Das ABC von Energiewende und Grünsprech 95: Wasserstoffstrategie

Nachdem sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass die Energiewende in der früher beabsichtigten Form an fehlenden Speichern scheitern wird, ist der grüne Wasserstoff der mit Hoffnung beladene Messias der Energiewender.

imago/photothek

Täglich werden wir mit Begriffen konfrontiert, die im Ergebnis einer als alternativlos gepriesenen Energiewende verwendet werden oder durch sie erst entstanden sind. Wir greifen auch Bezeichnungen auf, die in der allgemeinen Vergrünung in den Alltagsgebrauch überzugehen drohen – in nichtalphabetischer Reihenfolge.

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Wasserstoffstrategie, die

Mit der kürzlich beschlossenen Wasserstoffstrategie soll Deutschland führend auf dem Gebiet der Gewinnung und Nutzung grünen Wasserstoffs werden. Nachdem sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass die Energiewende in der früher beabsichtigten Form an fehlenden Speichern scheitern wird, ist der grüne Wasserstoff der mit Hoffnung beladene Messias der Energiewender.

Das ABC von Energiewende- und Grünsprech 94: Kraftwerksstilllegungsanzeigenliste
Der aktuelle Hype um das erste Element des Periodensystems scheint mir von mehreren Missverständnissen begleitet. Minister Altmaier spricht von einem „Schlüsselrohstoff“ der Energiewende, was sachlich nicht korrekt ist. Ein Rohstoff ist im allgemeinen Verständnis und selbst nach Wikipedia ein aus der Natur gewonnener unbearbeitete Grundstoff. Beispielsweise Eisenerz oder Erdöl. Reiner Wasserstoff kommt in der Atmosphäre als Spurengas in einer Konzentration von 0,55 ppm vor (zum Vergleich: CO2 aktuell 417 ppm, steigend trotz Corona). Technisch ist es nicht möglich, H2 aus der Atmosphäre zu gewinnen. Es muss erst unter Energiezufuhr hergestellt werden, womit es kein Rohstoff, sondern ein Energieträger ist. Je nach Verfahren gilt für Wasserstoff folgende Farbenlehre:

Grau: Aus Erdgas durch Dampfreformation gewonnen (unter CO2-Emission)
Blau: Ebenso, allerdings unter Abscheidung und Speicherung oder Nutzung des anfallenden CO2
Türkis: Durch thermische Spaltung gewonnen (Pyrolyse)
Grün: Durch Elektrolyse gewonnenes H2
Violett: Durch Kohlevergasung hergestellt

Die Zukunft soll natürlich dem grünen Wasserstoff gehören, der erhebliche Strommengen erfordert, die zur Erreichung eines halbwegs vertretbaren Wirkungsgrades der Elektrolyseure konstant anfallen sollte. Mit nur zeitweise anfallendem und im Angebot schwankendem Strom lässt sich damit kein Blumentopf gewinnen. Selbst wenn die erforderlichen großen Strommengen verfügbar wären, ist der Prozess der Elektrolyse trotz heute deutlich verbesserter Anlagen von einem Wirkungsgrad, der eine Konkurrenzfähigkeit zum Erdgas und zum grauen Wasserstoff nicht erreichbar macht. Keine der bisher über 40 Pilotanlagen Power-to-Gas, teils bereits zehn Jahre in Betrieb, erreicht auch nur annähernd die Schwelle zur Wirtschaftlichkeit.

Das ABC von Energiewende- und Grünsprech 93: Klimaermäßigung
Der grüne Wasserstoff ist gegenwärtig etwa fünfmal so teuer wie fossiles Erdgas. Dennoch ist er umgeben von einem besonderen Zauber. Fast jeder hat im Chemieunterricht die Bläschen an den Elektroden aufsteigen sehen und das Prinzip verstanden. Daraus erwächst der allerdings falsche Eindruck, die Elektrolyse sei eine leicht zu beherrschende Technologie. Der Teufel steckt wie immer im Detail und nagt vor allem an der Wirtschaftlichkeit. Zunächst ist salzfreies Wasser notwendig und die Korrosion muss beherrscht werden. Der Wirkungsgrad liegt bei modernen Elektrolyseuren bei über 70 Prozent, im Labormaßstab wird auch mehr erreicht.

