Das ABC von Energiewende- und Grünsprech 96: Spitzenglättung

Gesetze am Fließband und Rationierung unter schönerem Namen – die Energiewende macht`s nötig.

imago images / Manngold

Täglich werden wir mit Begriffen konfrontiert, die im Ergebnis einer als alternativlos gepriesenen Energiewende verwendet werden oder durch sie erst entstanden sind. Wir greifen auch Bezeichnungen auf, die in der allgemeinen Vergrünung in den Alltagsgebrauch überzugehen drohen – in nichtalphabetischer Reihenfolge.

S wie

Spitzenglättung, die

Wieder hielt ein neuer Begriff Einzug in das Energiewendevokabular. Er ist bildhaft und leicht verständlich, er bezeichnet Maßnahmen, der zunehmend schwankenden Stromeinspeisung durch Steuerungen der Verbraucherseite zu begegnen. Die Netzfrequenz von 50 Hertz ist die Regelgröße, die unter allen Bedingungen eingehalten werden muss, um einen Kollaps zu vermeiden. Dazu braucht es das Gleichgewicht von Erzeugung und Verbrauch. Da der volatile, unplanbare Anteil an der Erzeugung stetig zunimmt, die Anzahl der regelbaren Kraftwerke aber ab, müssen sich Verbraucher mit steuerbaren Verbrauchseinrichtungen künftig an der Systemregelung beteiligen. Sie können sich auch dagegen entscheiden, zahlen dann aber mehr.

Kurz vor Weihnachten und medial fast unbeachtet wurde das „Steuerbare-Verbrauchseinrichtungen-Gesetz (SteuVerG)“ in die Abstimmungsrunden gegeben, der zustimmende Beschluss ist absehbar. Es soll die Gleichzeitigkeit des Strombezugs bei denjenigen Stromverbrauchern beeinflussen, die steuerbar sind wie die Betreiber von Wärmepumpen, Elektroheizungen, Wallboxen oder auch die Prosumer, die nicht nur Verbraucher, sondern auch Erzeuger sind. Durch zeitweise, variable und wechselseitige Abschaltungen sollen örtliche Überlastungen wie auch ein Teil des aufwändigen Netzausbaus vermieden werden. Es ist eine Form des geregelten Brownouts, die den Blackout verhindern soll. In jedem Fall muss dieses System flächendeckend zur Anwendung kommen, denn absehbar werden Zeiten kommen, in denen unsere Nachbarländer mit der Aushilfe im deutschen Netz überfordert sein werden. Selbst in der verbrauchsarmen Weihnachtszeit schwankten Export und Import kräftig. Schoben wir am 28. Dezember 2020 noch mehr als 12 Gigawatt über die Grenzen, brauchten wir einen Tag später fast 5 Gigawatt retour. Der deutsche Außenhandelssaldo weist beim Strom noch einen Überschuss von mehr als 19 Terawattstunden auf, geht aber seit 2017 (52 Terawattstunden) kontinuierlich zurück. Die Importmenge erhöhte sich seit 2016 auf 33 Terawattstunden. Bei diesem Strom von außen herrscht betretenes Schweigen zu seiner Herkunft. Während heimischer Atom- und Kohlestrom verteufelt wird, ist der graue Importstrom grundsätzlich positiv.

So sieht es in der Praxis aus, wenn „Wind, Sonne und Co. die Oberhand über fossile Kraftwerke erlangen“, wie strom-report.de begeistert berichtet, weil 2020 mehr als 50 Prozent des Stroms von „Erneuerbaren“ geliefert wurde. 47 Versorger erhöhen 2021 die Preise, trotz staatlicher Deckelung der EEG-Umlage. Grund sind steigende Netzentgelte.

Ein anderes Windraftvorreiterland, Dänemark, ist Vizemeister beim Strompreis und hat ähnlich starke Schwankungen des Stromsaldos zu verzeichnen. Am 29. Dezember importierte das Land ein Drittel seines gesamten Strombedarfs. Bei fünfeinhalb Millionen Einwohnern und wenig Großindustrie ist das machbar, zumal mit Norwegen und Schweden sichere Lieferanten zur Verfügung stehen.

Die Macht der Paragrafen

Der Entwurf des SteuVerG enthält 5 Artikel, die Änderungen in anderen Regularien wie zum Beispiel dem Energiewirtschaftsgesetz bewirken. Insgesamt 61 Seiten sind nötig, dies zu formulieren und erklären. Es sind dann – nach meiner Zählung und ohne Gewähr – 26 nationale Gesetze zum Energiesystem in Kraft, hinzu kommen mindestens 33 Verordnungen und 26 EU-Strategien, -Verordnungen, -Richtlinien und -Leitlinien. Noch vor zwanzig Jahren kam das Energierecht mit 200 Einzelnormen aus, heute sind es etwa 13.750.

