Bei Lanz: Luisa Neubauer erklärt sich zur undemokratischen Demokratieschützerin

Die Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer hat bei Markus Lanz offenbart, wie sie's mit der Demokratie hält. Aus Zeitmangel müsse die ausfallen, um das Klima zu schützen, denn bei zwei Grad Erwärmung wäre es sowieso aus mit der Demokratie.

Screenprint: ZDF/Markus Lanz
Es ging bei Markus Lanz laut ZDF um die „Bedeutung sozialer Bewegungen und die Krisenfestigkeit der Demokratie“. Tatsächlich konnte man in der Sendung viel über das Demokratieverständnis der vielleicht einflussreichsten sozialen Bewegung der Gegenwart, nämlich der Klimaschutzbewegung, lernen. Dieses offenbarte nämlich das deutsche Gesicht von Fridays for Future, die 26-jährige Geographie-Studentin und Grünen-Politikerin Luisa Neubauer.

Die zentrale Neubauer-Aussage lautete: „Die Wahl zwischen Zeit und Demokratie haben wir nicht. Wenn wir die fundamentalen Krisen dieser Zeit nicht in den Griff bekommen, wie stellen Sie sich vor, sollen intakte Demokratien in einer zwei Grad wärmeren Welt aussehen, in der uns die Krisen um die Ohren fliegen, in der wir von Notstand zu Notstand diktiert werden von den Krisenumständen. Wenn Demokratien geschützt werden wollen sollen (sic!), dann durch echte Maßnahmen uns zu schützen.“

De Maizière hatte zuvor von der Notwendigkeit von Mehrheiten in der Demokratie gesprochen und davon, dass das Zeit brauche: „Wenn es um die Alternativen geht, Zeit oder Demokratie, bin ich für Demokratie.“

Für Neubauer jedoch scheint das Mehrheitsprinzip nicht unbedingt zur Demokratie zu gehören. Bezeichnend war ein Satz von ihr, in dem sie von der „demokratischsten Energie“ sprach und damit selbstverständlich die Erneuerbaren meinte. Kann eine Energie demokratisch sein?

In diesem absurden Kategorienfehler offenbart sich ein Verständnis von Demokratie, für das nicht die Teilhabe von Bürgern an der politischen Willensbildung zentral ist, sondern die Festlegung von bestimmten Zielen. Neubauer identifiziert also ihr energiepolitisches Ziel mit der Demokratie.

Das impliziert letztlich eine grundlegende Infragestellung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, die Demokratie als Rahmen für pluralistische Interessen und Positionen vorsieht, über die ergebnisoffen debattiert und durch Wahlen und Abstimmungen entschieden wird. Neubauer vertritt dagegen – ob bewusst oder unbewusst – eine aus der Geschichte der sozialistischen Bewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts bekannte Vorstellung von Demokratie, die letztlich auf Jean-Jacques Rousseau (1712-78) und seiner Theorie der volonté generale beruht: Er geht davon aus, dass es einen ‚allgemeinen Willen‘ gibt, der keine Legitimierung durch die Summe der Einzelinteressen (volonté de tous) oder den Willen der Mehrheit (volonté de la majorité) braucht. Der legitime Allgemeinwille in den Augen Neubauers und der Fridays-for-Future-Bewegung sowie weiten Teilen des politisch-medialen Betriebes ist vor allem der Klimaschutz durch Erneuerbare. 

Das seltsame Aneinander-vorbei-reden von de Maizière und Neubauer erklärt sich daraus, dass Demokratie eben nicht für alle dasselbe ist.

Die moderne Geschichte seit der Französischen Revolution und vor allem die der im weitesten Sinne linken Parteien ist geprägt von einem dauerhaften Konflikt zwischen den Vertretern eines pluralistischen, parlamentarischen Mehrheitsprinzips mit freien Wahlen und jenen, die die Größe und Bedeutung ihrer politischen Ziele – Weltrevolution, Kommunismus etc. – über jede Wahlmöglichkeit und über das Recht zum Widerspruch stellten. Letztere, die sich bizarrer Weise in Russland, wo sie 1917 an die Macht kamen, entgegen der Wirklichkeit „Mehrheitler“ (Bolschewiki) nannten, hielten sich auch für Demokraten. Sie wussten eben besser, was das Volk zu wollen habe als das unwissende Volk selbst. Weswegen das Volk von ihnen zu führen und zu erziehen sei. In der deutschen Geschichte vollzog sich der Bruch zwischen beiden mit der Abspaltung der Kommunisten von der SPD nach dem Ersten Weltkrieg. Für „Demokraten“ hielten sich bekanntlich auch die Einheitssozialisten der Deutschen Demokratischen Republik.

Aber auch in der neuen Linken Westeuropas ist das Rousseau’sche Demokratieverständnis nie ganz verloren gegangen. Nur fehlte eben angesichts der gescheiterten kommunistischen Gesellschaften lange Zeit ein ausreichend großes Ziel, das die Außerkraftsetzung der Mehrheitsdemokratie rechtfertigte. Mit dem Klimaschutz steht nun ganz offensichtlich wieder ein politisches Projekt auf der Agenda, das so groß und existenziell erscheint (es ist ja auch zweifellos ein reales Problem), dass es des Willens der Mehrheit nicht unbedingt bedarf, sich jedenfalls von der zeitraubenden Suche nach einer Mehrheit nicht aufhalten lassen darf. Ein Ziel, das mithin eine im Wortsinne „absolute“, also von allen, auch demokratischen Schranken „losgelöste“ Politik erfordere.

Neubauer sagte bei Lanz: “Manchmal fühle ich mich wie in einem Paralleluniversum: Was machen wir denn hier? Sie reden über Sicherheit. Was für eine Sicherheit soll es geben in einer Welt, in der uns die Lebensgrundlagen um die Ohren fliegen?“ Alle anderen Bedürfnisse haben also gegen das eine Bedürfnis nach der Abwehr der Klimakatastrophe zu verblassen. Ohne Klimaschutz erscheint alles nichtig.

So versteigt sich Neubauer dann zu der These, das Demokratie schützende Mittel sei „gerechter Klimaschutz, der schnell kommt.“ Denn: „Wenn die Notstände kommen, dann werden die demokratischen Räume eingeschränkt. (…) Je mehr Notstand da ist, desto weniger Demokratie haben wir.“ In diesem Fall wäre „nicht mehr die Zeit, noch einmal herumzureden, noch einmal zu befragen, noch einmal die Experten anzuhören, noch einmal die Bürgerinnen“.

Und weiter: „Klimaschutz heißt: Wir verhindern die schlimmsten Katastrophen, damit wir überhaupt die demokratischen Räume erhalten, die wir haben können. Und dann sind wir auch in diesen großen Transformationen, die anstehen: Energiewende, Verkehrswende, Agrarwende.“

Neubauer erklärt also Klimaschützer, das heißt nicht zuletzt sich selbst, zu den obersten und absoluten Demokratieschützern – die, wenn die Politik jetzt nicht mitzieht, irgendwann ihrerseits nicht mehr viel „herumreden“ und Bürger anhören müssen. Kurz: Um die Demokratie zu retten, muss man sie abschaffen. 

— Franziska Müller-Rech (@mue_re) October 18, 2022


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