Moderne Elektrolyseure arbeiten als Hochdruck- oder Hochtemperaturanlagen, das heißt, für den Aufbau von Druck oder Temperatur ist Energie erforderlich. Dazu kommen Besonderheiten beim Handling des Wasserstoffs. Es ist ein einatomiges Gas geringer Dichte, das für Transport und Speicherung hohe Verdichterleistungen erfordert, es ist hochkorrosiv und leicht entzündlich (Knallgas). Für eine leichter handhabbare Weiterverwendung würde sich die Methanisierung anbieten, Ergebnis wäre das so genannte Windgas. Dazu ist allerdings CO2 nötig, dessen Herkunft in einer theoretisch künftig dekarbonisierten Welt fraglich ist. Möglich wäre auch die Bindung des H2 mit Dibenzyltoluol, was den Transport erleichtern würde, aber technisch noch am Anfang steht und entsprechende Infrastruktur voraussetzte.

Die Legende vom Strom ohne Ende

Optimistisch, aber weltfremd setzt die Wasserstoffstrategie voraus, tatsächlich über ungeheure Mengen grünen Stroms verfügen zu können. Den gleichzeitigen Atom- und Kohleausstieg vergaß man wohl oder hakte ihn bereits ab, ungeachtet der Tatsache, dass wir Ende der zwanziger Jahre ein Defizit an gesicherter Leistung im Stromnetz in der Größenordnung von 30 Gigawatt haben werden. Dafür sollen bekanntlich Wind und Sonne einspringen. Nun sollen fünf Gigawatt installierte Ökostromleistung bis 2030 und weitere fünf bis 2035 ausschließlich dem grünen Wasserstoff dienen. Schaut man sich die gegenwärtigen Zubauraten an, wundert man sich über diesen gigantischen Optimismus. Zudem soll der benötigte Strom von der EEG-Umlage befreit werden, was die Menge staatlichen Geldbedarfs für das System erhöht.

Sollte der Wasserstoff als Stromspeicher genutzt werden, das heißt mittels Rückverstromung über eine Gasturbine, liegt der Gesamtwirkungsgrad der Prozesskette bei unter 25 Prozent. Das ist keine Energiespeicherung, sondern Energieverschwendung.

Immense Mengen grünen Wasserstoffs wären künftig nötig. Wenn die chemische Industrie in Deutschland komplett bis 2050 auf Sektorkopplung umstellte und fossile Energieträger durch Strom und grünen Wasserstoff ersetzte, bräuchte sie dafür 628 Terawattstunden (TWh) Ökostrom jährlich. Das sind etwa 100 mehr, als der Gesamtstromverbrauch Deutschlands heute beträgt. Gegenwärtig stammen 180 TWh aus regenerativen Quellen. Nach überschlägiger Rechnung bräuchte man etwa diese 180 TWh, um die fünf Millionen Kubikmeter Kerosin, die der Flughafen Frankfurt im Jahr benötigt, auf synthetische Weise aus Grünstrom herzustellen.

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Weil sich abzeichnet, dass so viel Ökostrom im Land wohl doch nicht herstellbar ist, zielt man auf den grünen H2-Import aus sonnenreichen Ländern, laut Wasserstoffstrategie mit Marokko. Es existiert bereits eine „Hydrogen Partnership“ mit der WASCAL, einem Wissenschaftszentrum elf westafrikanischer Länder mit dem durchschnittlichen Korruptionsindex von 96. Nun soll ein Potenzialatlas entstehen, aus dem hervorgeht, an welchen Orten die hochkomplexen technischen Anlagen mit ihrem riesigen Flächenbedarf gebaut werden sollen. In die Planungen sollten die Kosten für Bestechungsgelder, den Schutz vor islamistischen Anschlägen und eventuell den Auslandseinsatz der Bundeswehr berücksichtigt werden, wenn Deutschlands Energiezukunft dann nicht am Hindukusch, sondern in Afrika verteidigt werden muss. Die moralische Frage, ob es angemessen ist, Energie aus armen Ländern abzusaugen und sie nicht den Herkunftsländern mit ihrem wachsenden Bedarf zur Verfügung zu stellen, bliebe einer noch zu gründenden Ethikkommission überlassen. Die Rolle des „Vorreiters“ sollten wir jedenfalls auch offiziell aufgeben, wenn wir künftig in Bezug auf Energierohstoffe, Strom und Wasserstoff vom Ausland abhängig werden. Würden uns andere Länder auf diesem Weg folgen, wäre globaler Mangel die Folge.