„Kein Staat kann ohne Recht, kein Recht ohne Staat bestehen“, wusste der alte Augustinus. Ein anderer Römer, nämlich Tacitus, formulierte seine Erfahrungen mit dem Rechtssystem so: „Der verdorbenste Staat hat die meisten Gesetze.“

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Dieses Wachstum der Regularien ist allerdings folgerichtig. Die Energiewende als staatsplanerisch angelegtes Projekt zwingt zu immer weiteren Detailregelungen mit zunehmender Regelungstiefe, weil marktliche Selbstregelung nicht mehr stattfindet. Jede neue Regelung schafft Umgehungstatbestände, denen dann wiederum begegnet werden muss. Die Kreativität der Erneuerbaren-Investoren geht nicht mehr in den technischen Fortschritt (die Anlagen sind weitgehend ausentwickelt), sondern in das Anzapfen möglichst vieler Fördertöpfe und Subventionen. Dabei schützt die Politik vor eventuellen Belastungen. Selbst die in der EEG-Novelle festgelegte Vergütung, die Windkraftinvestoren an betroffene Kommunen zahlen müssen, wird über die Netzentgelte, also durch alle Stromverbraucher, finanziert.

Technisch ist es natürlich möglich, die Verbraucherseite zu regeln, die Idee des demand site managements (DSM) gibt es schon lange. Absehbar ist aber, dass man dieses Instrument nur bis zu einem gewissen Umfang ausbauen kann. Zum einen entstehen den Netzbetreibern wie den Kunden Kosten, zum anderen muss man die teilnehmenden Kunden belohnen für ihren Beitrag. Das geht realistisch nur über den Strompreis. Wer für seine regelbare Verbrauchsstelle durchgängig Strom haben möchte, wird künftig kräftig draufzahlen. Wer sich abschalten lässt zahlt weniger. Je länger, öfter und flexibler er sich abschalten lässt, umso billiger der Strom. Auch dadurch wird sich die soziale Spaltung des Landes verstärken. Wer wenig Geld hat und sparen muss, bekommt seltener Strom. Der normale Haushaltsstrom soll davon ausgenommen sein. Wie lange noch? Regelungen zu planmäßigen Lastabwürfen der Haushalte (load-shedding) sind international durchaus üblich, zum Beispiel in Südafrika.

Da seit Jahrzehnten keinerlei Aktivitäten erfolgen, die „Erneuerbaren“ grundlast- und regelfähig zu machen, wird auch das DSM an Grenzen stoßen. Wir wollen zwar mit aller Kraft dekarbonisieren, aber es gibt kein Zielbild für das künftige Energiesystem. Welcher Strommix soll es sein? Im Netz wird es zunehmend spannender, zeitweise wird es eben auch spannungslos sein.

Die Regelung und die Speicherung des Stroms verschiebt man auf das Wunderelement Wasserstoff. Für die Kohle- und Kernkraftwerke gibt es in Gesetzen fixierte Abschalttermine beziehungsweise Ausschreibungen zu solchen Terminen. Wann wir Wasserstoff aus marokkanischer oder australischer Sonnen- und Windkraft bekommen werden oder aus einem im Kongo noch zu bauenden Wasserkraftwerk samt Staudamm, wie von deutschen Politikern ins Auge gefasst, ist zeitlich offen und auf der Kostenseite nicht kalkulierbar. Aber der Glaube daran ist fest.

Das Gesetz wird problemlos den Bundestag passieren. Die praktische Umsetzung dürfte sich über viele Jahre hinziehen und die Unterdeckung im deutschen Netz wird zunehmen. Spitzenglättung in absehbaren Zeiten des Mangels bedeutet nichts anderes als Rationierung. Es klingt aber besser.


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Kommentare ( 32 )

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32 Comments
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Conradp
3 Jahre her

Seit geraumer Zeit läßt sich in Deutschland beobachten, was der österreichische Ökonom Ludwig von Mises als Interventionsspirale beschrieben hat: Sie ist die unausbleibliche Folge, wenn anstelle des Marktes eine Planwirtschaft als Allokationsinstrument tritt. Die Energiewende ist leider nicht das einzige Beispiel dafür, sie zeigt aber umso haarsträubender, daß eine Planwirtschaft niemals funktionieren wird. Wenn jetzt Gefälligkeitswissenschaftler oder auch Bundesminister dem Wundermittel Wasserstoff das Wort reden, erinnert dies in makabrer Weise an das Propagandagefasel von den Wunderwaffen am Ende des Zweiten Weltkrieges. Diese Parallele legt außerdem den Schluß nahe, daß es mit der sogenannten Energiewende erst ein böses Ende nehmen muß,… Mehr

