Ersatz der Stromproduktion ist weitgehend offen. 2021 wird das Kernkraftwerk Brokdorf an der Unterelbe, mit 1.480 Megawatt etwa in der gleichen Größenordnung wie Moorburg, vom Netz gehen. Die Großregion Hamburg stellt eine große Lastsenke dar mit bedeutenden Unternehmen wie dem Hafen, den Metallstandorten Aurubis, Arcelor Mittal und Trimet sowie Airbus, alles Kunden mit einem besonders hohen Strombedarf. Insgesamt ist es das größte zusammenhängende Industriegebiet unseres Landes.

Umweltsenator Kerstan von den Grünen freut sich über die mögliche Stilllegung als großen „Klimaschutz-Schritt“. Es ähnelt der Freude von Schulkindern über Unterrichtsausfall, auch sie können noch nicht realisieren, dass er schadet. Das Kraftwerk sei „nicht mehr systemrelevant“ und es gäbe bessere Alternativen. Welche das sein sollen, sagt er nicht. Der Standort wäre ideal für die Produktion grünen Wasserstoffs. Ein Standort, der bisher viel Strom erzeugte, soll zu einem Standort werden, der viel Ökostrom verbraucht, der wiederum eben jenen entfallenden Kohlestrom auch ersetzen soll. Kaum anzunehmen, dass Herr Kerstan einen Taschenrechner bemühte, um die Netzsituation in Norddeutschland durchzurechnen. Für wen die Welt ausschließlich aus Klimaschutz besteht, der ignoriert alles andere.

Aber Klimaschutz kann man nicht essen, diese Erkenntnis muss noch wachsen. Den Schweden kann die Versorgungsicherheit des deutschen Stromnetzes egal sein. Das ist der deutschen Knäckebrot, an dem sie sich die grünen Zähne ausbeißen werden.

Die Bundesnetzagentur wird der Stilllegung des Kraftwerks Moorburg kaum den Zuschlag erteilen. Es dürfte im norddeutschen Netz zu wichtig sein. Kann man dann einen ausländischen Betreiber zwingen, die defizitäre Anlage weiter zu betreiben?

Still legen ist leicht
Kühltürme des Kernkraftwerkes Philippsburg gesprengt - Strom wird weiter teurer
Irgendwann wird Vattenfall bei anhaltenden Verlusten das Kraftwerk auch ohne Entschädigung stilllegen. Ein Ende mit Schrecken ist besser als ein Schrecken ohne Ende. Selbst wenn es die Bundesnetzagentur als systemrelevant erklärt, wäre dieser Eingriff in das Eigentumsrecht problematisch. Vor Gerichten bis hin zum internationalen Schiedsgericht ICISD würden die Schweden wohl Recht bekommen. Die Entscheidung zur Zwangsstilllegung vom Kernkraftwerk Krümmel steht dort noch aus und Deutschland wird nicht gratis aus der Nummer herauskommen.

Die letzte Option wäre der subventionierte Weiterbetrieb mit Ausgleich der betriebswirtschaftlichen Verluste. Auch hier würde sich bestätigen, dass die deutsche Energiewende die kostenmaximierte Variante des Umbaus eines Energiesystems ist.
Es wird viel Geld kosten, abzuschalten. Noch mehr wird es kosten, anderes einzuschalten.

Das Kohleausstiegsgesetz reizt an, möglichst neue Anlagen stillzulegen, da sie auf lange Sicht nicht mehr rentabel betreibbar sind. Altanlagen hingegen sind bereits abgeschrieben und stehen ohnehin vor dem Ende ihrer technischen Laufzeit. Deren Weiterbetrieb kann man ohne allzu große Verluste noch ein paar Jahre durch die Rippen schwitzen. Vielleicht steigt der Börsen-Strompreis auch wieder, vielleicht werden sie als systemrelevant erklärt und subventioniert. Der unternehmerische Schaden einer entschädigungslosen Abschaltung hielte sich in Grenzen, während der Weiterbetrieb moderner und großer Anlagen auch über mehrere Jahre keinen Gewinn mehr bringen wird. Nach Kohleausstiegsgesetz erfolgen die Ausschreibungen im Jahreszyklus mit degressiv gestalteten Entschädigungszahlungen.

Umweltsenator Kerstan könnte sich von Spezialisten beraten lassen. Im teuren Hafenviertel sitzt die Zentrale von Greenpeace, der reichen und einflussreichen Organisation, die niemandem verantwortlich ist, aber immer ein paar Ratschläge übrig hat. Ich bin dafür, mutig, entschlossen und ehrgeizig abzuschalten – in Hamburg.


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Kommentare ( 107 )

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Ulrich Eckert
3 Jahre her

Bei der gestrigen Phönix-Runde zum Thema „Nord Stream 2 – Brauchen wir die Pipeline“ war diese blonde Professorin Claudia Kemfert.

Diese meinte -sinngemäß- „die Frage ist, ob wie überhaupt noch Gas brauchen. Wir haben doch die Erneuerbaren…“.