„Ich will, dass das Wasserstoffthema fliegt“, so Wirtschaftsminister Altmaier (CDU)1. Besser wäre es, mit beiden Beinen auf der Erde bleiben und nüchtern zu kalkulieren, statt ein riesiges neues Subventionsfass aufzumachen. Die Windlobby freut es. Nun ist die Rede vom Markthochlauf, der in der energiewendetypischen „Was kostet-die-Welt“-Mentalität immer den Subventionsmarkt meint.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich bin nicht der Spielverderber und mir wäre nichts lieber, als dass eine Wasserstoffwirtschaft tatsächlich umweltverträglich funktioniert. Wir leben aber, ob es uns gefällt oder nicht, in einer globalen kapitalistischen Welt. Am Ende muss sich alles rechnen. Die Plan-, Subventions- und Binnenwirtschaft der DDR existierte nur temporär und auch der heute eingeschlagene Weg wird ohne globale Konkurrenzfähigkeit nicht erfolgreich sein.


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Kommentare ( 72 )

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72 Comments
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Altliberaler
3 Jahre her

Lieber Frank Hennig, dem Grundtenor Ihres Artikels kann ich zustimmen. Jedoch sind Ihnen ein paar naturwissenschaftlich generell nicht haltbare bzw. nach jetzigem Erkenntnisstand diskussionswürdige Schnitzer unterlaufen. 1. Wasserstoff als Gas ist nicht einatomig, sondern zweiatomig. In statu nascendi Wasserstoffradikale bei der Elektrolyse koppeln sich in Bruchteilen von Sekunden. 2. Wasserstoff ist keinesfalls korrosiv, sondern eher das Gegenteil, reduktiv. Richtig ist jedoch, dass das für die Elektrolyse notwendige saure oder basische Reinstwasser hochkorrosiv ist. 3. Es bestehen erhebliche Zweifel aus aktuellem Wissensstand, dass Ergas und Erdöl tatsächlich mehrheitlich ein fossiler Rohstoff sind. Fossil bedeutet ja, dass sie ausschließlich in Reduktionsprozessen aus… Mehr

Dr. Mephisto von Rehmstack
3 Jahre her

Jetzt haben also einige geschnallt, nein nicht sunny Sonja oder die Hotelfachfraubildungsministerin, daß das mit dem Speichern im Netz doch nicht so klappt. Und dann hat auch noch der amerikanische Kongress und zwar beide Parteien die Blockade von Nordstream II nochmal bestätigt, also der Ausweg über russisches Erdgas wird auch nicht klappen, jetzt brennt die Hütte und man fragt sich, wie können wir noch mehr Geld verbrennen und dafür ist die Idee in der Tat sehr gut. Interessant war, daß in der Pressekonferenz der Afrikaminister, als Einziger mit einem Funken Restverstand, trotz der Marokko Schnapsidee, noch kurz daraufhinweisen durfte, daß… Mehr

Ingolf Paercher
3 Jahre her

Nein, Wasserstoff ist ein Element, kein zweiatomiges Molekül.

Dr. Mephisto von Rehmstack
3 Jahre her
Antworten an  Ingolf Paercher

Das häufigste Element, daß unter irdischen Bedingungen nur in der molekularen Form H2 vorkommt, besser?

Ingolf Paercher
3 Jahre her

Besser, fast gut. Proton plus Elektron gibt nunmal kein Molekül ab. Gruß von Sheldon.

Andreas aus E.
3 Jahre her
Antworten an  Ingolf Paercher

Da steht doch „in statu nascendi“.

Wolfgang M
3 Jahre her

Hier wird gesagt und begründet, dass sich die Wasserstofftechnologie nie rechnen wird.
Wie erklärt sich dann, dass Wasserstoff-Aktien explosionsartige Kurssprünge machen, beispielsweise ITM-Power 800% in einem Jahr.

https://www.finanzen.net/nachricht/aktien/hohe-nachfrage-nel-itm-power-powercell-co-wasserstoff-aktien-im-hoehenflug-experten-warnen-vor-rueckschlaegen-8961788

Schaun wir mal, wo die Kurse in einem Jahr stehen und was die angekündigten Rückschläge bringen.

Wenn die Aussage aus diesem Artikel stimmt, dann wären alle Investoren dumm, wie auch Hr. Haerter vor 3 Stunden unterstellt. Ob die Investoren dumm waren, oder diejenigen, die nicht dort investiert haben, werden wir irgendwann wissen. Sind die Investoren in Wasserstoff-Aktien Anleger oder Zocker?

WGroeer
3 Jahre her
Antworten an  Wolfgang M

An der Elektrode bildet der Wasserstoff Bläschen, an der Börse Blasen.