Islay Tedd
3 Jahre her

Wir werden aufgrund einer politisch-und mediengehypten P(l)andemie, eingesperrt und beschränkt und mit der Ausrede des „Energiesparens“ und der „Nachhaltigkeit“ abgezockt. Das SteuVerG ist ein weiterer Schritt. Ist man dann künftig nicht auf LINIE, wird einem halt der Strom abgestellt, bis man einlenkt. Für mich bestätigt sich der Eindruck, den ich lange zu verdrängen versucht habe, immer mehr: Wir befinden uns in einem stillen Krieg. Eine Weltregierung soll errichtet werden (?), die Menschen (eingeteilt in Alphas, Betas usw. unter Verabreichung von Soma für die Gammas) haben als „Arbeitseinheit“ zu funktionieren oder sichern sich rechtzeitig ein Plätzchen an der Sonne, als Speichellecker… Mehr

RW
3 Jahre her
Antworten an  Islay Tedd

Diese Ansicht teile ich exakt so auch.
Die meisten Akteure sind intellektuell jedoch leider dermaßen unterversorgt, dass sie gar nicht merken, wem sie da zuarbeiten. Vielmehr sind sie überzeugt, dass sie der Menschheit etwas gutes tun. Ich denke da an britische Prinzen und EU-Präsidentinnen.

Iso
3 Jahre her

Ein Wasserkraftwerk im Kongo ist doch eiskalter Neokolonialismus. Und deutsche Unternehmen können das gar nicht bauen. Die werden in 100 Jahren damit nicht fertig.

horrex
3 Jahre her

Es gibt den uralten Satz mit Bart: Die Zehn Gebote bestehen aus 100 Worten. Die EU-Verordnugen über Gummibärchen bestehen aus 10 000 Worten. (Ich habe nicht nachgezählt, es ist trotzdem und hoffentlich klar was dieser Satz meint.) In einer anderen Formulierung sage ich manchmal: Erst schafft man ein „Gestrüpp“ von Gesetzen und Regelungen, dann verheddert man sich hoffnungslos in dem selbst geschaffenen Gestrüpp. Montesqueu meinte: Ein Gesetz das man nicht unbedingt braucht, das braucht man unbedingt nicht. Weit älter ist die – zumindest – Forderung: Gesetze müssen so klar und einfach sein, dass sie jedermann versteht. Sonst verlieren sie jeden… Mehr

Horst Hauptmann
3 Jahre her

Wann erscheint Band 2 der „Dunkelflauten“? Stoff hat sich durch die vielen Beiträge von Herrn Hennig ja genug angesammelt….
Danke für die mahnende Stimme, auch wenn die Entscheidungsträger das auch weiterhin ignorieren werden. Sie werden später jedenfalls nicht behaupten können, nichts gewusst zu haben.

fatherted
3 Jahre her

Stromabschalten….ja….mit Smart-Meter. Deshalb wollen alle Energieversorger die Dinger einbauen…nicht nur um Daten zu sammeln, sondern um Strom Haus/Wohnungsweise „zu steuern“…sprich…abzuschalten.

Ulrich
3 Jahre her
Antworten an  fatherted

Dafür, dass der Strom pro Haushalt abschaltbar wird, darf man diesen „Fortschritt“ auch noch selbst bezahlen. So ist bei meinem Versorger der jährliche Grundpreis mit mME (moderne Messeinrichtung) 22€ teurer als mit klassischem Zähler. Dafür, dass der Energieversorger noch den jährlichen menschlichen Stromableser einspart, ist das ein recht schräges Geschäftsmodell.

Maja Schneider
3 Jahre her

Wenn ich mir vor Augen führe, wie besorgniserregend es um die Digitalisierung und das Technikverständnis unserer Politikergilde steht, die es nicht einmal schafft, Behörden und Ämter so auszustatten, dass z. B. Schule oder Hochschule ohne Präsenzunterricht eine Zeit lang digital gut funktionieren, wird mir angst und bange bei dem Gedanken, wie es wohl zukünftig mit der Energiesicherheit aussehen wird, wenn die nächsten Kern – und Kohlekraftwerke abgeschaltet werden, was ja auch hier bei TE immer wieder beschrieben und diskutiert wird.

Franz Grossmann
3 Jahre her

Der Wahnsinn geht weiter, alle Verantwortlichen machen mit und freuen sich über die vielen Gesetze und Verordnungen, die kein Mensch mehr versteht.

Thorsten
3 Jahre her

Vermutlich hoffen die SPD und CDU, dass sich dann andere Parteien und Politiker mit den Problemen rumärgern.
Auf die lange Bank, am besten die übernächsten Legistraturperiode schieben – „Methode Merkel“ halt.

Mal sehen wie die infantilen Grünen damit umgehen, oder ob sie „Kobolde“ zur Lösung finden …

d.rahtlos
3 Jahre her

Spitzenglättung ist dann wohl die Frontbegradigung auf dem Weg zum Energiewende-Endsieg.