Also wenn ich mir anschaue, wer in Deutschland alles Experte und Professor ist, dann wird einem ja Angst und Bange…

Franck Royale
3 Jahre her

Währenddessen ist in China ein Sack Reis umge… ach nein, moment: das erste selbstentwickelte Kernkraftwerk wurde dort bestückt.

https://www.bloomberg.com/news/articles/2020-09-07/china-gives-operating-license-to-first-homegrown-nuclear-reactor

Vielleicht liefern die Chinesen den Deutschen ja eines Tages Strom über eine (noch zu bauende) Seidentrasse (quer durch Russland), damit die deutschen Ökosozialisten mit ihren Elektrorollern durch Wandlitz düsen und den Erfolg und die Weitsicht der großen Führerin preisen können.

niezeit
3 Jahre her

Meine freudige Zustimmung zu den meisten Kommentaren hier. Ich bin erleichtert darüber, wie viele originelle Mitmenschen es in in diesem Land noch gibt. Schade, dass die Berichterstattung über die Fusionsreaktorforschung in Deutschland auch hier bei Tichy zu kurz kommt. Es sind derzeit nur schwer Informationen darüber zu erhalten. Ingo Nietzold, Leipzig

Jan des Bisschop
3 Jahre her

So ist es im Leben, wenn Entscheidungen nur noch nach einem Kriterium gefällt werden und die Nebenbedingungen in der Zielfunktion einfach gestrichen werden, das verstehen unsere Politiker nicht und wenn sie es verstünden äatten sie nicht die Eier und Grips es zu erklären, also wird auf Basis eines sicheren Weltuntergangs in 5 Mrd Jahren und einer weit weniger bekannten Zukunft in 100 oder 500 Jahren, ein Chaos in der Gegenwart erzeugt, um diese unbekannte Zukunft, die vielleicht kommen oder nicht kommen mag, die aber absolut bedrohlich vor dem limbischen System der verunsicherten Kinder steht. Kein Mensch erklärt diesen armen Hascherln,… Mehr

trafo
3 Jahre her

Ja, bitte schaltet einfach alles ab was CO2 in die Atmosphäre entlässt. Gleich heute. Dann hat der Jammer endlich ein Ende und wir kümmern uns dann um den Scherbenhaufen, den Anarchie und Plünderei nach einer Woche ohne Strom von Hamburg bis Berlin so hinterlassen haben. Er dürfte weit größer und teurer sein als alles was wir uns bisher so vorstellen können. Einen flächendeckenden Stromausfall in einem oder gar mehreren Bundesländern haben wir praktisch noch nie erlebt. Unglaublich das das ein Industriestaat zu lässt. Nur zu liebe Politiker, noch ein zwei Experimente „am offenen Herzen“ und der Patient ist tot. Wohlan…

Micci
3 Jahre her

Dunkelflaute in Hamburg? Sehr gerne. Je früher, je besser.

Ist wie früher: nimmt man entgegen Mutters Rat die Handschuhe nicht mit, sind die durchgefrorenen Finger ein wunderbarer Lerneffekt für’s Leben!

Tja, und auf genau dem Niveau lernen (nicht nur) die Hamburger Grünen und ihre Wähler.
Aber sie lernen, da bin ich ganz sicher: Schmerz ist ein sehr effektiver Lehrmeister (siehe die berühmte Herdplatte)!

Elli M
3 Jahre her

Xing ist doch schon lange Bestandteil der Staats**. Dort darf ja inzwischen auch der Qualitäts-Spiegel seine Artikel einspeisen und alle möglichen Vertreter der Blockflöten. Lange her, daß ein gewisser Herr Roland Tichy dort gelitten war …

Schonclode
3 Jahre her

Ich verstehe die Hamburger nicht. Sie wollten es doch so. Auch der Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) hat sich für ein Aus ausgesprochen. Dazu was vom Linksfunk NDR.
https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Vattenfall-will-Kohlekraftwerk-Moorburg-stilllegen,moorburg360.html

Ulrich
3 Jahre her
Antworten an  Schonclode

Auch die Kommentare sind herzig! Wobei einige sehr schwere Kost sind, da sie bereits der übernächsten Rechtschreibreform entsprechen.

Ingolf
3 Jahre her

… und der „Gendersternchen“-Schreiber sitzt im Kreistag Augsburg für … richtig, Bündnis90/Grüne.

Ulrich
3 Jahre her

Nun ist es amtlich: Vattenfall als Betreiber eines der ältesten Pumpspeicherwerke der Welt Niederwartha bei Dresden wird dieses nicht nur nicht modernisieren sondern Ende 2020 vorläufig stilllegen. Hatte man seitens der Politik Pumpspeicherwerke noch als Bestandteil der Energiewende als Pufferspeicher für die Erneuerbaren Energien hochgepriesen, so sorgt sie aktuell dafür, dass bestehende unrentabel sind und Projekte für Neubauten auf Eis gelegt werden. Wird überschüssiger Solar- und Windstrom an der Strombörse nach Norwegen, Österreich und Schweiz zum Betrieb der dortigen Pumpspeicherwerke verschenkt, müssen die Betreiber derartiger Werke hierzulande noch die EEG-Umlage für diesen Strom berappen, was den Betrieb dieser Anlagen unrentabel… Mehr