Wolfgang M
3 Jahre her
Antworten an  Wolfgang M

Minus 3 ist aktuell die Bewertung des Kommentars. Es gibt offensichtlich Leute, die das nicht lesen wollen und die sich wünschen, dass es auch andere nicht lesen.
Mich hätte eine Antwort von Hrn. Henning dazu gefreut. Vielleicht lässt sich erklären, warum andere bei Wasserstoff ein Geschäft sehen.

horrex
3 Jahre her

Schon bezeichnend ist, dass sie ganz offensichtlich nicht voraussetzen können dass selbst HIER der Begriff „Potemkinsches Dorf“ noch bekannt ist. –

Silverager
3 Jahre her
Antworten an  horrex

Ja, Sie und ich kennen den Begriff des Potemkinschen Dorfes. Aber bei zunehmender Verblödung der Gesellschaft ist es angezeigt, derlei Begriffe ausführlich zu erklären.

baul
3 Jahre her

„Wir leben aber, ob es uns gefällt oder nicht, in einer globalen kapitalistischen Welt. Am Ende muss sich alles rechnen.“
Steckt genau da die entscheidende Frage? Ist es sinnvoll, ALLES in Geld umzurechnen.
Geld kann man nicht essen, mit Geld läuft keine Maschine, …
Geld kann man verbrennen. Dann wärmt es noch ein bisschen.

Ingolf Paercher
3 Jahre her

Physik und Chemie sind des Teufels Zeug! Wer vorgibt, mittels fremder Mathematik rechnen zu können, entkommt keiner hochnothpeynlichen Befragung!
Ähm, war Ironie, Zynismus, Sarkasmus – Unzutreffendes bitte streichen!

Haerter
3 Jahre her

Es träumen immernoch etliche, nicht dumme Menschen von der Zukunft des Wasserstoff.
Man muss ihnen dann leider unterstellen, nicht rechnen zu können. Noch scheinen sich diese Menschen mit dem Thema näher befasst zu haben, alle Argumente haben Sie dargelegt. Scheinbar gibt es wiklich eine Medien- und Regierungsgläubigkeit. Und scheinbar ist das ein speziell deutsches Problem. Das ist dann nicht nur Staatsversagen, eigentlich Bürgerversagen. Ich habe für absehbare Zeit keine Hoffnung mehr für dieses Land, 2021 wird es zeigen. Wirklich schade, was aus diesem ehemals so brillianten Land mit seinen hervorragenden Köpfen geworden ist.

Schwabenwilli
3 Jahre her
Antworten an  Haerter

Da bin ich ganz ihrer Meinung.

Schwabenwilli
3 Jahre her

„der kürzlich beschlossenen Wasserstoffstrategie soll Deutschland führend auf dem Gebiet der Gewinnung und Nutzung grünen Wasserstoffs werden.“

Oh mein Gott, nicht schon wieder“ führend “ was treibt diese Leute dazu? Ist es Größenwahn? Ist es Ignoranz? Ist es Volksverdummung? Ich weiß es nicht. Die einzigen Gebiete auf denen Deutschland noch führend ist sind, die Moral und die millionenfache aufnahme mohammedanischer Fanatiker.

Unbestritten und zum Glück für diese dilettantischen Politiker gibt es in Deutschland noch ein paar gute Wissenschaftler und Ingenieure ob diese das Ruder gegenüber der asiatischen und amerikanischen Konkurrenz herumreißen können muss man abwarten.

schukow
3 Jahre her
Antworten an  Schwabenwilli

Nein, das können sie nicht. Und mit ihrem unermüdlichen Einsatz helfen jeden Tag mit, das Leben dieses Regimes zu verlängern. Nichts was auf Lügen gründet, kann Bestand haben. Aber von der Substanz kann es noch lange zehren.

Politkaetzchen
3 Jahre her

In der Grundschule habe ich einst ein abus gemalt, das mit heißer Luft fliegen konnte und Seifenblasen hinten rauskamen.

Und bei der Energiewende denke ich an solche Grundschulzeichnungen

Navarchus
3 Jahre her

Bei der Verwendung von Wasserstoff als Energiequelle wird als „Abgas“ Wasserdampf erzeugt. Wasserdampf ist 200 mal klimaschädlicher als CO2. Das wird leider vollkommen ausgeblendet.

Schwabenwilli
3 Jahre her
Antworten an  Navarchus

Besten Dank für diese Information ich werde sie in meine Diskussionen einfließen lassen.